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Reichspräsident

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Reichspräsident war die Bezeichnung für das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches von 1919 bis 1945.

Gemäß Artikel 43 der Weimarer Verfassung wurde der Reichspräsident unmittelbar vom Volk gewählt. Die Amtszeit betrug sieben Jahre, wobei mehrfache Wiederwahl zulässig war. Für das Amt kandidieren konnten deutsche Staatsbürger, die das 35. Lebensjahr vollendet hatten.

Palais des Reichspräsidenten in Berlin

Im Gegensatz zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland hatte der Reichspräsident nicht nur repräsentative Aufgaben, sondern konnte durch die Auflösung des Reichstags (Artikel 25) und durch Entlassung und Ernennung des Reichskanzlers (Artikel 53) direkten Einfluss auf die Politik nehmen. Außerdem besaß der Reichspräsident durch Artikel 48 der Verfassung - den so genannten Notstandsparagraphen - im Zweifelsfall eine große Machtfülle ("Diktator auf Zeit"). Zwar konnten die Maßnahmen aufgrund des Art. 48 - ursprünglich nur für wirkliche Ausnahmesituationen gedacht - vom Reichstag aufgehoben werden, dem konnte der Reichspräsident aber durch die vorherige Auflösung des Reichstags zuvorkommen. Weiterhin war der Reichspräsident Oberbefehlshaber über alle Streitkräfte (Artikel 47). Auf Grund seiner umfangreichen Befugnisse wird der Reichspräsident auch als Ersatzkaiser angesehen.

Die de facto starke Stellung des Reichspräsidenten hat aber vor allem mit der faktischen Schwäche des Parlaments und der sich aus ihr ergebenden Schwäche des Reichskanzlers zu tun. Im Reichstag fanden sich nur selten absolute Mehrheiten der konstruktiven, demokratischen Kräfte. Das Parlament war in eine Vielzahl von Parteien zersplittert. Diese Parteien, die im Kern noch aus dem Kaiserreich stammten und es nicht gewohnt waren, Verantwortung für die Regierungsbildung zu übernehmen, waren keine Volksparteien, sondern meist an bestimmte Klientelgruppen gebunden. Sie waren daher nur begrenzt bereit, die Kompromisse einzugehen, die in einem parlamentarischen System unumgänglich sind. Zudem gab es bis in die eigentlich die Republik tragenden Parteien der so genannten Weimarer Koalition hinein Kräfte, die der parlamentarischen Demokratie skeptisch gegenüber standen. So kamen keine kontinuierlichen Mehrheiten zustande, die eine stabile Reichsregierung hätten tragen können. Wäre dies anders gewesen, hätte der Reichskanzler und die von ihm ausgewählten Reichsminister, deren Gegenzeichnung für die Gültigkeit aller Anordnungen des Reichspräsidenten notwendig war (Art. 50), dem Reichspräsidenten ohne weiteres Paroli bieten können.

Dass dies prinzipiell möglich gewesen wäre, beweist Österreich: Dieses Land hatte 1929 seine Verfassung nach deutschem Vorbild geändert, sodass der österreichische Bundespräsident formal gesehen mehr oder weniger dieselben Befugnisse erlangte wie der Reichspräsident. Und diese Verfassung gilt im Kern heute noch. Trotzdem hat der Bundespräsidenten aufgrund der stabilen Mehrheiten im Nationalrat wie sein deutscher Amtskollege in der Praxis lediglich eine repräsentative Stellung und ist weitgehend ohne Einfluss auf die Politik der vom Nationalrat getragenen Bundesregierung.

Es ist auch zu beachten, dass in der Weimarer Zeit bis weit in die politische Mitte die Auffassung vertreten wurde, der Präsident habe eher noch zu wenig Macht, um die Schwächen des (damaligen) parlamentarischen Systems auszugleichen. Diese Tendenz gab es auch in anderen Ländern, wo sie jedoch häufig zu sehr autoritären Lösungen geführt hat (z.B. in Polen).

