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Aristotelismus

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Aristotelismus nennt man das Wissenschaftssystem, das aus dem Gedankengut des griechischen Philosophen Aristoteles entwickelt wurde. Seine Nachfolger nennt man Aristoteliker oder Peripatetiker.

Ausgangspunkte des Aristotelismus

Aristoteles entwickelte das System der formalen Logik: er erarbeitete eine vollständige Theorie der Urteile und Schlussfolgerungen, der Definitionen und Beweise, der wissenschaftlichen Einteilungen und Methoden. Er „erfand“ die zehn Kategorien sowie vier Arten von Ursachen. Er stellte die Denkregeln der Identität, des Widerspruchs und des Ausschlusses fest und entwickelte den Syllogismus. Dieses System ist – auch wenn man später formale Mängel nachgewiesen hat – „ebenso bedeutsam wie bewundernswert“ (Egon Friedell).

Damit kann das Maß, in dem Aristoteles die Denkweise der westlichen Welt bis heute beeinflusst hat, kaum zu hoch eingeschätzt werden. Das kritische Hinterfragen von Doktrinen, das bereits die Sophisten ansatzweise in die Philosophie eingeführt hatten, wurde bei ihm zur Methode. Dabei sind nicht nur logische Schlüsse, sondern auch Erfahrungen hilfreich (Abkehr von der reinen Spekulation also, wie sie etwa von Parmenides überliefert ist). Während in seiner Erkenntnistheorie allgemeingültige Aussagen Vorrang vor Einzelerscheinungen haben sollen, stehen in seiner Metaphysik die Universalien hinter den Einzelobjekten zurück. Jene gelten sogar als überflüssig, da sie nur „Dopplungen“ der Realien darstellen. Da Gott (nicht „die Götter“!) die Zweckursache allen Handelns ist, muss sich die Welt immer weiter entwickeln – eine positivistische Religion. Die Seele ist die Form (Entwicklungspotential) des Leibes, sie geht mit ihm unter. Im Gegensatz zum Geist (und zum Platonismus) ist bei Aristoteles die Seele also nicht unsterblich.

Schließlich hatte seine Denkweise weitreichenden Einfluss über das Vokabular (in griechischer Originalform oder in lateinischen Ableitungen), das er geprägt hat. Neben Wortpaaren wie Energie und Potential, Materie und ihre Form, Substanz und Wesen, Quantität und Qualität, Genus und Spezies, Subjekt und Prädikat u.s.w. stehen Prägungen wie Ursache (causa), Beziehung (relatio) oder Eigenschaft (Akzidenz).

Nachwirkung der Philosophie des Aristoteles

Übersicht

Aristoteles markiert das Ende einer Generationen währenden Entwicklung philosophischen Denkens und war gleichzeitig Begründer einer neuen Tradition. Er führte die Denker seiner Zeit von den Höhen der platonischen Visionen in die fruchtbaren Niederungen der Erfahrungswissenschaft. Daher rühren wohl auch die widersprüchlichen Urteile über sein Werk in der Folgezeit. Seit seinem Tod haben über 2000 Jahre lang Gelehrte seine Arbeiten (bzw. das Wenige, was erhalten geblieben ist) studiert und interpretiert. Seine Aussagen wurden ebenso oft missverstanden wie in den Himmel gehoben, verdammt oder schlicht umgeformt – je nach kulturellem Umfeld der Interpreten. Diese wirkten zunächst in Griechenland, dem griechischsprachigen Raum der hellenistischen Zeit, Rom und Nordafrika; später von Persien über Armenien, Syrien, Sizilien, Spanien bis zu den Britischen Inseln, bevor die Gelehrten des ganzen spätmittelalterlichen Europa mit Aristoteles beschäftigt waren.

