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Fürstenenteignung

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In der Weimarer Republik behandelte der Streit um die Fürstenenteignung die Frage, was mit dem Vermögen der deutschen Fürstenhäuser geschehen sollte, die im Zuge der Novemberrevolution politisch entmachtet worden waren. Diese Auseinandersetzungen begannen bereits in den Revolutionsmonaten. Sie dauerten in den Folgejahren als Vertragsverhandlungen bzw. Gerichtsverfahren zwischen einzelnen Fürstenhäusern und den jeweiligen Ländern des Deutschen Reiches an. Höhepunkte des Konflikts waren in der ersten Hälfte des Jahres 1926 ein erfolgreiches Volksbegehren und nachfolgend ein gescheiterter Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung.

Volksentscheid und Volksbegehren waren von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) initiiert worden. Nach anfänglichem Zögern schloss sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) an. Nicht nur Wähler der KPD und der SPD befürworteten die entschädigungslose Enteignung. Auch viele Anhänger der Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bejahten sie. In bestimmten Regionen Deutschlands unterstützen auch Wähler konservativ-nationaler Parteien diese Gesetzesinitiative. Die Kirchen beider Konfessionen, großagrarische und industrielle Interessenverbände sowie die Parteien und Verbände der politischen Rechten standen dagegen im Lager der Gegner. Sie sorgten durch Boykottaufrufe schließlich für den Misserfolg des Volkentscheids.

In Politik- und Geschichtswissenschaft werden die Ereignisse unterschiedlich gedeutet. Während die parteioffizielle Geschichtswissenschaft der DDR vor allem das Handeln der damaligen KPD zu rechtfertigen suchte, machen bundesdeutsche Historiker auf die erheblichen Belastungen aufmerksam, die sich aus den plebiszitären Initiativen für die Zusammenarbeit der SPD mit den republikanischen Parteien des Bürgertums ergaben. Daneben wird auch auf die Generationenkonflikte hingewiesen, die sich in dieser politischen Auseinandersetzung gezeigt hatten. Gelegentlich gilt die Kampagne für die kompensationslose Enteignung als positives Bespiel direkter Demokratie.

Entwicklung bis Ende 1925

Die Novemberrevolution beendete die Herrschaft der regierenden Fürstenhäuser in Deutschland. Diese wurden gezwungen abzudanken oder taten dies angesichts der neuen politischen Gesamtsituation freiwillig. Ihr Vermögen wurde beschlagnahmt, nicht jedoch sofort enteignet.

Auf Reichsebene fanden keine Beschlagnahmungen statt, denn es gab keinen entsprechenden Besitz. Darum verzichtete das Reich auf eine reichsweit einheitliche Regelung und überließ es den Ländern, wie diese die Konfiskationen jeweils regeln wollten. Überdies fürchtete der Rat der Volksbeauftragten, mit solchen Enteignungen allein Begehrlichkeiten der Siegermächte zu nähren, die auf enteignete, frühere fürstliche Vermögensmassen Reparationsansprüche hätten stellen können.

Buchdeckel der Weimarer Verfassung

Die Weimarer Verfassung von 1919 garantierte mit Artikel 153 zwar einerseits das Eigentum. Andererseits hatte sie mit diesem Artikel die Möglichkeit eröffnet, Enteignungen vorzunehmen, wenn dies dem Allgemeinwohl diente. Eine solche Enteignung musste auf gesetzlicher Basis erfolgen und die Enteigneten waren „angemessen“ zu entschädigen. Für Streitfragen bei Enteignungen sah Artikel 153 den Rechtsweg vor.[1]

Die Verhandlungen der einzelnen Länderregierungen mit den Fürstenhäusern zogen sich aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen zur Entschädigungshöhe hin. Auch rangen die Verhandlungsparteien oft um den Umfang der Enteignung (Teilenteignung, vollständige Enteignung). Einige Fürstenhäuser forderten mit Blick auf Artikel 153 der Verfassung überdies die vollständige Herausgabe ihres früheren Besitzes sowie Ausgleichszahlungen für entgangene Vermögenserträge. Verkompliziert wurde die Lage durch die fortschreitende Geldentwertung im Zuge der deutschen Inflation, die den Wert von Entschädigungszahlungen minderte. Einzelne Fürstenhäuser fochten darum die Verträge an, die sie zuvor mit den Vertragspartnern auf Länderseite abgeschlossen hatten.

Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen entschieden die überwiegend konservativ und monarchistisch eingestellten Richter wiederholt im Sinne der Fürstenhäuser. Für öffentlichen Unmut sorgte vor allem ein Urteil des Reichsgerichts vom 18. Juni 1925. Es hob ein Gesetz auf, das die von der USPD dominierte Landesversammlung von Sachsen-Gotha am 2. August 1919 zum Zweck der Einziehung des gesamten Domanialbesitzes der Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha erlassen hatte. Dieses Landesgesetz war in den Augen der Richter nicht verfassungsgemäß. Sie sprachen dem Fürstenhaus den gesamten Land- und Forstbesitz wieder zu. Oberhaupt des Fürstenhauses war damals Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, ein erklärter Gegner der Republik.

