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Demokratischer Sozialismus

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Der Demokratische Sozialismus ist eine politische Zielvorstellung, die unterschiedliche Gruppen, Parteien und Staaten in Anspruch genommen haben. Sie wurde seit der russischen Oktoberrevolution 1917 formuliert, um die Sozialdemokratie der von Lenin vertretenen Auffassung einer Diktatur des Proletariats gegenüberzustellen. Seit 1945 wird der Begriff besonders außerhalb Deutschlands oft als Alternative sowohl zu Kapitalismus als auch Kommunismus aufgefasst.

Geschichte in Deutschland

In den Programmen der Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg wurden Demokratie (gleiches Wahlrecht aller Bürger, also Abschaffung von Monarchie und Klassenwahlrecht) und Sozialismus (volle Teilhabe der Arbeiter am Wirtschaftsprozess, also Überwindung von Klassenherrschaft) nicht unterschieden, sondern als zwei untrennbare Aspekte der angestrebten gerechten und freien Zukunftsgesellschaft aufgefasst. Erst seitdem die SPD mit ihrer Burgfriedenspolitik ein Kriegsbündnis mit der Monarchie einging, wurde ein demokratischer von einem undemokratischen Sozialismus unterschieden.

USPD

Die Unterscheidung entstand im Umfeld der im April 1917 gegründeten USPD, die im Gegensatz zur Mehrheits-SPD eine sofortige Beendung des Krieges durch eine Sozialrevolution anstrebte. Deren Mitglieder begrüßten die russische Oktoberrevolution desselben Jahres anfangs meist als Impuls für eine umfassende Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft in Deutschland, teilweise im Sinne einer Räterepublik. Der Demokratische Sozialismus wurde dort nicht unbedingt als Alternative zum Marxismus, sondern als weitgehend identisch mit den Vorkriegszielen der SPD und der 2. Internationalen verstanden.

Leninkritik Rosa Luxemburgs

Eine weitere Abgrenzung erfolgte kurz nach der Oktoberrevolution von seiten der Mitgründerin und Wortführerin des Spartakusbundes, Rosa Luxemburg. Ihre 1917 im Gefängnis verfasste Schrift Die Revolution in Russland formulierte die früheste und bislang schärfste Kritik an Lenins Tendenz zur innerparteilichen Diktatur. Darin stand ihr berühmter, oft als Inbegriff des Demokratischen Sozialismus zitierter Satz: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Breiteste demokratische Partizipation und Bewusstseinsbildung der arbeitenden Bevölkerung war für die Autorin die einzige Garantie für einen erfolgreichen Aufbau des Sozialismus, sowohl in Russland wie überhaupt in Europa und der Welt.

Entsprechend hieß es im von ihr maßgeblich verfassten Parteiprogramm der neu gegründeten KPD am 1. Januar 1919: Kommunisten würden niemals gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerungsmehrheit an die Macht drängen, sondern den Sozialismus nur als Ergebnis dieses erklärten und dauerhaft gelebten Volkswillens erreichen können.

Rosa Luxemburgs Kritik an Lenin wurde jedoch erst nach ihrem Tod von ihrem Freund Paul Levi veröffentlicht. Anlass dazu war für ihn zum einen der Beitritt der KPD zur Dritten Internationale, die von einem Führungsanspruch der Bolschewiki unter Lenin, später Stalin bestimmt war, zum anderen der Versuch, die KPD im Kontext des Ruhraufstands und Hamburger Aufstands 1923 zur Abkehr von ihrer Vorstellung, durch Putsch zur Macht gelangen zu können, und zur Teilnahme an parlamentarischen Wahlen zu bewegen sowie ihre Positionierung gegen die SPD-Linke in Frage zu stellen.

"Dritter Weg"

Im Zuge der Auflösung der USPD nach 1922 und weiterer Abspaltungen von der SPD wie der 1931 gegründeten SAP gewann der Begriff dann den Sinn einer Art „dritten Weges" zwischen den erstarrten Alternativen von Stalinismus auf der einen, Reformismus auf der anderen Seite, obwohl dieser Begriff erst viel später geprägt wurde.

Godesberger Programm

Die neu formierte SPD unter Kurt Schumacher übernahm den Begriff nach 1945 als Alternative zur SED. Er stand nun für die Bewahrung der besten sozialdemokratischen Tradition und war Synonym für „soziale Demokratie“. Mit der Verabschiedung des Godesberger Programms von 1959 trat ein weiterer Bedeutungswandel ein: Nun stand der Begriff für die endgültige Abkehr vom Marxismus und Neuausrichtung auf eine Volkspartei, die Regierungsfähigkeit und bürgerliche Wählerschichten durch Anerkennung der Marktwirtschaft und Westbindung gewinnen wollte. Zugleich wurde die Parteilinke mit Hilfe dieses Leitbilds eingebunden.

