Jesus Christus
Die Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth
Jesus Christus als der von Gott gesandte Erlöser aller Menschen ist das Thema des NT. Seine Christologie, also die Aussagen zur Person, und seine Soteriologie, also die Aussagen zum Heilswerk dieser Person, sind im NT vielfältig, weder trennbar noch direkt identisch.
Sie setzen aber alle seine Auferweckung voraus. Auf dieses Ereignis zielen alle Evangelien, selbst wenn sie ursprünglich keine Visionsberichte enthielten (Markus). Daher ist es sachgemäß, zuerst die Ostertexte darzustellen.
Diese beziehen sich ihrerseits auf das Leben und Sterben des Juden Jesus zurück. Sie erzählen seine Geschichte im Licht seiner Auferstehung und Erhöhung zu Gott nochmals neu. Der "historische Jesus" ist in allen Ostertexten vorausgesetzt und muss daher bei ihrer Auslegung mitbedacht werden.
Erster Korinterbrief 15, 3–8
Paulus, der älteste Autor im NT, übernahm – wohl bei seinem ersten Jerusalembesuch um 36 n. Chr. – ein frühes Credo, verbunden mit einer Zeugenliste, von der Urgemeinde:
- "Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift;
er wurde begraben;
er wurde auferweckt am dritten Tag nach der Schrift;
er wurde gesehen von Kephas ["Fels", Ehrenname Petri];
danach von den Zwölf."
Ob die Fortsetzung noch aus der Urgemeinde oder nur noch von Paulus stammt, ist umstritten:
- "Danach wurde er gesehen von mehr als 500 Brüdern auf einmal – von denen die meisten heute noch leben, während einige schon gestorben sind.
Danach wurde er gesehen von Jakobus;
danach von allen Aposteln.
Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer missratenen Geburt gesehen worden..."
Paulus zitiert hier den gemeinsamen Glauben aller Urchristen, der in den ersten Jahren nach Jesu Tod formuliert wurde. Er will seine eigene Berufung zum Völkerapostel mit einer Jesusvision begründen, so wie die ersten Augenzeugen. Was genau aber sahen diese?
Markus 16, 1–8
Das älteste Evangelium endete ursprünglich mit der Entdeckung des leeren Grabes Jesu. Dazu gehörte die Engelsbotschaft (Mk. 16, 6–7):
- "Fürchtet euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Seht dort die Stelle, wo man ihn hingelegt hat.
Geht aber und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hergehen wird nach Galiläa;
dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat."
Inhalt einer solchen Vision war demnach die Erkenntnis: Dieser zuvor gekreuzigte Jesus von Nazareth wurde von Gott auferweckt, zeigte sich daraufhin selbst und rief seine Jünger erneut in die Nachfolge ("vor euch hergehen" – ihm nachgehen).
Das "Passivum Divinum" drückt den Respekt vor dem Urheber der Auferweckung Jesu aus. Fromme Juden vermieden, Gott beim Namen zu nennen.
Der Text legt nahe, dass die Jesusvisionen schon erfolgt waren, und zwar in Galiläa oder auf dem Weg dorthin (Emmaus, Lk. 24, 13): also einige wenige Tage nach der Flucht der Jünger (Mk. 14, 50) und nach Jesu Tod.
Dabei waren laut Mk. 15, 40f von Jesu Anhängern nur noch Frauen anwesend. Sie wollten den Toten gemäß jüdischer Sitte einbalsamieren und so ehren (Mk. 16, 1). Dabei fanden sie das Grab leer. Sie flohen und fürchteten sich so sehr, dass sie niemand etwas weitersagten (Mk. 16, 8).
Diese Aussage steht nur bei Markus, ist also wahrscheinlich redaktionell. Sie erinnert an die Männerflucht (Mk. 14, 50). Sie macht klar, dass die Frauen die geflohenen Männer zunächst gar nicht antreffen konnten. Sie spielt aber auch versteckt auf Jes. 52, 15 an:
- "Denen nichts davon verkündet wurde, die werden es sehen, und die nichts davon hörten, werden es erfahren!" (nämlich von der Erhöhung des von allen verachteten, für uns getöteten Gottesknechts).
