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Julius Hallervorden

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Julius Hallervorden (* 21. Oktober 1882; † 29. Mai 1965) war ein deutscher Arzt und Hirnforscher. In der Zeit des Nationalsozialismus arbeitete er am Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung in Berlin-Buch. Nach Kriegsende und Befreiung durch die Alliierten war er am Max-Planck-Institut in Berlin beschäftigt.

Werdegang

Julius Hallervorden studierte Medizin von 1902 bis 1907 an der Universität Königsberg, 1909 promovierte er. Anschließend arbeitete er in einem Krankenhaus und machte 1918 das Kreisarztexamen.[1]

1922[2] beschrieben Hallervorden und der Berliner Neuro-Pathologe Hugo Spatz erstmals eine Krankheit, die ab nun Hallervorden-Spatz-Syndrom (HSS) genannt wurde. Bei der heute auch als NBIA bekannten Krankheit handelt es sich um Zerstörungen im jenem Gehirnbereich, der Körperbewegungen steuert. Charakteristische Symptome sind u.a. fortschreitende Bewegungsstörungen des Patienten. Die Krankheit gilt als nicht heilbar[3].

1929 wurde Hallervorden „Prosektor“ (lat. prosecare,vorschneiden) der Brandenburgischen Landesanstalten. An der Landesanstalt Potsdam war er beschäftigt von 1936 bis 1937. Im Jahr 1938 wurde er Titularprofessor und war bis 1956 wissenschaftliches Mitglied, stellvertretender Direktor und Leiter der Histopathologischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Instituts für Hirnforschung Berlin bzw. Dillenburg, Gießen. Im Jahr 1940 wurde er Provinzialobermedizinalrat und Ehrendoktor von Gießen.[1]

In der Zeit des Nationalsozialismus

Adolf Hitler stellte im Jahr 1939 eine Erlaubnis aus, die Ärzten ab nun freistellte den Gnadentod anwenden zu dürfen. Es kam darauf zu, einer heute geschätzten Zahl von, etwa 185.000[4] ermordeten Psychiatriepatienten. (Zuzüglich der Opfer in polnischen, sowjetischen und französischen Anstalten). Allein in der so genannten Aktion T4 kamen zwischen Januar 1940 und August 1941 etwa 70.000[4] Psychiatriepatienten ums Leben. Mediziner hatten beklagt, dass die Einäscherung der Leichen ein Verlust für die medizinische Forschung sei. Gehirne von getöteten Patienten gelangten daher in verschiedene Labors zu Untersuchungszwecken.

Zwischen 1940 und 1945 wurden am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin etwa 700[4] Gehirne untersucht. Sie stammten von psychisch Kranken und geistig Behinderten. Mindestens in einem[5] Fall entnahm Dr. Hallervorden einem Opfer selbst das Gehirn.

Am 29. April 1940 informierte man Hallervorden und andere Professoren offiziell über die Aktion T4. Das deutsche Ärzteblatt schreibt im Rückblick, dass wahrscheinlich ist, dass Hallervorden durch Dr. Heinze schon früher über das „Euthanasie“-Programm informiert wurde.[4]

Am 15. Mai 1940 erhielt Hallervorden die ersten Gehirne von, im Zuchthaus Brandenburg getöteten, Kindern. Bis in den Herbst hinein gingen diese Lieferungen weiter.[4] Am 28. Oktober 1940 ging der letzte Transport mit 56 Kindern und Jugendlichen aus Görden in die Gaskammer von Brandenburg. Die Gehirne von etwa 40 Kindern aus diesem Transport finden sich in der Sammlung Hallervorden. Heinze und Hallervorden waren an Ort und Stelle an der Sektion dieser Kinder beteiligt.[6]

Nach Herbst 1940 lieferte man an Hallervorden und Spatz Gehirne von „Euthanasie“-Opfern aus verschiedenen Anstalten: aus der Prosektur in Brandenburg-Görden, aus den Tötungsanstalten Bernburg und Sonnenstein, aus der Anstalt Leipzig-Dösen und anderen Anstalten. Mit Beginn der Aktion T4 waren Gehirne von Erwachsenen darunter.