Der Hauptstrang der Aristoteles-Tradition war über viele Generationen die griechischsprachige Linie im östlichen Mittelmeer; im 4. Jahrhundert entwickelte sich der lateinische Zweig, der dann im 9. und im 12. Jahrhundert in Italien eine Renaissance erfuhr. Gleichfalls im 4. Jahrhundert entwickelten sich aus den Schulen in Athen und Alexandria fruchtbare Ableger in Syrien und Armenien. Aus dem syrischen Zweig wiederum erwuchs der islamischen Aufklärung im 9. Jahrhundert eine umfangreiche, meist arabischsprachige Tradition, in der neben Arabern auch Juden, Syrer, Perser, später auch Türken tätig waren. Im 12. Jahrhundert ging sowohl von Konstantinopel als auch von Spanien eine neue Welle aus, die Westeuropa beeinflusste. Nach dem Fall von Konstantinopel (1453) kamen ein weiteres Mal griechischsprachige Fachleute – und Dokumente – in den Westen und beeinflussten die dortige Philosophie.

Rezeption in der Antike

Die Lehre des Aristoteles hat auf seine Schule, den Peripatos, nach seinem Tode weit weniger Einfluss ausgeübt als Platons Lehre auf dessen Akademie. Aristoteles wurde keine Verehrung zuteil, die mit derjenigen Platons bei den Platonikern vergleichbar wäre. Dies bedeutete einerseits Kritikfährigkeit, Offenheit und Flexibilität, andererseits Mangel an inhaltlich begründetem Zusammenhalt: Aristoxenus schlug die Brücke zu pythagoräischen Lehren, Kritolaos kam der Vorsehungs-Lehre der Stoiker nahe, während Clearchus von Soli bei der Seelenlehre eine Verbindung mit Platon anstrebte. Die Peripatetiker widmeten sich vor allem empirischer Naturforschung und befassten sich u.a. auch mit Ethik, Seelenlehre und Staatstheorie. Dabei kamen Aristoteles’ Schüler Theophrastos, sein Nachfolger als Leiter der Schule, und dessen Nachfolger Straton von Lampsakos zu teilweise anderen Ergebnissen als der Schulgründer. Nach Stratons Tod (270/268 v. Chr.) begann eine Periode des Niedergangs. Bereits zwei Generationen nach seinem Tod wurden die Lehren des Aristoteles weitgehend vernachlässigt und verblieben während der hellenistischen Zeit im Schatten der Stoiker, Epikuräer und der Skeptiker.

Das Studium und die Kommentierung der Schriften des Aristoteles wurde im Peripatos anscheinend vernachlässigt, jedenfalls weit weniger eifrig betrieben als das Platonstudium in der konkurrierenden Akademie. Erst im ersten Jahrhundert v. Chr. sorgte Andronikos von Rhodos für eine verlässliche Zusammenstellung der „esoterischen“ Lehrschriften (Vorlesungen) des Aristoteles. Die Peripatetiker betrachteten die Lehrschriften als speziell für ihren internen Unterrichtsgebrauch bestimmt. Die für die Öffentlichkeit bestimmten „exoterischen“ Schriften, insbesondere die Dialoge, waren lange populär, gingen aber in der römischen Kaiserzeit verloren. Cicero hat sie noch gekannt und ihre Verbreitung stark gefördert.

Andronicos und Boethus versuchten, die Schriften zu den Lehren des Aristoteles zu systematisieren und – insbesondere gegen die Stoiker – zu verteidigen. Die erneute Hinwendung zu Aristoteles vollzog sich in sehr unterschiedlichen Formen (der Kommentar entwickelte sich später zur maßgebenden Form) und teils widersprechenden Lehrmeinungen. Aristoteles galt (noch) nicht als die Autorität, der man kritiklos zu folgen habe, sondern als ein Denker, dessen Ansichten und Schlussfolgerungen es wert sind, eingehend studiert zu werden. Nikolaus von Damaskus jedoch machte – in der Nachfolge des Andronicus – eine Aristoteles-Schule daraus.

