Abbé Pierre
Henri Antoine Grouès (besser bekannt als Abbé Pierre; * 5. August 1912 in Lyon; † 22. Januar 2007 in Paris) war ein französischer Priester, der die Wohltätigkeitsorganisation Emmaus (franz. Emmaüs) gegründet hat. Sein Pseudonym Abbé Pierre stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in der er der französischen Résistance und jüdischen Flüchtlingen half. Nach Umfragen war Abbé Pierre 30 Jahre lang der beliebteste Franzose.[1] [2]
Leben und Werk
Henri Grouès stammte aus einer wohlhabenden Unternehmerfamilie [3] und war Sohn eines reichen Seidenfabrikanten. Später verteilte er sein Erbe an Bedürftige und entdeckte seine Leidenschaft für das Christentum. Mit 20 Jahren trat er in den Kapuzinerorden ein. Zwischen 1942 und 1945 verhalf er Juden und politisch Verfolgten zur Flucht in die Schweiz, indem er Papiere fälschte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er die Organisation Emmaus, die armen und obdachlosen Menschen helfen sollte.
Im Winter 1954 suchte eine Kältewelle Frankreich heim, bei der viele Menschen starben. Henri Grouès appellierte über Radio Luxemburg an alle Franzosen, den Obdachlosen im Lande zu helfen. Mit diesem Appell löste er eine landesweite Hilfswelle aus. Tausende Menschen, darunter Persönlichkeiten wie Charles de Gaulle und Charlie Chaplin, spendeten und halfen daraufhin. Ebenso wurde ein staatliches Wohnungsbauprogramm in Höhe von mehreren Mrd. Francs in Gang gesetzt. Seine Initiative fand darüber hinaus auch Eingang in die französischen Schulbücher.
Grouès konnte die Vollendung seines Lebenswerkes nicht mehr erleben: die Annahme einer Gesetzesinitiative im französischen Parlament, die das Recht auf eine Wohnung für Jeden verankern soll. Eine Aktion der Initiative „Enfants de Don Quichotte“ („Kinder Don Quichottes“), die am 16. Dezember 2006 für Obdachlose eine lange Reihe roter Zelte mitten in Paris am Ufer des Canal Saint-Martin errichteten, beschleunigte die politische Willensbildung.[4] [5] Das Gesetzesvorhaben konnte die Unterstützung von Premierminister Dominique de Villepin gewinnen.[6] Weiterhin ist ein Gesetz geplant, mit dem eine Steuer von 0,1 Prozent auf Textilien erhoben wird, um Altkleiderdienste zu finanzieren.
Emmaus
Die Wohltätigkeitsorganisation Emmaus ist als Stiftung in mittlerweile 42 weiteren Ländern vertreten. Sie beschäftigt 1400 Angestellte und 10.000 ehrenamtliche Helfer. Menschen, die nicht mehr vom Arbeitsmarkt angenommen werden, finden eine mit dem Mindestlohn bezahlte Arbeit in der Reparatur und dem Wiederverkauf von defekten Haushaltsgegenständen. Bedürftige erhalten die Einrichtungsgegenstände umsonst. Das humanitäre Engagement von Emmaus erstreckt sich über den Aufbau von Schulen in Afrika, zum Kampf für die Rechte der Straßenkinder in Südamerika und gegen den Frauenhandel in Bosnien. Der Handel mit Altwaren wird mit 118 Mio. Euro jährlich Eigenumsatz angegeben. Dazu kommen Spenden und Subventionen in mindestens gleicher Höhe.[7]
Abbé Pierre starb am frühen Morgen des 22. Januar 2007 im Pariser Krankenhaus Val de Grace an einer Lungenentzündung.
Politik
Den Pflichtzölibat in der römisch-katholischen Kirche hinterfragte Abbé Pierre. Positiv sah Abbé Pierre hingegen das Frauenpriestertum. Homosexuelle Paare sollten außerdem Kinder adoptieren dürfen. Das Papsttum dagegen war ihm zu mächtig. Auch die Ortskirchen sollten sich von der römischen Bevormundung befreien. Dann könne die römisch-katholische Kirche wieder ganz „evangelisch“ werden und eine Versöhnung der Christen wäre möglich.[3]
Auf große Kritik stieß Abbé Pierres Zustimmung zu Roger Garaudys revisionistischem Buch Die Gründungsmythen der israelischen Politik. Garaudy wurde deswegen 1998 wegen Holocaustleugnung zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Der Ex-Widerstandskämpfer Grouès wurde deswegen vom Vatikan aus Frankreich in ein ruhiges Kloster nach Italien strafversetzt, distanzierte sich vom Inhalt des Buches und gab an, dieses Buch nicht gelesen zu haben.