Auch Preußen verhandelte lange mit dem Haus Hohenzollern. Ein erster Einigungsversuch scheitete 1920 am Widerstand der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, einem zweiten widersprachen 1924 die Hohenzollern.[2] Das preußische Finanzministerium legte am 12. Oktober 1925 einen neuen Vertragsentwurf vor, der in der Öffentlichkeit jedoch heftig kritisiert wurde, weil vorgesehen war, ca. drei Viertel des umstrittenen Grundbesitzes an das Fürstenhaus zurückzugeben. Gegen diesen Vergleich stemmte sich nicht nur die SPD, sondern auch die DDP, die sich damit gegen ihren eigenen Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff wandte. In dieser Situation legte die Reichstagsfraktion der DDP dem Reichstag am 23. November 1925 einen Gesetzentwurf vor. Dieser sollte die Länder ermächtigen, in den Auseinandersetzungen mit den Fürstenhäusern jeweils Landesgesetze zur Regelung der Vermögensstreitigkeiten zu verabschieden. Der Rechtsweg gegen die Inhalte dieser Landesgesetze sollte ausdrücklich ausgeschlossen werden. Die SPD hatte gegen diesen Gesetzentwurf der DDP nur wenige Einwände, hatte sie doch selbst 1923 einen ganz ähnlichen Gesetzentwurf vorgelegt.[3]

Initiative für ein Volksbegehren

Schema der Plebiszite von 1926 zur Fürstenenteignung

Zwei Tage später, am 25. November 1925, ergriff die KPD die Initiative und legte ebenfalls einen Gesetzentwurf vor. Dieser sah keinen Interessenausgleich zwischen den Ländern und den Fürstenhäusern vor, sondern die entschädigungslose Enteignung der entsprechenden Besitztümer. Die Ländereien sollten an Bauern und Pächter übergehen, Schlösser sollten zu Genesungsheimen umfunktioniert werden oder zur Linderung der Wohnungsnot dienen, das Barvermögen sollte schließlich Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen zukommen.

Der Adressat dieses Gesetzentwurfs war weniger der Reichstag, wo ein solcher Antrag kaum die notwendige Mehrheit finden würde, sondern das Volk. Es sollte auf dem Weg eines Volksbegehrens seinen Willen zu einer radikalen Veränderung der Eigentumsverhältnisse zum Ausdruck bringen – zunächst bezogen auf den beschlagnahmten Fürstenbesitz.

Den Kommunisten war bewusst, dass eine solche Gesetzesinitiative in einer Zeit attraktiv war, in der die Arbeitslosenzahlen stiegen, bedingt vor allem durch den deutlichen Konjunktureinbruch seit November 1925 und auch durch die so genannte Rationalisierungskrise. Außerdem war die Hyperinflation in frischer Erinnerung. Sie hatte gezeigt, welchen besonderen Wert immobile Vermögenswerte haben konnten, die hier zur Verteilung anstanden. Ganz im Sinne einer Einheitsfrontpolitik zielte die KPD-Initiative darauf ab, verloren gegangene Wähler zurückzugewinnen und möglicherweise auch Angehörige der Mittelschichten anzusprechen, die zu den Inflationsverlierern gehörten. Als Ausdruck einer solchen Strategie lud die KPD am 2. Dezember 1925 die SPD, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), den AfA-Bund, den Deutschen Beamten-Bund, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und den Rotfrontkämpferbund ein, gemeinsam ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen.

Zunächst reagierte die SPD ablehnend. Das Bestreben der KPD, einen Keil zwischen die sozialdemokratischen „Massen“ und die als „Bonzen“ titulierten SPD-Führungskräfte zu treiben, erschien ihr allzu offensichtlich. Auch vor der parlamentskritischen Färbung eines Volksbegehrens und –entscheids wurde gewarnt. Ferner erblickte die Führung der SPD noch Möglichkeiten, die Streitfragen parlamentarisch zu lösen. Ein weiterer Grund für Reserven gegenüber der plebiszitären Initiative war, dass ihr Erfolg eher unwahrscheinlich war. Es mussten mehr als die Hälfte aller Stimmberechtigten in Deutschland, also fast 20 Millionen Wähler, einem entsprechenden Volksentscheid zustimmen, sofern das in Frage stehende Gesetz verfassungsändernd war.[4] KPD und SPD erreichen in der voran gegangenen Reichstagswahl vom 7. Dezember 1924 allerdings nur ca. 10,6 Millionen Stimmen.[5]

Nach dem Jahreswechsel 1925/26 drehte sich die Stimmung innerhalb der SPD. Gespräche über die Aufnahme von Sozialdemokraten in die Reichsregierung scheiterten im Januar endgültig, sodass sich die SPD von nun an wieder stärker auf Oppositionspolitik konzentrieren konnte. Auch aus diesem Grund wurde ein weiterer Gesetzentwurf abgelehnt, der im Kabinett Luther erarbeitet worden war. Dieser am 2. Februar vorgestellte Entwurf sah eine Verschiebung der Auseinandersetzung auf eine neu zu schaffende juristische Ebene vor. Unter dem Vorsitz des Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons sollte ein Sondergericht ausschließlich für die Vermögensauseinandersetzungen zuständig werden. Revisionen von bereits geschlossenen Verträgen zwischen Ländern und ehemaligen Fürsten waren nicht vorgesehen. Gegenüber der parlamentarischen Initiative der DDP vom November 1925 war dies eine fürstenfreundliche Entwicklung. Diese Faktoren waren für die SPD-Spitze wichtig, aber nachrangig – der entscheidende Grund für den Stimmungsumschwung in der SPD-Führung war ein anderer: An der Basis der SPD zeigte sich eine deutliche Zustimmung für die Gesetzesinitiative der KPD. Die Parteileitung fürchtete mittlerweile erhebliche Einfluss-, Mitglieder- und Wählerverluste, wenn sie diese Stimmung ignorieren würde.

