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Jesus von Nazaret

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Jesus von Nazareth war ein Jude aus Galiläa, der in der Zeit zwischen 29–33 n. Chr. im Gebiet des heutigen Israel öffentlich predigte, heilte und lehrte, bis er von der römischen Besatzungsmacht als Messiasanwärter gekreuzigt wurde. Er ist aufgrund der Auferstehungsvisionen von einigen seiner Jünger als Heilsmittler erkannt worden und hat eine neue Religion ausgelöst: das Christentum. Dort heißt er "Jesus Christus", womit seine zentrale Rolle als Erlöser bekannt wird.

Giotto, Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel

Der Name

"Jesus aus Nazareth ist der Christus"

  • "Jesus" ist die latinisierte Form des griechischen Ιησους. Dieses übersetzt seinerseits den hebräischen Vornamen Jeschua, auch Jehoschua oder Josua. So hieß der Nachfolger des Mose.
  • "Jehoschua" verbindet "Je" (Präfix von JHWH, dem Gottesnamen) und "Hoshea" (Rettung, Heil, vgl. Hosea). "Jesus" heißt also auf Hebräisch: "Gott-Retter" oder als Satz: "Gott rettet". Dieser männliche Vorname war zu Lebzeiten Jesu unter Juden weit verbreitet. - Jüdische Jungen wurden in der Regel nach ihrem Vater genannt: Dann hätte Jesus Jehoschua ben Josef geheißen. Einen sicheren Beleg dafür bietet das Neue Testament (von nun an: NT) nicht. Lk. 4, 22 nennt "Josefs Sohn" ohne Vornamen und betont damit den Kontrast der Umweltmeinung zur Jungfrauengeburt (Lk. 3, 23). Jh. 1, 45 betont mit "Jesus, Josefs Sohn aus Nazareth" seine Abstammung von David. Die früheren Versionen (Mk. 6, 3/Mt. 13, 55) nennen ihn dagegen "Sohn der Maria".
  • "von Nazareth" gibt seine Herkunft an (Mk. 1, 9): den Wohnsitz seiner Familie (Lk. 2, 4), eventuell auch den Geburtsort (Lk. 1, 26). Da der Namenszusatz "Nazarenus" im NT mit "Nazoraios" variiert wird (Jh. 19, 19), sind andere Deutungen möglich (s.u.).
  • "Christus" ist die latinisierte Form des griechischen Χριστος. Dieses übersetzt wiederum das hebräische "maschiach", deutsch "der Gesalbte". Es handelt sich um einen Ehrentitel für Könige und Hohepriester, später reserviert für den zukünftigen König der Heilszeit, den Messias.

"Dieser Jesus (der aus Nazareth kam) ist der Retter."

Deklination. Der Name "Jesus Christus" wird im traditionell kirchlichen Gebrauch lateinisch dekliniert:

Nominativ: Jesus Christus
Genitiv: Jesu Christi
Dativ: Jesu Christo
Akkusativ: Jesum Christum
Ablativ: Jesu Christo

Die Endsilbenvokale sind zum Teil verschieden, weil "Jesus" auf Latein der u-Deklination, "Christus" der o-Deklination angehört.

Das Christentum entstand, als Griechisch die allgemein anerkannte Verkehrssprache war. Daher übertrugen sich die griechischen Namensformen in andere Sprachen, nicht aber die hebräischen. Nachdem sich Juden- und Christentum getrennt hatten, wurde der Name "Je(ho)shua" im Judentum nur noch selten verwendet.

Nazarener, Nazoräer oder Nasiräer?

Die Bedeutung des Zusatzes "Nazarenus" ist umstritten. Er kann die Herkunft aus Nazareth in Galilea bezeichnen. Er kann aber auch von "Nazoräer" oder "Nasiräer" abgeleitet sein.

"Nazoraios" bezeichnet keinen Ort, sondern eine Lehrtätigkeit. Ein "Rabbi" war auch ein Schriftlehrer. So hießen Talmudlehrer früher "Amoraios", später "Saboraios", Mischnalehrer "Tanojaios". "Nazoraios" nannten sich die Mandäer wohl wegen ihrer Taufriten. Aber auch Christen wurden zuerst so genannt (Apg. 24, 5).

Dass Jesus Nazoräer genannt wird (Jh. 19, 19), könnte daher an seine frühere Zugehörigkeit zu den Jüngern Johannes des Täufers erinnern. Diese sahen Jesus zuerst als einen der ihren, später aber als Lügenpropheten an. Vielleicht haben die Evangelisten den "Nazoräer" daraufhin bewusst oder irrtümlich zum "Nazarener" gemacht (P. Lidzbarski).

