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Schuld (Ethik)

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Der Begriff Schuld bezeichnet einen abstrakten Zustand, in dem sich ein Individuum, eine Gruppe von Individuen (Kollektivschuld) oder eine Institution befinden kann. In den meisten Kulturen der Welt findet sich ein Konzept der Schuld.

Das Konzept Schuld ist Thema der Philosophie, besonders der Ethik, sowie der Kulturwissenschaften, der Rechtswissenschaften und der Psychoanalyse.

Ethik

Der Zustand der Schuld entsteht, wenn ein Individuum (bzw. eine Gruppe oder Institution) als verantwortlich für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung gelten kann. Beispielsweise kann dies ein bewusster Verstoß gegen ein Verbot sein (z. B. Diebstahl) oder auch der fahrlässige Verstoß gegen ein Verbot (z. B. Fahrlässige Tötung).

Als Voraussetzung für die Schuld wird meistens angenommen, dass der Schuldige die Option hatte, die als schlecht definierte Tat nicht auszuüben. In der Philosophie wird die Schuldfähigkeit deshalb oft auf die Willensfreiheit zurückgeführt.

Oftmals ist es schwierig zu entscheiden, wer an einer Tat schuld ist. So ist in Betracht zu ziehen, inwiefern bei der Ausübung der Tat ein Wissen um den Übertritt eines Verbotes existierte, und ob und inwiefern beim Täter ein Schuldbewusstsein vorhanden ist.

Allgemein existiert die Vorstellung, dass ein Ausgleich der Schuld erreicht werden könne, indem der Schuldige Buße tut, Wiedergutmachung leistet, die Untat des Schuldigen gerächt wird oder dem Schuldigen die Schuld vergeben wird.

Hat ein Mensch keine Schuld an einem Vergehen, so ist dieser unschuldig.

Ein Dankbarkeitsverhältnis lässt sich ebenfalls als eine Störung der Gerechtigkeit auffassen, allerdings hervorgerufen durch das Ausüben einer guten Tat. Dann steht der Begünstigte dieser Tat in einem Schuldverhältnis zum Ausüber - man sagt, man stehe in jemandes Schuld.

Schuld und Unschuld werden manchmal auch als Bezeichnungen für fundamentale moralische Verdorbenheit bzw. Vollkommenheit verwendet. Im katholischen Christentum spricht man beispielsweise von der Erbsünde.

Schuld kann unter psychologischen Gesichtspunkten als unbewusstes Inszenierung-Symptom zur Erzeugung oder Aufrechterhaltung von Grenzen beschrieben werden. Pathologisch kann es sich unter anderem als Schuld-"Waffe", in der Tabuisierung, der Verantwortungsablehnung, dem Missbrauch der internalisierten Schuldgefühle (Scham) anderer äußern.

Schuldgefühle können verdrängt, also demjenigen selbst nicht bewusst sein, wenn sie beispielsweise an ein Trauma erinnern (Mord aus Affekt). Eine andere Möglichkeit der Verdrängung ist die Rationalisierung, also Argumente dafür zu finden, weshalb man sich nicht schuldig gemacht hat, was aber die damit abgespaltenen Schuldgefühle nicht wirklich unterdrückt. Sie agieren sich an anderer Stelle unbewusst aus.

Schuld im Christentum

Schuld, definiert als Zustand der Sünde, entsteht in der christlichen Moral durch das Übertreten der Gebote Gottes. Für Christen sind die Gebote Leitfaden zum Leben.

Schuld kann jedoch auch übertragen werden und jeder kann sie sich aufladen bzw. mit Schuld beladen werden.

Nach biblischer Lehre ist Jesus Christus der Erlöser der Menschheit, der die Schuld jedes Einzelnen stellvertretend auf sich genommen hat. Menschen, die Erlösung von Schuld erlangen wollen, können nach Lehre der Evangelien Jesus in einem Gebet um Vergebung bitten.

Zum religiösen "Schuld"-Begriff siehe Sünde.

Kulturwissenschaft

Schuldidentitäten können kulturell und sozial höchst divergieren, verschieden ausgeprägt und legitimiert sein. Im Kontakt unterschiedlich schuldsozialisierter Menschen kann dies bei Unkenntnis von Soll-, Muss-, oder Kannvorschriften zu erheblichen Konflikten führen. Die linke Hand kommt bei uns zum Gruß vom Herzen, ist positiv konnotiert. In anderen Ländern, ist es die "schmutzige" Hand, wer sie gibt, übt eine Beleidigung aus. Im diplomatischen Dienst oder bei geschäftlichen/privaten Auslandskontakten nützt es, die divergierenden Schuld-Fallen zu kennen.