In der römischen Kaiserzeit (erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts n.Chr.) waren es Adrast von Aphrodisias und Aspasius, die grundlegende Kommentare zu den Kategorien schrieben; sie wurden noch drei Generationen später von Plotin und Porphyrios benutzt. Der Kommentar des Aspasius zur Ethik ist der älteste erhaltene Kommentar zu einem aristotelischen Text. Um die Wende zum dritten nachchristlichen Jahrhundert war der einflussreichste Repräsentant des Aristotelismus Alexander von Aphrodisias, der bald als der authentischste Vermittler des Aristoteles galt und gegen die Platoniker die Sterblichkeit der Seele vertrat. Alexander war allerdings nicht der erste, sondern eher der letzte authentische Interpret zu Aristoteles, denn nach ihm übernahmen die Neuplatoniker die weitere Kommentierung. Er hat keine eigenständige Position vertreten, sondern versuchte sehr loyal, die ursprünglichen Gedanken des Lehrers darzulegen, wobei er jegliche Kritik vermied und Widersprüche auszubügeln versuchte. So hatte etwa Aristoteles darauf bestanden, dass das Einzelobjekt allein „real“ sei, gleichwohl aber bekräftigt, dass das Allgemeine das Objekt unserer Erkenntnis sei. Alexander versuchte die Synthese mit der Aussage, die Einzelobjekte hätten Vorrang vor den Universalien, die ihrerseits „nur“ Abstraktionen seien, die lediglich im erkennenden Geist (subjektive) Existenzberechtigung hätten. Aus dieser Interpretation entstand – wesentlich später – die Einstufung des Aristoteles als „Vater des Nominalismus“.

Obwohl Aristoteles großen Wert auf die Widerlegung von Kernbestandteilen des Platonismus gelegt hatte, waren es gerade die Neuplatoniker, die in der Spätantike einen maßgeblichen Beitrag zur Erhaltung und Verbreitung seiner Hinterlassenschaft leisteten, indem sie seine Logik übernahmen, kommentierten und in ihr System integrierten. Sie wollten nicht Aristoteles’ Theorien um ihrer selbst willen wiederbeleben und bewahren, sondern Übereinstimmung zwischen Platon und Aristoteles herbeiführen und die Lehren des letzteren als Teil desselben Theoriegebäudes (des platonischen) interpretieren. Besonders die Kategorien spielten hierbei eine wichtige Rolle, denn diese – schwer verständliche – Schrift galt als grundlegende Einführung in die gesamte Philosophie. So nahm mit dem Aufstieg der Neuplatoniker die Zahl der Kommentare hierzu eher zu als ab. Eine besonders wichtige Rolle spielten dabei im 3. Jahrhundert n. Chr. Porphyrios (Schüler Plotins) und Iamblichos, im 5. Jahrhundert Proklos und schließlich als letzter im 6. Jahrhundert Simplikios, der bedeutende Aristoteleskommentare verfasste. Porphyrios verfasste mit der Isagoge eine wegweisende Einführung in die aristotelische Logik; diese diente später im Byzantinischen Reich, der arabischen Welt und im katholischen Westen als Standardwerk für Studienanfänger. Das bereits bei Alexander behandelte Dilemma des Vorrangs der Realien versuchte Porphyrios so zu lösen, dass er die Kategorien nicht als eine grundlegende Schrift zur Ontologie einstufte, sondern als Schrift über die Bedeutung der Erkenntnisobjekte für uns.

