Tunguska-Ereignis

Als Tunguska-Ereignis, mitunter auch als Sibirien-Meteorit, bezeichnet man die ungeklärte Explosion, die sich am 30. Juni 1908 in Sibirien in der Nähe des Flusses Steinige Tunguska (Podkamennaya Tunguska) im Gebiet der Keten[1] ereignete.
Ablauf

Die meisten Augenzeugen berichten von einer Explosion, einige jedoch auch von mehreren. Bei dem Ereignis wurden die Bäume im Umkreis von bis etwa 50 km entwurzelt und Fenster und Türen in der 65 km entfernten Handelssiedlung Wanawara eingedrückt. Es wird geschätzt, dass auf einem Gebiet von über 2000 km² rund 60 Millionen Bäume umgeknickt wurden[2]. Noch in über 500 km Entfernung, unter anderem von Reisenden der Transsibirischen Eisenbahn, wurden ein heller Feuerschein, eine starke Erschütterung und Druckwelle sowie Donnergeräusch wahrgenommen.
Mindestens ein Mensch kam dabei ums Leben. Berichtet wird über den Fall eines einheimischen Pelztierjägers, der von der Druckwelle gegen einen Baum geschleudert worden und wenig später seinen Verletzungen erlegen sei.
Erst 1927 wurde das Gebiet von einer Expedition unter Professor Leonid Alexejewitsch Kulik untersucht, welcher 1938 auch Luftbildaufnahmen der Region veranlasste.
Die Koordinaten des „Epizentrums“ sind[3] Vorlage:Koordinate Text Artikel, die Höhe des Ereignisses über der Erdoberfläche wird auf zwischen 5 und 14 km geschätzt. Die seismischen und barometrischen Aufzeichnungen ergaben einen Zeitpunkt von etwa 0:14 Uhr Weltzeit (7:14 Uhr Ortszeit).
Stärke