Am 19. Januar 1926 rief der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, die SPD zur Mitarbeit im so genannten Kuczynski-Ausschuss[6] auf. Dieser Ende 1925 ad hoc gebildete Ausschuss der Deutschen Friedensgesellschaft war nach dem Statistiker Robert René Kuczynski benannt und bereitete ein Volksbegehren zur Fürstenenteignung vor. Die KPD hatte sich diesem Gremium bereits angeschlossen und dominierte ihn. Die SPD lehnte noch am 19. Januar den KPD-Vorschlag ab und bat stattdessen den ADGG um vermittelnde Gespräche. Diese sollten mit dem Ziel geführt werden, dem Volk bei einem Volksbegehren zur Fürstenenteignung einen Gesetzesentwurf vorzulegen, hinter dem eine möglichst große Gruppe von politischen Befürwortern stand. Der ADGB entsprach dieser Bitte. Die vom ADGB moderierten Gespräche zwischen der KPD, der SPD und dem Kuczynski-Ausschuss begannen am 20. Januar 1926. Drei Tage später einigte man sich auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf. Dieser sah „zum Wohl der Allgemeinheit“ die entschädigungslose Enteignung der ehemaligen Fürsten und ihrer Familienangehörigen vor. Am 25. Januar ging der Gesetzentwurf an das Reichsministerium des Innern mit der Bitte, rasch einen Termin für ein Volksbegehren anzusetzen. Das Ministerium legte die Durchführung des Volksbegehrens anschließend auf die Zeit vom 4. bis zum 17. März 1926 fest.[7]

Die Einheitsfronttaktik der Kommunisten ging bis dahin ausschließlich technisch auf – SPD und KPD hatten ein Abkommen über die Produktion und Verteilung von Einzeichnungslisten und Plakaten erstellt. Eine politische Einheitsfront lehnte die SPD nach wie vor scharf ab. Sie legte Wert darauf, alle Agitationsveranstaltungen zum Volksbegehren allein, also auf keinen Fall mit der KPD gemeinsam, durchzuführen. SPD-Ortsvereine wurden vor entsprechenden Avancen der KPD gewarnt, oder gerügt, falls solche Angebote angenommen worden waren. Auch der ADGB hielt öffentlich fest, es gebe keine Einheitsfront mit den Kommunisten.[8]

Neben den Arbeiterparteien warben der ADGB, der Rotfrontkämpferbund und einige bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Albert Einstein, Käthe Kollwitz, John Heartfield und Kurt Tucholsky für das Volksbegehren. Als Gegner des Vorhabens traten mit jeweils unterschiedlichem Engagement vor allem die bürgerlichen Parteien, der Reichslandbund und eine Vielzahl „nationaler“ Verbände sowie die Kirchen auf.

Ergebnis des Volksbegehrens

Das in der ersten Märzhälfte 1926 durchgeführte Volksbegehren unterstrich die Mobilisierungsfähigkeit der beiden Arbeiterparteien. Von den 39,4 Millionen Stimmberechtigten trugen sich 12,5 Millionen in die amtlich ausgelegten Listen ein. Das Begehren übertraf damit die notwendige Quote von 10 Prozent der Stimmberechtigten mehr als dreifach.[9] Die Stimmenanzahl, die KPD und SPD bei der Reichstagswahl im Dezember 1924 erreicht hatten, war mit dem Volksbegehren um fast 18 Prozent überboten. Besonders auffällig war die starke Unterstützung in Hochburgen des Zentrums. Die Zahl der Befürworter des Volksbegehrens lag hier deutlich höher als die Gesamtzahl der bei der letzten Reichstagswahl auf KPD und SPD entfallenen Stimmen. Auch in Domänen des Liberalismus, zum Beispiel in Württemberg, zeigten sich ähnliche Tendenzen.[10] Ganz besonders deutlich waren auch die entsprechenden Zugewinne, die in Großstädten zu verzeichnen waren. Nicht nur Anhänger der Arbeiterparteien, sondern viele Wähler der bürgerlichen und rechts stehenden Parteien befürworteten dort die Enteignung ohne Abfindung.[11]

In ländlichen Regionen gab es dagegen häufig starke Widerstände gegen das Plebiszit. Insbesondere in Ostelbien konnten KPD und SPD ihre Ergebnisse der letzten Reichstagswahl nicht erreichen. Administrative Behinderungen des Volksbegehrens und Drohungen der großagrarischen Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten taten hier ihre Wirkung. In Bayern, insbesondere in Niederbayern, ließ sich eine ähnlich unterdurchschnittliche Beteiligung beim Volksbegehren beobachten. Nach dem Zwergstaat Waldeck wies Bayern die zweitniedrigste Beteiligung auf.[12] Die Bayerische Volkspartei (BVP) sowie die katholische Kirche riefen energisch und erfolgreich von der Beteiligung am Volksbegehren ab. Zudem war 1923 eine weitgehend unumstrittene Einigung mit dem Haus Wittelsbach gelungen.

