Somalischer Bürgerkrieg

Der Bürgerkrieg in Somalia begann mit dem bewaffneten Widerstand diverser Akteure gegen die Herrschaft Siad Barres und erreichte seinen Höhepunkt nach dem Sturz Barres 1991. Seither existierte in Somalia keine funktionierende Zentralregierung mehr.
Konfliktlinien
Im somalischen Bürgerkrieg spielen verschiedene Konfliktlinien und Interessen eine Rolle, was die Situation unübersichtlich wirken lässt. Hierzu gehören die Konflikte um knappes Wasser und Land, Konflikte zwischen der Minderheit sesshafter Ackerbauern und der nomadisch lebenden Mehrheit, Konflikte im Rahmen des Clansystems der Somali und nicht zuletzt der persönliche Machthunger von Clanführern, Kriegsherren (Warlords) sowie Geschäftsleuten mit ihren Privatmilizen. Alle diese Konflikte überschneiden sich zuweilen.
Hinzu kommt, dass die Nachbarländer nur bedingt an einer Stabilisierung der Lage in Somalia interessiert sind. Ein geeintes und stabiles Somalia könnte auch alte Gebietsansprüche auf von Somali bewohnte Gebiete, insbesondere das heute äthiopische Ogaden, wiederbeleben. Insbesondere die beiden miteinander verfeindeten Staaten Äthiopien und Eritrea werden beschuldigt, entgegen einem Waffenembargo der Vereinten Nationen Kriegsparteien mit Waffen beliefert und Truppen in Somalia stationiert zu haben[1].
Religiöse Spannungen spielen hingegen in dem praktisch ausschließlich muslimischen Land kaum eine Rolle, obgleich einzelne islamistische Akteure wie al-Ittihad al-Islami und die Union islamischer Gerichte an dem Bürgerkrieg beteiligt sind.
Verlauf
Herrschaft und Entmachtung Siad Barres
Da Präsident Siad Barre (selbst Angehöriger des Marehan-Subclans der Darod) diktatorisch regierte und insbesondere den traditionellen Einfluss der Clans zurückzudrängen versuchte, formierte sich Widerstand. Namentlich die Majerteen-Darod, die Hawiye und die Isaaq waren von Repressionen von Seiten des Regimes betroffen und begannen zunehmend einen bewaffneten Kampf gegen Barres Herrschaft. Nicht zuletzt wegen der begangenen Menschenrechtsverletzungen verlor Barre zudem die Unterstützung der USA. Am 26. Januar 1991 wurde er abgesetzt und floh schließlich aus Somalia.
Im Mai 1991 erklärte der hauptsächlich von Isaaq bewohnte Norden des Landes als Somaliland einseitig seine – international nicht anerkannte – Unabhängigkeit. Somalia zerfiel in umkämpfte Machtbereiche von Clans und Kriegsherren und deren Milizen. Der von Mohammed Farah Aidid (Habre Gedir-Hawiye) und Ali Mahdi Mohammed geführte United Somali Congress (USC), der wesentlich am Sturz Barres beteiligt war, bildete eine provisorische Regierung. Diese konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da andere bedeutende Oppositionsgruppen wie Somali National Movement nicht beteiligt wurden. Der USC selbst spaltete sich, nachdem sich Ali Mahdi Mohammed ohne Einverständnis Aidids zum Präsidenten ausrief. Siad Hersi Morgan (Marehan-Darod) kämpfte derweil weiter als Unterstützer von Siad Barre; daneben gab es noch etliche andere.
Eingreifen der UNOSOM

Für die Bevölkerung hatten die Kampfhandlungen eine zunehmende Verschlechterung der Versorgungs- und Sicherheitslage bis hin zu einer [Hungersnot in Somalia (1990er)|Hungersnot im Süden Somalias]] zur Folge, was durch Dürre noch verschärft wurde. Dies veranlasste die Vereinten Nationen dazu, 1992 die Entsendung der UNOSOM-Mission zu beschließen. Diese sollte, unter der Federführung US-amerikanischer Truppen, das Land befrieden und die Lieferung internationaler Nahrungsmittelhilfe absichern – wobei manche den USA auch weniger edle Motive wie die Erlangung der Kontrolle über Erdölvorräte oder die dauerhafte Errichtung von Militärbasen am strategisch wichtigen Horn von Afrika unterstellten. Etwa 30.000 Soldaten wurden stationiert. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nahm auch die Bundeswehr an einem militärischen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes der NATO teil, siehe auch Deutscher Unterstützungsverband Somalia.