So sagt Mt. 2, 23: "(Josef) kam und wohnte in der Stadt, die Nazareth heißt, damit erfüllt würde, was die Propheten gesagt haben: Er soll Nazarener heißen." Eine solche Verheißung ist aber im Alten Testament (von nun an: AT) nicht zu finden.

Ein Nasiräer dagegen ist Jesus wohl nie gewesen: Diese Gruppe schwor einen Eid, keinen Alkohol zu trinken, sich keiner Leiche und keinem Grab zu nähern. Jesus hat all das im Verlauf seines Wirkens getan und jeden Eid abgelehnt (Mt. 5, 33ff).

Der historische Jesus

Zum Charakter der Evangelien

Historische Informationen über Jesus von Nazareth stammen fast alle aus dem NT der Bibel: insbesondere aus den Evangelien, einer besonderen Literaturgattung im antiken Raum.

Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse, keine Augenzeugen- oder Tatsachenberichte: Sie wollen Jesus als wiederkommenden Christus verkünden, indem sie seine Geschichte deutend nacherzählen. Dabei legen sie auf exakt nachprüfbare Fakten wenig Wert, sei es, weil diese unbekannt waren (z.B. Jesu Geburtsdatum), sei es wegen übergeordneter Verkündigungs-, Missions- und Lehrabsichten.

Erst die Neuzeit hat einen Begriff von historischer Objektivität entwickelt, dessen Anspruch die Glaubensdokumente des NT kaum genügen können noch wollen. Daraus ergibt sich das methodische Problem, "historische" von "geglaubten" Tatsachen zu unterscheiden.

200 Jahre intensive historische NT-Forschung hat jeden Satz und jedes Wort gedreht und gewendet, jede denkbare Hypothese erwogen, alles bis hin zur Existenz Jesu bezweifelt oder in großartige spekulative Theorien eingeordnet (siehe Leben-Jesu-Forschung).

Doch inzwischen lautet der Minimalkonsens: Es gab Jesus wirklich, und einige Daten seines Lebens und Sterbens sind relativ gewiss. Dazu gehört auch, wer er selbst sein und was er tun wollte. Um das zu erkennen, muss man nicht an Jesus als den Christus glauben.

Aber man darf es! Denn das ganze NT sieht Jesus von seiner Auferstehung her. Es geht davon aus, dass Gott ihn tatsächlich auferweckt hat (Mk. 16, 6). Das lässt sich nur als glaubwürdig nahe legen, wenn man bereits daran glaubt. Deshalb gehört eine Analyse der Ostertexte nicht zum Artikel über den historischen Jesus, sondern zu seiner theologischen Deutung (siehe Jesus Christus im Neuen Testament).

Die Evangelien entstanden zwischen 60 und 120 n. Chr.: Jesu Tod lag also schon mindestens 30 Jahre zurück. Sie enthalten aber ältere schriftliche und mündliche Tradition, etwa aus einer Logienquelle und einem frühen Passionsbericht aus Jerusalem (s.u.). Deren älteste Anteile können aus Jüngerkreisen stammen, die Jesus zu Lebzeiten kannten und folgten.

Zwar wurde fast alles, was wir von Jesus wissen können, von gläubigen Christen überliefert: Doch diese waren zugleich fast alle Juden und darin geübt, ihren Traditionen treu zu sein. Für übertriebene historische Skepsis besteht daher kein Grund - allerdings ebenso wenig für kritiklose und ahistorische Betrachtungsweisen.

Lebensdauer

Historische Bezüge im NT deuten darauf hin, dass Jesus zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren, zwischen 30 bis 33 n. Chr. gekreuzigt wurde. Die Erzählungen der Evangelien erstrecken sich, abgesehen von Geburts- und Jugendtexten, etwa auf die Zeit vom 30. Lebensjahr Jesu bis zu seinem Tod mit etwa 33 Jahren.

Geburt

Seriöse Historiker beurteilen die Geburtsgeschichten weitgehend als Legenden. Diese wollen bestimmte theologische Aussagen über Jesus machen und stellen ihn dazu in den Rahmen der biblischen Erwartungen. So ist z.B. der Kindermord des Herodes (Mt. 2, 13) historisch nicht belegt. Er setzt Jesus in Beziehung zum Kindermord des ägyptischen Pharao, der Israels Exodus vorausging (Ex. 1, 22): Damit wird die Person Jesus als der Befreier Israels dargestellt.