Vorbereitung und Ergebnis des Volksentscheids

Stellungnahmen von Parteien
bzw. gesellschaftlichen Gruppen
zum Volksentscheid
DNVP

„Ist erst mit dem feigen Raubzug auf das Eigentum
der wehrlosen Fürsten der Grundsatz, daß das
Eigentum heilig ist, einmal durchbrochen, dann
wird die allgemeine Sozialisierung, die allgemeine
Enteignung jedes Privateigentums bald folgen,
einerlei, ob es sich um große Fabriken oder eine
Tischlerwerkstätte, ob es sich um riesige
Warenhäuser oder um einen Grünkramladen, ob es
sich um ein Rittergut oder einen Vorstadtgarten, ob
es sich um ein großes Bankinstitut oder das
Sparkassenbuch eines Arbeiters handelt.“[13]

BVP

Der Volksentscheid sei ein „Eindringen bolschewistischer
Bestrebungen“ in Staat und Gesellschaft. Man betrachte
das Enteignungsvorhaben als „schweren Verstoß gegen
das sittliche Gebot des Schutzes des Privateigentums.“
Ferner sei der Volksentscheid eine unzulässige
Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bayerns,
das sich mit den Wittelsbachern bereits geeinigt habe.[14]

Katholische Kirche

Die in der Fuldaer und Freisinger Bischofskonferenz
vereinigten katholischen Geistlichen melden sich zu
Wort. Man erblickte in dem Enteignungsprojekt eine
„Verwirrung sittlicher Grundsätze“, der entgegen
getreten werden müsse. Die sich zeigende Auffassung
von Eigentum sei „mit den Grundsätzen des
christlichen Sittengesetzes nicht vereinbar“. Das
Eigentum sei zu schützen, denn es sei „in der
natürlichen sittlichen Ordnung begründet und durch
Gottesgebot geschützt“.[15]

Evangelische Kirche

Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss, das
höchste Organ der Vereinigung der evangelischen
Landeskirchen Deutschlands, lehnte das
Enteignungsvorhaben ab. „Die beantragte
entschädigungslose Enteignung bedeutet die
Entrechtung deutscher Volksgenossen und widerspricht
klaren und unzweideutigen Grundsätzen des
Evangeliums.“.[16]

SPD

Der 20. Juni sei der Tag, an dem der
„Entscheidungskampf […] zwischen dem
demokratischen Deutschland und den wieder
sich aufrichtenden Mächten der Vergangenheit“
ausgetragen werde.[17]
„Es geht um die Zukunft der deutschen Republik.
Es geht darum, ob die politische Macht, die im
Staate verkörpert ist, ein Werkzeug der Herrschaft
in den Händen einer gesellschaftlichen Oberschicht
oder ein Werkzeug der Befreiung in den Händen der
arbeitenden Massen sein soll.“ [18]

KPD

Sie betrachtete die Kampagne für die
entschädigungslose Fürstenenteignung als eine
erste Etappe auf dem Weg zu einer revolutionären
Umwälzung der Gesellschaft. In diesem Sinne
meinte das ZK der KPD: „Der Haß gegen die
gekrönten Räuber ist der Klassenhaß gegen den
Kapitalismus und sein Sklavensystem!“[19]

Am 6. Mai 1926 lag dem Reichstag der Gesetzesentwurf zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten zur Abstimmung vor. Er scheiterte an dessen bürgerlicher Mehrheit. Nur wenn dieser Entwurf ohne Änderungen angenommen worden wäre, wäre ein Volksentscheid entfallen. Jetzt wurde er für den 20. Juni 1926 terminiert.

Paul von Hindenburg

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte schon am 15. März eine neue Hürde aufgestellt, die den Erfolg des Volksentscheids erschweren sollte. An diesem Tag teilte er Reichsjustizminister Wilhelm Marx mit, dass Enteignungen aus seiner Sicht nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienen, sondern nichts anderes als eine Vermögenshinterziehung aus politischen Gründen darstellen. Das sei in der Verfassung nicht vorgesehen. Die Regierung Luther bestätigte am 24. April 1926 ausdrücklich die Rechtsauffassung des Reichspräsidenten. Aus diesem Grund reichte eine einfache Mehrheit für den Erfolg des Volksentscheids nicht aus. Vielmehr mussten nun 50 Prozent der Stimmberechtigten zustimmen, also ca. 20 Millionen Wähler.

Weil damit gerechnet werden musste, dass diese Zahl nicht erreicht werden würde, begannen sich Regierung und Reichstag, auf weitere parlamentarische Verhandlungen in dieser Streitfrage einzustellen. Diese Gespräche waren ebenfalls durch den Hinweis auf den verfassungsändernden Charakter entsprechender gesetzlicher Regelungen belastet, denn parlamentarisch waren Enteignungen nun nur noch mit einer Zweidrittel-Mehrheit durchsetzbar. Allein ein Gesetz, dem auf der politischen Linken Teile der SPD und auf der politischen Rechten Teile der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zustimmen konnten, wäre aussichtsreich gewesen.

Es war zu erwarten, dass die Zahl derer, die am 20. Juni 1926 die entschädigungslose Fürstenenteignung befürworten würden, nochmals anwachsen würde. Eine Reihe von Gründen sprach für diese Annahme: Weil die Abstimmung im Juni die entscheidende werden würde, war von einer noch erfolgreicheren Mobilisierung der Linkswähler auszugehen als im März beim Volksbegehren. Das Scheitern aller bisherigen parlamentarischen Kompromissversuche hatte überdies in den bürgerlichen Parteien die Stimmen derer lauter werden lassen, die eine solche radikale Änderung fürstlicher Besitzverhältnisse ebenfalls befürworteten. Beispielsweise forderten Jugendorganisationen des Zentrums und der DDP ein „Ja“ bei der Abstimmung. Die DDP zerfiel insgesamt in Befürworter und Gegner des Volksentscheids. Die Parteiführung stellte den DDP-Anhängern darum frei, auf welche Seite sie sich schlagen würden. Auch diejenigen Verbände, die die Interessen der Inflationsgeschädigten vertraten, riefen mittlerweile für ein zustimmendes Votum beim Volksentscheid auf.