Im 4. Jahrhundert schrieb Themistios Paraphrasen zu Werken des Aristoteles, die – speziell im westlichen Mittelmeerraum (lateinischer Zweig) – eine starke Nachwirkung erzielten. Er war unter den spätantiken Kommentatoren der einzige Aristoteliker; die anderen strebten eine Synthese platonischer und aristotelischer Auffassungen an. Ein Philosophie-Schüler wie etwa Proklos hatte zunächst die Kategorien zu verarbeiten, dann folgten Logik, Ethik, Politik, Physik. Nach diesen nicht-theologischen Schriften kam das Studium der Metaphysik, mit der die aristotelischen Schriften abgeschlossen wurden. Erst wenn der Student mit dem Gottes-Konzept Aristoteles’ vertraut war, kamen die Dialoge Platons an die Reihe. Aristoteles war somit für die Neuplatoniker (ähnlich wie früher für die Stoiker) zwar unverzichtbar, jedoch nur methodologische Vorarbeit für Timäus und Parmenides. Der Proklos-Schüler Ammonius ging nach Alexandria, das damals wesentlich liberaler war als Athen. Dort konnten christliche und heidnische Forscher gemeinsam leben und arbeiten.

Bei den prominenten antiken Kirchenvätern war Aristoteles wenig bekannt und unbeliebt, manche verachteten und verspotteten seine Dialektik. Sie verübelten ihm, dass er das Weltall für ungeschaffen und unvergänglich hielt und die Unsterblichkeit der Seele bezweifelte (bzw. nach ihrem Verständnis bestritt). Ein positiveres Verhältnis zu Aristoteles hatten hingegen manche christliche Gnostiker und andere häretische Christen: Arianer (Aetios, Eunomius), Monophysiten, Pelagianer und Nestorianer – ein Umstand, der den Philosophen für die kirchlichen Autoren erst recht suspekt machte. Syrer – monophysitische wie nestorianische – übersetzten das Organon in ihre Sprache und setzten sich intensiv damit auseinander. Im 6. Jahrhundert schrieb Johannes Philoponos Aristoteles-Kommentare, übte aber auch scharfe Kritik an der aristotelischen Kosmologie und Physik. Er war mit seiner Impetustheorie ein Vorläufer spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kritik an der aristotelischen Bewegungslehre.

Rezeption im Mittelalter

Mittelalterliche Darstellung des Aristoteles

Im Byzantinischen Reich des Frühmittelalters wurde Aristoteles wenig beachtet. Sein Einfluss machte sich vorwiegend indirekt geltend, nämlich über die meist neuplatonisch gesinnten spätantiken Autoren, die Teile seiner Lehre übernommen hatten. Daher war Vermischung mit neuplatonischem Gedankengut von vornherein gegeben. Bei Johannes von Damaskus tritt die aristotelische Komponente deutlich hervor. Im 11. und 12. Jahrhundert kam es zu einer Wiederbelebung des Interesses an aristotelischer Philosophie: Michael Psellos, Johannes Italos und dessen Schüler Eustratios von Nikaia (beide wegen Häresie verurteilt) sowie der primär philologisch orientierte Michael von Ephesos schrieben Kommentare. Die Kaisertochter Anna Komnena förderte diese Bestrebungen.

Im islamischen Raum setzte die Wirkung der Werke des Aristoteles früh ein und war breiter und tiefer als in der Spätantike und im europäischen Früh- und Hochmittelalter. Der Aristotelismus dominierte qualitativ und quantitativ gegenüber der übrigen antiken Tradition. Schon im 9. Jahrhundert waren die meisten Werke des Aristoteles in arabischer Sprache verfügbar, ebenso antike Kommentare. Hinzu kam ein reichhaltiges unechtes (pseudo-aristotelisches) Schrifttum teilweise neuplatonischen Inhalts. Zu letzterem zählten Schriften wie die Theologie des Aristoteles und der Kalam fi mahd al-khair (Liber de causis). Die aristotelischen Ideen waren von Anfang an mit neuplatonischen vermischt, und man glaubte an eine Übereinstimmung der Lehren Platons und des Aristoteles. In diesem Sinne deuteten al-Kindi (9. Jh.) und al-Farabi (10. Jh.) und die ihnen folgende spätere Tradition den Aristotelismus; bei ibn Sina (Avicenna) trat das neuplatonische Element stärker in den Vordergrund. Einen relativ reinen Aristotelismus vertrat hingegen im 12. Jahrhundert ibn Rušd (Averroes), der zahlreiche Kommentare schrieb und die aristotelische Philosophie gegen al-Ghazali verteidigte.

