Trichterbecherkultur
Die Trichterbecherkultur (TBK) (eigentlich Trichterbecherkulturen) ist eine jungneolithische Kulturgruppe (ca. 4200–2800 v. Chr.). Sie zählt zum nordischen Frühneolithikum und Mittelneolithikum. Sie ist benannt nach einer für die Kultur typischen Gefäßform, den Bechern mit trichterförmigem Hals. Sie wurde von Gustaf Kossinna definiert. Die Bezeichnung Trichterbecherkultur wurde 1930 von dem polnischen Archäologen Konrad Jazdzewski eingeführt.
Verbreitung
Sie findet sich in der Norddeutschen Tiefebene von den Niederlanden bis Kujawien in Polen und im Norden in Dänemark und Südschweden. Die heute verwendete Einteilung in fünf regionale Gruppen geht auf Josef Kostrzewski zurück:
- Südostgruppe in Südpolen und der Ukraine.
- Westgruppe in den Niederlanden, im Emsland und bis zur Weser,
- Nordgruppe im mittleren Teil Norddeutschlands und in Skandinavien
- Ostgruppe im Norden von Polen (hier eingelagert die Brześć Kujawski - (dt. Brest, Kujawien) - Gruppen der Lengyel Kultur).
- Südgruppe im Süden Mitteldeutschlands und in Tschechien.
- Baalberge
- Bernburg (auch als Walternienburg-Bernburg Kultur)
- Salzmünde
- Walternienburg
Entstehung
Wo, wann und wie die Trichterbecherkultur entstanden ist, wird in der Forschung noch diskutiert. Früheste C14-Daten finden sich im polnischen Raum (Sarnowo 4400 v. Chr.), jedoch werden diese Datierungen aufgrund methodischer Schwächen von vielen Forschern angezweifelt. Verlässlichere Daten (von verkohlten Speisekrusten an Keramikscherben) ergaben Ausgrabungen im westlichen Ostseeraum, so etwa am Fundplatz Wangels, dessen trichterbecherzeitliche Besiedlung ab 4100 v. Chr. beginnt.
Eng mit der Datierung verknüpft ist auch die Frage nach dem Entstehungsort, so dass hier ebenfalls noch ein erheblicher Forschungsbedarf vorliegt. Wahrscheinlich darf man allerdings von mehreren Entwicklungszentren ausgehen, die sich über das gesamte Verbreitungsgebiet der TBK verteilen. Wie Vergleiche der Keramik belegen, wird dabei den letzten Jägern und Sammlern in diesen Gebieten eine wichtige Rolle bei der Herausbildung der TBK zugekommen sein. Letzteres ist allerdings wie ähnliche Neolithisierungsbeispiele zeigen, die zuvor im restlichen Europa erfolgten, international umstritten.
Chronologie
Zur groben zeitlichen Einteilung werden im Allgemeinen die Begriffe Ältere und Jüngere Trichterbecherkultur benutzt. Die TBK kann aber außerdem je nach Region in verschiedene Zeitstufen unterteilt werden. Diese Stufen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer materiellen Kultur und orientieren sich vorrangig an der jeweils hergestellten Keramik und deren Verzierung.
Im schleswig-holsteinischen Verbreitungsgebiet der TBK, für das relativ gesicherte C14-Daten vorliegen, ergibt sich z.B. folgende Einteilung:
- Ältere TBK bzw. Nordisches Frühneolithikum (FN) mit den Kulturstufen
- Wangels-Phase (4100 - 3800 v. Chr.)
- Siggenebben-Phase (3800 - 3500 v. Chr.)
- Fuchsbergstufe (3500 - 3300 v. Chr.)
- Jüngere TBK bzw. Nordisches Mittelneolithikum A (MN A) mit den Kulturstufen MN A I bis IV (3300 - 2800 v. Chr.)
In anderen Regionen der TBK werden davon abweichende Chronologieschemata mit anderen Kulturstufen verwendet. Dies begründet sich mit zeitlichen und typologischen Differenzen.
Materielle Kultur
- Die für die Kultur namengebenden Trichterbecher haben ein leicht bauchiges Unterteil und über der Gefäßschulter ein Oberteil, das wie ein Trichter geformt ist.
- Amphoren haben einen bauchigen Gefäßkörper und meist zylindrischem oder leicht trichterförmigem Hals sowie zwei oder vier Ösenhenkel am Halsansatz oder auf dem Gefäßbauch.
- Typisch, wenn auch seltener sind Kragenflaschen, kleine Gefäße mit kugeligem oder birnenförmigem Körper. Das Oberteil ist wie ein Flaschenhals ausgebildet und weist eine kragenförmige Ausstülpung auf.
- Scheiben aus Ton dienten vielleicht als Backteller zur Zubereitung von Fladenbrot.
- Besonders große Gefäße wurden als Vorratsspeicher im Siedlungsgelände eingegraben.
Neben der nur verzierten Keramik treten Feuerstein- und Felsgesteinbeile als Statussymbole oder Werkzeuge für die Holzbearbeitung auf. Bei den wenigen Kupferfunden handelt es sich um Importe.
Siedlungen
Die wenigen bisher bekannten Hausgrundrisse stammen von kleinen ovalen Gebäuden mit einer zentralen Pfostenreihe. Gebäude, die als Langhäuser mit Inneneinteilung gedeutet wurden, gelten inzwischen als Gräber. In Dänemark wurden auch die Køkkenmøddinger (Muschelhaufen) der mesolithischen Ertebølle-Kultur weitergenutzt. Der Hausgrundriss von Flögeln (Kreis Cuxhaven) wurde inzwischen mehrfach nachgebaut.
