Heiligsprechung
Eine Heiligsprechung (Kanonisation, auch Kanonisierung; von griechisch kanõn, »Richtschnur«) ist in der römisch-katholischen Kirche ein kirchenrechtliches Verfahren, durch das, nach entsprechender Prüfung, der Papst einen Menschen heilig sprechen kann. Dabei spielen Martyrium, Wunder und andere Kriterien eine Rolle.
Eine Heilig- oder Seligsprechung bedeutet nicht, dass eine Person »in den Himmel versetzt« wird, sondern hat liturgische Bedeutung. Die Kirche bekundet damit ihr Vertrauen, dass der betreffende Mensch die Vollendung bei Gott bereits erreicht hat, so dass nicht mehr für ihn, sondern mit ihm und um seine Fürsprache bei Gott gebetet werden kann. Heilig im ursprünglichen Sinne ist nach Paulus jeder Getaufte -- nicht aufgrund moralischer Perfektion, sondern aufgrund der Hineinnahme in das Gottesverhältnis Jesu.
Geschichte des Verfahrens
Ursprünglich war es üblich, am Grab jedes Verstorbenen die Eucharistie zu feiern (vgl. den Bericht des heiligen Augustinus aus dem 5. Jahrhundert über die Bestattung seiner Mutter in den Confessiones). In den Verfolgungszeiten konnte dies am jeweiligen Jahrestag des Todes ungestört wiederholt werden, da Totenmähler an den Gräbern allgemein üblich waren und nicht auffielen. Man musste nur den Todestag eines bestimmten Märtyrers wissen, um sicher zu sein, an diesem Tag andere Christen am Grab anzutreffen. Der Brauch, an den Gräbern der Märtyrer die Eucharistie zu feiern, war schließlich so allgemein eingebürgert, dass man in den Wirren der Völkerwanderungszeit die Gebeine aus den Gräbern vor den Städten in die Kirchen der Innenstädte holte. Schließlich kam die Frage auf, ob auch andere besonders verehrte Gläubige unter dem Altar einer Kirche beigesetzt werden dürften, z. B. der heilige Martin, der nicht als Märtyrer gestorben war. Da die Kirche dies bejahte, mussten Kriterien gefunden werden, die schließlich zur heutigen Form der Heiligsprechung führten, die letztlich nichts anderes bedeutet als die liturgische Verehrung der Reliquien und die liturgische Anrufung zu gestatten. Dies hatte auch eine Änderung des römischen Rechts - nach welchem die sterblichen Überreste von Toten nicht ausgegraben werden durften - zur Folge.
Als erster durch eine Kanonisierung bestätigter Heiliger gilt in vielen Darstellungen Ulrich von Augsburg. Dessen Heiligsprechung soll am 3. Februar 993 von Papst Johannes XV. verkündet worden sein. Die Kanonisationsurkunde ist aber nur in späteren Abschriften überliefert, deren Glaubwürdigkeit von Historikern heute bezweifelt wird. (Vgl. hierzu Bernhard Schimmelpfennig, Papsttum und Heilige, Neuried 2005, S. 418-422)
Gerade in der Übergangszeit zwischen der diözesanen Erhebung, in der ein regionaler Bischof eine Person heilig sprach (bis etwa 1000 n. Chr.), und der bis heute üblichen päpstlichen Erhebung (Kanonisierung, ab etwa 900), in der nur der päpstliche Stuhl dazu berechtigt war, gab es erhebliche Differenzen über die Zuständigkeit. Die von Papst Innozenz IV und seinen Vorgängern vorangetriebene Heiligsprechung der Hildegard von Bingen wurde immer wieder durch den Mainzer Bischof verschleppt, der die Zuständigkeit der Kanonisierung gerne bei sich behalten hätte. Hildegard wurde vom Papst dadurch erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts ohne offizielle Kanonisierung in das Martyrologium (Verzeichnis der Heiligen) aufgenommen.
Das Verfahren heute
Die Vorstufe zur Heiligsprechung ist die Seligsprechung eines "Dieners Gottes" (lat. servus dei). Der Verlauf eines Verfahrens ist bei der Selig- und Heiligsprechung weitgehend gleich.
