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Geschichtsphilosophie

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Geschichtsphilosophie ist ein von Voltaire geprägter Begriff[1] für eine philosophische Teildisziplin, die sich mit der menschlichen Geschichte beschäftigt.

Wie das Wort „Geschichte“, das sowohl den Sachverhalt der Geschichte als auch seine Darstellung in der Geschichtsschreibung bezeichnet, umfasst auch die Geschichtsphilosophie zwei Aspekte: Sie interpretiert die Verlaufsform der Geschichte im Ganzen, prüft das Vorhandensein und die Nachweisbarkeit allgemeiner Gesetzmäßigkeiten ihres Verlaufs und erarbeitet Antworten auf die Frage, wie und gegebenenfalls mit welchem Sinn sich die Geschichte in ihrer Gesamtheit entwickelt. Zum anderen reflektiert sie die wissenschaftlichen Methoden der forschenden und darstellenden Historiker. In der ersteren Bedeutung wird sie auch als spekulative, substantielle oder materiale Geschichtsphilosophie bezeichnet; in der letzteren als kritische, analytische oder formale Geschichtsphilosophie [2].

Einleitung

Begriffsbestimmung

Ein besonderes Problem einer materialen Geschichtsphilosophie, die sich mit dem Phänomen der Weltgeschichte befasst, stellt ihre Abgrenzung zu der mit ihr korrespondierenden Einzelwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, dar [3]. Soll sie mehr sein als bloße Spekulation, so muss sie auf den einzelnen empirischen Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft basieren. Andererseits geht auch die Geschichtswissenschaft über eine bloß narrative Darstellung von Geschehnissen hinaus und will für diese eine Erklärung präsentieren. Der Zusammenhang zwischen einzelnen historischen Fakten wird dann nicht als bloßer zeitlicher Ablauf, sondern als eine kausale Verknüpfung interpretiert.

Theorieansätze

Es können grundsätzlich metaphysisch und nicht-metaphysisch orientierte Ansätze einer Geschichtsphilosophie unterschieden werden. Metaphysisch orientierte Ansätze ordnen die Geschichte bestimmten Einheitsprinzipien unter. Diese Prinzipien können theologischer Art sein – so etwa der Gegensatz zwischen „civitas dei“ (Gottesstaat) und „civitas terrena“ (irdischer Staat) bei Augustinus. Als Höhepunkt einer säkularisierten Form metaphysisch orientierter Geschichtsphilosophie gilt die Konzeption Hegels, die den „Weltgeist“ als das bestimmende Prinzip der Geschichte betrachtet. Die Geschichte kann aber auch rein materialistisch gedeutet werden wie etwa im traditionellen Materialismus. So sieht etwa Friedrich Engels die Geschichte als einen ewigen Kreislauf der sich bewegenden Materie an [4].

Nicht-metaphysische Geschichtsphilosophien verzichten auf die Annahme eines einheitlich wirkenden geschichtlichen Prinzips. So betrachten kantianisch beeinflusste Konzepte die Einheit des geschichtlichen Prozesses als „regulative Idee“, die von uns nicht erkannt, sondern bloß gedacht werden kann [5]. In sprachanalytisch orientierten Ansätzen gilt der Fokus der Struktur historischer Aussagen. Sie konzentrieren sich meist auf die Behandlung erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Probleme der historischen Erkenntnis. Sie verzichten auf systematische Erklärungsversuche der Weltgeschichte und legen ihren Schwerpunkt auf die Thematisierung der impliziten metaphysischen Annahmen traditioneller Geschichtsphilosophien. Auch der hermeneutische Ansatz – vertreten v.a. von Hans-Georg Gadamer – verzichtet auf eine Erfassung der Geschichte als eines umfassenden Einheitszusammenhangs. Das menschliche Verstehen wird hier als immer schon in einen geschichtlichen Kontext eingebundenes und durch diesen begrenztes betrachtet.

Wird die Geschichte als einheitliches Geschehen anerkannt, so lassen sich die verschiedenen Ansätze hinsichtlich der Interpretation ihres Verlaufs unterscheiden.
Hinsichtlich der angenommenen Verlaufsart der Geschichte existieren lineare und zyklische Modelle. Lineare Modelle gehen von einem Anfang und einem Ende der Geschichte aus, während zyklische Theorien ein Kreis- oder Spiralmodell der Geschichte zugrunde legen. Unterschiedlich ist dabei jeweils die Beurteilung der Verlaufsrichtung der Geschichte. Hier lassen sich horizontale, Ab- und Aufstiegsmodelle voneinander unterscheiden. Umstritten ist auch das Problem der Gliederung des geschichtlichen Verlaufs. Sofern die Möglichkeit einer Periodisierung der Geschichte überhaupt anerkannt wird, wird häufig zwischen einer „alten“ und „neuen“ Geschichtszeit unterschieden - wie z.B. zwischem „Alten Bund“ und „Neuen Bund“ im Christentum. Sehr verbreitet sind auch Modelle, die eine Parallelisierung von Individual- und Universalgeschichte vornehmen und z.B. von Kindes-, Mannes- und Greisenalter der menschlichen Geschichte sprechen [6].

