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Konstruktivismus (Philosophie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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In der Philosophie des 20. Jahrhunderts gibt es mehrere unabhängig von einander entstandene, in ihren Auffassungen völlig verschiedene erkenntnistheoretische Strömungen, die auf Grund des gemeinsamen Namensbestandteils Konstruktivismus oft irrtümlich für ähnlich oder gar übereinstimmend gehalten werden. Während zum Beispiel der Radikale Konstruktivismus generell die menschliche Fähigkeit, objektive Realität zu erkennen, bestreitet, und dies u.a. damit ausdrückt bzw. erklärt, dass jeder einzelne sich seine wahrnehmungsbasierte subjektive Realität im eigenen Kopf "konstruiert" (d.h. sich auf Grund seiner Wahrnehmungen vorstellt), glaubt – ganz im Gegensatz dazu – etwa der sogenannte "Erlanger Konstruktivismus" daran, dass es mit Hilfe einer besonderen Sprach- und Wissenschaftsmethodik möglich sei, das "naive Vorfinden der Welt" zu überwinden und durch "methodische Erkenntnis- und Wissenschafts-Konstruktion" zu ersetzen.

Radikaler Konstruktivismus

Hauptartikel: Radikale Konstruktivismus

Erlanger Konstruktivismus

Vertreter: Wilhelm Kamlah & Paul Lorenzen, Christian Thiel u.a.
Der Erlanger Konstruktivismus umfasst die Projekte einer von Missverständnissen freien Wissenschaftssprache, dialogische Logik, konstruktive Mathematik, Protophysik und eine darauf aufbauende Theorie von Gesellschaft und Technik. Kern des Erlanger Konstruktivismus ist die zirkelfreie und nachvollziehbare Konstruktion von Begriffen. Folgende Schulen haben sich aus dem Erlanger Konstruktivismus entwickelt:

Interaktionistischer Konstruktivismus

Vertreter: Kersten Reich, Stefan Neubert u.a. Interaktionistischer Konstruktivismus ist dem Erlanger Konstruktivismus ähnlicher als dem radikalen Konstruktivismus. Allerdings versteht er die kulturalistische Wende des Konstruktivismus nicht überwiegend sprach-, sondern lebensweltbezogen und knüpft in den Grundannahmen insbesondere an Poststrukturalismus, Cultural Studies, Dekonstruktivismus und Pragmatismus an.

Vergleich

Obwohl sie den gleichen Namen teilen, sind die Motive der Hauptformen des Konstruktivismus verschiedenartig. Der Radikale Konstruktivismus versteht sich in erster Linie als Kritik des naiven Realismus. Er setzt jenem einen Relativismus entgegen, der Objektivität zur Unmöglichkeit erklärt. Tendenzen zum Solipsismus sind vorhanden, dennoch grenzt sich der Radikale Konstruktivismus von diesem klar ab. Vor allem subjektive Beobachterpositionen erscheinen im radikalen Konstruktivismus als wesentlich.

Der Erlanger Konstruktivismus wiederum macht sich die nachvollziehbare Konstruktion von Begriffen zum Programm und ist bestrebt, der Wissenschaft jegliche sprachlichen Missverständnisse auszutreiben. Der schwerpunktmäßig hirnbiologisch interessierte Radikale Konstruktivismus betont die Kritik am naiven Realismus, wohingegen der Erlanger Konstruktivismus ein Wissenschaftsprogramm ist.

Der Interaktionistische Konstruktivismus bezieht Handlungen in lebensweltlichen, sozialen und kulturellen Kontexten ein. Dabei versucht er, die subjektiven Beobachterpositionen vor dem Hintergrund kultureller Teilnahme- und Akteursrollen zu reflektieren. Neben der theoretischen Begründung legt der Ansatz vor allem Wert auf pädagogische Anwendungen.

Siehe auch

Literatur zur Abgrenzung

  • Schmidt, Siegfried J. (1987): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main.
  • Schmidt, Siegfried J. (1992): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt am Main.
  • Peschl, M. F. (ed.) (1991) Formen des Konstruktivismus in der Diskussion. Wien: WUV–Universitätsverlag.
  • Reich, K.: Benötigen wir einen neuen konstruktivistischen Denkansatz? Fragen aus der Sicht des interaktionistischen Konstruktivismus. In: Fischer, H.-R., Schmidt, S.J. (Hg.): Wirklichkeit und Welterzeugung. (Auer) 2000
  • Reich, K.: Konstruktivistische Ansätze in den Sozial- und Kulturwissenschaften. In: Hug, T. (Hg.): Wie kommt die Wissenschaft zu ihrem Wissen?, Bd. 4. Baltmannsweiler (Schneider) 2001