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Mercedes-Benz W 196

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Mercedes W 196 "Monza" mit Stromlinienkarosserie
Cockpit des W 196

Der Mercedes-Benz W196 war ein Formel-1-Rennwagen der Jahre 1954 und 1955. Außer dem typischen Monoposto bzw. Einsitzer mit freistehenden Rädern gab es ihn zunächst als vollverkleidete Stromlinien-Variante. Davon abgeleitet war der zweisitzige Rennsportwagen Mercedes-Benz 300 SLR für die Sportwagenrennen der Saison 1955.

Vorgeschichte

Die Motorsportaktivitäten von Mercedes-Benz nach dem Zweiten Weltkrieg begannen 1951 in Argentinien, nachdem Deutschland zunächst die Teilnahme an internationalen Sportveranstaltungen verwehrt war. Beim Peron-Pokal am 18. Februar 1951 und beim Grand Prix Eva Peron am 25. Februar 1951 startete der W 154 von 1939 und belegte mit Hermann Lang und Juan Manuel Fangio bzw. Karl Kling und Hermann Lang die Plätze zwei und drei hinter Gonzales auf Ferrari. Der W 165, mit dem Hermann Lang das Tripoli-Rennen von 1939 gewann, wurde nicht mehr eingesetzt, obwohl der 1,5-Liter-Kompressor-Motor zum Formel-1-Reglement von 1947 bis 1953 gepasst hätte.

1952 erzielte Mercedes-Benz sensationelle Erfolge mit dem Sportwagen 300 SL. Der Motor basierte jedoch auf einem Serientriebwerk und war keine Grundlage für einen zukünftigen Sportwagenmotor oder für ein Formel-1-Aggregat nach den Regeln, die ab 1954 gelten sollten. Deshalb setzte das Werk 1953 bei Rennen aus und entwickelte den Mercedes-Benz W 196.

Konzept

Motor und Kraftübertragung

Mercedes-Benz W 196 Monoposto

Das Formel-1-Reglement für 1954/55 erlaubte Motoren von höchstens 750 cm³ mit Kompressor oder 2500 cm³ ohne Aufladung. Fritz Nallinger, Vorstandsmitglied für Konstruktion und Entwicklung, sowie Rudolf Uhlenhaut als Leiter des Versuchs gaben dem 2.500-cm³-Saugmotor den Vorzug. Gebaut wurde ein Reihen-8-Zylinder, der in zwei Vierzylinderblöcke geteilt war und die Kraft in der Mitte abgab, um ein übermäßiges Verwinden einer extrem langen Kurbelwelle zu vermeiden. Zur Minimierung von Reibungsverlusten liefen die Kolben in Chrombuchsen und die Wellen waren rollengelagert. Auf Ventilfedern wurde zugunsten einer aufwendigen Desmodromik (Zwangssteuerung) verzichtet, was den Motor drehzahlfester machte.

Neu war die Benzin-Direkteinspritzung des W 196, eine Technik, die vorher fast ausschließlich in Diesel- und in Flugmotoren angewandt wurde. Ingenieur Hans Scherenberg, der bei Daimler-Benz an der Entwicklung des ersten Diesel-Pkws und u. a. an der Konstruktion des Motors für das Kampfflugzeug Messerschmitt Bf 109 beteiligt war, musste nach dem Krieg das Werk verlassen. 1952 kam er zusammen mit einem Team von Spezialisten aus dem Flugmotorenbau zurück. 1948 war Scherenberg bei dem Kleinwagenhersteller Gutbrod als Technischer Direktor eingetreten, wo er gemeinsam mit Karlheinz Göschel und in Zusammenarbeit mit Bosch die Einspritzanlage für den „Gutbrod Superior“ (1951) konstruierte. Göschel, der 1972 Nachfolger von Rudolf Uhlenhaut wurde, entwickelte 1953/54 maßgeblich die Einspritzanlage des W 196.

Der Kraftstoff des W 196 war kein handelsübliches Benzin, sondern ein Spezialgemisch von Esso mit der Bezeichnung RD1. Die bekannten Zutaten waren:

Da dieses Gemisch Tank und Kraftstoff-Leitungen angriff, mussten diese nach jedem Einsatz mit „normalem“ Benzin ausgewaschen werden, um Korrosion zu verhindern. Der Achtzylinder-Reihenmotor entwickelte zunächst rund 260 PS.

Um den Fahrzeugschwerpunkt möglichst niedrig zu halten, war der Motor um 53° nach rechts geneigt und versetzt eingebaut.

Die Kraft wurde über eine Einscheibentrockenkupplung (Durchmesser 240 mm) und eine schräg nach links versetzte Kardanwelle unter dem Fahrersitz hindurch zu dem dahinter platzierten Fünfganggetriebe übertragen. Der zweite bis fünfte Gang waren synchronisiert. Die Abstufung von Schaltgetriebe und Achsantrieb (Sperrdifferential) konnten den jeweiligen Rennstrecken angepasst werden.