Im lateinischen Mittelalter war zunächst bis ins 12. Jahrhundert nur ein kleiner Teil des Gesamtwerks des Aristoteles verbreitet, nämlich zwei der logischen Schriften (Kategorien und De interpretatione), die Boethius im frühen 6. Jahrhundert übersetzt und kommentiert hatte, zusammen mit der Einleitung des Porphyrios zur Kategorienlehre. Dieses Schrifttum, später als Logica vetus bezeichnet, bildete die Grundlage des Logikunterrichts. Diese enge Begrenzung änderte sich mit der großen Übersetzungsbewegung des 12. und 13. Jahrhunderts. Im 12. Jahrhundert wurden die bisher fehlenden logischen Schriften (Analytiken, Topik, Sophistici elenchi) in lateinischer Sprache verfügbar; sie machten die Logica nova aus. Dann kamen eines nach dem anderen fast alle restlichen Werke hinzu (teils erst im 13. Jahrhundert). Die meisten Schriften wurden mehrmals ins Lateinische übertragen (entweder aus dem Arabischen oder aus dem Griechischen). Michael Scotus übersetzte Aristoteleskommentare des Averroes aus dem Arabischen. Sie wurden eifrig benutzt, was in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur Entstehung des lateinischen Averroismus führte, der ein für damalige Verhältnisse relativ konsequenter Aristotelismus war.

Im Lauf des 13. Jahrhunderts wurden die Schriften des Aristoteles als Standardlehrbücher zur Grundlage der an den Universitäten (in der Fakultät der Freien Künste) betriebenen scholastischen Wissenschaft; 1255 wurden seine Logik, Naturphilosophie und Ethik an dieser Fakultät der Pariser Universität als Lehrstoff vorgeschrieben. Die Führungsrolle kam der Pariser und der Oxforder Universität zu. Wegweisend waren die Aristoteleskommentare des Albertus Magnus. Das Verfassen von Aristoteleskommentaren wurde eine Hauptbeschäftigung der Magister, und viele von ihnen hielten die kommentierten Lehrbücher für praktisch irrtumsfrei. Besonders intensiv studierte man neben der aristotelischen Methodik die Wissenschaftstheorie, um sie als Basis für ein hierarchisch geordnetes System der Wissenschaften zu verwenden. Widerstand erhob sich allerdings von theologischer Seite gegen einzelne Lehren, vor allem gegen die Thesen von der Ewigkeit der Welt und der absoluten Gültigkeit der Naturgesetze (Ausschluss von Wundern), sowie gegen den Averroismus. Daher kam es 1210, 1215, 1231, 1245, 1270 und 1277 zu kirchlichen Aristotelesverboten. Sie richteten sich aber nur gegen die naturphilosophischen Schriften bzw. gegen einzelne Thesen und konnten den Siegeszug des Aristotelismus nur vorübergehend hemmen. Diese Verbote betrafen nur Frankreich (vor allem Paris), in Oxford galten sie nicht. Aristoteles wurde „der Philosoph“ schlechthin: mit Philosophus (ohne Zusatz) war immer nur er gemeint, mit Commentator Averroes. Gegenpositionen (vor allem in der Erkenntnistheorie und Anthropologie) vertraten Anhänger der platonisch beeinflussten Lehren des Augustinus, besonders Franziskaner ("Franziskanerschule"). Schließlich setzte sich das von dem Dominikaner Thomas von Aquin abgewandelte und weiterentwickelte aristotelische Lehrsystem (Thomismus) durch, zunächst in seinem Orden und später in der gesamten Kirche. Allerdings schrieb man weiterhin neuplatonische Schriften zu Unrecht dem Aristoteles zu, wodurch das Gesamtbild seiner Philosophie verfälscht wurde.