Monumentalbauten

Erdwerke
Erdwerke wurden in der TBK etwa bis 3500 v. Chr. errichtet. Als charakteristisch gelten deren Gräben, die nicht immer gleichzeitig und durchgängig waren, sondern auch aus einer Aneinanderreihung von länglich-ovalen Gruben bestehen können. Heute sind für die TBK etwa 40 Erdwerke bekannt, die jedoch meist nur durch kleinräumige Notgrabungen untersucht wurden. Zu den am besten erforschten zählt Sarup auf Fünen in Dänemark.
Megalithanlagen
Ab 3500 v. Chr. wurden etwa 10.000 Megalithanlagen mit überhügelten Steinkammern aus Findlingsblöcken erbaut. Von einst vielleicht 5000 zum Teil recht eindrucksvollen Anlagen in Deutschland sind nur noch etwa 900 (davon 443 in Mecklenburg-Vorpommern und 121 in Schleswig-Holstein) erhalten. Konzentrationen finden sich auf Rügen und im Eversdorfer Forst (in Mecklenburg-Vorpommern), im Haldenslebener Forst in Sachsen-Anhalt, in Kleinenkneten (die Kleinenknetener Steine) in der Wildeshauser Geest, sowie die Sieben Steinhäuser und die Oldendorfer Totenstatt in der Lüneburger Heide in Niedersachsen .
Neben der Bestattung in Megalithgräbern war auch die Körperbestattung in Hocklage im Boden üblich. Es sind aber auch Brandbestattungen bekannt. Als Beigaben treten häufig die namensgebenden Becher auf.
Wirtschaftsweise
Neben Ackerbau und Viehhaltung spielten Sammeln und Jagd eine untergeordnete Rolle, hier gibt es jedoch starke regionale Unterschiede. An der Ostsee (besonders in Dänemark) ist Fischen und Sammeln von Mollusken ebenso wie die Jagd auf Robben und Wale nachgewiesen. Auch aus Ostpolen sind Siedlungen bekannt, die über 60% Wildtierknochen aufweisen.
Sozialstruktur
Einige Autoren vermuten eine gesellschaftliche Hierarchie, an deren Spitze Häuptlinge und Priester standen. Die Sitte der Bestattung eines Teils der Bevölkerung in Megalithanlagen spricht weder für noch gegen eine egalitäre Gesellschaft, sondern nur für einen aufwendig ausgeprägten Totenkult.
Literatur
Allgemein
- Ernst Probst: Deutschland in der Steinzeit, München 1991 (populärwissenschaftliche Darstellung)
- Magdalena Midgley, TRB Culture. The First Farmers of the North European Plain, Edinburgh 1992 (Standard-Überblickswerk)
Norddeutschland
- Jürgen Hoika und Jutta Meureres-Balke: Beiträge zur frühneolithischen Trichterbecherkultur im westlichen Ostseegebiet, Neumünster 1994.
- Sönke Hartz und Harald Lübke: Zur chronostratigraphischen Gliederung der Ertebølle-Kultur und frühesten Trichterbecherkultur in der südlichen Mecklenburger Bucht. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern Jahrbuch 52, 2004, 119-143.
- Ewald Schuldt: Die mecklenburgischen Megalithgräber, Berlin 1972.
- Ingeborg Nilius: Das Neolithikum in Mecklenburg zur Zeit und unter besonderer Berücksichtigung der Trichterbecherkultur, Schwerin 1971.
Mitteldeutschland
- H.J. Beier & R. Einicke (Hrsg.) Das Neolithikum im Mittelebe-Saale-Gebiet Wilkau-Haßlau 1994
- Eberhard Kirsch: Beiträge zur älteren Trichterbecherkultur in Brandenburg, Potsdam 1994.
- Johannes Müller: Soziochronologische Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100-2700 v. Chr.). Vorgeschichtliche Forschungen 21. Rahden, Leidorf 2001
- Johannes Müller: Radiocarbonchronologie –– Keramiktechnologie –– Osteologie –– Anthropologie –– Raumanalyse. Beiträge zum Neolithikum und zur Frühbronzezeit im Mittelelbe-Saale-Gebiet. 80. Ber. RGK 1999, 25-211.
- Giannina Schindler: Salzmünder Kultur. In: H.-J. Beier/Ralph Einicke: Das Mittelneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet und in der Altmark. Wilkau-Haßlau 1994. S 145-158.
- Märte Strömberg: Die Megalithgräber von Hagestad Lund 1971
Kult
- F. Schlette & D. Kaufmann (Hrsg.) (1989) Religion und Kult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit, Berlin
- Walkowitz J.E.: Das Megalithsyndrom. Band 36 in Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas, 2003. ISBN 3-930036-70-3
- Deut. Arch. Inst. Abt. Madrid.: Probleme der Megalithgräberforschung, Madrider Forschungen Bd. 16 (Berlin 1990)
Forschungsgeschichtlich relevant
- Gustav Kossinna: Entwicklung und Verbreitung der steinzeitlichen Trichterbecher, Kragenfläschchen und Kugelflaschen. In: Mannus 13, 1921, 13-40 u. 143-165.