Wer als Soldat im Krieg straffrei tötet, wird in Friedenszeiten für die gleiche Handlung schuldig gesprochen, was auf eine temporäre oder situative Schuldbewertung verweist. Schuld kann als ein Konstrukt beschrieben werden, also eine Vereinbarung auf Inhalt, Zeit und Raum von Menschen und deren Institutionen. Regelverletzungen sind in diesem Sinne kommunikative Indikatoren, die auf neue Regelabsprachen zielen und damit neue Schuldnormen einfordern.

Im Völkerrecht kann man augenblicklich erleben, dass bei der Terrorismusbekämpfung die bisherigen Staatsvereinbarungen nicht mehr greifen, weil die Terroristen (mehr oder weniger – nachweisbar) staatenlos operieren, um ihre Ziele zu erreichen. Was wiederum einige vom Terrorismus betroffene Staaten und deren Regierungen in der (symbiotischen?) “Gegenübertragung“ zu legitimieren scheint, der Gerichtsbarkeit mittels Schuld und Sühne und damit auch den Terroristen die Verfassungsgrundlage des Bürgers und des Staates zu entziehen. Damit entsteht ein (scheinbar) rechtsfreier Raum, wenn auf einer anderen Ebene dieser Staat Institutionen einer Weltgerichtsbarkeit die Legitimation der Rechtsprechung verweigert. Hier stellt sich die Frage nach einer neuen (anderen?, weiteren?) Schuld.

Kompliziert wird es, wenn in diesem Sinne die Definition nach dem "Terroristen" eingefordert wird. In manchen Staaten regieren ehemalige "Freiheitskämpfer", die von den vorherigen Machthabern als "Terroristen" beschuldigt wurden. Diese wurden zu "Freiheitskämpfer" weil die Machthaber in ihren Augen die Macht missbrauchten, sich also schuldig machten.

Siehe auch L. Wurmser psychodynamische Erklärungen, Seite 51ff, über gegenseitige Schuldzuweisungen von Staaten als Legitimation von (möglichen) Krieghandlungen, um durch diese Taktik inner- oder außerstaatliche Interessen durchzusetzten. Augenblicklich zwischen der Volksrepublik China und Japan zu verfolgen.

Scham und Schuld als Grundlage von Kulturen

Das Grundprinzip ist folgendes:

  • In der Schamkultur gilt die öffentliche Wertschätzung als höchstes Gut
  • In der Schuldkultur gilt die Sorge des Menschen der Sühnung seiner Schuld
  • Dieses Thema wird in der Elenktik betrachtet.

Schuld- und Schamorientierung nach Klaus W. Müller

schuldorientiert schamorientiert
Ausgangspunkt der Prägung
Kleine Zahl von prägenden Personen, genau definiert: Eltern (Basisfamilie) Große Zahl von prägenden Personen (Großfamilie), ungenau definiert: Eltern, Verwandte, Fremde, Geistwesen
Strukturbildung der Verhaltensmaßstäbe
Verhaltensmaßstäbe werden von den prägenden Personen übernommen, das Gewissen bildet sich heraus Verhaltensmaßstäbe werden von den prägenden Personen übernommen, das Gewissen bildet sich heraus
Manifestierung der Normenvorstellungen
In sich selbst, das eigene Gewissen ist (intrinsische) Normüberwachung Andere Personen oder Geister/Götter sind Autoritäten zur (Fremd-) Überwachung der Normen
Reaktion bei geplanter Normverletzung
Signal des Gewissens, dass die geplante Tat eine Normverletzung darstellen wird, worauf ein Abwehrmechanismus aktiviert wird Signal des Gewissens, dass die geplante Tat eine Normverletzung darstellen wird, worauf ein Abwehrmechanismus aktiviert wird
Reaktion bei tatsächlicher Normverletzung
Störung des inneren Gleichgewichtes von innen heraus, es wird sofort ein Schuldgefühl erlebt, das zugleich als Bestrafung empfunden wird. Im Bewusstsein dessen wird ein Entlastungsmechanismus gestartet. Störung des inneren Gleichgewichtes von außen im Falle, dass die Tat anderen (als nicht normativ richtig) bewusst wird, es wird sofort nach Bewusstwerden dieses externen Bewusstwerdens der Normverletzung ein Schamgefühl erlebt, das als Bestrafung empfunden wird. Das wiederum aktiviert einen Abwehrmechanismus, der sich hauptsächlich gegen die externe Wertung richtet, worauf ein Entlastungsmechanismus folgt.
Ergebnis der Schuld- und Schamerlebnisse
Ein funktionsfähiges Gewissen (Superego) führt zum inneren Gleichgewicht zurück. Ein funktionsfähiges Gewissen (Superego) führt zum inneren Gleichgewicht zurück.

Schuld in der Rechtswissenschaft

In der Rechtswissenschaft werden der Begriff "Schuld" und seine Abwandlungen in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen verwandt.

