Kommune I
Die Kommune1 (K I) war die erste politisch motivierte Wohngemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde am 12. Januar 1969 in Berlin gegründet und löste sich im November 1969 endgültig auf.
Die Kommune 1 entstand als Reaktion auf die politischen Verhältnisse und den Zeitgeist in der BRD der 60er-Jahre, wo das gesellschaftliche Klima der Adenauer-Epoche mit seinen bezüglich Geschlechterrolle sowie Sexualmoral sehr konservativen Moralvorstellungen herrschte. Sie war gedacht als Gegenmodell zur bürgerlichen Kleinfamilie.
Sie befand sich zuerst seit dem 19. Februar 1967 in der leerstehenden Wohnung des Schrifstellers Hans Magnus Enzensberger in der Fregestraße 19 (bis Anfang März 1967) sowie in der Atelierwohnung des sich in den USA aufhaltendenden Schriftstellers Uwe Johnson in der Niedstraße 14 im Berliner Stadtteil Friedenau. Nach Rückkehr von Enzensberger von einer längeren Studienreise nach Moskau wurde dessen Wohnung verlassen, stattdessen besetzten die Kommunarden die Hauptwohnung von Johnson in der Stierstraße 3. [1]
Entstehung
Mitglieder der Münchner Subversiven Aktion (wie Dieter Kunzelmann) und des Berliner SDS (wie Rudi Dutschke und Bernd Rabehl) überlegten, wie man sich von den als spießig und kleinbürgerlich empfundenen Vorstellungen lösen könne.
Dieter Kunzelmann hatte die Idee, eine Kommune zu gründen. Man beschloss, ein Leben der leidenschaftlich an sich selbst Interessierten zu versuchen. Kunzelmann zog bald nach Berlin. Dort gab es im SDS einen ersten Kommune-Arbeitskreis, der folgende Ideen verfolgte:
- Aus der Kleinfamilie entsteht der Faschismus. Sie ist die kleinste Zelle des Staates, aus deren unterdrückerischem Charakter sich alle Institutionen ableiten.
- Mann und Frau leben in Abhängigkeit voneinander, so dass keiner von beiden sich frei zum Menschen entwickeln kann.
- Diese Zelle musste zerschlagen werden.
Als dann diese Theorie in die Praxis eines Lebens als „Kommune“ umgesetzt werden sollte, sprangen viele SDSler ab, unter anderem Rudi Dutschke und Bernd Rabehl, die ihre Frauen und ihre alten Verhältnisse nicht aufgeben wollten. Am Ende zogen am 19. Februar 1967 neun Männer und Frauen sowie ein Kind in die damals leerstehende Wohnung von Hans Magnus Enzensberger]] und die Atelierwohnung des Schriftstellers Uwe Johnson in Berlin-Friedenau ein, der sich damals gerade in New York aufhielt. Nach Rückkehr von Enzensberger von einer ausgedehnten Studienreise nach Moskau wurde dessen Wohnung verlassen, stattdessen besetzten die Kommunarden die Hauptwohnung von Johnson in der Stierstraße 3. Sie nannten sich Kommune I.
Kommunarden der ersten Stunde waren Dagrun Enzensberger (geschiedene Frau von Hans Magnus Enzensberger) Tanaquil Enzensberger (damals 9jährige Tochter des Hans Magnus Enzensberger),. Ulrich Enzensberger (Bruder von Hans Magnus Enzensberger), Volker Gebbert, Hans-Joachßim Hameister, Dieter Kunzelmann, Detlef Michel (bis 25. März 1967), Dorothea Ridder ("die eiserne Dorothee"), Dagmar Seehuber und Fritz Teufel. Rainer Langhans kam, wie auch Felix Döpfert und Julian Sauer erst im März 1967 dazu, wobei Döpfert und Sauer im selben Monat die Kommune wieder verließen. [2] Zetweilig wohnten auch noch weitere Personen in den Räumlichkeiten der Kommune I, so z.B. Dagmar von Doetinchem und Gertrud Hemmer ("Agathe").
Die Kommunarden versuchten zunächst, sich gegenseitig die eigene biografische Identität zu erzählen, um dann genau solche alten Sicherheiten zu brechen. Die Kommunarden waren sehr unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich waren bald die Rollen, die jeder spielte. Kunzelmann war der Patriarch und ließ dies andere auch spüren. Seine Definition der Ziele der Kommune basierte auf seiner Zeit als „Situationist“ und in der „Subversiven Aktion“. Er war daher für die Abschaffung aller Sicherheiten, auch der finanziellen, weswegen er zum Beispiel Stipendien verachtete. Er wollte jeden Besitz, jede private Sphäre abschaffen. Und er war gegen das Leistungs-, aber für das Spaß- oder Lustprinzip. Jeder sollte und konnte tun, was sie/er wollte, solange es unter aller Augen geschah.