Historisch daran ist, dass Frauen im patriarchalischen Judentum damals kein Zeugenrecht hatten. Demgemäß hielten die Männer ihre Nachricht für "Märchen" und glaubten ihr nicht (Lk. 24, 11). So verkündet der Text indirekt, dass nur Jesu eigenes Erscheinen Entsetzen, Angst und Trauer überwinden, in Freude verwandeln (Mt. 28, 8) und Glauben an ihn schaffen konnte (Jh. 20, 20).
Da die Visionsliste keine Frauen, die Grabgeschichte keine Männer nennt, gehen einige Forscher (von Campenhausen, Wilckens) davon aus, dass beide Traditionen ursprünglich getrennt entstanden sind. Dann wären die Visionen unabhängig von, aber zeitnah zu der Entdeckung des leeren Grabes erfolgt. Die Berichte darüber wurden erst allmählich miteinander verbunden: zum Teil erst von den Evangelisten auf ihre je eigene Weise.
Andere Forscher (Graß, Marxsen, Lüdemann) halten den Text für eine späte apologetische Legende, die den "Beweis" der Auferstehung Jesu nachliefern wollte. Dagegen spricht jedoch die Nennung der Frauen, die Zeugen des Todes Jesu waren (15, 40f) und das in Jerusalem umlaufende Gerücht: "Seine Jünger kamen nachts und stahlen ihn!" (seinen Leichnam, Mt. 28, 13). Eben dieses Gerücht steht auch in der Mischnah und scheint frühe jüdische Polemik gegen die Urchristen zu überliefern.
Damals wurden jüdische Märtyrer durch den Ausbau ihrer Gräber geehrt (E. Schweizer), um ihr Anrecht auf künftige Auferstehung zu betonen. Dies war den Urchristen nicht möglich. Wäre Jesu Grab nicht nachprüfbar leer gewesen, dann hätte sich die urchristliche Botschaft von seiner Auferweckung in Jerusalem (Apg. 2, 32) kaum einen Tag halten können.
Lukas 24, 13–35
Zwei namenlose Jünger begegnen Jesus auf dem Heimweg nach Galiläa. Sie erkennen ihn nicht, teilen ihm aber ihre maßlose Trauer und Enttäuschung mit: "Wir dachten, er sei der (Messias), der Israel befreien werde." Darauf legt Jesus ihnen die Schrift aus: "Musste der Messias nicht so leiden, um in sein Reich einzugehen?" Sie bitten ihn, zu bleiben. Er tut es, feiert ein Abendmahl mit ihnen und bricht dabei das Brot: genauso wie beim Passahmahl vor seinem Tod. "Da gingen ihre Augen auf, und sie erkannten ihn." Jesus verschwand. Darauf tauschen sie ihr Erlebnis aus – "Brannte nicht unser Herz...?" –, kehren sofort nach Jerusalem zurück, treffen dort die versammelten Elf und hören als Bestätigung deren Credo:
- "Der Kyrios ist wahrhaftig auferstanden und Simon (Petrus) erschienen!"
Dieser Text wird meist nicht als Bericht von einer echten Jesusvision, sondern als lukanische Theologie aufgefasst. Wäre die Vision echt, hätte die Urgemeinde die Namen der Zeugen genannt und in ihre Liste aufgenommen. "Kleophas" in v. 18 wurde sichtlich später eingefügt.
Der Evangelist will zeigen, wie man auch ohne eigene Vision Christ werden kann: Schriftauslegung, Abendmahl, Austausch der Erfahrungen mit Jesus und gemeinsames Glaubensbekenntnis spiegeln wohl den Ablauf eines urchristlichen Gottesdienstes.
Das Bekenntnis, auf das der Text zielt, war diesem jedoch vorgegeben. Es erinnert daran, dass Petrus den Auferweckten als Erster sah und dies dann anderen Jüngern mitteilte. Es bestätigt also den Beginn der Zeugenliste.
Matthäus 28, 1–20
Matthäus hat die Grabgeschichte von Markus übernommen und signifikant verändert: Die Frauen, die sich bei Markus noch fürchteten und ihren Auftrag an die Jünger nicht ausführten, freuen und beeilen sich nun, es weiterzusagen. Sie begegnen Jesus selbst, der die Jünger durch sie zu einem Berg bestellt.
Dort erscheint er ihnen, offenbart seine ihm von Gott übergebene Macht, sagt ihnen seine Geistesgegenwart bis zu seiner Wiederkunft zu und gibt ihnen den Auftrag zur Völkermission, der die Taufe auf seinen Namen und das Halten all seiner Gebote (Bergpredigt Mt. 5-7) einschließt.