Entwicklung der Geschichtsphilosophie

Bereits im Mythos finden sich Vorstufen geschichtsphilosophischen Denkens. In ihm werden erste Aussagen gemacht über die Herkunft und Entwicklung des Menschen, die Gründe von Geburt, Krieg und Tod. Bei Hesiod finden sich – wie schon im babylonischen Mythos – in der Lehre von den verschiedenen Zeitaltern Vorstellungen von einem absteigenden Verlauf der Geschichte. Geschichte wird hier häufig noch nicht als rein menschliches Geschehen betrachtet, sondern mit der der Götter verwoben.
Als „Vater der Geschichtsscheibung“ gilt Herodot. Sein Grundanliegen ist es, die Taten der Vergangenheit und der Gegenwart metaphysisch zu deuten, indem er zu zeigen versucht, dass hintern dem zufällig erscheinenden Tun des Menschen die Götter als die eigentlichen Lenker der Geschichte stehen. Ganz im Gegensatz dazu steht die Geschichtsschreibung des Thukydides, den man als den Begründer einer wissenschaftlichen Geschichtsdarstellung bezeichnen kann. Sein Werk ist rein auf die Darstellung der Sachverhalte orientiert und auf sorgfältig bewertete Quellen gestützt.

In der klassischen Tradition der griechischen Philosohie zeigt sich generell ein ahistorischer Ansatz. Die Geschichte wird nicht als echte Wissenschaft betrachtet, da sie es mit dem faktisch geschehenen Besonderen zu tun hat, aber nur das Allgemeine als möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Aussagen betrachtet wird.

Für das von der christlichen Religion weltanschaulich geprägte Abendland kam mit der Vorstellung, dass ein Gott (als Demiurg) die geschichtliche Entwicklung plant, sie linear und deterministisch vorgibt oder sie (in einer anthropomorphen Vorstellung) als Hirte, Richter oder Erzieher steuert, die menschliche Gestaltung der Geschichte noch nicht in den Blick. In dem Buch Der Gottesstaat von Augustinus wird die Geschichte begriffen als ein Kampf zwischen dem Gottesreich und gottfremden Mächten. An dieses augustineische dualistisch-teleologische Grundkonzept lehnt sich die überwiegende Mehrzahl der abendländischen geschichtsphilosophischen Entwürfe bis einschließlich Hegel und Marx - und teilweise darüber hinaus - an.

Spätestens seit Giambattista Vico gab es dagegen das Konzept, dass der Mensch seine Geschichte selbst begreift und gestaltet. Für Vico war die Geschichte eine Wechselfolge von kulturellem Wachstum und anschließendem Verfall. Immer noch steckte allerdings in diesem Konzept die Vorstellung einer Art Vorsehung.

Durch die Aufklärung löste im Bereich der wissenschaftlichen Forschung der menschlich gestaltete Fortschritt diese Vorsehungskonzepte ab.

Quellen

  1. La Philosophie de l´Histoire - Die Philosophie der Geschichte, EA Changuion, Amsterdam 1765, 8°; VIII,(II), 336 S.
  2. Vgl. Oswald Schwemmer , „Geschichtsphilosophie“ in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Bd.1, 1980.
  3. Zum folgenden vgl. Lorenz B. Puntel: Struktur und Sein, Tübingen 2006, S. 432-476 u. Alwin Diemer: Grundriss der Philosophie, Bd. II, Meisenheim am Glan 1964, S. 130-197.
  4. Vgl. Friedrich Engels: Dialektik der Natur
  5. Vgl. z.B. Anacker / Baumgartner, „Geschichte“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe
  6. Vgl. z.B. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte

Literatur

Primärtexte

Sekundärliteratur

  • Karl Acham: Analytische Geschichtsphilosophie. Eine kritische Einführung, Alber, Freiburg u.a. 1974, ISBN 3-495-47238-X
  • Emil Angehrn: Geschichtsphilosophie, Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln 1991, ISBN 978-3170106239
  • Jörg Baberowski: Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault, Beck, München 2005, ISBN 978-3406527937
  • Uwe Barrelmeyer: Geschichtliche Wirklichkeit als Problem. Untersuchungen zu geschichtstheoretischen Begründungen historischen Wissens bei Johann Gustav Droysen, Georg Simmel und Max Weber, LIT-Verlag, Münster 1997, ISBN 978-3825832629
  • Volker Depkat / Matthias Müller / Andreas Urs Sommer (Hg.): Wozu Geschichte(n)? Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie im Widerstreit, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-51508419-3
  • Steffen Groscurth: Geschichtsphilosophie als Basis für Kulturkritik? Herder, Schiller, Adorno. Strukturelle und inhaltliche Untersuchung für eine neue Beschäftigung mit der Geschichtsphilosophie, Europäischer Universitätsverlag, Dülmen 2005, ISBN 978-3899661378
  • Karl-Heinz Lembeck (Hg.): Geschichtsphilosophie. Alber, Freiburg u.a. 2000, ISBN 3-495-48011-0
  • Johannes Rohbeck: Geschichtsphilosophie zur Einführung, Junius, Hamburg 2004, ISBN 3-88506-602-5
  • Johannes Rohbeck / Herta Nagl-Docekal (Hg.): Geschichtsphilosophie und Kulturkritik. Historische und systematische Studien, WBG, Darmstadt 2003, ISBN 978-3534150687
  • Kurt Rossmann: Deutsche Geschichtsphilosophie. Ausgewählte Texte von Lessing bis Jaspers. Dtv, München 1969, ISBN 3858830186
  • Richard Schaeffler: Einführung in die Geschichtsphilosophie, WBG, 4. Aufl. Darmstadt 1991, ISBN 3-534-05591-8
  • Andreas Urs Sommer: Geschichte als Trost. Isaak Iselins Geschichtsphilosophie, Schwabe & Co. AG, Basel 2002, ISBN 3-7965-1940-7
  • Andreas Urs Sommer: Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Genese der spekulativ-universalistischen Geschichtsphilosophie zwischen Pierre Bayle und Immanuel Kant,, Schwabe & Co, Basel 2006, ISBN 978-3796522147

Primärtexte

Sekundärliteratur

Siehe auch

Determinismus, Teleologie.