Das Lukas- und Matthäusevangelium legen nahe, dass Jesu Geburt und frühe Kindheit in Bethlehem stattfand. Damit sollte offenbar Jesu Abstammung von David und seine Messiaswürde belegt werden (Mt. 2, 6/ Mi. 5, 1). Darum halten es viele Historiker für wahrscheinlicher, dass Jesus in Nazareth (Mk. 1, 9), dem Wohnort seiner Familie (Mk. 6, 1), oder in Kapharnaum, dem Ort seines ersten und wiederholten Auftretens (Mk. 1, 21) geboren wurde.

Sprache

Jesus war Jude und sprach im Alltag aramäisch, die Muttersprache eines galiläischen Juden jener Zeit. Als Rabbi konnte er wahrscheinlich auch hebräisch. Es ist umstritten, ob er auch griechisch, die damalige Verkehrssprache (siehe: Koiné) beherrschte. Die hebräische Bibel war bereits ins Griechische übersetzt (Septuaginta). Doch wahrscheinlich wurde sie nur von hellenistisch geprägten vornehmen Juden so gelesen, nicht aber in den Synagogen Galiläas, wo Jesus zuerst auftrat.

Babylonier und Perser übernahmen das Aramäische oder Syrische Jahrhunderte früher von den Assyrern und führten es in ihrem Großreich ein, um alle eroberten Gebiete zu einen. Sie versuchten, deren Völkern mit ihrer Sprache ihre religiösen Traditionen und damit ihre Identität zu rauben.

Bei der Suche nach "echten" Jesusworten ist ein wichtiges Kriterium, dass sich griechische Ausdrücke und Wendungen ins Hebräische und Aramäische zurück übersetzen lassen (Joachim Jeremias). Einzelworte, die Jesus zugeschrieben werden, können aber nur im Gesamtkontext seines Wirkens als "echt" oder "unecht" beurteilt werden. Hier sind seine Zeichenhandlungen und die damit verbundenen Bezüge auf die hebräische Bibel wichtig.

Jugend, Ausbildung und Beruf

In seiner Jugendzeit kam Jesus wohl mit dem Pharisäismus in Berührung. Er soll sich sehr früh gut in der Bibel ausgekannt haben (Lk. 2, 46f). Jesus verfügte in der Tat über gute Schriftkenntnisse und verwendete in seinen Torapredigten und Gleichnissen einen rabbinischen Argumentationsstil. Das macht es wahrscheinlich, dass er eine rabbinische Ausbildung genoss. Die ersten Jünger nannten ihn "Rabbuni" (aramäisch: Meister, Lehrer), und seine späteren Lehren weisen einige Ähnlichkeiten zu Pharisäerschulen auf, etwa zu der des Rabbi Hillel (Heilen am Sabbat Mk. 2-3, Betonung der Nächstenliebe als Zentralgebot Mk. 12, 28ff).

Ein Rabbi lebte nicht vom Lehren, sondern übte ein gewöhnliches Handwerk zum Lebensunterhalt aus. Jesus lernte den Beruf des Zimmermanns oder richtiger: Bauhandwerkers, den auch sein Vater Josef ausübte (Mk. 6, 3).

Familie

Die Quellen erwähnen einige Verwandte Jesu, namentlich vier Brüder (Mk. 6, 3): Jakobus, Joses (Josef? Mt 13, 55), Judas, Simon. Der dort verwendete Begriff "Brüder" kann im biblischen Umfeld aber auch zumindest "vereinzelt bei lockerem Sprachgebrauch" andere männliche Verwandte bezeichnen. Ähnliches gilt, wenn auch seltener belegt, bei "Schwestern" (W. Bauer). Jesus hatte auch Schwestern, deren Namen jedoch verschollen sind.

Nach den Evangelien war Jesu Verhältnis zu seinen Verwandten anfangs sehr gespannt. Offenbar versuchten sie mehrfach, sich zwischen ihn und seine Aufgabe zu stellen und ihn vom Predigen und Heilen abzuhalten. Sie hielten ihn für verrückt: "Er ist von Sinnen!" (Mk. 3, 20f). In so einer Situation fragte er seine Zuhörer (Mk. 3, 31-35):

"Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und er schaute auf die, die rings um ihn saßen und sagte: Siehe, ihr seid meine Mutter und meine Brüder! Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter."