Zwei weitere Faktoren wirkten ungünstig in den Augen jener, die sich als Gegner des Volksentscheids inzwischen unter dem Dach des Reichsbürgerrats zusammengefunden hatten; ähnlich wie beim Volksbegehren gehörten zu diesen Gegnern die Verbände und Parteien der Rechten, landwirtschaftliche und industrielle Interessenverbände sowie die Kirchen. Zum einen war die Wohnung von Heinrich Claß, dem Führer des Alldeutschen Verbands, auf Geheiß des preußischen Innenministeriums durchsucht worden. Dabei wurden umfangreiche Putschpläne aufgedeckt. Auch bei Personen aus seinem Mitarbeiterkreis ergaben solche Durchsuchungen vergleichbares Beweismaterial. Zum anderen wurden am 7. Juni 1926 Auszüge eines Schreibens veröffentlicht, das von Hindenburg am 22. Mai 1926 an den Präsidenten des Reichsbürgerrats, Friedrich Wilhelm von Loebell, geschickt hatte. In diesem Schreiben bezeichnete von Hindenburg das Plebiszit als „großes Unrecht“, das einen „bedauerlichen Mangel an Traditionsgefühl" und "groben Undank“ zeige. Es verstoße „gegen die Grundlagen von Moral und Recht“.[20] Von Hindenburg duldete die Verwendung seiner ablehnenden Worte auf Plakaten der Enteignungsgegner. Damit setzte er sich dem Verdacht aus, er stehe nicht über den Parteien und Interessenverbänden, sondern wechsle offen ins Lager der Konservativen.

Die Enteignungsgegner steigerten vor diesem Hintergrund ihre Anstrengungen. Kernbotschaft ihrer Agitation war die Behauptung, den Befürwortern des Volksentscheids gehe es nicht allein um die Enteignung von Fürstenbesitz. Diese würden vielmehr die Abschaffung des Privateigentums schlechthin beabsichtigen. Die Gegner riefen dementsprechend zum Boykott des Volksentscheids auf. Die geheime Stimmabgabe verwandelte sich damit praktisch in eine offene.[21]

Von den Gegnern des Volksentscheids wurden erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt. Die DNVP setzte beispielsweise in der Agitation gegen den Volksentscheid Geldmittel ein, die deutlich über denen für die Wahlkämpfe von 1924 lagen. Auch bei der Reichstagswahl von 1928 wurden nicht in dieser Höhe Finanzmittel verwendet. Die Gelder stammten aus Umlagen von Fürstenhäusern, von Industriellen und sonstigen Spenden für diese Agitation.[22]

Erneut wurde insbesondere ostelbischen Landarbeitern bei Beteiligung am Volksentscheid mit wirtschaftlichen und persönlichen Sanktionen gedroht. Kleinbauern versuchte man mit der Behauptung zu verschrecken, es gehe nicht allein um die Enteignung des Fürstenbesitzes, sondern auch um die Enteignung von Vieh, Anlagen und Land jedes bäuerlichen Kleinbetriebs. Zudem veranstalteten die Gegner am 20. Juni 1926 mancherorts Freibierfeste, um Stimmberechtigte gezielt von der Abstimmung fernzuhalten.[23]

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) verschärfte die demagogische Dimension auf der politischen Rechten, indem sie die Enteignung der seit dem 1. August 1914 eingewanderten Ostjuden forderte. Hitler hatte sich bereits auf der Bamberger Führertagung Mitte Februar 1926 gegen Gregor Strasser durchgesetzt, der die Unterstützung des Plebiszits durch die NSDAP gefordert hatte.[24]

Von den ca. 39,7 Millionen Stimmberechtigten gaben am 20. Juni 1926 knapp 15,6 Millionen (39,3 Prozent) ihre Stimme ab. Mit „Ja“ votierten etwa 14,5 Millionen, mit „Nein“ stimmten ca. 0,59 Millionen. Rund 0,56 Millionen Stimmen waren ungültig.[25] Der Volksentscheid war somit gescheitert, denn weniger als die geforderten 50 Prozent der Stimmberechtigten beteiligten sich daran.

Erneut war der Volksentscheid für die kompensationslose Enteignung auch in Hochburgen des Zentrums befürwortet worden. Gleiches galt für großstädtische Stimmbezirke. Dort wurden nachweislich auch Teile jener Wählerschichten angesprochen, die traditionell bürgerlich, national und konservativ wählten. Selbst wenn es zum Teil deutlich mehr Ja-Stimmen gab als beim Volksbegehren, blieb die Zustimmung in agrarischen Landesteilen (insbesondere Ostelbien) wiederum unterdurchschnittlich. Die Beteiligungsrate fiel in Bayern im Vergleich zu anderen Regionen diesmal ebenfalls gering aus, trotz der insgesamt auch dort gestiegenen Teilnahme.[26]

