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Argumentationstheorie

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Die Argumentationstheorie ist eine Teildisziplin der Philosophie, aber auch der Psychologie, Rechtswissenschaft, Linguistik, Pädagogik und der Literaturkritik.

Nach einer wechselvollen, ca. 2500-jährigen Geschichte des argumentierenden Redens (Harald Wohlrapp 1995, Einleitung) hat der Begriff des Argumentierens in den letzten 40 Jahren eine neue Relevanz für Philosophie und Wissenschaften bekommen. Gegenwärtig ist das Konzept argumentativer Gültigkeit dabei, den Begriff der Wahrheit (besonders im Normativen) abzulösen bzw. zu reinterpretieren.

Ein Argument ist ein Stück menschlicher Rede, das geeignet ist, die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer (bislang zweifelhaften) These zu erweisen oder wenigstens dazu beizutragen. Nach überliefertem Verständnis ist das ideale Argument eine Prämisse, aus der (ggf. zusammen mit weiteren) die These logisch folgt. Diese logizistische Tradition wird zunehmend aufgegeben, weil sich damit

  1. Abgrenzungsprobleme des Argumentierens gegen das Erklären, gegen das Beweisen und gegen das Erwirken von Zustimmung über Drohungen bzw. Verlockungen (s. Eristik) einstellen und
  2. die logischen Strukturen nur einen (evtl. nicht einmal zentralen) Teilbereich des argumentierenden Redens erfassen.

Mittlerweile wird der Begriff des Argumentierens in zahlreichen Disziplinen (wie Linguistik, Psychologie, Pädagogik, Literaturkritik, Rechtstheorie etc. und besonders in inter-, prä- und postdisziplinären Projekten wie Philosophie, Kommunikationstheorie etc.) unter vielfältigen Aspekten, teils als Objekt der Untersuchung, teils als Rahmen zur Klärung von Methodenproblemen thematisiert (Eemeren (1996)).

Im Anschluss an antike Einteilungen (Logik, Dialektik, Rhetorik), wird perspektivisch zwischen Argumentation als Produkt, Prozedur und Prozess unterschieden. Für die Produktperspektive ist der Übergang von Prämissen zu Konklusionen wesentlich. Neben der klassischen Logik wird hier mit neuen Logiksystemen, insb. der dialogischen Logik (Paul Lorenzen & Kuno Lorenz (1978)) und diversen semiformalen Ansätzen (Woods & Walton (1989)) gearbeitet. Für praktische Zwecke dominiert das Schema von Stephen Toulmin (1958). Dass eine Argumentation immer adressiert ist (Selbstadressierung als Grenzfall), argumentierendes Reden mithin sprachliche Kommunikation, ist Grundeinsicht für prozedurale Theorien. Resultate der linguistischen Pragmatik über die Abhängigkeit sprachlicher Verständigung von gemeinsamen Regeln sind zu diversen normativen Ansätzen, insb. der Pragmadialektik (Eemeren et al. (1992)) und der Diskurstheorie (Habermas (1981), Apel (1988) verarbeitet worden. Schließlich hat die neuere Argumentationstheorie zu einem Interesse am wirklichen Prozess des argumentierenden Redens und damit zu einer breiten Rehabilitierung der Rhetorik (Kopperschmidt (1990)) geführt. Ausgehend von Perelman&Olbrechts-Tyteca (1958) werden akzeptanzrelevante Figuren in Theorie und Empirie studiert. Die zukunftsweisenden Aufgaben der Argumentationstheorie sind:

  1. Eindämmung des grassierenden Relativismus bzw. die Vermittlung der Allgemeinheit im Geltungsanspruch mit der Besonderheit der individuellen Einsicht, welche sich in der Heterogenität von Voraussetzungen und Sprachen darstellt.
  2. Überbrückung der Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit des Argumentierens, hier insbesondere die Vermeidung normativistischer oder instrumentalistischer Kurzschlüsse.
  3. Bestimmung eines offenen Argumentationsbegriffs, der die großen Diskrepanzen (Geltung/Wirkung, Struktur/Dynamik) tragen und Kristallisationskern für die Bemühung um vernünftige Autonomie im 21. Jhdt. sein kann.

Siehe auch

Literatur

  • Karl-Otto Apel: Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-518-28493-2
  • Frans H. van Eemeren u.a.: Argumentation, Communication and Fallacies. A programmadialectical perspective. Erlabaum Books, Hillsdale N.J. 1992, ISBN 0-8058-1069-2
  • Frans H. van Eemeren u.a.: Fundamentals of Argumentation Theory. A handbook of historical backgrounds and contemporary developments. Erlbaum Books, Mahwah, N.J. 1996, ISBN 0-8058-1862-6
  • Dietfried Gerhardus u.a.: Schlüssiges Argumentieren. Logisch-propädeutisches Lehr- und Arbeitsbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1975, ISBN 3-525-33388-9
  • Carl Friedrich Gethmann (Hrsg.): Theorie des wissenschaftlichen Argumentierens. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1980, ISBN 3-518-06033-3
  • Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999
  • Josef Kopperschmidt (Hrsg.): Rhetorik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
  • Paul Lorenzen, Kuno Lorenz: Dialogische Logik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1978, ISBN 3-534-06707-X
  • Chaim Perelman, Lucie Olbrechts-Tyteca: Die neue Rhetorik. Eine Abhandlung über das Argumentieren. Frommann-Holzboog, Stuttgart 2004, ISBN 3-7728-2229-0
  • Holm Tetens: Philosophisches Argumentieren. Eine Einführung. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51114-7
  • Arno Ros: Begründung und Begriff - Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Felix Meiner, Hamburg, 1989/90. (3 Vol.). ISBN 3-7873-0962-4
  • Thorsten Sander: Redesequenzen. Untersuchungen zur Grammatik von Diskursen und Texten. Mentis-Verlag, Paderborn 2004, ISBN 3-89785-062-1
  • Stephen Toulmin: Der Gebrauch von Argumenten. Beltz Athenäum, Weinheim 1996, ISBN 3-89547-096-1
  • Harald Wohlrapp (Hrsg.): Wege der Argumentationsforschung. Fromman-Holzboog, Stuttgart 1995, ISBN 3-7728-1660-6
  • John Woods, Douglas N. Walton: Fallacies. Selected papers 1972-1982, Foris Publications, Dordrecht 1989, ISBN 90-6765-305-5