Rezeption in der Neuzeit

In der Renaissance fertigten Humanisten neue, viel leichter lesbare Aristotelesübersetzungen ins Lateinische an, und man begann auch die griechischen Originaltexte zu lesen. Es kam zu heftigem Streit zwischen Platonikern und Aristotelikern, wobei die beteiligten Humanisten mehrheitlich zu Platon neigten. Es gab in der Renaissance aber auch bedeutende Aristoteliker wie Pietro Pomponazzi (1462-1525) und Jacopo Zabarella (1533-1589), und es entstanden damals im Abendland mehr Aristoteleskommentare als während des gesamten Mittelalters. Wie im Mittelalter herrschte auch noch bei vielen Renaissance-Gelehrten das Bestreben vor, platonische und aristotelische Standpunkte untereinander und mit der katholischen Theologie und Anthropologie zu versöhnen. Seit dem 15. Jahrhundert war es aber möglich, dank des besseren Zugangs zu den Quellen das Ausmaß der fundamentalen Gegensätze zwischen Platonismus, Aristotelismus und Katholizismus besser zu verstehen. Bei der Vermittlung dieser Erkenntnisse spielte der byzantinische Philosoph Georgios Gemistos Plethon eine wichtige Rolle. Unabhängig davon herrschte der (neu)scholastische Aristotelismus, der die mittelalterliche Tradition fortsetzte, mit seiner Methode und Terminologie an Schulen und Universitäten noch bis tief in die Neuzeit, auch in den lutherischen Gebieten, obwohl Luther den Aristotelismus ablehnte.

Im sechzehnten Jahrhundert unternahmen Bernardino Telesio und Giordano Bruno Frontalangriffe auf den Aristotelismus, und Petrus Ramus trat für eine nichtaristotelische Logik ein (Ramismus). Aber erst seit dem 17. Jahrhundert verdrängte ein neues Wissenschaftsverständnis die aristotelisch-scholastische Tradition. In der Physik leitete Galileo Galilei den Umschwung ein. 1647 konnte die von Aristoteles aufgestellte Hypothese des Horror vacui von Blaise Pascal widerlegt werden. Erst in der 1687 veröffentlichten Schrift Philosophiae Naturalis Principia Mathematica von Isaac Newton wurde mit dem Trägheitsprinzip ein neues Fundament der klassischen Mechanik errichtet, das die aristotelischen Annahmen ad absurdum führte. In der Biologie konnten sich aristotelische Auffassungen bis ins 18. Jahrhundert halten.

Sehr stark und anhaltend war die Nachwirkung der Poetik des Aristoteles, insbesondere seiner Tragödientheorie. Sie prägte Theorie und Praxis des Theaters während der gesamten Frühen Neuzeit, abgesehen von manchen gewichtigen Ausnahmen besonders in Spanien und England (Shakespeare). Die Poetik lag seit 1278 in lateinischer Übersetzung vor, 1498 und 1536 erschienen humanistische Übersetzungen. Auf ihr fußte die Poetik des Julius Caesar Scaliger (1561), die Dichtungslehre von Martin Opitz (1624), die französische Theaterlehre des 17. Jahrhunderts (doctrine classique) und schließlich die von Johann Christoph Gottsched geforderte Regelkunst (Critische Dichtkunst, 1730).

Im 19. Jahrhundert begann die moderne Aristotelesforschung mit der Aristoteles-Gesamtausgabe der Berliner Akademie, die Immanuel Bekker ab 1831 besorgte. Nach ihren Seiten- und Zeilenzahlen wird Aristoteles noch heute zitiert.

Auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts hat Aristoteles nicht mit seinem Wissenschaftssystem eingewirkt, sondern sie hat seinem Werk nur einzelne Anregungen entnommen, besonders auf ontologischem Gebiet und hinsichtlich der Unterscheidung von praktischer und theoretischer Vernunft und Wissenschaft.