Weitere Behandlung der Enteignungsfrage

Ein dauerhafter Trend nach links war mit diesem Ergebnis nicht verbunden, obschon dies von einigen Gegnern der entschädigungslosen Enteignung befürchtet und von Teilen der SPD und der KPD erhofft worden war.[27] Viele traditionelle Wähler der DNVP stimmten beispielsweise nur für den Volksentscheid, weil sie damit auf das von der DNVP gebrochene Wahlversprechen von 1924 reagierten, Ausgleich für Inflationsschäden zu erhalten. Die ideologischen Dauerkonflikte zwischen SPD und KPD waren durch die gemeinsame Kampagne für das Volksbegehren und den Volksentscheid gleichfalls nicht überwunden. Bereits am 22. Juni 1926 hatte Die Rote Fahne, das Parteiblatt der KPD, behauptet, die sozialdemokratischen Führer hätten den Erfolg des Entscheids gezielt hintertrieben. Vier Tage später sprach das Zentralkomitee der KPD davon, die Sozialdemokraten würden den „schamlosen Fürstenraub“ nun heimlich fördern.[28]

Mit dieser Behauptung war die Bereitschaft der SPD gemeint, im Reichstag weiter nach einer gesetzlichen Lösung der Streitfrage zu suchen. Die SPD rechnete sich aus zwei Gründen beträchtliche Mitgestaltungsmöglichkeiten bei einer reichsgesetzlichen Regelung aus, auch wenn ein solches Gesetz eine Zweidrittelmehrheit brauchte. Zum einen interpretierte sie den Volksentscheid als deutliche Unterstützung sozialdemokratischer Positionen. Zum anderen liebäugelte die Minderheitsregierung unter Wilhelm Marx mit einer Aufnahme der SPD in die Regierung, also mit der Bildung einer großen Koalition, was im Vorfeld das Eingehen auf sozialdemokratische Forderungen notwendig machen würde. Die sozialdemokratischen Änderungswünsche an der Regierungsvorlage zur Fürstenenteignung wurden jedoch nach längeren Verhandlungen abgelehnt: am vorgesehenen neuen Reichssondergericht sollte es keine Stärkung des Laienelements geben; der SPD-Vorschlag, die Richter dieses Gerichts sollten vom Reichstag gewählt werden, war ebenfalls nicht durchsetzbar; die Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Vermögensauseinandersetzungen, die für die Länder ungünstig ausgegangen waren, war gleichfalls nicht vorgesehen.[29]

Die Fraktionsführung der SPD versuchte am 1. Juli 1926 die Reichstagsfraktion der SPD dennoch von der Annahme der Gesetzesvorlage zu überzeugen, die am Folgetag im Reichstag zur Abstimmung anstand. Die Fraktion weigerte sich allerdings. Dieser Preis für die Aufnahme in eine neue Reichsregierung war der Fraktionsmehrheit zu hoch. Sie ließ sich auch nicht von den drängenden Argumenten der preußischen Regierung unter Otto Braun und den Stimmen aus der sozialdemokratischen Fraktion des preußischen Landtags überzeugen, die ebenfalls ein Reichsgesetz wünschten, um die Auseinandersetzungen mit den Hohenzollern auf dieser Basis abschließen zu können.

Am 2. Juli 1926 begründeten die Fraktionen der SPD einerseits und der DNVP andererseits ihr Nein zur Gesetzesvorlage. Daraufhin wurde über diesen Gesetzentwurf nicht mehr entschieden – die Regierung zog ihn zurück.

In den Ländern mussten Einigungen mit den Fürstenhäusern von nun an endgültig auf dem direkten Verhandlungsweg gesucht werden. Die Position der Länder wurde dabei bis Ende Juni 1927 insofern gestärkt, als ein so genanntes Sperrgesetz Versuche der Fürstenhäuser unterband, gegen die Länder gerichtete Ansprüche auf dem Wege von Zivilklagen durchzusetzen.[30] In Preußen kam die gewünschte Einigung am 6. Oktober 1926 zustande – ein entsprechender Vertragsentwurf wurde vom Land Preußen und vom Generalbevollmächtigten der Hohenzollern, Friedrich von Berg, unterzeichnet. Aus dem beschlagnahmten Gesamtvermögen fielen ca. 250.000 Morgen Land an Preußen, beim Fürstenhaus mitsamt allen Nebenlinien verblieben ca. 383.000 Morgen.[31] Preußen übernahm ebenfalls das Eigentum an einer Vielzahl von Schlössern sowie an einigen weiteren Vermögensgegenständen.[32] Dieser Vergleich war aus Sicht der Landesregierung günstiger als jener, der im Oktober 1925 vorgesehen war. Die Landtagsfraktion der SPD enthielt sich am 15. Oktober 1926 der Stimme, obwohl die Fraktionsmehrheit den Vertrag innerlich ablehnte. Ihr gingen die Vermögensherausgaben an die Hohenzollern zu weit. Im Plenum schien ein offenes „Nein“ der SPD jedoch nicht geboten, denn für diesen Fall hatte Otto Braun mit seinem Rücktritt gedroht. Mit dem Ausweichen der SPD-Fraktion in die Stimmenthaltung war der Weg frei für die Ratifizierung des Vertrags durch den Preußischen Landtag. Den Weg zu dieser parlamentarischen Absegnung hatte auch die KPD nicht mehr versperren können, obwohl sie im Plenum während der zweiten Lesung am 12. Oktober 1926 tumultartige Szenen herbeigeführt hatte.[33]

Bereits vor der gesetzlichen Regelung zwischen Preußen und den Hohenzollern waren die meisten Streitfälle zwischen Ländern und Fürstenhäusern einvernehmlich geregelt worden. Mit den ehemals herrschenden Fürstenhäusern stritten nach Oktober 1926 allerdings noch die Länder Thüringen, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und vor allem Lippe. Zum Teil dauerten die Verhandlungen noch viele Jahre an.[34]