Dieser Auftrag wird von allen Evangelisten mit der gemeinsamen Vision aller Erstberufenen (11 ohne Judas, den Verräter) begründet, aber ganz verschieden formuliert. Er repräsentiert ihre spezifische Theologie.
Diese beiden Versionen der Elfervision teilen gemeinsame und verschiedene Motive:
- Jesus erschien am Abend des ersten "Sonntags" (Sabbatfolgetag), also 2 Tage nach seinem Tod
- er trat unter in die bereits Versammelten (Jh.: durch verschlossene Türen)
- er grüßte sie mit dem Friedensgruß "Shalom"
- er überwand ihre Angst und ihren Unglauben (Lk: durch demonstratives Essen / Jh: durch Zeigen der Wundmale)
- Lk: er legte ihnen die Schrift aus / Jh: er gab ihnen den Heiligen Geist
- er sandte sie in die Welt
- Lk: zur Verkündigung der Sündenvergebung und Buße / Jh: zum Erlassen oder Behalten der Sünden.
Die variable Gestaltung der Vision legt nahe, dass sie bereits festes Dogma war, zugleich aber ganz verschieden ausgelegt werden konnte.
Beide Versionen betonen die Identität des Auferweckten mit dem Gekreuzigten, des neuen mit dem alten "Leib": Das war wohl schon eine Reaktion auf die gnostische These vom "Scheintod" des Erlösers.
Dass der Auferstehungsleib sich ernähren muss, würde aber heißen, dass er nur wiederbelebt, nicht unsterblich war. Das widerspricht 1. Kor. 15, 50f: Danach kann der alte den neuen Leib nicht "erben", sondern der himmlische Leib verwandelt den irdischen völlig. Insofern hat Paulus, der nichts vom leeren Grab zu wissen schien, die jüdische Prophetie (Hes. 37, 12-14) und Apokalyptik (Dan. 7, 2-14) bestätigt.
Die Texte verkünden aber auch, dass der Auferstandene den Naturgesetzen nicht mehr unterworfen war, sondern durch Wände gehen (Jh. 20, 19) und an verschiedenen Orten zugleich erscheinen konnte (Lk. 24, 33 -36).
Historisches lässt sich hier nicht erkennen. Da Matthäus eine Frauenvision ergänzt und Lukas die Elfervision nach Jerusalem verlegt hat, ist fraglich, ob es sie jemals gab. Damit bleibt offen, was die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem, ihr Zusammentreffen dort und die Gründung der Urgemeinde motiviert hat.
Markus 9, 1–13
Die Geschichte der "Verklärung" Jesu erinnert an eine nachösterliche Jesusvision (v. 9). Sie wurde nur drei der ersten Jünger - Petrus, Jakobus und Johannes - zuteil. Diese Namen tauchen in Gal. 2, 9 als "Säulen" der Urgemeinde auf: Man kann also annehmen, dass sie ihr Führungsamt aufgrund einer solchen Jesusvision erhielten.
Markus deutet diese als Offenbarung des von Gott erwählten Sohnes: des einzigen Heilsmittlers, der Mose (Judentum) und Elia (Mandäismus) abgelöst habe. Johannes der Täufer wird mit Elia, dem in den Himmel entrückten Propheten der Endzeit, identifiziert.
Johannes 20, 1–18
Maria aus Magdala findet Jesu Grab geöffnet, läuft zu Petrus und sagt es ihm. Dieser prüft es nach, findet im Grab nur die Leichentücher, kann es sich nicht erklären und geht heim. Maria bleibt weinend vor dem Grab, sieht hinein und entdeckt zwei Engel. Diese fragen sie nach dem Grund ihrer Trauer. Als sie antwortet, erscheint der Vermisste und fragt sie ebenso. Sie hält ihn für den "Gärtner" und glaubt, er habe die Leiche Jesu verlegt. Darauf redet Jesus sie beim Vornamen an: Da erkennt sie ihn. Er verbietet ihr, ihn zu berühren, da er zum Vater auffahren werde. Er sendet sie zu den Jüngern, um diesen seine Himmelfahrt anzukünden. Sie tut es und bekennt: "Ich habe den Kyrios gesehen!"