Langhans, Teufel und die anderen trugen auf Betreiben der Kommunefrauen hin lange Haare, Perlenketten, Armeemäntel oder Mao-Anzüge. Bald ließen sie sich ihre Interviews und Fotos bezahlen. Im Flur ihrer Wohnung hing deutlich ein Schild: Erst blechen, dann sprechen.
Die erste Phase: groteske Provokation
Die Kommune I war während ihres ganzen Bestehens für ihre grotesken Aktionen bekannt, die stets zwischen Realsatire und Provokation schwankten. Diese Aktionen wurden für die Sponti-Bewegung und andere linke Szenen zum Vorbild.
Das „Pudding-Attentat“
Weil ihnen das häusliche Kommune-Leben zu einseitig war, ließen die Kommunarden aus der internen Erfahrung Aktionen werden.
Die erste Aktion sollte der später verharmlosend genannte „Pudding-Attentat“ geannte Anschlag auf den US-Vizepräsidenten Humphrey werden, der Berlin besuchte. Am Abend des 2. April 1967 trafen sich in der Wohnung von Johnson die Kommunarden mit ca. 20 Linken, die sie von Demosttrationen kannten. Kunzelmann stellte seinen Plan vor, anläßlich des Staatsbesuches Rauchbomben in Richtung des Vizepräsidenten zu werfen Von den Externen wollte sich außer Langhans niemand beteiligen. [3]. Polizeiakten deuten darauf hin, dass der geplante Anschlag durch einen V-Mann des Verfassunschutzes offenbart wurde, denn am 5. April 1967 wurden durch Beamte der Abteilung I (Politische Polizei) elf Studenten festgenommen. Sie seien "unter verschwörerischen Umständen zusammengekommen und hätten hierbei Anschläge gegen das Leben oder die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Horatio Humphrey mittels Bomben, mit unbekannten Chemikalien gefüllten Plastikbeuteln oder mit anderen gefährlichen Tatwerkzeugen wie Steinen usw. geplant Bei den Festgenommenen handelte es sich u.a um Ulrich Enzensberger, Volker Gebbert, Klaus Gilgenmann, Hans-Joachim Hameister, Wulf Krause, Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans und Fritz Teufel, gegen die Haftbehl erging. [4] Bild titelte: „Attentat auf Humphrey“ und Die Zeit „Elf kleine Oswalds“. Sogar die New York Times berichtete über den - als gefährlich dargestellten - Plan von acht Kommunarden, ihren Vize mit Pudding, Joghurt und Mehl zu attackieren, so dass Uwe Johnson seinen Freund und Nachbarn Günter Grass hastig beauftragte, diese Studenten aus seiner Wohnung zu entfernen. Die Kommunarden wurden schon am nächsten Tag aus der U-Haft freigelassen und gaben ihre erste Pressekonferenz. Die Zeitungen des Axel Springer Verlags nannten sie von nun an „Horror-Kommunarden“.
Die Kommune zog in eine Altbauwohnung an der Kaiser-Friedrich-Straße am Stuttgarter Platz in Berlin-Charlottenburg und später nach Berlin-Moabit. Es gab kaum eine Woche, in der die Kommune 1 nicht irgendwo in Berlin eine satirische Provokation aufführte, die Schlagzeilen in der Presse machte. So stieg die Kommune auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, um von oben hunderte Mao-Bibeln zu werfen.
Der Schah-Besuch und das K I-Foto
Fritz Teufel wurde während der Demonstration vor der Oper gegen den Staatsbesuch von Schah Reza Pahlewi am 2. Juni (Tod von Benno Ohnesorg) verhaftet und des Landesverrats angeklagt. Er kam erst im Dezember wieder frei, nachdem er und viele Studenten mit ihm in den Hungerstreik getreten waren. Aber die Straße feierte längst die übermütigsten Partys: „Freiheit für Fritz Teufel!“ oder „Treibt Moabit den Teufel aus!“
Während Teufels Abwesenheit entstand das berühmte K I-Foto: die nackten Rückenansichten vor der Wand. Motto: Das Private ist politisch!
