Topos (Geisteswissenschaft)
Erscheinungsbild
Unter Topos (der, Plural Topoi; aus dem griechischen τόπoς, "Ort") versteht man einen Ort im übertragenen Sinn, aber auch eine Formkategorie.
- In der klassischen Rhetorik sind Topoi allgemeine Eigenschaften, aus denen man Argumente schöpfen kann. (Quintilian: sedes argumentorum, in quibus latent, ex quibus sunt petenda). Die Herkunft einer Person oder die Zeit einer Handlung sind Topoi, wenn sie etwas Typisches über sie aussagen. Aristoteles fasst den Begriff Topos als Spektrum von Funktionen auf: sowohl heuristisch (als Suchort), argumentativ (als Anstoß zu einer Argumentation) und rhetorisch (als Teil der Rede selbst). Der Teilbereich der Rhetorik, der sich mit dem Topos befasst, wird Topik genannt.
- Der Topos in der Grammatik ist ein konkreter Ort als Stellung eines Wortes oder Satzes.
- In der Literaturwissenschaft ist ein "Topos" auch ein bezeichnender Einzelzug, z. B. der Topos der "bösen Stiefmutter" oder der "liebliche Ort" (lat. locus amoenus) in der Natur, an dem die Handlung vorübergehend inne hält (vgl. Motiv (Literatur)).
- In den Geistes- und Kulturwissenschaften wird der Begriff Topos sowohl für Kategorien, als auch für (Vorstellungs-)Bilder verwendet. Beispielsweise stellt die Kategorie "Definition" einen Topos dar. Wie andere griechische Begriffe (etwa Mythos) hat der Begriff Topos heute, im Gegensatz zur nüchternen antiken Bedeutung, einen melodramatischen Beigeschmack: Man spricht vom "Topos der Gottesstrafe" oder vom "Topos der Musikstadt Wien" und sieht darin eine Art wachgerufene kollektive Erinnerung.
- Topos (Mathematik) ist ein Begriff der Kategorientheorie mit Anwendungen in Geometrie und Logik sowie in der Informatik, insbesondere im Bereich der Datenbanken.
- In der Ökologie wird der abgeleitete Begriff Biotop benutzt.
Topos ist auch der Name der marxistischen Zeitschrift Topos - Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie.
Siehe auch
Topik (Linguistik), Gemeinplatz, Metapher
Literatur
- Edgar Mertner: "Topos und Commonplace." In: Peter Jehn (Hrsg.). Toposforschung (Respublica Literaria 10). [1956]. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. S. 20–68.
- Saunders MacLane u. Ieke Moerdijk: Sheaves in Geometry and Logic: A First Introduction to Topos Theory. New York: Springer, 1992.
- J. Lenerz: Zur Abfolge nominaler Satzglieder im Deutschen. (=SdG 5), Tübingen: Narr, 1977.
Weblinks
- http://www.thelatinlibrary.com/quintilian/quintilian.institutio5.shtml M. Fabii Quintiliani Institutio Oratoria Liber quintus
- http://www.uni-potsdam.de/u/slavistik/vc/hmeyer/witz/arisrhe1.htm Meyer: Die Rhetorik des Aristoteles