Dieser Text widerspricht offenbar bewusst der älteren Tradition: Maria, nicht Petrus sah Jesus zuerst. Dafür betrat Petrus als Erster das leere Grab. Die Endredaktion hat dem nochmals widersprochen und den "Jünger, den Jesus liebte" eingefügt: Sie lässt ihn mit Petrus um die Wette laufen und das leere Grab zuerst betreten, um seine Autorität zu untermauern.
Die von Markus überlieferte Grabentdeckung der Frauen wurde nun zu einer Selbstoffenbarung des Auferweckten vor Maria umgeformt. Das bestätigt: Ohne Jesu eigenes Erscheinen konnte das leere Grab nur Furcht und Entsetzen, aber keinen Glauben an Jesu Auferstehung bewirken. Es bestätigt auch: Frauen waren - ob sie ihn selbst sahen oder nur sein Grab leer fanden - die ersten Osterzeugen.
Markus 16, 9–20
Dieser Text ist ein späterer Anhang an das ursprüngliche Ende des Evangeliums. Denn er setzt die Vision Marias (Jh. 20) und der beiden Emmausjünger (Lk. 24) schon voraus, die Markus noch nicht kennen konnte.
Er versucht, die verschiedenen Visionsberichte in eine logische Reihenfolge zu bringen, also Widersprüche zu harmonisieren. Dabei widerspricht er jedoch der Zeugenliste: Denn nun bildet die Elfervision aller Erstberufenen den Abschluss, nicht den Anfang der Jesusvisionen.
Der universale Missionsauftrag der Christen enthält nun auch die Vollmacht zum Austreiben von Dämonen, analog zu den bei Markus überlieferten Dämonenaustreibungen Jesu.
Johannes 21, 1–14
Jesus erscheint 7 seiner ersten Jünger am Ufer des Sees Genezareth, wo er sie zuerst berief. Er hilft ihnen, eine großen Fischfang zu machen. Der Jünger, "den Jesus liebte", erkennt als Erster: "Es ist der Kyrios!" Dieser lädt sie zum gemeinsamen Mahl ein, bereitet es vor und isst mit ihnen Brot und Fisch.
Auch dieser Text wurde an einen früheren Schluss des Evangeliums angehängt (20, 31) und gehört zu seiner Endredaktion (v. 24). Er setzt die Episode vom wunderbaren Fischzug (Mt. 4, 18–22/Lk. 5, 1–11) voraus und erinnert an die ersten Jüngerberufungen Jesu (Mk. 1, 16-20). Er will die Adressaten zur Mission ermutigen.
Der Fisch wurde für verfolgte Christen in Rom zum geheimen Erkennungszeichen: griechisch "Ichtys" kürzt "Iesus Christus Theos ´Yios Soter" ab (Jesus, der Messias, Gottes Sohn, ist der Retter).
Zusammenfassung
Alle Ostertexte sind sich einig:
- Nur Gott selbst konnte Jesus auferwecken. Niemand war dabei.
- Nur der Auferweckte selbst konnte sich seinen Jüngern offenbaren - von sich aus erkannte ihn niemand.
- Nur er selbst konnte sich mit ihnen versöhnen und so ihren Unglauben überwinden: Denn sie hatten ihn verlassen, verraten und verleugnet.
Daher die Mahlmotive in den Visionsberichten, die erneut - und diesmal unwiderruflich - Anteil am Heil geben. Darum feierte die Urgemeinde in jedem Gottesdienst das Abendmahl.
- Der auferweckte Jesus war nur eine befristete Zeit lang zu sehen (Apg. 1, 2-5). Darin stimmen Zeugenliste, Evangelien und Apostelgeschichte überein.
- Wer genau den Auferweckten sah, wann und wo, bleibt im Dunkeln. Die Evangelien bestätigen indirekt nur die Erstvision des Petrus und die einiger anderer unbekannter Jünger.
Von einer Vision vor "500 Brüdern" und "allen Aposteln" wissen sie nichts. Die "Himmelfahrt" (Apg. 1) kann nicht gemeint sein, da sie nur dem Elferkreis galt und Jesu Bruder Jakobus dort noch nicht berufen war. Vielleicht meint die Kollektivvision eine Massentaufe wie die nach der ersten Pfingstpredigt (Apg. 2, 41).
- Die Visionen ähnelten sich, fanden aber unabhängig voneinander, zeitlich und räumlich gestreut statt. Darum lassen sie sich nicht ohne weiteres als Projektion oder Fiktion abtun.