Eine Explosion mit einer Sprengkraft von 10 bis 15 Megatonnen TNT wäre nötig, um ein ähnliches Bild zu erzeugen. Dies entspricht etwa der 1150-fachen Sprengkraft der Atombombe „Little Boy“, welche die USA 1945 über Hiroshima abgeworfen haben. Manche Schätzungen gehen sogar von bis zu 50 Megatonnen TNT aus. Dies wäre dann nahezu ein Wert, wie ihn die Explosion der stärksten jemals gezündeten Wasserstoffbombe „Tsar-Bomba“ freisetzte.
Theorien
Einschlagstheorien
Die Ursache des Ereignisses ist bis heute umstritten. Als am meisten wahrscheinlich gilt der Absturz eines Kometen[4], eines Eisenasteroiden[5] oder eines Steinasteroiden geringer Dichte[6], der etwa 5–14 km über dem Boden explodierte und wegen seiner geringen Dichte keinen Krater verursachte.
Bis heute wurden keine makroskopischen Bruchstücke eines Impaktors gefunden. Eine kleinere Vertiefung wurde von Kulik als Krater gedeutet, was sich allerdings nicht bestätigt hat. Auch die Suche nach mikroskopischen staubförmigen Überbleibseln des Impaktors oder chemischen und isotopischen Anomalien, wie bei Eintrag außerirdischen Materials zu erwarten, war bisher nicht schlüssig. Nach theoretischen Abschätzungen der möglichen Bahnen des Tunguska-Boliden[7] ist ein Steinasteroid am wahrscheinlichsten, obwohl auch hier ein Komet nicht vollständig ausgeschlossen wird. Die Ergebnisse der Tunguska-Expedition von 1999 unterstützen die Ansicht vom Meteoriteneinschlag.
Nur wenige Stunden nach dem Tunguska-Ereignis wurde in einem ukrainischen Dorf in der Umgebung von Kiew ein Meteoritenfall beobachtet. Zwischen dem aufgefundenen Meteoriten (L6-Chondrit von 1,9 kg, nach seinem Fundort Kagarlyk benannt) und dem Tunguska-Ereignis wurde wegen des ansonsten unwahrscheinlichen zeitlichen Aufeinandertreffens ein Zusammenhang vorgeschlagen[8]. Messungen des Bestrahlungsalters von Kagarlyk[9] ergaben jedoch ein für L6-Chondrite sehr typisches Bestrahlungsalter von 16,2 Millionen Jahren. Demnach ist es unwahrscheinlich, dass Kagarlyk sich erst kurz vor der Explosion vom Tunguska-Objekt abgespalten hat, wie es von Steel[8] angenommen wurde, und Kagarlyk scheint eher die gleiche Herkunft zu haben wie die anderen L6-Chondrite.
Geophysikalische Theorien
Neben der Einschlaghypothese wurden auch alternative Theorien vorgeschlagen. Der russische Wissenschaftler Andrei Olchowatow favorisierte Ende der 1980er Jahre eine rein geophysikalische Deutung des Tunguska-Ereignisses. Ihm folgte der deutsche Astrophysiker Wolfgang Kundt, der die These vertrat, dass es sich um einen vulkanähnlichen Ausbruch gehandelt habe. Demnach wäre das Ereignis als Explosion von 10 Millionen Tonnen Erdgas zu erklären, das tagelang über Risse aus einem unterirdischen natürlichen Erdgaslager entwich, bis in hohe Atmosphärenschichten aufstieg, sich dort entzündete und in einer Flammenfront von oben bis hinunter zur Austrittsstelle abbrannte. Dies würde die von Zeugen berichteten verschiedenen Bewegungsrichtungen der hellen Leuchterscheinung erklären. Auch ein leichtes Erdbeben und merkwürdige atmosphärische Leuchterscheinungen, die in den Tagen vor der Explosion beobachtet wurden, könnten damit in Zusammenhang stehen. Allerdings kann diese Theorie nicht die Helligkeit der Explosion erklären, da die Leuchtdichte eines in Luftsauerstoff brennenden Gases kaum größer als die einer Kerzenflamme ist und auch keine derart intensive Wärmestrahlung aussendet, wie sie tatsächlich von vielen Menschen wahrgenommen wurde.
Außenseitertheorien
Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurden zahlreiche Außenseitertheorien geäußert. So wurde unter anderem der Einschlag eines kleinen Schwarzen Loches, der Absturz eines extraterrestrischen Raumschiffes oder der Kontakt mit Antimaterie für das Ereignis verantwortlich gemacht.
Siehe auch
- Chiemgau-Impakt
- Liste von Meteoriten
- Durchschlagskraft von Meteoriten, Geschossen und anderen Impaktoren nach Newton
Quellen
- ↑ Keten: Jenissei-Ostjaken
- ↑ Nature, Vol. 440, 23. März 2006, S. 390
- ↑ V. G. Fast, 1967
- ↑ Harlow Shapley, 1930
- ↑ Leonid A. Kulik, 1939
- ↑ Fesenkov, 1949
- ↑ P. Farinella et al., 2001 (s. Literatur)
- ↑ a b Steel, 1995 (s. Literatur)
- ↑ Eugster et al., 1998 (s. Literatur)
Literatur
- P. Farinella, L. Foschini, Ch. Froeschl, R. Gonczi, T.J. Jopek, G. Longo, P. Michel (2001): Probable asteroidal origin of the Tunguska Cosmic Body. Astronomy & Astrophysics, 377, 1081-1097 (Zusammenfassung, Volltext (PDF))
- D. Steel (1995): Tunguska and the Kagarlyk meteorite. The Observatory, Vol. 115, Nr. 1126, p. 136
- O. Eugster, E. Polnau, D. Terribilini (1998): Cosmic ray and gas retention ages of newly recovered and of unusual chondrites. Earth and Planetary Science Letters 164, 511-519
Roman, Musik, Medien
Roman
- 1951: Stanislaw Lem verarbeitete das Tunguska-Ereignis in seinem Roman Die Astronauten. Er schildert die Explosion eines Raumschiffs, das von einer auf der Venus beheimateten Zivilisation stammt.
- 1996: In dem Roman Rückkehr der Zauberer von Wolfgang Hohlbein dient das Ereignis als Aufhänger.
- 2002: Ljod. Das Eis ist ein Roman von Wladimir Sorokin, der das Ereignis behandelt.
Musik
- 2004: Alan Parsons widmete dem Ereignis das Stück Return to Tunguska auf dem Album A Valid Path.
Medien
- Tunguska ist der Titel einer Doppelepisode der Mystery-Serie Akte X (Link).
- Geheimakte Tunguska ist der Titel eines PC-Adventure-Spieles.
Weblinks
- Historische Fotos des Census 1927/28
- http://www.science-explorer.de/tunguska.htm
- http://www.astronews.com/news/artikel/2003/09/0309-011.shtml
- http://www.sax.de/~stalker/pad/200005/
- http://www.dradio.de/dlf/sendungen/wib/180172/
- http://olkhov.narod.ru/tunguska.htm
- http://www.geocities.com/CapeCanaveral/Cockpit/3240/tunguska.htm#1
- Telepolis:
- Tunguska genetic anomaly and electrophonic meteors
- Koordinaten (Placemark) für Google Earth