Fahrgestell

Das Fahrgestell des W 196 bestand – wie damals üblich – im Wesentlichen aus einem Gitterrohrrahmen, dessen einzelne Rohre einen Durchmesser von 20 und 25 mm hatten (Wandstärke 0,8 und 1,0 mm). In diesem Rahmen befanden sich Motor, Kühler, Schaltgetriebe, Achsantrieb, Bremsen sowie Kraftstofftank (bis zu 220 Liter) und Öltank (40 Liter). Die Vorderräder waren an Doppelquerlenkern aufgehängt; hinten war eine Schwingachse bzw. Eingelenkpendelachse mit tief gelegtem Drehpunkt eingebaut. Um den Drehpunkt an die Längsachse des Fahrzeugs zu verlagern und dadurch die Pendelarme zu verlängern, schwingt bei dieser Konstruktion das Achsgehäuse (Differenzialgetriebe) mit.

Der W 196 hatte vorn und hinten längs liegende Drehstabfedern und hydraulische Teleskopstoßdämpfer sowie einen hydraulischen Lenkungsdämpfer. Zur Verringerung der ungefederten Massen lagen die groß dimensionierten Trommelbremsen (Durchmesser vorn 350 mm, hinten 275 mm) innen, bei verkürztem Radstand (1955) vorn auch außen in den Rädern. Auf den Leichtmetallmänteln der Bremstrommeln waren quer zur Laufrichtung Rippen angebracht, die Kühlluft anziehen und Wärme ableiten sollten.

Karosserie

Zur Senkung des Luftwiderstandes wurde anstatt der üblicherweise freistehenden Räder bei Einsitzern eine Vollverkleidung verwendet, die Typ Monza genannt wurde. Der Typ Nürburgring mit freistehenden Rädern wird erst später nachgereicht. Auch der Radstand wurde mehrmals verändert. Mit einem Trockengewicht von 640 kg bzw. 680 kg in der verkleideten Variante erreicht der W 196 eine Spitzengeschwindigkeit von 280 km/h.

Formel-1-Erfolge

Karl Kling im W 196

Das Debüt des neuen Wagens verzögerte sich bis in den Sommer, und Juan Manuel Fangio bestritt die ersten Rennen des Saison 1954 erfolgreich auf Maserati und sammelt wertvolle WM-Punkte. Bei ersten Probefahrten GP von Frankreich bei Reims schwärmt Fangio von seinem neuen Arbeitsgerät. Alfred Neubauer, der damalige Rennleiter von Mercedes-Benz, sieht das ein wenig anders. Der Motor ist mit knapp 35 Litern je 100 Kilometer durstiger als die Verantwortlichen erwartet haben. Der Tank fasst nur 185 Liter, die Rennen sind allerdings mit 500 km sehr lang. Boxenstopps wie vor dem Krieg mit Nachtanken und Reifenwechsel sind aber nicht vorgesehen. In der Nacht vor dem Rennen bringen die Ingenieure Zusatztanks am Fahrzeug an.

Am 4. Juli 1954, nur neun Jahre nach Kriegsende, tritt der W 196 erstmals bei einem F1-Rennen an, zudem gerade beim GP von Frankreich. Schon in der Startaufstellung wird durch die in der ersten Reihe stehenden glänzenden, flachen und breiten Silberpfeile von Juan Manuel Fangio und Karl Kling deutlich, dass eine neue Ära begonnen hat, denn die Konkurrenten sitzen auf noch relativ schmalen, hochbeinigen älteren Konstruktionen. Nur der dritte W196 von Nachwuchsfahrer Hans Herrmann steht mitten im Feld, da er nur wenig trainieren konnte. Herrmann kann zwar bei der Aufholjagd die schnellste Rundenzeit für sich verbuchen, fällt aber aus. Fangio und Kling eilen auf dem Hochgeschwindigkeitskurs dem Feld davon und erzielen einen sensationellen Doppelsieg. Nur wenige Stunden später erringt in der Schweiz die deutsche Fußballnationalmannschaft einen ebenso sensationellen Triumph und wird Fußball-Weltmeister.

Der W196 gilt zwar seinen Konkurrenten gegenüber als überlegen, hat aber auch Probleme. Beim nächsten Lauf in Silverstone bringt die Verkleidung keine Vorteile, sondern nur Nachteile. Die Kurven können nicht optimal angepeilt werden, Fangio beschädigt gar die Kotflügel beim Herantasten an die Fässer, die als Fahrbahnbegrenzungen dienen, und wird nur Vierter.

Für den Lauf vor heimischen Publikum auf dem kurvenreichen Nürburging bekommen Fangio und Kling eine leichtere Variante mit freistehenden Rädern, während Herrmann weiterhin mit der Vollverkleidung fahren muss. Zum Ärger von Rennleiter Neubauer fährt Kling schneller als geplant, da er aufgrund einer undichten Benzinleitung Zeit für einen Boxenstop herausholen will. Fangio muss kontern und siegt letztendlich. Auch in der Schweiz und in Monza, hier wieder mit der Vollverkleidung, siegt Fangio. Zum Saisonabschluss in Spanien reicht es zwar nur zum dritten Platz, der WM-Titel ist jedoch gesichert.