Das Deutsche Reich kannte folgende Reichspräsidenten:

  • Friedrich Ebert (von 1919 bis 1925);
  • Dr. Walter Simons (vom 11. März - 30. April 1925) war als Präsident des Reichsgerichts amtierender Reichspräsident - durch vom Reichstag beschlossenes Gesetz nach Eberts Tod. Er spielte keine wichtige Rolle und wird deshalb oft nicht erwähnt.
  • Paul von Hindenburg (1925 bis 1934);
  • unmittelbar nach Hindenburgs Tod übernahm Reichskanzler Adolf Hitler auch das Amt des Reichspräsidenten (durch Volksabstimmung vom 19. August 1934 bestätigt), ersetzte den Titel "Reichspräsident" jedoch durch "Führer";
  • Karl Dönitz, von Hitler testamentarisch zum Reichspräsidenten bestimmt, übernahm das Amt nach dessen Tod am 1. Mai 1945, als Deutschland bereits größtenteils von den Alliierten beherrscht wurde; mit seiner Verhaftung durch die Alliierten am 23. Mai 1945 endet de facto seine Amtszeit.

Friedrich Ebert

Friedrich Ebert (SPD), geboren 1871, wurde 1918 gemeinsam mit Hugo Haase zum Vorsitzenden des Rats der Volksbeauftragten gewählt, der nach der Novemberrevolution die Regierungsgeschäfte übernahm. Nachdem die Nationalversammlung per Gesetz die Wahl eines Reichspräsidenten beschlossen hatte, der bis zur Wahl einer Regierung die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde Ebert am 11. Februar 1919 mit 277 zu 379 Stimmen zum Reichspräsidenten gewählt. Auf seinen schärfsten Konkurrenten Arthur Graf von Posadowsky-Wehner entfielen 49 Stimmen. Am gleichen Tag berief Ebert ein Kabinett aus Vertretern von SPD, DDP und Zentrum unter der Leitung von Philipp Scheidemann.

Am 28. Februar 1925 starb Ebert.

Nachdem Ebert gestorben war, wurde die Wahl auf den 29. März 1925 vorgezogen. Beim ersten Wahlgang traten 7 Kandidaten an, von denen keiner die in diesem Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit erreichte. Somit wurde ein zweiter Wahlgang am 26. April nötig, in dem nun eine relative Mehrheit reichte. Zentrum, SPD und DDP einigten sich auf Wilhelm Marx. DNVP, DVP, NSDAP und BVP benannten Paul von Hindenburg und die KPD blieb bei Ernst Thälmann.

Mit 48,3 Prozent der Stimmen wurde Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt.

siehe: Reichspräsidentenwahl 1925

Paul von Hindenburg

Paul von Hindenburg, geboren 1847, war 1911 als General pensioniert worden, wurde im Ersten Weltkrieg jedoch erneut eingesetzt und errang bei Tannenberg einen entscheidenden Sieg gegen die russische Armee. Mit Erich Ludendorff bestimmte er die Oberste Heeresleitung. Der militärische Ruhm, der ihm damals zuteil wurde, war mitbestimmend bei seiner Wahl zum Präsidenten.

Hindenburg wird (z.B. von Theodor Eschenburg) als sehr intelligenter, wacher und erfahrener Staatspräsident beschrieben, entgegen dem Klischee des militärischen, unpolitischen Führers.

