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Murat Kurnaz

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Murat Kurnaz (* 19. März 1982 in Bremen) ist ein in Deutschland aufgewachsener türkischer Staatsbürger, der von Januar 2002 bis August 2006 auf der US-amerikanischen Militärbasis Guantanamo Bay festgehalten wurde.

Ausbildung

Kurnaz machte in Bremen seinen Hauptschulabschluss und begann daraufhin eine Ausbildung zum Schiffsbauer.

Verhaftung und Inhaftierung in Guantanamo Bay

Nur wenige Wochen nach dem 11. September 2001, am 3. Oktober 2001, flog Kurnaz nach Pakistan, um mit seinem Freund Selcuk Bilgin, der allerdings schon am Flughafen Köln festgenommen wurde, eine Koranschule zu besuchen. Kurnaz wurde durch fundamentalistische Bekannte in dieser Entscheidung bestärkt.

In Pakistan wurde er im November 2001 bei einer Routinekontrolle von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und anschließend Ende November gegen Kopfgeld an die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan übergeben.[1] Er wurde als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft und im Januar 2002 von einem US-Häftlingslager in Afghanistan nach Guantanamo Bay gebracht.

Der rechtliche Status der dort Inhaftierten ist umstritten und viele Menschenrechtsorganisationen sehen in dem Vorgehen der USA einen Verstoß gegen die Menschenrechte.

Nach Entlassung aus fast fünfjähriger Internierung traf er am 24. August 2006 wieder in Deutschland ein. [2] Kurnaz hat seitdem wiederholt in den Medien schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung erhoben. So behauptete er, er sei Ende 2001 in Afghanistan von Angehördigen des KSK misshandelt worden. Sein Anwalt warf der Bundesregierung vor, sie habe eine frühere Freilassung Kurnaz im Jahre 2002 vereitelt. Kurnaz berichtete zudem von schweren physischen und psychischen Misshandlungen durch US-Amerikaner in Afghanistan und auf Guantanamo. Der Bremer ist durch die langjährige Haft schwer gezeichnet.

Gründe für die Gefangennahme

Murat Kurnaz befand sich im direkten Umfeld von Selcuk Bilgin, dem seine eigenen Eltern vorgeworfen haben, in Afghanistan gegen die USA kämpfen zu wollen. Diese Tatsache führte zu einer Überprüfung des gesamten Umfeldes von Selcuk Bilgin, worunter auch Kurnaz fiel. Beweise für seine Beteiligung an Gewalttaten wurden nicht vorgebracht.

Kurnaz wurde von den US-Kräften als „Ungesetzlicher Kombattant“ eingeordnet. Dieser Begriff - von George W. Bush im sogenannten "Krieg gegen den Terror" eingeführt - taucht so allerdings nicht im Kriegsvölkerrecht bzw. im Genfer Abkommen III über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf, sondern ist vielmehr einer "rechtlichen Grauzone" zuzuordnen, in der die Rechte der Inhaftierten stark eingeschränkt werden: sie dürfen z.B. keinen Rechtsanwalt mit ihrer Verteidigung beauftragen, sich mit keinem Anwalt alleine unterhalten, ihre Angehörigen nicht sehen und sollen in derzeit noch nicht näher bezeichneter Zukunft vor einem US-Militärgericht angeklagt werden.[3]

Sein Anwalt Bernhard Docke klagte zusammen mit den Anwälten anderer Guantanamo-Gefangener dagegen vor einem US-amerikanischen Bundesgericht. Die zuständige Richterin Green stellte am 31. Januar 2005 fest, dass die Einstufung Murat Kurnaz' als ungesetzlicher Kombattant unbegründet und somit seine Inhaftierung rechtswidrig gewesen sei. Am 9. Februar legte die US-Regierung Berufung gegen dieses Urteil ein, deren Verhandlung bis dato noch aussteht.

Die Karlsruher Generalbundesanwaltschaft stellte im Frühjahr 2002 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Kurnaz vorläufig ein, da er nicht die Möglichkeit gehabt habe, sich persönlich zu äußern. Die Staatsanwaltschaft in Bremen hatte das Ermittlungsverfahren Ende August 2006 nach der Rückkehr Kurnaz' zunächst wieder aufgenommen und am 17. Oktober 2006 mitgeteilt, dass es mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden sei.[4]