- Alle Empfänger einer Jesusvision sahen den Auferweckten: also den Vorschein der neuen verwandelten Schöpfung.
Das ist nicht von ihren jüdischen Glaubensvoraussetzungen her erklärbar: Ein Einzelner konnte nur mit allen Anderen zusammen beim Ende der Welt auferstehen. Die Auferweckung eines nach jüdischem Recht Verurteilten und von Gott Verfluchten war schon gar nicht zu erwarten.
- Die Texte zeigen unübersehbar die Freude über die völlig unerwartete Wende und beziehen daraus das Recht und die Kraft für eine universale Sendung.
Ein historischer "Beweis" (wie ihn W. Pannenberg seit 1959 versucht hat) ist das alles nicht. Es bleibt dabei: Wir können nur dem Glauben der ersten Zeugen glauben und ihrem Zeugnis vertrauen.
"Für uns gestorben": Das Kreuz des Auferweckten im ältesten Passionsbericht
Die Auferweckung Jesu hat die Jünger zur Bildung der Urgemeinde veranlasst, aus der der älteste Passionsbericht stammt. Das heißt: Weil dieser Gekreuzigte auferweckt wurde, galt die erste Frage der Jünger dem Sinn seines Todes und dem Verstehen seiner Passion mit Hilfe der Schrift (Lk. 24, 14–27).
Die Komposition des Markusevangeliums
Das Markusevangelium läuft von Anfang an auf Tod und Auferweckung Jesu zu: Denn auf den Wegbereiter (im NT: Johannes, Mk. 1, 2ff) folgte in der Prophetie das Endgericht, die kosmische Umwälzung (Jes. 40, 3–5). Jesu ganze Geschichte will als Vorwegnahme dieser "Weltrevolution" und als ultimative Bekräftigung dieser jüdischen Heilserwartung verstanden werden.
So verknüpfen Leidens-, Todes- und Auferstehungsankündigungen, die Jesus gesagt haben soll, die Erzählungen von seinem Wirken in Galiläa mit seiner Passion in Jerusalem (Mk. 8, 31/9, 31/10, 33). Sie entsprechen der Deutung, die Jesus selbst nach dem vormarkinischen Passionsbericht seinem Tod gab.
Das Passahmahl Jesu
Im Rahmen eines Passahmahls sagt Jesus am Vorabend seines Todes dem versammeltem Zwölferkreis – der für ganz Israel stand und Judas einschloss – zu (Mk. 14, 24):
- "Das ist mein Leib/Blut, für euch zerbrochen
vergossen zur Vergebung der Sünden für die Vielen".
Der Ausdruck "für die Vielen" bedeutet im Aramäischen: für alle. Das ist eine deutliche Anspielung auf eine im ganzen AT einzigartige Prophetie: den stellvertretend für das ganze Volk und seine Führer leidenden "Knecht Gottes" (Jes. 52,13 – 53,12). Dass hier eine historische Erinnerung an Jesu eigene Deutung vorliegt, hat J. Jeremias recht wahrscheinlich gemacht (siehe Literatur).
Die Vorwegnahme des Endgerichts
Der Passionsbericht deutet die Kreuzigungsszene als vorweggenommenes Endgericht über die ganze Erde: Darauf weisen die Gerichtsfinsternis und das Stundenschema hin (Mk. 15, 33).
Die Finsternis ist symbolische Erfüllung der Gerichtsansagen in Israels Prophetie (u.a. Amos 5, 18/Joel 2, 2).
Das Stundenschema weist in Israels Apokalyptik darauf hin: Hier vollzieht Gott seinen vorherbestimmten Plan. Hier läuft die Frist ab, die aller Gewaltherrschaft gesetzt ist (Dan. 7, 12).
Der Text verkündet also: Das Endgericht über Israel und die Völkerwelt fand schon statt. Gott selbst hat seinen Sohn "dahingegeben", um Israel und alle Menschen aus diesem Gericht zu erretten.
Die Gerichtsklage des für uns Gekreuzigten
Jesus soll am Kreuz für seine jüdischen Ankläger und römischen Mörder gebetet haben, und zwar mit Worten des 22. Psalms (Mk. 15, 34):
- "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Dieser Psalm wurde seit dem Exil auf das ungerechte Leiden ganz Israels bezogen. Zu Unrecht zum Tod verurteilte Juden beteten so in Babylonien, Rom, Auschwitz, Bergen-Belsen und anderswo bis heute.