Der Frieden zwischen Kriegsherren und UNO hielt jedoch nicht lange. Teile der somalischen Bevölkerung sahen in der UNOSOM eine Besatzungsmacht, und insbesondere die USA zogen den Vorwurf der Parteilichkeit auf sich, als sie sich spezifisch gegen den Kriegsherren Aidid wandten. Als schließlich in der „Schlacht von Mogadischu“ am 3./4. Oktober 1993 mehrere US-Soldaten von somalischen Milizen getötet und durch die Straßen der Hauptstadt geschleift wurden, zogen die USA bald ihre Truppen ab. Auch die UNOSOM II musste sich 1995 zurückziehen, ohne eine wesentliche Verbesserung der Lage bewirkt zu haben.
Übergangsregierung
Nach dem gescheiterten UNOSOM-Einsatz geriet Somalia zeitweise aus dem Blickfeld der internationalen Presse und gilt als typisches Beispiel eines „gescheiterten Staates“. Die Kämpfe im Land gingen im Wesentlichen weiter. Puntland im Nordosten und die Republik Jubaland (Südwestsomalia) erklärten zwischenzeitlich ihre Unabhängigkeit, beide ohne internationale Anerkennung zu erlangen und letzteres ohne sie effektiv durchzusetzen. Einzig in Somaliland im Norden blieb es relativ friedlich.
2000 wurde nach Friedensverhandlungen in Dschibuti eine Übergangsregierung, das Transitional National Government, aus Vertretern verschiedener Clans gebildet. Dieses fand jedoch nicht die Zustimmung aller Kriegsherren und Clanführer, sodass es bis 2004 als Exilregierung und -parlament in Nairobi, Kenia residierte. Auch danach konnte es nicht in die von den rivalisierenden Hawiye-Subclans der Abgal und Habre Gedir dominierte Hauptstadt Mogadischu einziehen; so wurden Baidoa und Jawhar zur provisorischen Hauptstadt ernannt. Über Baidoa hinaus konnte sich die Übergangsregierung weiterhin nicht durchsetzen.
Union islamischer Gerichte und Kampf gegen den Terrorismus
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 interessierten sich die USA wieder verstärkt für Somalia. Es wurde vermutet, dass das destabilisierte Land als Standort von Terroristen-Trainingslagern oder gar als Zufluchtsort für Osama bin Laden dienen könnte. Vor diesem Hintergrund beobachteten die USA den Machtgewinn der Union islamischer Gerichte, einer Vereinigung von Scharia-Gerichten, die lokal das Scharia-Recht durchsetzten, mit Besorgnis und unterstützten zeitweise die „Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und gegen den Terrorismus“, einen losen Zusammenschluss von Kriegsherren gegen die Union. Diese Unterstützung für die weitgehend unbeliebten Kriegsherren vergrößerte jedoch möglicherweise die Zustimmung in der Bevölkerung für die Union islamischer Gerichte eher noch. Mitte 2006 konnte die Union Mogadischu und weitere, große Teile des Landes einnehmen; seither herrschte in diesen Landesteilen Frieden und ein gewisses Maß an Recht und Ordnung. Manche westliche Beobachter wie auch Teile der somalischen Bevölkerung befürchteten jedoch auch eine Entwicklung zu Zuständen wie in Afghanistan unter den Taliban.
An den Grenzen zwischen den Machtbereichen von Übergangsregierung und Union islamischer Gerichte kam es weiterhin zu Kämpfen. Die Union reagierte empört auf die Resolution 1725 des UN-Sicherheitsrates, welche die Entsendung einer Friedenstruppe IGASOM zum Schutz der Übergangsregierung vorsieht[2].