Dr. Spatz stellte im November 1940 einen informellen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses in Höhe von 10.000 RM bei Maximinian de Crinis: für die Untersuchungen des Abteilungsleiters Prof. Julius Hallervorden über die organischen Grundlagen des angeborenen Schwachsinns (aufgrund eines großen Materiales von Fällen von Idiotie)[7]. Der Antrag wurde weitergeleitet an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), es kam zu finanzieller Unterstützung der Prosektur in Brandenburg-Görden durch die DFG.[4]

Etwa im Mai 1941 gab Prof. Hallervorden eine vierwöchige Ausbildung an Ärzte die eine Not-Approbation erhalten hatten. Einer seiner Schüler war der junge Heinrich Bunke, den er lehrte medizinisch interessante Gehirne auszuwählen und zu präparieren.[8]

Am 8. Mai 1944 schloss man die Abteilung Hallervordens wegen der Bombenangriffe auf die Reichshauptstadt. Die Abteilung wurde nach Dillenburg verlegt. Hallervorden gab an bis zu diesem Zeitpunkt „697 Gehirne erhalten“ zu haben, „einschließlich derer, die ich einmal in Brandenburg selbst herausgenommen habe“.[9]

Durch einen Aktenvermerk der Landesanstalt Görden vom Juli 1945 ist belegt, dass Hallervorden noch im Juli 1945 Material aus der Prosektur in Brandenburg-Görden erhielt. Die Rote Armee hatte die Anstalt und das Land längst besetzt.

Ab 1945

Nach Kriegsende 1945 arbeitete Hallervorden als Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut in Berlin, in der neurologischen Forschung. Er starb am 29. Mai 1965 im Alter von 82 Jahren.

Hallervordens Untersuchungsproben, inklusiv der Gehirne wurden, wurden im Hirnforschungsinstitut in Frankfurt verwendet um zu forschen. Erst 1990[5] wurden sie in einem Friedhof in München beigesetzt.

Heute

Zwischen 1939 und 1944 wurden in den Abteilungen von Hallervorden und Spatz 1.179 Gehirne untersucht. Jürgen Peiffer gelangt im Jahr 2000 zu dem Ergebnis, dass 707[10] Gehirne sicher oder wahrscheinlich von „Euthanasie“-Opfern stammten.

Dr. Carola Sachse war ab April 2000 Leiterin des Forschungsprogramms der Max-Planck-Gesellschaft zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Die promovierte Historikerin äußerte sich über die späte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit:

„Manche fürchteten um den Ruf [...] Erst recht gilt dies, wenn die professionellen Verbindungen eines Julius Hallervorden oder eines Hugo Spatz zu den Euthanasie-Morden zur Sprache kamen; beide waren noch bis 1956 und 1960 als Hirnforscher in der Max-Planck-Gesellschaft tätig. Die Überzeugung, daß die Gesellschaft in der internationalen Öffentlichkeit besser dasteht, wenn sie sich vorbehaltlos mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt, statt sie zu verschweigen, setzt sich erst in jüngster Zeit durch.“[11]

Werke

  • Sammlung von Sektionsberichten und zum Teil Krankengeschichten. Fotos und Korrespondenz (1933-1944).[1]

Quellen

  1. a b c Quelle: Max-Plank-Gesellschaft ID: 62278.0, Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Beständeübersicht: III. Abteilung
  2. ZDF Reportage
  3. Verein NBIA-Betroffene und ihre Familien, Seitenaufruf vom Januar 2007
  4. a b c d e f Dt.Ärztebl.2001; 98: A 1240–1245,Heft 19
  5. a b USHMM United State Holocaust Memorial Museum
  6. Jürgen Peiffer: Hirnforschung im Zwielicht: Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus. Julius Hallervorden – H. J. Scherer – Berthold Ostertag. Husum: Matthiesen 1997; 37
  7. Bundesarchiv Berlin, 4991 – alt R 21 – 11065
  8. Vierwöchiger Ausbildungskurs
  9. Aktennotiz Hallervorden, BA Berlin, R 96I/2
  10. Peiffer J: Neuropathologische Forschung an „Euthanasie“-Opfern in zwei Kaiser-Wilhelm-Instituten. In: Kaufmann D, ed.: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. Göttingen: Wallenstein 2000; 667–698.
  11. Ärzte Zeitung, Interview, 07.06.2001

Literatur

  • Hans-Peter Kröner: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege. Lübeck 1998.
  • Carola Sachse: Benoit Massin, Biowissenschaftliche Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten und die Verbrechen des NS-Regimes. Berlin 2000.
  • Faulstich H: Hungersterben in der Psychiatrie 1914– 1949. Mit einer Topographie der NS-Psychiatrie. Freiburg: Lambertus 1998; 582.
  • Jürgen Peiffer: Hirnforschung im Zwielicht. Beispiele verführbarer Wissenschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus. Julius Hallervorden – H. J. Scherer – Berthold Ostertag. Husum: Matthiesen 1997. ISBN 3-7868-4079-2
  • Jürgen Peiffer: Neuropathologische Forschung an „Euthanasie“-Opfern in zwei Kaiser-Wilhelm-Instituten. In: Kaufmann D, ed.: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. Göttingen: Wallenstein 2000; 667–698.
  • Weiterführende Literatur, Institut für Geschichte der Medizin, Charité-Universitätsmedizin Berlin.