Diese Aussage zeigt, dass Jesus eine andere Auffassung des Willens Gottes hatte als das traditionelle Judentum. Dort war gerade die Achtung gegenüber den Eltern (das 4. Gebot) zentral.

Jesus erfuhr daher Ablehnung in Nazareth, wo man ihn kannte (Mk. 6, 1-6): "Ist das nicht der Bauhandwerker, Marias Sohn...? Und sie waren verärgert über ihn. Jesus aber sagte zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Heimat, bei seiner Sippe und in seinem Ort."

Zum Ruf in die Nachfolge gehörte das Aufgeben der familiären Bindungen. Andererseits sorgten gerade Frauen aus Jesu näherer Umgebung für ihn und die übrigen Männer (Mk. 1, 31) auf ihrem Weg. Sie blieben bis zum Ende bei ihm (Mk. 15, 41).

Nach Jh. 19, 26f gehörte auch Jesu Mutter dazu. Er soll sich sogar noch am Kreuz hängend um ihre Altersversorgung gekümmert und sie getröstet haben:

"Als nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, dein Sohn! Darauf spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich."

Mitglieder seiner Familie gehörten zu den ersten Christen. Sein ältester Bruder Jakobus wurde sogar einer der Leiter der Urgemeinde (Gal. 2, 9). Doch dieses Ansehen erwarb er sich erst nach Ostern, daher sagt das wenig über Jesu Verhältnis zu ihm davor.

Jordantaufe

Alle Evangelien stimmen darin überein: Jesu Auftreten begann nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer. Alle gestalten die Taufe Jesu als das Ereignis aus, bei dem Gott ihn zu seinem Sohn erwählt und seinen Geist auf ihn gesandt habe.

Johannes war ein Bußprediger, der als Wüstenasket zurückgezogen lebte. Er trug einen Kamelhaarmantel und aß Heuschrecken und wilden Honig (Mk. 1, 4). Vielleicht stand er der Sekte der Essener nahe. Er predigte die bevorstehende radikale Wende der Endzeit und rief das ganze Volk Israel zur Umkehr: Damit griff er auf die Zukunftserwartung (Eschatologie) der jüdischen Prophetie und Apokalyptik zurück. Das Tauchbad im Jordan sollte die Rettung der Getauften aus dem Endgericht realsymbolisch vorwegnehmen. Darauf geht die spätere christliche Taufe zurück.

Jesu historisches Verhältnis zum Täufer ist ambivalent. Es gab offenbar eine Nähe, aber auch Konkurrenz zwischen Johannes- und Jesusgruppen (Jh. 4, 1). Die Mandäer sahen in Jesus später - wohl nachdem er eigene Jünger berief, verschärft nach der Enthauptung des Täufers - einen Lügenpropheten. Die Evangelien dagegen sehen im Täufer den letzten Propheten des Alten Bundes, den Vorläufer der Ankunft des Messias.

Jesus ließ sich taufen, hat aber nach den älteren Evangelien selbst niemand getauft. Ob die Episode Jh. 3, 22–36 echte Erinnerung an seine frühere Tauftätigkeit spiegelt, ist umstritten.

Jesus übernahm den apokalyptischen (endgültigen) Umkehrruf von Johannes, grenzte sich aber deutlich von dessen strenger "Reinheit" ab: Er pflegte die Tischgemeinschaft mit "Unreinen" und lehnte die Askese für seine Jünger ausdrücklich ab (Mk. 2, 16-19).

Reich-Gottes-Verkündigung

Nach dem ältesten Evangelium des Markus begann Jesus nach der Festnahme des Täufers durch die Dörfer Galiläas zu ziehen (Mk. 1, 14). Dabei scharte er eine stetig wachsende Gruppe von Anhängerinnen und Anhängern um sich. Von Beginn an gehörten Frauen dazu (Mk. 1, 31).

Zentrales Thema von Jesu Reden und Wirken war wie für Johannes die endzeitliche Wende, der unmittelbar bevorstehende Anbruch des "Reiches Gottes", das in der Prophetie Israels seit dem Exil eine zentrale Rolle spielt. Aber anders als andere Wanderprediger seiner Zeit war Jesus, soweit bekannt, der einzige, der behauptete, dass dieses Reich schon punktuell angebrochen sei (Lk. 11, 20): und zwar in seinem eigenen heilsamen Handeln (Mt. 11, 2ff/Lk. 7, 18ff).