Auszeichnungen
Für sein Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet und zwei Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Der frühere Premierminister Laurent Fabius schlug vor, Abbé Pierre in das Pantheon der Nationalhelden aufzunehmen.
- 2004 Großkreuz der Ehrenlegion
- 2001 akzeptierte er die Ehrung, Staatspräsident Jacques Chirac bezeichnete ihn als „lebende Legende“.[8]
- 1992 Großoffizier der Ehrenlegion – wurde von ihm abgelehnt, aus Protest gegen die unzureichende Unterstützung der Obdachlosen
- 1991 Balzan-Preis
- 1987 Kommandeur der Ehrenlegion
- Croix de Guerre 1939–1945 mit bronzenen Palmzweigen
- Médaille de la Résistance
Zitate
„Man muss nicht selbst außergewöhnlich sein, um etwas Außergewöhnliches zu tun.“
Quellen
- ↑ „Der gute Mensch von Frankreich“, Berliner Zeitung, 22. Oktober 2002
- ↑ „Leibhafter Priester“, Tagblatt, 23. Januar 2007
- ↑ a b Kath.net: „Der französische Armenpriester Abbé Pierre ist tot“, 22. Januar 2007
- ↑ „Campen mit Obdachlosen“, Telepolis, 15. Januar 2007
- ↑ „Mit Obdachlosen in den Wahlkampf“, Deutsche Welle, 4. Januar 2007
- ↑ „Frankreich will Recht auf Wohnung“, news.ch, 3. Januar 2007
- ↑ „Trauer um den «Vater der Armen»: Abbé Pierre tot“, Hamburger Morgenpost, 22. Januar 2007
- ↑ Legendärer französischer Armenpriester Abbé Pierre tot. "Eine Inkarnation des Guten", Die neue Epoche, 22. Januar 2007
- ↑ „Abbé Pierre – Ein Leben für die Armen“, Phoenix
Publikationen
Viele seiner Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Kinderbuch „C'est quoi la mort”, das in erster Linie das Leben zum Thema hat. Es ist ganz im Stil von Antoine de Saint-Exupérys Kleinem Prinzen gehalten.
- Mon Dieu ... Pouquoi? Plon 2005, ISBN 2259201407, Autobiographie
Filmographie
- Abbé Pierre – Ein Leben für die Armen. Dokumentation, 2000, 30 Min., ein Film von Ralph Weihermann, Inhaltsangabe von Phoenix
- Tage und Nächte in Paris. Dokumentation, 60 Min., ein Film von Georg Stefan Troller, Produktion: SWR, WDR, Kick Film, Erstsendung: 1. Dezember 2004, Inhaltsangabe
Verschiedenes
- Die französische Sängerin Patricia Kaas widmete Grouès den Titel L’abbé caillou von ihrem 2003 erschienenen Album »Sexe fort«.
Weblinks
- fondation-abbe-pierre.fr
- Emmaüs International (englisch)
- Biographie und Bilder
- Vorlage:PND
- Verfilmung des Lebens von Abbé Pierre in der Internet Movie Database
- „Ein Koloss der Geschichte“, Die Zeit, Nr. 14, 2005, Interview: „Abbé Pierre über sein Verhältnis zu Papst Johannes Paul II.“
- Nachrufe
- Frankreich trauert um Armenpriester Abbé Pierre, tagesschau, 22. Januar 2007, mit Video- und Audio-Datei
- „Trauer um Abbé Pierre. Der gute Mensch von Frankreich“, Rheinische Post, 22. Januar 2007
Personendaten | |
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NAME | Grouès, Henri |
ALTERNATIVNAMEN | Abbé Pierre |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Priester und Gründer der Wohltätigkeitsorganisation Emmaus |
GEBURTSDATUM | 3. August 1912 |
GEBURTSORT | Lyon |
STERBEDATUM | 22. Januar 2007 |
STERBEORT | Paris |