Willy Brandt verstand den Demokratischen Sozialismus als internationales Parteiziel aller Sozialdemokraten und versuchte als langjähriger Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, Friedens- und Entspannungspolitik mit Bemühungen um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung zu vereinen. Auch im maßgeblich von Oskar Lafontaine verfassten, nach wie vor offiziell gültigen Berliner Programm von 1989 bekennt sich die SPD weiter zum Demokratischen Sozialismus. Ausgehend von ihrer geschichtlichen Erfahrung soll dieser weiterhin das Fundament ihrer Politik für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bilden. Diese Grundsätze leitet die SPD aus dieser sozialistischen Vergangenheit ab und versteht sie zugleich als Grundwerte ihres Demokratischen Sozialismus.

Linksabspaltungen in Westdeutschland

1982 traten im Zuge der damaligen Friedensbewegung und ihrer Opposition gegen die von Bundeskanzler Helmut Schmidt getragene Befürwortung des NATO-Doppelbeschlusses einige Bundestagsabgeordnete aus der SPD aus: darunter Karl Heinz Hansen. Sie gründeten die Partei Demokratische Sozialisten, die als erste deutsche Partei ausdrücklich diesen Namen führte.

Auch die 2005 gegründete WASG beruft sich auf Traditionen des DemokratischenSozialismus, wo dieser Begriff - vor allem aufgrund seiner vorherigen Prägung durch die PDS - allerdings heftig umstritten ist.

Demokratisierung der SED in Ostdeutschland

Im Zuge der Wende von 1989 verlor die seit 1949 alleinherrschende SED ihre Macht. Daraufhin tauschte sie ihr Führungspersonal aus, verabschiedete den Marxismus-Leninismus aus ihrem Programm und benannte sich um in "Partei des Demokratischen Sozialismus".

Damit beanspruchte die PDS jene Traditionen aus der Geschichte der Sozialdemokratie für sich, die ursprünglich gegen die Kriegsbejahung der Mehrheits-SPD, dann gegen den "demokratischen Zentralismus" Lenins und Stalins gerichtet waren. Der neue Parteiname sollte die Abkehr von diktatorischen und totalitären Traditionen des Leninismus und Stalinismus verdeutlichen.

Ihr erstes Programm betonte eine Gesellschaft, deren Entwicklung Frieden, Gewaltfreiheit und soziale Gerechtigkeit hervorbringen, die Ausbeutung des Menschen abschaffen und Raubbau an der Natur überwinden soll. Im Kontrast zur SPD wird der Demokratische Sozialismus zur gesamtpolitischen Zielvorstellung erhoben und als Gesellschaftsordnung aufgefasst, die den Kapitalismus nicht nur zähmen, sondern ablösen soll. Die Dominanz des freien Marktes und des Profitstrebens in allen Lebensbereichen und allen zwischenmenschlichen Beziehungen soll aufgehoben werden. Der Demokratische Sozialismus gilt in Teilen der Linkspartei daher nicht notwendig als Gegensatz zum klassischen Marxismus.

Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei

Seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders, den Hartz IV-Gesetzen und dem Parteivorsitz Franz Münteferings wird der Begriff von der SPD-Führung kaum noch aktiv verwendet und als programmatisches Ziel nicht hervorgehoben. Dies hängt mit der realpolitischen Abkehr vom Berliner Programm seit dem Schröder-Blair-Papier (1999), aber auch mit den Stimmengewinnen der Linkspartei bei der Bundestagswahl 2005 zusammen.

In der Partei, die WASG und Linkspartei 2007 gemeinsam gründen wollen, ist der weitere Bezug auf den Begriff nach den beschlossenen Dokumenten vorgesehen.

Bedeutung in anderen Ländern

Als historisches Beispiel für eine nicht revolutionär, sondern durch demokratische Wahlen im Rahmen des bestehenden kapitalistischen Wirtschaftssystems verwirklichte soziale Gerechtigkeit gilt der New Deal des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Er sollte mit Hilfe der Theorien von John Maynard Keynes nach der Weltwirtschaftskrise in den USA die Chancen der sozial benachteiligten Schichten auf Arbeit und Grundeinkommen verbessern, aber keine sozialistische Gesellschaftsordnung herstellen.

In Westeuropa wurde der Versuch Alexander Dubceks im Prager Frühling 1968, das von der Sowjetunion installierte System der Planwirtschaft in der Tschechoslowakei mit marktwirtschaftlichen Freiräumen zu mischen, als „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" bezeichnet: Damit waren Tendenzen zu einer Demokratisierung und Zulassung autonomer Gewerkschaften usw. gemeint. Hier wurzelt auch die Gleichsetzung von Demokratischem Sozialismus mit einem sogenannten Dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

Von dem Versuch, einen Demokratischen Sozialismus aufzubauen, sprach man auch in Lateinamerika nach dem Wahlsieg des Marxisten Salvador Allende in Chile 1973. In Europa verwenden auch die sogenannten Eurokommunisten diesen Begriff für ihre Ziele. Dabei ist die Unterscheidung von sozialdemokratischen Zielen besonders seit dem Zerfall der Sowjetunion 1990 nicht mehr klar. Dies zeigt auch die Umbenennung vieler „postkommunistischer“ Parteien, die sich nun eher „sozialistisch“ oder „links“ nennen.

Siehe auch