Tagelied
Das Tagelied, teilweise auch mit dem französischen Begriff Aubade ( von altfranzösisch albade = weiß) bezeichnet, ist eine Gattung der mittelalterlichen Lyrik, die von deutschen Minnesängern aus der romanischen Tradition der okzitanischen Trobadors und der altfranzösischen Trouvères übernommen wurde, aber auch mittellateinische Anknüpfungspunkte besaß. Das Tagelied ist nicht primär formal, sondern inhaltlich und motivisch determiniert und schildert den Abschied eines Liebespaares bei Tagesanbruch.
Eine besonders beliebte Variante des Tagelieds war das so genannte Wächterlied, in dem ein eingeweihter Wächter den Ritter zum Aufbruch mahnt. Dieser Typus wurde im deutschen Sprachraum von Wolfram von Eschenbach eingeführt.
Da das Tagelied ein geheim zu haltendes Liebesabenteuer beschreibt, bildet es als erzählende Lyrikgattung ein sogenanntes genre objectif und unterscheidet sich darin von den reflektierenden Liedern der Hohen Minne, in denen der Ritter nur hoffen darf, aber nie ans Ziel seiner Werbung kommt. Das Tagelied genoss somit eine Sonderstellung und hatte für die in strenge Regeln eingebundene mittelalterliche Gesellschaft vielleicht eine befreiende Wirkung.
Wichtige Motive des Tagelieds sind die Schilderung des Tagesanbruchs, die Aufforderung zum Aufbruch und die Abschiedsklage (urloup).
Von Dietmar von Aist stammt das erste überlieferte Tagelied "Slâfest du, friedel ziere?". Weitere wichtige Vertreter des Tageliedes waren u.a. Heinrich von Morungen, Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide und später Oswald von Wolkenstein.
Moderne Tagelieddichter sind u.a. Rainer Maria Rilke, Ezra Pound, R. Boschart und Peter Rühmkorf. Ein bekanntes Beispiel für eine Aubade ist das Siegfried-Idyll für Kammerorchester von Richard Wagner.