Die Rolle der deutschen und türkischen Regierungen

Die deutsche Bundesregierung fühlte sich anfangs für den Inhaftierten nicht zuständig, da Kurnaz türkischer Staatsbürger ist und die USA Verhandlungen über die Gefangenen nur mit dem jeweiligen Mutterland führen wollten. Die türkische Regierung intervenierte jedoch nicht, da sie Kurnaz als Islamisten einordnete. Die USA gestatteten es im September 2002 deutschen Behörden, Kurnaz zu befragen, da gegen ihn in Deutschland Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts liefen. Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz vernahmen daraufhin - auch im Auftrag des BKA - Kurnaz in Guantanamo. Dabei wurde er den Deutschen vorgeführt, laut Regierungsbericht mit den Füßen in „einem Eisenring am Boden befestigt“.[5]

Nach Auffassung der deutschen vernehmenden Beamten war Kurnaz nie terroristisch tätig, sondern nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Da die US-Stellen im Grunde diese Auffassung teilten, sollen die USA kurz darauf Kurnaz' Rückkehr nach Deutschland angeboten haben. Die deutschen Behörden hätten jedoch eine Abschiebung in die Türkei, nicht aber in die Bundesrepublik befürwortet. Daraufhin hätten die USA ihr Angebot zurückgezogen, obwohl Außenminister Fischer persönlich im US-Außenministerium für seine Freilassung intervenierte.[6][5] Der Innensenator Bremens, Thomas Röwekamp, kündigte 2004 an, dass Kurnaz nach seiner Freilassung nicht wieder nach Deutschland einreisen dürfe, da seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis wegen eines mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthalts erloschen sei. Kurnaz habe versäumt, die in solchen Fällen vorgeschriebene Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen. Aus der Haft heraus war ihm das jedoch unmöglich. Das Bremer Verwaltungsgericht entschied daher im November 2005, dass die Aufenthaltserlaubnis weiterhin gültig ist.

Nach erneuten Interventionen durch Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier in den USA Anfang 2006 zeichnete sich schließlich eine Lösung des Falles ab, die mit der Freilassung Kurnaz' im August 2006 endete.[7]

Untersuchungsausschüsse

Der Fall Murat Kurnaz beschäftigt derzeit zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestages. Der Verteidigungsausschuss untersucht, ob Angehörige des KSK Kurnaz misshandelt haben, der sogenannte BND-Untersuchungsausschuss prüft, ob Kurnaz nicht bereits 2002 freikommen hätte können. Im nunmehr erweiterten Untersuchungsauftrag[8] heißt es u.a.: Der Ausschuss soll klären, welche Bemühungen im Fall Murat Kurnaz von der Bundesregierung unternommen wurden, um Murat Kurnaz Hilfe zu leisten und seine Freilassung zu erreichen. Insbesondere soll geklärt werden, ob und welche Angebote es von US-amerikanischen Stellen für seine Freilassung gegeben hat, ob sie von deutscher Seite abgelehnt wurden oder ungenutzt blieben, wenn ja, aus welchen Gründen. Geklärt werden soll in diesem Zusammenhang, welche deutschen Stellen des Bundes an einer solchen Entscheidung beteiligt waren und wer die Verantwortung dafür trägt.

Nach einem Bericht[9] des CIA-Sonderausschusses des Europäischen Parlaments hat die deutsche Bundesregierung 2002 ein Angebot der Vereinigten Staaten, Herrn Kurnaz freizulassen, ausgeschlagen. Dies sei geschehen, obwohl die Geheimdienste beider Staaten von seiner Unschuld überzeugt waren. Die politische Verantwortung für diesen Skandal wird in Presseberichten[10] Frank-Walter Steinmeier gegeben, der zur damaligen Zeit Chef des Bundeskanzleramts und Beauftragter für die Nachrichtendienste war.

Quellen

  1. ZEIT online: Zurück aus Guantanamo 24. August 2006
  2. http://www.orf.at/ticker/227819.html
  3. Fünf Jahre Guanánamo: eine Chronologie, Amnesty international, Januar 2007
  4. Staatsanwaltschaft stellt Verfahren gegen Murat Kurnaz ein, Die Welt, 18. Oktober 2006
  5. a b Florian Klenk: Freilassung verhindert - Ein Geheimdossier illustriert die beschämende Rolle der Regierung. Die Zeit vom 27. April 2006
  6. Spiegel online: US-Regierung wollte "Bremer Taliban" 2002 freilassen - deutsche Stellen blockierten. 25. März 2006. (abgerufen 26. Mär 2006)
  7. Rückkehr verhindert?, Süddeutsche Zeitung, 19. Janaur 2007
  8. http://www.bundestag.de/ausschuesse/ua/1_ua/auftrag_neu.pdf
  9. Entwurf des Abschlußberichts des CIA-Sonderausschusses des Europäischen Parlaments, endgültige Fassung ist online noch nicht abrufbar
  10. Berlin lehnte Kurnaz-Freilassung ab, Bericht des Deutschlandfunks vom 23.1.2007