Urteil der Historiker

Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft der DDR deutete die Fürstenenteignung und das Agieren der Arbeiterparteien im Wesentlichen aus einer Perspektive, die sich mit jener der damaligen KPD deckte. Die Einheitsfrontstrategie der KPD wurde als richtiger Schritt im Klassenkampf interpretiert. Die plebiszitären Aktionen seien „die machtvollste Einheitsaktion der deutschen Arbeiterklasse in der Periode der relativen Stabilisierung des Kapitalismus“ gewesen.[35] Angegriffen wurden die SPD-Führung und auch die Führung der Freien Gewerkschaften insbesondere dann, wenn diese einen Kompromiss mit den bürgerlichen Parteien suchten. Die „Haltung der Führer der SPD und des ADGB erschwerte die Entfaltung der Volksbewegung gegen die Fürsten bedeutend.“[36]

Auch der Politikwissenschaftler Otmar Jung hält den Volksentscheid von 1926 für ein Unterfangen, das als Ausdruck direkter Demokratie insgesamt positiv zu werten sei. Er habe gezeigt, „daß seit jener Volksabstimmung des 20. Juni 1926 zwar nicht die Demokratie und der Rechtsstaat, wohl aber die Republik in Deutschland gesichert war. Sie brachte den ‚Tod des monarchischen Gedankens’.“[37]

Ulrich Schüren hebt hervor, der Volksentscheid habe eine bedeutende indirekte Wirkung entfaltet. Trotz seines Scheiterns habe er nach dem 20. Juni 1926 die Kompromissbereitschaft im Konflikt zwischen Preußen und dem Haus Hohenzollern erhöht, sodass zwischen diesen Parteien bereits im Oktober eine vertragliche Einigung zustande kam.[38]

Den Schwerpunkt bei der Bewertung durch nicht-marxistische Historiker nimmt die Frage ein, inwieweit die plebiszitären Auseinandersetzungen den Weimarer Kompromiss zwischen gemäßigter Arbeiterbewegung und gemäßigtem Bürgertum belastet haben. In diesem Zusammenhang rückt die Politik der SPD in den Fokus. Peter Longerich hält fest, dass der relative Erfolg des Volksentscheids sich für die SPD nicht habe umsetzen lassen. Das Plebiszit erschwerte nach seiner Meinung zudem die Zusammenarbeit der SPD mit den bürgerlichen Parteien.[39] Diese Deutungslinie zeichnet Heinrich August Winkler am kräftigsten. Es sei zwar verständlich, dass die SPD-Führung die Plebiszite unterstützt habe, um die Bindung an die sozialdemokratische Basis nicht zu verlieren. Der Preis sei jedoch sehr hoch gewesen. Der SPD sei es nach dem 20. Juli 1926 schwer gefallen, „auf den ihr vertrauten Weg des Klassenkompromisses zurückzukehren.“[40] In konzentrierter Form habe die Auseinandersetzung um die entschädigungslose Fürstenenteignung das Dilemma der SPD in der Weimarer Republik gezeigt. Wenn sie sich den bürgerlichen Parteien gegenüber kompromissbereit zeigte, lief sie Gefahr, Anhänger und Wähler an die KPD zu verlieren. Betonte sie Klassenstandpunkte und fand sie sich zu partiellen Bündnissen mit der KPD bereit, so verprellte sie die gemäßigten bürgerlichen Parteien und tolerierte, dass diese sich am rechten Rand des Parteienspektrums Bündnispartner suchten, die am Fortbestand der Republik kaum Interesse hatten.[41] Die Plebiszite hätten das Vertrauen in die Kraft des Parlamentarismus nicht gestärkt, sondern geschwächt. Sie hätten ferner Erwartungen geweckt, die praktisch kaum zu erfüllen waren. Die sich daraus ergebenden Frustrationen konnten Winklers Ansicht nach auf die repräsentative Demokratie nur destabilisierend wirken.[42]

Hans Mommsen lenkt die Blicke dagegen auf Mentalitäts- und Generationenkonflikte in der Republik. Seiner Meinung nach deckten die Plebiszite von 1926 erhebliche Mentalitätsgegensätze und tiefe Gräben zwischen den Generationen in Deutschland auf. Ein großer Teil, vielleicht sogar die Mehrheit der Deutschen, habe in dieser Frage auf der Seite der Republikbefürworter gestanden, die mit den Plebisziten auch gegen die „rückwärtsgewandte Loyalitätsbindung bürgerlichen Führungsschichten“ protestierten. Mommsen macht außerdem auf die Mobilisierung von antibolschewistischen und antisemitischen Stimmungen durch die Gegner der entschädigungslosen Enteignung aufmerksam. Diese Mobilisierung sei eine Vorwegnahme jener Konstellation gewesen, „in der seit 1931 die Reste des parlamentarischen Systems zerschlagen werden sollten“.[43]