Jesu Gottverlassenheit hat eine exclusive und eine inclusive Seite.
Als der für uns Gerichtete erleidet er das Gericht stellvertretend für uns: Nur er kann das, nur er tut das. Niemand anderes kann und soll das noch tun.
Als der mit und für uns ungerecht Leidende schreit er nach Gottes Gerechtigkeit. So tun es heute noch viele wie er und mit ihm, und er mit ihnen.
Beide Seiten sind nicht von der Geschichte Israel-Judentums zu trennen. Denn der Beter von Psalm 22 appelliert an den Gott des Exodus und stellt sein Leiden in Israels Gesamtgeschichte hinein. Er betet und leidet mit seinem und für sein Volk (C. Westermann).
Die Präsenz des Reiches Gottes im Tod Jesu
Jesu Schwur beim Passahmahl lautete (Mk. 14, 25): "Von nun an werde ich nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstocks, bis ich es neu trinke im Reich Gottes."
Demgemäß lehnte er am Kreuz den Betäubungstrank seiner Henker ab (Mk. 15, 23). Doch nachdem er die Gerichtsklage des Gottverlassenen herausgeschrien hatte (Mk. 15, 34), nahm er den Weinessig seiner Brüder an: der Juden, die in ihm den wiedergeborenen Johannes sahen und hofften, der Prophet Elia werde ihn retten. Das Gericht Gottes trennte ihn nicht, sondern verband ihn unlösbar mit seinem Volk und dessen Hoffnungen.
So sagt der Passionsbericht: Gerade im Sterben Jesu liegt Hoffnung für uns. Gott selbst ist in diesem Sterben präsent, leidet und stirbt mit seinem Sohn. Gottes Reich wird kommen und alle Gewaltherrschaft überwinden. Jesus selber hat diese Zusage Gottes ultimativ bekräftigt. Indem er sein Leben am Fest der Befreiung Israels für alle Völker hingab, gab er mit Israel allen hoffnungslos Versklavten und Gefolterten Anteil an Gottes Zusage.
Die gegenwärtige Relevanz des Todes Jesu
Es ist angesichts dieser konkreten Geschichte Jesu völlig unmöglich, Christen, Juden und Völker, jenseitige Erlösung und diesseitige Befreiung, Frieden und Gerechtigkeit, Glauben und Politik, Beten um Gottes Reich und Engagement für Weltveränderung gegeneinander auszuspielen und zu trennen.
Nimmt man den ältesten Passionsbericht genau beim Wort, dann ist gerade die Verkündigung des Todes Jesu, die in der europäischen Geschichte immer wieder zu Judenpogromen führte und dazu missbraucht wurde, der durchschlagende Grund für eine unkündbare Solidarität aller Christen mit allen Juden und allen zu Unrecht Verfolgten. Zugleich lassen sich von da aus judenfeindliche Aussagen in den Evangelien als situationsbedingt relativieren und sachlich entkräften.
Urchristliche Hoheitstitel
Der Sohn Davids
Dieser Titel bezeichnet den Messias als Nachfahren des Königs David, der Großisrael gründete, seine Feinde besiegte und den Tempelbau einleitete.
David erhielt die Zusage ewiger Thronfolge (2. Sam. 7, 13f), nachdem er die Bundeslade des alten 12-Stämmebundes nach Jerusalem überführt hatte. Daran knüpfte die Messiaserwartung der Exilsprophetie nach dem Untergang des Königtums an: Der Messias wurde als später "Spross" der Davidsippe erhofft (Jes. 11, 1).
Dieses Messiasbild war im Volk auch mit der gerechten Rechtsprechung für die Armen und Heilung der Kranken verbunden. Wo Jesus so genannt wird, stehen derartige Erwartungen im Vordergrund. Dem hat Jesus nicht widersprochen (Mk. 10, 46–52).
Aber der neue David sollte Israel auch gewaltsam aus der Hand seiner Feinde befreien: Dem hat Jesus zeichenhaft widersprochen und stattdessen an den machtlosen Messias Sacharjas erinnert (Mk. 11, 1–10).
Er soll auch betont haben, dass der Messias keine Nachfahre, sondern Vorfahre Davids und diesem übergeordnet sei (Mk. 12, 35f): Das spielte offenbar auf den präexistenten "Menschensohn" an, der aus Gottes Bereich stammt (Dan. 7, 13f).