Auch im Jahr 1955 wird Juan Manuel Fangio wieder F1-Weltmeister, mit Siegen in fast allen Rennen. Beim britischen GP in Aintree kann Stirling Moss einen Sieg für Mercedes erringen, nachdem ihm Fangio beim Heimrennen vermutlich den Vortritt gelassen hat. Das Rennen in Monaco erweist sich jedoch als Pleite, da die W196 ausfielen und Hans Herrmann zudem schwer verunglückte. In der nach der Le-Mans-Katastrophe 1955 verbleibenden F1-Saison wurden zudem einige Läufe abgesagt, unter anderem auch der am Nürburging.

Sportwagen Mercedes-Benz 300 SLR

Mercedes-Benz 300 SLR Coupé
Mercedes-Benz 300 SLR Coupé
Mercedes-Benz 300 SLR

Für die 1955 neu eingeführte Sportwagen-Weltmeisterschaft wurde vom W196 eine Sportwagenvariante abgeleitet, der Mercedes-Benz 300 SLR. Im Gegensatz zum sechszylindrigen Straßenwagen 300 SL mit Flügeltüren war der SLR ein offener Zweisitzer, wobei der Beifahrersitzplatz meist abgedeckt war. Der Achtzylinder-F1-Motor wurde auf drei Liter erweitert. Auch mit normalem Benzin stand so eine Leistung von knapp 300 PS zur Verfügung. Fangio gewann die 1.000 km auf dem Nürburgring und Stirling Moss zusammen mit Beifahrer Denis Jenkinson die Mille Miglia. Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans kam es jedoch am frühen Abend des 11. Juni 1955 zum tragischsten Unfall der Motorsportgeschichte. Der französische Mercedes-Fahrer Pierre Levegh kollidierte mit einem langsameren Fahrzeug und schleuderte in die Zuschauermenge. Neben Pierre Levegh kamen 81 Zuschauer ums Leben. Das Mercedes-Team zog die verbleibenden SLR darauf zurück. Gegen Ende des Jahres 1955 wurde mit einem SLR-Sieg bei der Targa Florio trotzdem die Sportwagen-Weltmeisterschaft gesichert.

1955 wurde vom damaligen Chef-Ingenieur Dr. Rudolf Uhlenhaut auf Basis des W196 ein Coupé entworfen, von dem nur zwei Exemplare gebaut wurden. Dabei setzte Uhlenhaut die Flügeltüren des ein Jahr zuvor vorgestellten Mercedes-Benz W198 ein. Dieses Uhlenhaut-Coupé hatte die zwölffache Leistung eines damals üblichen Volkswagens mit 25 PS und war mit einer Höchstgeschwindigkeit von 290 km/h das schnellste Fahrzeug mit Straßenzulassung überhaupt. Es diente Uhlenhaut als Dienstfahrzeug für die Fahrt zur Arbeit, zum Ärger seiner Nachbarn, die frühmorgens durch ungedämpfte Auspuffgeräusche geweckt wurden. Mercedes plante zunächst, diese Coupé-Version für Langstreckenrennen einzusetzen, wozu es aber nicht mehr kam, da sich die Firma 1955 vom Rennsport zurückzog.

Vom sogenannten Uhlenhaut-Coupé existieren 2 identische Fahrzeuge, die sich nur in der Farbe der Innenausstattung, Rot und Blau, unterscheiden. Die Fahrzeuge sind jeweils für 30 Millionen Euro versichert.

Fazit

Nachdem der W196 mit zwei F1-Fahrerweltmeisterschaften (die F1-Konstrukteursweltmeisterschaft gab es damals noch nicht) und der neuen Sportwagen-Weltmeisterschaft alles gewonnen hatte, was es zu gewinnen gab (außer in Monaco und in Le Mans), zog sich das Werk wie schon vorher geplant vom Rennsport zurück, um sich auf die Serienentwicklung zu konzentrieren.

Der W196 gilt als Meilenstein im Motorsport, die Silberpfeile werden oft als überlegen oder gar unbesiegbar bezeichnet. Es ist allerdings schwer zu beurteilen, welcher Anteil an den Erfolgen davon Fangio zu verdanken war, der in 14 GPs 9 der 10 Siege von Mercedes errang. Ohne oder gar gegen Fangio hätte Mercedes sicherlich deutlich weniger Erfolg gehabt. Zudem gab Lancia nach dem Tod von Alberto Ascari komplett auf und übergab den vielversprechenden D50 an Ferrari.

Die vom Mercedes-Benz Museum öfters bei Demonstrationsfahrten vorgeführten W196 sind allesamt mit dem Dreiliter-Motor des SLR ausgestattet, da dieser mit normalem Benzin betrieben wird und nicht das wartungsintensive und gesundheitsschädliche Gemisch des F1-Motors benötigt.

Literatur

  • Michael Riedner: „Mercedes-Benz W 196 − Der letzte Silberpfeil“, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1986, ISBN 3-613-01157-3
  • Halwart Schrader: „Silberpfeile − Die legendären Rennwagen 1934 bis 1955“, HEEL Verlag, Königswinter 1995, ISBN 3-89365-428-3