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Rekonstruktion (Architektur)

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Datei:Dresden Frauenkirche Dezember 2003.jpg
Rekonstruktion der Frauenkirche (Dresden)
Rekonstruktion des Hotel Adlon in Berlin
Datei:Berliner schloss.jpg
Noch heftig umstritten: die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses

Rekonstruktion bezeichnet den Vorgang des neuerlichen Erstellens oder Nachvollziehens von etwas mehr oder weniger nicht mehr Existierendem oder Unbekanntem beispielsweise eines verloren gegangenen Werkes der Musik, Literatur oder Kunst, eines zerstörten Gebäudes, eines Tathergangs oder eines Datenbestandes. Nicht nur der Vorgang, sondern ebenfalls sein Ergebnis wird als "Rekonstruktion" bezeichnet. In der Abtasttheorie bezeichnet die Rekonstruktion das Gegenteil der Abtastung.

Dabei ist es nötig, sich an erhaltenen Fragmenten, Quellen oder auch nur Indizien zu orientieren. Aufgrund der Menge und Qualität der Annahmen hat eine Rekonstruktion immer hypothetischen Charakter.

Architektur und Denkmalpflege

Besonders im Bauwesen haben in den letzten Jahren spektkuläre Rekonstruktionen von sich reden gemacht. In keinem anderen Gebiet der Kultur gibt eine solche Anzahl von Rekonstruktionen wie in der Architektur. Aber sie sind - zumindest in Deutschland - auch sehr umstritten.

Arten der Rekonstruktion von Bauwerken

Es gibt verschiedene Vorgehensweisen bei der Rekonstruktion, die sich im Grad der Orginaltreue und in der Sensibilität der Umsetzung unterscheiden. Doch selbst wenn ein Gebäude weitgehend orginalgetreu wiederentsteht: Baurechtlich kommt eine Rekonstruktion einem Neubau gleich und ist daher (in Deutschland) kein Baudenkmäler im Sinne des Denkmalschutzgesetzes. Nach Georg Mörsch bezeichnet in der Architektur die Rekonstruktion als eine "wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die seither verstrichen ist." (siehe Literatur)

Bei der orginalgetreuen Rekonstruktion wird nach aufwendiger Quellenforschung das Bauwerk möglicht orginalgetreu wiedererrichtet. Oft werden noch vorhandene Original-bauteile verwendet. Diese Art der Rekonstruktion findet sich vor Allem bei kulturhistorisch bedeutenden Bauwerken, die dann als Anschauungsobjekt dienen und museal genutzt werden. Ähnlich geht man bei der Anastylose vor, allerdings wird dem Bauwerk dabei ein neues Tragwerk verpasst.

Bei der interpretierenden Rekonstruktion wird auf der Grundlage der historischen Quellen ein neuer Entwurf gemacht. Es entstehen Gebäude, die dem Charakter und Gesamteindruck des Orginals entsprechen, ohne zu versuchen, sie eins zu eins zu kopieren. Ein Beispiel ist der Prinziplamarkt in Münster. Die Ziergiebel der Häuser wurden neu entworfen, der Gesamteindruck des Marktes blieb jedoch erhalten.

Das der Orginalrekonstruktion entgegengesetzte Extrem ist die weitverbreitetste Form der Rekonstruktion. Die historisierende Fassade ist nur auf den ersten Blick orginalgetreu. Dahinter verbirgt sich ein modernes Gebäude, das mit dem Orginal herzlich wenig gemein hat. So ist es zum Beispiel beim Schloss in Berlin angedacht. Diese Form der Rekonstruktion vermittelt nur einen Eindruck von der einstigen Pracht des Orginals und wird von vielen Denkmalpflegern und Architekten abgelehnt.

Generelle Probleme bei der Rekonstruktion von Bauwerken

Egal welche Art der Rekonstruktion man vornimmt, es gibt einige Probleme und Fragestellungen, die immer wieder auftauchen.

  • Die Orginalbauwerke wurden oft nur unvollständig dokumentiert, also müssen die fehlenden Teile neu erdacht werden.
  • Die Baustoffe oder Bautechniken, die bei der Errichtung des Orginals zur Verwendung gekommen sind sind heute nicht mehr verfügbar oder finanziell nicht mehr erschwinglich.
  • Das Orginal entspräche nicht den Raumanforderungen, die die neue Nutzung des Gebäudes stellt. Daher wird das gebäude im Inneren neu strukturiert und gegliedert.
  • Das "Orginal" entspräche nicht mehr den heutigen statischen Sicherheitsanforderungen, also muß man das Tragwerk verändern. Ein Beispiel ist die Frauenkirche (Dresden), bei der Stahlbeton verwendet wurde.
  • Das "Orginal" entspräche nicht mehr heutigen Komfortansprüchen (Klima, Elektrotechnik, Sanitärinstallationen), also wird der Orginalentwurf dementsprechend angepasst.