Der Messias
"Christus" ist die griechische Übersetzung des hebräischen "maschiach" (der Gesalbte). Dieser Titel bezeichnet im AT zunächst den König Israels. Saul wurde zum ersten König gesalbt (1. Sam. 9–10).
Deuterojesaja, ein namenloser Prophet aus der Zeit des babylonischen Exils (587–539 v. Chr.), wandte den Titel dann sogar auf den persischen König Kyros an (Jes. 45,1).
Bald nach dem Exil konnte auch der jüdische Hohepriester als "Gesalbter" tituliert werden (Sa. 4, 14).
Erst sehr spät wird der Messiastitel auf den erwarteten endzeitlichen Heilskönig angewandt. Damit wurde ausgedrückt, dass nur Gott selbst diesen erwählen könne.
Der Sohn Gottes
In der hebräischen Bibel bezeichnet dieser Titel zum einen jeden gottesfürchtigen Juden, zum anderen das ganze erwählte Gottesvolk (Hos.).
Texte aus der Ordensgemeinschaft von Qumran belegen aber, dass dieser Titel zur Zeit Jesu auch schon für den Messias verwendet und reserviert wurde. In dieser Form wird er von Kaiphas an Jesus herangetragen (Mk. 14, 61) und dann im hellenistisch beeinflussten Urchristentum verwendet (Mk. 15, 39/Röm. 1, 3).
Jesus nannte Gott zum einen "Abba" (lieber Vater, Papa), seine Jünger und Mitjuden zum anderen "Kinder Gottes": Er brachte ihnen Gottes liebevolle Fürsorge nahe (Mt. 6, 25-33).
Der Menschensohn
Der Menschensohn im AT
Diese rätselhafte Figur taucht in der apokalyptischen Literatur erstmals um 170 v. Chr. auf. In Daniels Vision (Dan. 7, 2-14) wird zuerst Gottes Thronbesteigung zum Endgericht, dann die Vernichtung aller menschlichen Großreiche, die auf Gewalt basieren, dann das Erscheinen eines "Menschenähnlichen" geschildert. Diesem werde Gott all seine Herrschaftsmacht übertragen. Daraufhin würden alle Menschen ihm dienen, und sein Reich werde ewig sein.
Das knüpfte an die älteren prophetischen Messiasweissagungen vom Völkerfrieden an, die bisher unerfüllt geblieben waren (und sind). Es grenzte sich aber auch gegen sie ab: Denn nun wurde die Erlösung nur noch vom Endgericht Gottes, also zugleich mit dem Ende der Welt erhofft. Vom Tempel und vom Messias war in der Vision keine Rede mehr. Die endzeitliche Wende wurde offenbar nun keinem Menschen, auch keinem Davidsspross mehr zugetraut.
Erst nach dem Gericht über alle Gewaltherrschaft sollte "das Allerheiligste gesalbt", also der jüdische Tempel neu eingeweiht werden (Dan. 9, 24.) So widersprach Daniels Apokalyptik denen, die sich mit der Vertreibung der Fremdherrscher, die den Tempel entweiht hatten, zufrieden gaben, und den Tempelkult nur wiederherstellen und gegen Ausländer verteidigen wollten.
Die Schriften Henoch und 4. Esra versuchten dann, beide Heilserwartungen - die des Messias und die des Menschensohns - zu verbinden und auszugleichen. Dabei erhielt der Menschensohn Attribute des Weltrichters: Er würde also nicht nach, sondern zum Endgericht erscheinen und Gott darin vertreten.
Diese besondere jüdische Apokalyptik hat die Zeit "zwischen" den Testamenten und die Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende mitgeprägt. Sie wurde von den meisten Pharisäern geteilt.
Für die Sadduzäer dagegen war Daniels Apokalyptik eine Irrlehre, weil vom Menschensohn nichts in der Tora (den 5 Büchern Mose) stand. Diese war für sie allein maßgeblich.
Der Menschensohn im NT
Von allen Titeln, die Jesus vor oder nach Ostern beigelegt wurden, könnte er den "Menschensohn" am ehesten selbst beansprucht haben. Denn dieser Titel taucht schon in der Logienquelle auf, und zwar nur in wörtlicher Rede Jesu.
Dort redet Jesus immer vom "kommenden" Menschensohn in der 3. Person. Auch sonst sagt Jesus in den Evangelien nie "Ich bin der Menschensohn". Hat er also einen anderen oder sich selbst gemeint? Diese Frage gehört zu den wichtigsten Streitthemen der NT-Forschung.