Der „Brandstifter-Prozess“
Am 6. Juni 1967 begann für Langhans und Teufel der „Brandstifter-Prozess“ - wegen eines Flugblattes der K I, in dem sie die Bevölkerung zur Brandstiftung in Kaufhäusern aufriefen: „Holt euch das knisternde Vietnam-Gefühl, das wir auch hier nicht missen wollen.“ Sie wurden frei gesprochen. Ihren Prozess schrieben sie in dem späteren Kultbuch "Klau mich" nach.
Reaktionen
Die hedonistische Lebenseinstellung der K I-Bewohner, die nur das machten, was sie selbst gut fanden, polarisierte nicht nur das Bürgertum, sondern auch die politische Linke.
Die SDS stieß sich bald an dem provokanten Treiben der K1. Die mit SDS unterzeichneten provokanten Flugblätter der K I („Wasserwerfer sind Papiertiger“) waren ihnen ein Dorn im Auge. Den Kommunarden wurde unter anderem auch vorgeworfen, im Grunde keinerlei politisches Interesse zu verfolgen, sondern lediglich dem Egoismus zu frönen. Im Mai 1967 schloss daher der SDS die „revolutionären Krawallmacher“ (BZ) aus.
Klaus Hartung schrieb in der ZEIT: „Kaum eine politische Theorie war erfolgreicher als jene, wonach die Revolutionäre sich revolutionieren müssen, wonach ohne Veränderung des Alltagslebens es keine Veränderung der Gesellschaft geben wird.“
Die Kommune entwickelte sich für Andersdenkende zu einer Art Anlaufstelle für Probleme aller Art. Täglich trafen Hilfegesuche ein. Das Haus wurde von Freunden und Groupies regelrecht belagert, die vor allem Langhans und Teufel verehrten. Aufgrund des weiblichen Andrangs, den besonders Teufel verursachte, wurde er aus der K I verwiesen. Er zog in eine Münchner Kommune und gehörte später zur „Bewegung 2. Juni“.
Die zweite Phase: Sex, Drogen und Uschi Obermaier
Ende der 60er-Jahre veränderte sich das gesellschaftliche Klima. Die Kommune I zog im Spätsommer 1968 in eine verlassene Fabrik in die Stephanstraße 60, um sich neu zu orientieren. In der zweiten Kommune-Phase standen Sex, Musik und Drogen im Vordergrund.
Am 21. September 1968 fuhr die Kommune zu den Essener Songtagen, dem ersten Underground-Festival der BRD. Dort verliebte sich Langhans in Uschi Obermaier, ein Fotomodell aus München. Sie lebte dort mit der Musikkommune Amon Düül, zog jedoch bald in der Fabrik ein, wo Kommunarden gemeinsam in einem Schlafsaal wohnten. Obermaier und Langhans waren in der Presse bald „das schönste Paar der APO“.
Die Politisierung des Privaten, dass Langhans und Obermaier offen über ihre Beziehung, über Eifersucht und 'Lustautomat' in den Medien Auskunft gaben, war der nächste große Tabu-Bruch und läutete die „Sexuelle Revolution“ ein. Später folgten ihnen darin zum Beispiel John Lennon und Yoko Ono.
Die Besucher kamen auf einmal aus aller Welt; unter ihnen auch der legendäre Gitarrist Jimi Hendrix. Obermaier verliebte sich in ihn.
Obermaiers Gagen als Fotomodell stiegen, sie spielte eine Hauptrolle in dem Kultfilm „Rote Sonne“ von Rudolf Thome und posierte auf Covern und Postern. Laut Gerüchten soll der Stern ihr für eine Reportage und die Nacktfotos von ihr die Summe von 20.000 DM gezahlt haben.
Das Ende der Kommune I
Irgendwann hatte sich die Energie der K1 verbraucht. Kunzelmann geriet immer mehr in die Abhängigkeit von Heroin. Der zweite Kommunarde wurde vor die Tür gesetzt (alle anderen, so heißt es, gingen von allein). Ab und zu tauchte die Münchner Frauen-Kommune auf.
Im November 1969 überfielen Rocker die Verbliebenen und verwüsteten die Räume. Das ließ die Verbliebenen den Glauben an die Zukunft der Kommune I verlieren und sie auflösen.
Siehe auch
Literatur
- Ulrich Enzensberger: Die Jahre der Kommune I. Berlin 1967-1969. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004. ISBN 3462034138
- Wolfgang Dreßen, Dieter Kunzelmann und Eckhard Siepmann (Hg.): Das Nilpferd des höllischen Urwalds. Situationisten - Gruppe Spur - Kommune I. Gießen: Anabas-Verlag 1991
- Bernd Rabehl: Die Revolte in der Revolte: Die Kommune 1. Berlin 2003.