Fußnoten

  1. Verfassung des Deutschen Reiches von 1919, veröffentlicht im Reichsgesetzblatt (PDF-Datei).
  2. Dazu ausführlich Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 32 ff und S. 39 ff.
  3. Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 48 f.
  4. Ob ein solches Gesetz die Verfassung änderte, war unter Juristen umstritten, die Mehrheitsmeinung ging jedoch davon aus. Siehe dazu Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band VII, S. 591. Carl Schmitt war unter den Staatsrechtlern offenbar derjenige, der die These ausformulierte, die geplante Enteignung sei nicht verfassungskonform. Dazu kurz Hans Mommsen: Verspielte Freiheit, S. 248.
  5. Zahlen nach Eberhard Kolb: Weimarer Republik, S. 258.
  6. Zum Kuczynski-Ausschuss siehe Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 70 ff.
  7. Heinrich August Winkler: Schein der Normalität, S. 273 f.
  8. Dazu Ulrich Schüren, Volksentscheid, S. 87 u. S. 100 ff.
  9. Für genaue Zahlen siehe: Das Deutsche Reich, Plebiszite.
  10. Dazu Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 137 ff.
  11. Dazu Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 141 f.
  12. Gerhard Immler: Volksabstimmung "Entschädigungslose Fürstenenteignung", 1926, in: Historisches Lexikon Bayerns
  13. Aus einer offiziellen Mitteilung der DNVP, zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 206.
  14. Zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 208.
  15. Zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 210.
  16. Zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 212.
  17. Aufruf des SPD-Vorstands, erschienen im "Vorwärts", 43. Jahrgang, 19. Mai 1926, zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 200.
  18. "Vorwärts", 43. Jahrgang, 13. Juni 1926, zitiert nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 200.
  19. Veröffentlicht in "Die Rote Fahne", 9. Jahrgang, 29 Mai 1926, zitiert nach nach Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 202.
  20. Zitiert nach Richard Freyh: Stärken und Schwächen, S. 147.
  21. Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 184.
  22. Otmar Jung: Direkte Demokratie, S. 55 f.
  23. Dazu Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 185 f.
  24. Dazu Hans Mommsen: Verspielte Freiheit, S. 250; Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 154 ff.
  25. Für genaue Zahlen siehe: Das Deutsche Reich, Plebiszite.
  26. Dazu Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 229 ff
  27. Dazu Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 234 ff.
  28. Zitat bei Heinrich August Winkler: Schein der Normalität, S. 283 f.
  29. Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 246 f.
  30. Günter Abramowski: Einleitung, S. XXIV.
  31. Heinrich August Winkler: Schein der Normalität, S. 287.
  32. Details dazu im Preußenlexikon von Preussen.de, Artikel Vermögensauseinandersetzung.
  33. Schüren: Volksentscheid, S. 258.
  34. Peter Longerich: Deutschland, S. 240, Günter Abramowski: Einleitung, S. XXIV.
  35. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 122.
  36. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 115.
  37. Otmar Jung: Direkte Demokratie, S. 59.
  38. Ulrich Schüren: Volksentscheid, S. 241 und S. 259.
  39. Peter Longerich: Deutschland, S. 240
  40. Heinrich August Winkler: Weimar, S. 314.
  41. Heinrich August Winker: Schein der Normalität, S. 289.
  42. Heinrich August Winker: Schein der Normalität, S. 288.
  43. Hans Mommsen, Verspielte Freiheit, S. 251.

Quellen und Literatur

Übergreifende Darstellungen

  • Günter Abramowski: Einleitung, in: Akten der Reichskanzlei. Die Kabinette Marx III und IV. 17. Mai 1926 bis 29. Januar 1927, 29. Januar 1927 bis 29. Juni 1928. Bearb. von Günter Abramowski. Bd. 1. Mai 1926 bis Mai 1927. Dokumente Nr. 1 bis 242, Oldenbourg, München 1988, S. XVII-CII. ISBN 3-7646-1861-2
  • Richard Freyh: Stärken und Schwächen der Weimarer Republik, in: Walter Tormin (Hrsg.): Die Weimarer Republik. 22. Aufl., unveränd. Nachdr. d. 13. Aufl. 1977, Fackelträger, Hannover 1977, S. 137-187. ISBN 3-7716-2092-8
  • Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band VII. Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1984. ISBN 3-17-008378-3
  • Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 4. Von 1924 bis Januar 1933. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Dietz Berlin (O) 1966.
  • Otmar Jung: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik: die Fälle „Aufwertung“, „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzerverbot“ und „Youngplan“, Campus, Frankfurt/Main, New York 1989. ISBN 3-593-33985-4
  • Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik, 2., durchges. u. erg. Aufl., Oldenbourg, München 1988. ISBN 3-486-48912-7
  • Peter Longerich: Deutschland 1918–1933: Die Weimarer Republik. Handbuch zur Geschichte, Fakelträger, Hannover 1995. ISBN 3-7716-2208-5
  • Hans Mommsen: Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang. 1918 bis 1933, Propyläen, Berlin 1989. ISBN 3-549-05818-7
  • Heinrich August Winkler: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Der Schein der Normalität. 1924-1930, Dietz, Berlin/Bonn 1985. ISBN 3-8012-0094-9
  • Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, 2., durchges. Aufl., Beck, München 1994. ISBN 3-406-37646-0

Monografien zur Fürstenenteignung

  • Otmar Jung: Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Kovac, Hamburg 1985. ISBN 3-925630-36-8
  • Thomas Kluck: Protestantismus und Protest in der Weimarer Republik. Die Auseinandersetzungen um Fürstenenteignung und Aufwertung im Spiegel des deutschen Protestantismus. Mit einem Vorwort von Günter Brakelmann, Lang, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1996. ISBN 3-631-50023-8
  • Ulrich Schüren: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Die Vermögensauseinandersetzung mit den depossedierten Landesherren als Problem der deutschen Innenpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Preußen, Droste, Düsseldorf 1978. ISBN 3-7700-5097-5.

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