Jesus bezog sich dabei vor allem auf Heilsansagen der exilisch-nachexilischen Propheten Deuterojesaja (Jes. 40-55) und Tritojesaja (Jes. 56-66, ab etwa 530 v. Chr.). Er bezog diese auf das Volk der Bettelarmen (Lk. 6, 20/ Mt. 5, 1). Deren Befreiung sah Jesus als seine ihm von Gott aufgetragene Mission an (Lk. 4, 17–21).

Die große Bevölkerungsmehrheit war damals sehr arm, täglich von Hunger, römischer Gewalt und sozialem Absturz bedroht. Steuern für Rom, Opferzwang und Tempelsteuer, Arbeitsmangel, Schuldversklavung und Epidemien lasteten auf dem Volk. Jüdische Steuereintreiber ("Zöllner") fanden selbst oft nur ein Auskommen, wenn sie ihre Landsleute betrogen.

Jesus versprach den Armen den Landbesitz (Mt. 5, 5) und das "Gnadenjahr" der gerechten Bodenreform (Lk. 4, 19f, vgl. 3. Mose 25/5. Mose 15). Dem entsprach seine Forderung an einen Großgrundbesitzer, all seinen Besitz aufzugeben, den Armen zu schenken und Jesus nachzufolgen (Mk. 10, 17–27). So erneuerte er die jüdische Zukunftserwartung einer umfassenden revolutionären Veränderung zu Gunsten der Besitz- und Rechtlosen.

Heiltätigkeit

Jesus betonte in seiner Verkündigung das Zentralgebot der Nächstenliebe (Lev. 19, 17f) und realisierte es mit seiner lebensrettenden Heiltätigkeit für Kranke und Randgruppen, die nach geltender Toraauslegung gemieden wurden und so häufig zum Tod verurteilt waren (A. Holl). Das verband ihn mit reformorientierten Pharisäern.

Aber anders als sie trieb Jesus "Dämonen" aus, d.h. er heilte auch für unheilbar gehaltene Krankheiten. Bezieht man Textmotive auf moderne Krankheitsbilder, dann heilte Jesus u.a. Lepra, grauen Star, Epilepsie, Schizophrenie.

Doch hier muss man berücksichtigen: Heilwunder werden in der antiken Umwelt oft berichtet. In Israel aber galten besondere Kräfte schnell als Teufelei. Seine "Vollmacht" brachte Jesus nicht nur Sympathie, sondern auch Neid, Abwehr, Feindschaft ein.

Jesus verstand sein Wirken als Sendung Gottes zu denen, die nach den geltenden religiösen Gesetzen von Gottes Reich ausgeschlossen waren (Mk. 2, 17):

"Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.
Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten."

Die "Sünder" waren z.B. Steuereintreiber, die ihre Landsleute übervorteilten, um gut leben zu können. Sie wurden daher gehasst, verachtet und gemieden. Jesu Tischgemeinschaft mit ihnen gab ihnen vorweg Anteil am Reich Gottes, befreite sie vom Unrechttun und veranlasste sie zur Rückgabe des geraubten Gutes (Lk. 19, 1–10).

Jesu erste Adresse waren aber die Armen, nicht die Reichen. So beginnt die Bergpredigt mit den Makarismen (Heilszusagen) an das verarmte, Unrecht und Not leidende Volk. Sie legen das 1. Gebot (Ex. 20, 2) prophetisch aus. Gott ist der Befreier der Sklaven: Darum gehört sein Reich den Armen schon, und die Erde wird ihnen gehören (Mt. 5, 3–11)!

Darauf folgt die Erinnerung an Israels Auftrag, Licht der Völker zu sein (5, 14–16/ Jes. 42, 6), also die Tora vorbildlich zu erfüllen. Der Evangelist betont demgemäß, dass Jesus die Tora bis ins Kleinste erfüllen, nicht aufheben wollte und Christen die Juden darin übertreffen sollen (Mt. 5, 17–20).

Ob Jesus selbst das so sah, ist umstritten. Wie er die Tora auslegte, zeigen die folgenden "Antithesen" (Tora-Predigten), die Matthäus zusammenstellte. Sie beziehen sich auf das 5., 6., 10., indirekt auch auf das 2. und 8. Gebot des Dekalogs (Ex. 20, 2–17) sowie die Talionsformel (Ex. 21, 24).