Welche Menschensohn-Vorstellung in einem Jesuswort gemeint ist, lässt sich wohl nur von Fall zu Fall entscheiden. Bei Markus nimmt Jesus schon in Galiläa die Vollmacht des Menschensohns in Anspruch, um Sünden zu vergeben (Mk. 2, 10) und am Sabbat zu heilen (Mk. 2, 28). Diese Vollmacht wird dem Menschensohn Daniels erst nach dem Endgericht übertragen.
Später kündigt Jesus die Auslieferung des Menschensohns an seine Feinde an (Mk. 8, 31). Das war in Daniels Vision nicht vorgesehen, weil der Menschensohn dort erst erscheint, nachdem Gott Israels Feinde besiegt hat.
(Mk. 10, 35-45)
In den Reden über das Endgericht (Mk. 13, Mt. 25, Lk. 21, Jh. 3/ 5, 19- 30) erscheint der Menschensohn als Weltrichter. Er vertritt also Gott selbst in dieser Funktion.
Nach Ostern trat der Menschensohntitel zurück: Nur Stefanus verwendete ihn (Apg. 7, 56), die Petruspredigten und Paulusbriefe dagegen verwenden andere Titel.
Der Kyrios
Dieser Titel ist die griechische Übersetzung des hebräischen Gottesnamens "JHWH". Er bezeichnet dessen Heiligkeit, Machtfülle und Weltherrschaft.
"Jesus Christus ist der Kyrios!" (Phil. 2, 11) ist einer der ältesten christlichen Glaubenssätze überhaupt (vgl. "Maranatha": "Unser Herr, komm!").
Der Messias ist in der Bibel ein von Gott erwählter, aber sterblicher Mensch. Dass er hier - von Juden! - mit Gott selbst identifiziert werden konnte, ist ein starkes Indiz dafür, dass Jesus sich tatsächlich selbst als der kommende gottgleiche "Menschensohn" von Daniel 7 vorgestellt hat.
Dann hätte der Kyriostitel den Menschensohntitel nach Ostern verdrängt und ersetzt, weil man respektierte, dass Jesus selbst sich vor Ostern so nannte und nun zu Gott erhöht worden war.
Das Lamm Gottes
Dieser Titel ist typisch für die Sühnopfer-Deutung des Todes Jesu im Rahmen eines Passahfestes (Jh. 1, 29), die an die Weissagung vom "Gottesknecht" (Jes. 53, 7) anknüpft.
Die Vielfalt der Titel im NT zeigt bereits die Vielfalt der Möglichkeiten, das "für uns gestorben" in den ältesten Credoformeln auszulegen.
Der Weissagungsbeweis im NT
Die Autoren des NT beziehen viele Passagen des AT auf Jesus. Es wird so auf vielfältige Weise zu einer Vorhersage dieses Messias, z.B. in:
- Gen. 49,10: "aus dem Stamm Juda" - Lk. 3,33
- Mi. 5,1: "Bethlehem" als Geburtsort des Messias - Mt. 2,1
- Jes. 7,14: "von einer Jungfrau geboren" - Mt. 1,18
- Ps. 41,10: "von einem Freund verraten" - Mk. 14,10
- Ps. 22,19: Soldaten werfen das Los um seine Kleider - Mk. 15,24
- Dan. 9,25f: 69 Jahrwochen = 483 Jahre - Jh. 19, 31: Jesu Tod genau am Passahfest 32 n. Chr.
Die "Schrift" war für die Jünger Jesu der Schlüssel, seinen Tod und seine Auferweckung als vorherbestimmten Willen Gottes zu verstehen. Das konnten sie aber nur, weil Jesus selbst es ihnen nahe gelegt hatte.
war der erste christliche "Theologe". Er wurde als Christenverfolger durch eine eigene Jesusvision (Apg. 9) bekehrt und zum Völkerapostel berufen. Er gründete auf Missionsreisen im Mittelmeerraum eine Reihe von Christengemeinden, denen er in Briefen beistand. Er vertrat die Völkermission ohne Beschneidung, d.h. er hob für getaufte Christen die Thora Israels auf. Er bekräftigte aber zugleich die unkündbare Abhängigkeit aller Christen von Israels Erwählung (Römerbrief 9-11).