Strafrecht

Strafrechtlich ist Schuld die Voraussetzung für Strafe, siehe Schuld (Justiz). In diesem Sinne ist sie "Vorwerfbarkeit", also der Vorwurf an den Täter, er hätte normgerecht handeln können. Schuldunfähig sind kraft Gesetzes Kinder unter 14 Jahren; auch bestimmte Erkrankungen oder Rauschzustände können dazu führen, dass der Täter den Normenverstoß nicht mehr erkennen kann oder er nicht fähig war, sich den Normen gemäß zu verhalten. Das Schuldprinzip ist im Grundgesetz verankert (Menschenwürde): nulla poena sine culpa - keine Strafe ohne Schuld.

In der neuesten Hirnforschung haben wiederholte Versuche gezeigt, dass die Frage "Wer entscheidet über eine Handlung" nach medizinischen Gesichtspunkten nicht eindeutig beantwortet werden kann. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das Gehirn uns das "Bewusste" einer Handlung (z.B. das Heben einer Hand) nur vorgaukelt. Die "Entscheidung" für die Handlung ist nach diesen Untersuchungen aber "früher" und unbewusst gefallen. Sind diese Untersuchungen verifizierbar, wäre der juristische Schuldbegriff in seiner subjektiven Vorwerfbarkeit nicht mehr haltbar.

Zivilrecht

Im Zivilrecht wird der Schuldbegriff unterschiedlich verwendet:

Siehe auch

Im wirtschaftlichen Kontext spricht man meistens von Schulden.

  • in einem privatrechtlichen Verhältnis zwischen zwei Personen (die auch juristische Personen sein können) die Tatsache, auf Grund derer die Person des Schuldners der Person des Gläubigers eine Leistung zu erbringen hat.
    • Aus der Sicht des Gläubigers wird die Schuld auch Forderung genannt.
    • Ein Schuldtitel ist eine rechtskräftig festgestellte Schuld.

Literatur

  • T. P. Schirrmacher: Scham- und Schuldkultur in: Professorenforum – Journal 2002, Vol. 3, No. 3
  • Léon Wurmser; M.D.; P.A.: Die Maske der Scham; Springer Verlag; Berlin Heidelberg New York; 1998; ISBN 3-540-63324-3; 3. Auflage
  • Wolfgang Trauth, Dr.; Zentrale psychische Organisations- und Regulationsprinzipien und das psychoanalytische Verständnis von Abwehr und Regulation; Psychologische Grundlagenforschung; Zeitschrift für Psychoanalytische Psychotherapie; Sonder-Heft 1; 1997; Psychoanalytischer Verlag München; ISBN 3931672-00-X; 408 Seiten
  • Rita Stiens; Krankheit als Waffe; Wie man sich gegen emotionale Erpressung wehrt; Econ & List Taschenbuchverlag; München; 1999; ISBN 3-612-26574-1, 240 Seiten
  • Anita Eckstaedt; Nationalsozialismus in der "zweiten Generation"; Psychoanalyse von Hörigkeitsverhältnissen; Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 1996; 2. Auflage; ISBN 3-518-28626-9
  • Tillmann Moser; Literaturkritik als Hexenjagt; Ulla Berkéwicz und ihr Roman "Engel sind schwarz und weiß"; eine Streitschrift; Serie Piper; München; Originalausgabe April 1994; ISBN 3-492-11918-2
  • Tillmann Moser; Vorsicht Berührung; Über Sexualisierung, Spaltung, NS-Erbe und Stasi-Angst, Suhrkamp Taschenbuch Verlag; Frankfurt am Main; 1992; ISBN 3-518-38644-1
  • Regine Lockot; Erinnern und Durcharbeiten; Zur Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie im Nationalsozialismus; Fischer Taschenbuch; Frankfurt am Main; 1985; ISBN 3-596-23852-8
  • Michel Foucault; Wahnsinn und Gesellschaft; Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; Frankfurt am Main; 1973; ISBN 3-518-27639-5
  • Michel Foucault; Überwachen und Strafen; Die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp Taschenbuch; Frankfurt am Main, 1994; ISBN 3-518-38771-5
  • Michel Foucault, Der Wille zum Wissen; Sexualität und Wahrheit 1; Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; Frankfurt am Main; 1983; ISBN 3-518-28316-2, 190 Seiten
  • Irvin D. Yalom; Und Nietzsche weinte; Roman; btb Taschenbuch, Verlagsgruppe Bertelsmann, Gütersloh; 1996; 9. Auflage; ISBN 3-442-72011-7; 447 Seiten
  • Peter Roos; Hitler lieben; Roman einer Krankheit; Reclam Leipzig; 2000; ISBN 3-379-01713-2; 378 Seiten
  • Bernhard Schlink, "der Vorleser"; Roman; Diogenes; 1995; ISBN-13: 978-3-257-22953-0


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