Konflikt mit Äthiopien
Vorlage:Somalischer Bürgerkrieg
Auch das benachbarte Äthiopien beobachtete die Machtergreifung der Union islamischer Gerichte mit Sorge, umso mehr, als letztere die heute äthiopische, von Somali bewohnte und traditionell von Somalia beanspruchte Region Ogaden einnehmen möchte. Um Ogaden wurden wegen des Strebens nach einem „Groß-Somalia“ bereits zwei Kriege geführt. Zudem galt Somalia und insbesondere Mogadischu allgemein als Schmelztiegel von antiäthiopischen Kräften wie eritreischen Militäreinheiten, ogadenischen und Oromo-Separatisten[3]. Unter dem Vorwand, die somalische Übergangsregierung schützen zu wollen, stationierte Äthiopien „Militärbeobachter“ in Somalia, worüber die Übergangsregierung selbst uneinig war.[4]
Die Union islamischer Gerichte stellte Äthiopien ein Ultimatum, sämtliches Militärpersonal abzuziehen. Am 24. Dezember 2006 erklärte Äthiopien der Union den Krieg[5]. Unterstützt durch Bombardements der äthiopischen Luftwaffe drangen Truppen Äthiopiens und der somalischen Übergangsregierung im Süden des Landes vor. Am 27. Dezember verließ die Union islamischer Gerichte Mogadischu und zog sich großteils nach Kismaayo zurück, woraufhin die Übergangsregierung die Kontrolle über die Hauptstadt übernahm und sich nun zu etablieren versucht.[6].
Aus Kismaayo wurde die Union islamischer Gerichte weiter bis in den äußersten Süden Somalias nahe der kenianischen Grenze abgedrängt. Am 10. Januar 2007 griffen auch US-amerikanische Kampfflugzeuge Städte in dem von der Union kontrollierten Gebiet im Süden an. Laut US-Angaben waren das Ziel Al-Qaida-Terroristen.[7] Kenia schloss seine Grenze, um den Zustrom von Kämpfern der Union zu verhindern, womit es auch den Vorwurf auf sich zog, unzulässigerweise Flüchtlingen die Zuflucht zu verweigern.
Äthiopien hat unterdessen mit dem Abzug seiner Truppen begonnen. Deswegen wird versucht, die Friedenstruppe IGASOM alsbald zusammenzustellen und zu entsenden.
Folgen

Gemäß Schätzungen sind seit 1991 etwa 350.000 bis eine Million Somalier als Folge des Bürgerkriegs umgekommen. 400.000 wurden zu Binnenflüchtlingen[8]. Weitere Hunderttausende flohen in Flüchtlingslager in den Nachbarländern, in die Staaten der Arabischen Halbinsel, nach Nordamerika oder Europa. Ein großer Teil der somalischen Bevölkerung könnte ohne die Geldüberweisungen im Ausland lebender Verwandter kaum überleben.
Siehe auch
- Geschichte Somalias
- Kriegsführer und -parteien: Hussein Aidid, Musa Sudi Yalahow, Rahanweyn Resistance Army, Juba Valley Alliance, Galmudug
Quellen
- globalsecurity.org über den Bürgerkrieg in Somalia (englisch)
- Der Spiegel online: Schlacht ums Horn von Afrika – Hintergrundbericht über den gegenwärtigen Konflikt in Somalia
- Somalia-Dossier der AG Friedensforschung Uni Kassel
* zum Eingreifen der USA und zu deren Motiven: Und grüße euch mit dem Lied des Regenvogels – Verena „Vre“ Karrer, Briefe aus Somalia (Berichte einer Schweizerin, die in Merka humanitär tätig war, bis sie 2002 von Unbekannten ermordet wurde), ISBN 3-905561-50-6
- ↑ BBC News: Somalia: Who supports whom?
- ↑ BBC News: Somalia's peacekeeping conundrum
- ↑ Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Somalia ohne Hoffnung", 13. Januar 2007
- ↑ Tages-Anzeiger vom 16.10.2006: Der heilige Krieg am Horn von Afrika
- ↑ Tages-Anzeiger Online vom 24.12.2006: Äthiopien erklärt den Krieg
- ↑ BBC News: Mogadishu crowds greet Somali PM
- ↑ Der Spiegel Online: Somalia: US-Luftwaffe fliegt neue Angriffe auf Qaida-Stellungen
- ↑ Amnesty International: Somalia – Heilige Krieger und Milizen
Literatur
- Abdirizak Sheikh, Mathias Weber: Kein Frieden für Somalia?, Frankfurt 2005, ISBN 393451703X
Filme zum Thema
- Black Hawk Down (2001/ Ridley Scott) beschreibt die Ereignisse 1993 aus US-amerikanischer Sicht