Gründe

Es gibt sehr unterschiedliche Motive, die hinter dem Wunsch nach Rekonstruktionen stehen:

  • ästhetische Motive: viele finden historisierende Architektur "schöner" und haben keinen Bezug zu zeitgenössischer Architektur.
  • emotionale Motive:
  • Die Frauenkirche (Dresden) wurde zum Symbol der Versöhnung nach dem zweiten Weltkrieg und ein wichtiger Bestandteil der Identität der Stadt.
  • Das Schloß in Berlin liegt vielen Berlinern am Herzen. Eine Rekonstrukton wäre für sie ein bedeutsames Symbol.
  • kommerzielle Motive:

Diskussion

In der Architektur und Denkmalpflege ist die Rekonstruktion von Gebäuden sehr umstritten. Es stehen sich sehr unterschiedliche ästhetische Vorlieben und Wertvorstellungen gegenüber.

Kritiker

Zunächst gibt es grundsätzliche Kritik an der Idee der Rekonstruktion: warum sollte man etwas wiederentstehen lassen, dass nun einmal zerstört ist, wenn man doch statt dessen ein neues Gebäude errichten kann, das den Anforderungen der Nutzer viel besser entspricht und wahrscheinlich auch preiswerter ist?

Die Kritiker sagen, unsere moderne Gesellschaft benötige eine Architektur, die den modernen Lebensumsänden und Bedürfnissen gerecht werde und entspräche. Man könne nicht so tun, als lebe man noch im 18. Jahrhundert. Zeitgenössische Architektur sei ein Ausdruck gesellschaftlicher Identität, und die entwickele sich kontinuierlich weiter.

Zudem ist das Argument der Ästhetik, das historisierende, rekonstruierte Gebäude "schöner" seien für Viele der kritiker nicht nachvollziehbar, da sie zeitgenössische Architektur als ebenso ästhetisch empfinden.

Weiterhin finden sie, dass ein rekonstruiertes Gebäude kaum kulturellen und ideelen Wert habe und die Errichtung einer Kulissenarchitektur (oft wird abschätzig und unpräzise von Disneyland gesprochen) zur Verklärung der Vergangenheit und zum Verlust der Authentizität führe.

Befürworter

Die Befürworter argumentieren mit der Bedeutung im Stadtbild oder der ideelen Bedeutung eines Gebäudes.

Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß die als Alternative zu einer Rekonstruktion denkbaren Entwürfe im Stile zeitgenössischer Architektur den ästhetischen Vorlieben des Großteils der Bevölkerung nicht entspreche.

Es wird ausserdem eingewendet, daß ein Neubau im Stil der klassischen Moderne dem Ideal derselben nicht gerecht werden könnte, es könnte sich also nicht um "echte" Moderne handeln. Der Stil ist bereits fast 100 Jahre alt; ein Neubau nach damaligen Schemata wäre nicht zeitgemäß und praktisch eine Rekonstruktion.

Alternativen

Es gibt Beispiele, die Alternativen zur Rekonstruktion von zerstörten Gebäuden aufzeigen. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, ein Mahnmal gegen den Krieg. Oder die Kuppel des Reichstagsgebäudes, die zum Wahrzeichen des wiedervereinigten Deutschland geworden ist, was eine reine Rekonstruktion wohl nicht geschafft hätte.

Ausland

In anderen Ländern, zum Beispiel in Polen sind Rekonstruktionen üblicher und werden nicht so kontrovers diskutiert. Die Altstädte von Breslau, Danzig und Warschau wurden nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend wiederaufgebaut. Die vorwiegend in den Jahren 1946 bis 1953 erfolgte Rekonstruktion der Warschauer Altstadt wurde als eine Meisterleistung gewürdigt. Die Altstadt ist heute als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Das Warschauer Schloss wurde nach dem Krieg ohne Widerstände wiederaufgebaut, während heute die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses noch ungewiß ist.

Siehe dazu auch

  • Aktuelle Projekte:

Digitale Rekonstruktionen

Die digitale oder auch virtuelle Rekonstruktion dient zur Darstellung zerstörter Gebäude, Städte oder historischer Vorgänge. Die digitale Auferstehung zerstörter beziehungsweise beschädigter Kulturgüter wird mit CAD und Rendering-Software erstellt und dient der Veranschaulichung.

Beispiele

Siehe dazu auch

Literatur

Zur Begriffsklärung und Abgrenzung der Rekonstruktion gegenüber anderen Begriffen wie Wiederaufbau siehe:

Mörsch, Georg, Aufgeklärter Widerstand. Das Denkmal als Frage und Aufgabe. Basel, Boston, Berlin 1989, p. 97ss Zur aktuellen Diskussion um die Legitimität der Rekonstruktion in der Architektur:

Magirius, Heinrich/Böhme, Ulrich: Meinungsstreit: Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche oder Erhaltung der Ruine als Denkmal?, in: DKD 49.1991 (pp. 79-90)

Weitere Arten der Rekonstruktion

Datei:Mammut.JPG
Mammut, Rekonstruktion

Weitere Bedeutungen des Begriffs

In der Wirtschaftssprache der DDR bedeutete Rekonstruktion die Erneuerung vorhandener Produktionsmittel nach dem modernsten Stand von Wissenschaft und Technik, um hohen ökonomischen Nutzeffekt erzielen zu können. Der Begriff bezog sich nicht allein auf einzelne Betriebe, sondern erstreckte sich auf alle Bereiche der Wirtschaft.