Ausgangspunkt einer Heiligsprechung ist der Antrag einer Diözese oder Ordensgemeinschaft. Der Actor (lat. für den Antragsteller) holt beim Apostolischen Stuhl eine Unbedenklichkeitserklärung (lat. nihil obstat) ein. Steht der Aufnahme eines Verfahren nichts entgegen, beauftragt der Actor einen Postulator (lat. für "Forderer"), der biographische Informationen, Schriften der Person sowie schriftliche und mündliche Zeugnisse von Zeitgenossen sammelt. Das Resultat (lat. Transumptum) wird seit 1969 bei der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse eingereicht. Diese prüft die Unterlagen und stellt fest, ob die Person bedeutend genug für eine Heiligsprechung ist. Falls es sich um eine historisch bedeutsame Person handelt, werden zusätzlich Historiker konsultiert. Falls die Person kein Märtyrer war, muss zusätzlich ein Wunder vorliegen, meist ein Heilungswunder, welches von Medizinern geprüft wird. In einer letzten Instanz muss zusätzlich ein Promotor Justitiae (Förderer der Gerechtigkeit; vor 1983: Advocatus diaboli also Anwalt des Teufels) die zusammengetragenen Belege und Argumente für die Heiligsprechung anfechten bzw. eigene Argumente gegen die Kanonisation einbringen. Die Fürsprecher (früher: Advocatus Dei) müssen ihn widerlegen. Wenn mindestens zwei Drittel der versammelten Theologen für die Heiligsprechung stimmen, liegt die letzte Entscheidung beim Papst. Sind alle Bedingungen erfüllt, steht der Heiligsprechung, dem Kanonisationsakt, durch den Papst im Rahmen einer liturgischen Feier nichts mehr im Wege. Wichtigster offizieller Schritt hierbei ist der Eintrag in das Martyrologium, das "Verzeichnis der Heiligen". Dieses Verzeichnis wird seit Jahrhunderten weitergeführt und listet alle offiziell Heiliggesprochenen auf. Hierbei spielt es keine Rolle, wie der Kanonisationsakt durchgeführt wurde. Entscheidend ist die Auflistung im Martyrologium. Der Heiligsprechung geht in der Regel die Seligsprechung voraus. Seit Benedikt XVI. wird die Seligsprechung wieder, wie vor 1975 üblich, durch den Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse durchgeführt. Die Heiligsprechung obliegt jedoch auch weiterhin allein dem Papst.
Während des Pontifikats von Johannes Paul II. wurden 482 Personen heilig gesprochen. (Quelle: Homepage des Vatikan)
Die Kosten für das Verfahren müssen durch die Antragsteller (Diözesen, Orden oder eigens dafür eingerichtete Spendenfonds) aufgebracht werden. Schätzungen zufolge muss hierfür ein Betrag von mindestens 50.000 Euro angesetzt werden, welcher sich aus Gebühren und Taxen bei der Kongregation, Honorare für (z.B. medizinische) Gutachter, Bezahlung des Postulators, Kostenersatz für Zeugen, Erstellung der Dokumentation, Übersetzungsarbeiten, Druckkosten, Dekoration während der Feierlichkeiten etc. ergibt. Im Jahr 1997 wurden etwa 1500 Selig- und Heiligsprechungsverfahren bearbeitet, wobei pro Verfahren etwa 250.000 Euro an Kosten angefallen sind. Diese Einnahmen stellen auch eine wichtige Finanzierungsquelle des Vatikan dar.
Heiligsprechungen in der Orthodoxie
Die orthodoxen Kirchen kennen kein einheitliches Verfahren der Heiligsprechung. Dies wird von Teilkirche zu Teilkirche unterschiedlich gehandhabt. Teilweise bildet sich die Verehrung durch das Volk spontan heraus, ohne jemals offiziell anerkannt worden zu sein. Jüngster Heiliger ist Nektarios von der Pentapolis.
Siehe auch
- Heilige, Liste der Seligen und Heiligen, Heiligenkalender, Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet
Weblinks
- Liste der aktuellen Verfahren
- weitere Verfahrensinformationen
- Überblick über das Selig- und Heiligsprechungsverfahren der katholischen Kirche
- Beatification and Canonization (englisch) detaillierte Verfahrensbeschreibung
- Heiligsprechungen während des Pontifikats Papst Johannes Paul II. (teilweise mit Foto und Biographie der/des jeweils Heiliggesprochenen)
- Heiligsprechungen während des Pontifikats Papst Johannes Paul II. (allerdings nur bis 2002) (in Tabellenform)
- Statistik der Heiliggesprochenen beginnend ab dem Pontifikat von Papst Clemens VIII (etwa im ersten Drittel der Seite zu finden)
- Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse