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Günther Jacoby

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(Friedrich) Günther Jacoby (* 21. April 1881 in Königsberg; † 4. Januar 1969 in Greifswald) war ein deutscher Theologe und Philosoph.

Von 1900 bis 1903 studierte Jacoby in Königsberg Theologie. Den Lizentiatengrad erwarb er mit einer Textinterpretation des biblischen Buchs Jeremia. Nach kurzer Hilfslehrertätigkeit begann er 1904 in Berlin ein Studium der Philosophie, das er 1906 mit dem Doktorat abschloss; aus seiner Dissertation mit dem Titel Herders „Kalligone“ und ihr Verhältnis zu Kants „Kritik der Urteilskraft“ wurde bald ein Buch, mit dessen erster Fassung er sich nach Studien- und Lehraufenthalten in Frankreich und England 1909 in Greifswald habilitierte.

Nach der Habilitation wurde Jacoby Privatdozent der Philosophie in Greifswald. Aus Jacobys Greifswalder Antrittsvorlesung zum Thema Pragmatismus entspann sich ein Briefwechsel mit William James, der zu einer Einladung als Research Fellow an die Harvard University führte. 1911 legte er die Arbeit Herder als Faust vor, in der er anhand von Textvergleichen darzulegen versuchte, dass Johann Wolfgang von Goethe als Vorbild für sein Faust-Drama Johann Gottfried Herder im Sinn hatte. Nach einer Gastprofessur an der University of Illinois und ausgedehnten Vortragsreisen in Asien und Nordafrika hatte Jacoby von 1915 bis 1918 eine Professur in Istanbul inne. Nach der Rückkehr wurde er 1919 außerordentlicher, ab 1928 ordentlicher Professor in Greifswald. Nach der Machtergreifung des NS-Regimes 1937 wegen der Abstammung seines Großvaters zwangspensioniert, konnte Jacoby erst 1945 den Lehrbetrieb wiederaufnehmen.

Neben Nicolai Hartmann gilt Jacoby als Begründer der gegen den Neukantianismus gerichteten „kritischen Ontologie“, einer Form des Kritischen Rationalismus.

Die Logik betrachtet Jacoby als rein philosophische Disziplin, die streng von der modernen formal-mathematischen Logik (bei ihm noch „Logistik“ genannt) abgegrenzt werden müsse – eine Position, die er in seiner 1962 erschienenen Monographie Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung zusammenfassend darstellte und die sein Schüler Bruno von Freytag-Löringhoff in seiner Nachfolge weiterentwickelte.

Als Aufgabe der Logik sieht es Jacoby an, den Begriff „logisch“ –im Sinn von „folgerichtig“– auf seine objektiven, vom schließenden Subjekt unabhängigen Hintergründe zu untersuchen. Diese Hintergründe bilde nicht das Schließen selbst, das er als subjektiv –an ein psychologisches Subjekt gebunden– betrachtet; vielmehr beruhe alles Folgerichtige auf einem „subjektfrei objektiven Fundament“, bei dem es sich um „Identitäten zwischen Sachverhalten“ handle.[1]. Auf das Bestehen oder Nichtbestehen solcher Identitäten beziehe sich alles Logische, das heißt alle „Begriffe, Urteile, Annahmen, deduktive und induktive Schlüsse“[2].

Für Jacoby werden Art-Gattungsverhältnisse, also Verhältnisse zwischen allgemeineren Sachverhalten, den Gattungen, und spezielleren Sachverhalten, den Arten, durch eine bestimmte Art von Identität und Nichtidentität ausgemacht. Nur diese sei für die Logik relevant.[3]

Jacobys Verständnis von Logik und deren Gegenstandsbereich sowie seine Definition von Identität sieht er in starkem Gegensatz zur modernen formalen Logik, von der er zudem die Meinung vertritt, dass sie mit einer bestimmten erkenntnistheoretischen Position verbunden und notwendig subjektgebunden sei.[4]

Da Urteile und Schlüsse für Jacoby subjektgebunden, Begriffe subjektfrei objektiv sind und da der Gegenstand von Logik die Untersuchung objektiver Gegebenheiten zu sein habe, müsse Logik auf der Ebene der Begriffe ansetzen und nicht – wie er es in der modernen formalen Logik gegeben sieht – auf der Ebene von Aussagen oder von Schlüssen. Eine Konsequenz dieses Standpunktes sei, dass die Analyse von Aussagen in Subjekts- und Prädikatsbegriff (Art und Gattung) und in den Ausdruck von deren „Identität“, wie sie die traditionelle Logik –etwa die Syllogistik− vornehme, als die einzige logisch richtige betrachtet werden müsse.[5]

Der Erkenntnis der modernen Logik, dass viele intuitiv gültige Argumente, zum Beispiel das Argument „Alle Pferde sind Tiere. Also sind alle Pferdeköpfe Tierköpfe“ nach einer solchen Analyse nicht als gültig erwiesen werden können, schließt sich Jacoby an; um dennoch in der Lage zu sein, die Gültigkeit solcher Argumente aufrechtzuerhalten, geht er davon aus, dass das jeweilige Argument zusätzliche Prämissen umfassen müsse, die bloß nicht ausdrücklich angeführt seien – dass das Argument also unvollständig formuliert, ein Enthymem sei.

Von Jacobys Auffassung von Logik –er spricht von der „Einen Logik“– hebt sich stark die mit formalen und mathematischen Methoden arbeitende moderne Logik ab, wie sie zum Beispiel in Aussagenlogik, Prädikatenlogik oder Modallogik vorliegt. Jene betrachtet Jacoby als mathematische Disziplinen, als Einzelwissenschaften, die keinen Anspruch auf die Erkenntnis der „wahren Logik“ erheben könnten und die der Philosophie unterzuordnen seien.

Dass der modernen formalen Logik dennoch schon zu Jacobys Lebzeiten von Seiten der Philosophie ein so hoher Stellenwert eingeräumt wurde, führt er in seinem Werk Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung darauf zurück, dass die Vertreter der modernen Logik teils aus Motiven positivistischer Philosophiefeindschaft[6], teils aus „konfessionellen Motiven“[7], daneben aber auch von „Geltungsbedürfnis“[8], „Unreife“[9] und „Verbandsbewusstsein“[10] getrieben, eine weltumspannende Propagandamaschine aufgebaut hätten, um gemeinschaftlich „als Exponenten der Ideologie eines unsichtbaren internationalen Konzerns“[11] erst „Rufmord, dann Substanzmord“[12] an der philosophischen Logik begehen und schließlich deren Erbschaft antreten zu können.

Quellen

  1. „Hinter Folgerechtem steht offen oder verkappt ein subjektgebundenes deduktives Schließen. Und hinter dem stehen als sein subjektfrei objektives Fundament die Identitäten zwischen Sachverhalten.“ (Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung, Seite 10)
  2. Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung, Seite 10
  3. „[Logik] arbeitet in Begriffspyramiden, d. h. an Identität- und Nichtidentitätverhältnissen in der Stufenfolge zwischen allgemeineren Sachverhalten als Gattungen und spezielleren als Arten“ (Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung, Seite 12)
  4. „[D]ie Logik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts [setzte], entsprechend ihrer erkenntnistheoretischen Einstellung, subjektgebunden an und ging demgemäß, wie in ihrem Gefolge heute noch Logistik, von den nur für uns bestehenden Urteilen aus.“ (Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung, Seite 19)
  5. „Begriffslogik gilt für Identitäten zwischen Relationen wie für die zwischen Subjekten und Prädikaten. Hier subsummiert sie Subjekte als Arten oder individuen unter die ihnen inhärenten Prädikate als Gattungen, dort Relationen als Arten unter die ihnen inhärenten Relationsgattungen. Die Subsumtion ist beide Male dieselbe.“(Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung, Seite 53)
  6. Seite 151
  7. Seite 152, dort auch: „In der Geschichtsschreibung der Logistik sind deren Propagandisten oft katholische Geistliche.“
  8. Seite 151
  9. Seite 152
  10. Seite 152
  11. Seite 152
  12. Seite 152

Werke

  • Glossen zu den neuesten kritischen Aufstellungen über die Composition des Buches Jeremja (Capp. 1-20), Königsberg 1902
  • Der Pragmatismus. Neue Bahnen in der Wissenschaftslehre des Auslands. Eine Würdigung, Leipzig 1909
  • Herder als Faust. Eine Untersuchung, Felix Meiner Leipzig 1911
  • Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit, 2 Bände, Halle 1925 und 1955, Neuauflage: Niemeyer Tübingen 1993, ISBN 3-484-70151-X (Band 1), ISBN 3-484-70152-8 (Band 2)
  • Denkschrift über die gegenwärtige Universitätsphilosophie in der Deutschen Demokratischen Republik, 1955
  • Die Ansprüche der Logistiker auf die Logik und ihre Geschichtschreibung , Kohlhammer Stuttgart 1962

Literatur

  • E. Albrecht: „Zur Rolle der Ontologie in der spätbürgerlichen Philosophie. Gedanken aus Anlaß des 100. Geburtstages von Günther Jacoby (1881-1969)“, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 29(1981), Seite 854-858
  • Bruno von Freytag-Löringhoff: „Günther Jacoby 80 Jahre alt“, Zeitschrift für philosophische Forschung, 15(1961), Seite 237-250