Da die Amtszeit Hindenburgs bis 1930 relativ ruhige Zeiten sah, verglichen mit der Zeit Eberts, konnte er sein Amt durchaus zurückhaltender ausüben. Bis 1930 hat er nur sehr wenige "Notverordnungen" unterschrieben, ausschließlich solche, die Verordnungen aus der Ebertzeit aufhoben. Seit 1930 allerdings übernahm er, auf Drängen des Reichskanzlers Brüning, quasi Aufgaben des zerstrittenen und oft handlungsunfähigen Parlaments. Mit seinen Notverordnungen leistete Hindenburg die gesetzgeberische Arbeit des Parlaments, andererseits wurde seine Rolle bei der Regierungsbildung größer. Festzuhalten bleibt, dass Hindenburg diese Rolle nicht etwa gezielt angestrebt hat, sondern sich durch die Situation und den Reichskanzler dazu gedrängt sah. Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler leitete Hindenburg zum einen die Rückkehr zu parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen wieder ein und zum anderen zugleich die bitterste Phase der deutschen Geschichte.

Die Reichspräsidentenwahl 1932

Die Wahl 1932 stand unter dem Eindruck der politischen Verhältnisse in Deutschland, besonders aber unter dem Eindruck der Kandidatur Adolf Hitlers (NSDAP). Um die Wahl Hitlers zum Präsidenten zu vermeiden, einigten sich Zentrum, SPD und DDP neben DVP und BVP auf Hindenburg - die demokratischen Parteien waren somit von Gegnern Hindenburgs zu seinen Unterstützern geworden. Im ersten Wahlgang am 13. März 1932 verfehlte er mit 49,6 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit (vor Hitler mit 30,1 %, Thälmann mit 13,2 % und Theodor Duesterberg (DNVP) mit 6,8 %). Hindenburg setzte sich aber im 2. Wahlgang am 10. April 1932 mit 53,0 Prozent der Stimmen durch, nachdem Teile der DNVP seine Kandidatur unterstützt hatten. Hitler erhielt 36,8 %, Thälmann 10,2 % der Stimmen.

Siehe auch:

"Machtergreifung" Hitlers und Hindenburgs Tod

Hindenburg, mittlerweile weit über 80 Jahre alt, verlor den Überblick über die Amtsgeschäfte, so dass sein Beraterkreis, die so genannte Kamarilla, immer größeren Einfluss gewann und die Politik des Präsidenten bestimmte. Nach der Entlassung von Reichskanzler Heinrich Brüning 1932 und der Ernennung Franz von Papens wurde das parlamentarische System weitgehend außer Kraft gesetzt; Papen wurde bereits nach einem halben Jahr wieder entlassen, ihm folgte Kurt von Schleicher, der ein stark sozialpolitisch geprägtes Programm durchsetzen wollte und daher die Industrie gegen sich aufbrachte. Paul von Hindenburg war bislang gegen die Ernennung Hitlers, sein Widerstand schmolz jedoch umso stärker, als sich seine Berater für Hitler aussprachen. Am 28. Januar 1933 entzog Von Hindenburg Kurt von Schleicher das Vertrauen. Am 30. Januar 1933 schließlich ernannte er seinen einstigen Konkurrenten Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Am 2. August 1934 starb Paul von Hindenburg; Adolf Hitler übernahm nach dem Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs das Amt des Reichspräsidenten und vereinigte es mit dem Amt des Reichskanzlers als Führer und Reichskanzler. Das Gesetz war am 1. August von der Reichsregierung gemäß dem Ermächtigungsgesetz beschlossen worden, nach dem nur die Rechte des Reichspräsidenten geschützt waren, nicht jedoch die Eigenständigkeit des Amtes.

Karl Dönitz

Hitler ernannte Karl Dönitz testamentarisch zu seinem Nachfolger als Reichspräsident (und Goebbels zum Reichskanzler), obwohl er rein juristisch gesehen keinerlei Recht dazu hatte. Nach Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 trat Dönitz am 1. Mai sein Amt als (letzter) Reichspräsident an und bildete in Flensburg seine Regierung. Zunächst strebte er eine stufenweise Kapitulation der deutschen Streitkräfte an, um Armee und Zivilbevölkerung die Flucht aus dem von der Roten Armee überrollten Osten in die britischen und amerikanischen Gebiete zu ermöglichen. Nachdem die westlichen Alliierten dies ablehnten, ließ er am 7. und 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnen.

Siehe auch