Jesus verschärft das Gebot "Morde nicht", indem er schon den Hass auf andere als todeswürdig kennzeichnet und unter Gottes Gericht stellt. Ebenso verschärft er das Gebot "Brich die Ehe nicht" für den jüdischen Mann, indem er schon das Begehren einer anderen Frau als Ehebruch kennzeichnet. Er lehnt jeden Eid als Missbrauch des Gottesnamens und Lüge ab. Er bezieht Israels Feinde in die Nächstenliebe ein und stellt Gottes Schöpfungstreue gegen das Vergeltungsrecht (Mt. 5, 21–48). Er sieht das Anhäufen von Besitz als Bruch des 1. Gebots (Mt. 6, 19f.24) und fordert Landeigentümer zur Besitzaufgabe zu Gunsten der Armen auf (Mk. 10, 17–27).

Hinter dieser Toradeutung stehen die damaligen Verhältnisse: Gerichte waren in römischer und sadduzäischer Hand, Rechtsbeistand konnten Arme dort kaum erwarten, Hass auf Ausbeuter griff um sich. Männer durften fremdgehen, erwarteten aber zugleich unberührte Ehefrauen. Oft entrechteten sie diese dann, indem sie sie verstießen. Die Besatzer benutzten Juden als Lastesel und schlugen die, die sich weigerten. Verschuldung und Enteignung bedrohte die Existenz der Armen.

Jesus nennt diese Lage "das Böse" (Mt. 5, 39), rät aber dazu, auf Gegengewalt zu verzichten und die Feinde mit freiwilligem Entgegenkommen zu demütigen, um sie zu "entfeinden". Er wollte die Ursachen der Not angreifen und Gottes Reich auch Ausländern verkünden. Er wollte keine Strafen erhöhen, sondern im Gegenteil das gnadenlose Verurteilen anderer zum Tode aufdecken und überwinden, um Gottes Volk als Ganzes vor Krieg und Untergang zu retten (Mt. 7, 1–6):

"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!"

Gerade weil Jesus das 1. Gebot über alles stellte, hob er die Reinheitsgesetze ganz (Mk. 7, 1–22) und die Kultgesetze teilweise auf. Die Versöhnung mit dem Bruder und das Segnen der Feinde (Mt. 5, 23f.44) geht dem Opfern im Tempel voraus, weil die Nächstenliebe gleichrangig mit der Gottesfurcht ist (Mk. 12, 28–34): Das war Jesu Maßstab, und in diesem Sinne hat er Israels Tora tatsächlich erfüllt.

Anhänger

Von Beginn seines Auftretens an gewann Jesus Nachfolger. Die Berufungstexte zeigen, dass der Ruf in die Nachfolge mit dem "Verlassen" von Beruf, Familie, Besitz unlösbar verbunden war (Mk. 10, 28–31).

Was über die damalige ökonomische Lage der Juden in Palästina bekannt ist, legt jedoch nahe, dass da nicht viel war, was man verlassen konnte. Vielmehr spiegeln die Texte umgekehrt die Verhältnisse, unter denen auch Jesu Jünger zu leiden hatten. Ihre Gefahr war nicht das Festhalten von Besitz, sondern vielmehr das Aufgeben ihrer Mission zu Gunsten eines gesicherten Existenzminimums (Mt. 6, 25–33). Insofern war die von Jesus geforderte Besitzlosigkeit seiner Anhänger nur Ausdruck der weit verbreiteten Lebensumstände (G. Theißen).

Frühe Stoffe der Logienquelle zeigen: Die Jesusanhänger zogen mittel- und waffenlos umher (Mt. 10, 5–15). Ihre Aufgabe war, genau wie Jesus selbst das Reich Gottes zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, sogar Tote zu erwecken, und vor allem: Gottes Segen weiterzugeben. Beim Betreten eines Hauses grüßten sie mit dem Friedensgruß "Shalom": Damit stand dieses Haus unter Gottes Schutz. Waren sie nicht willkommen, dann verließen sie den Ort, reinigten sich von dessen Staub und überließen ihn Gottes Gericht, ohne zurück zu kehren.

Dass diese Wanderbettler vom Hungertod bedroht waren, zeigt die Episode Mk. 2, 23–27: Jesu Jünger lasen Ähren von abgeernteten Feldern auf, sogar am Sabbat. Jesus vertrat wie Hillel die Auffassung, dass der Bruch der Sabbatruhe bei Lebensgefahr schon in der Tora erlaubt sei (Mk. 3, 4).

Gegner

Jesu Heilwunder am Sabbat sollen eine Verschwörung zwischen Pharisäern und Herodianern gegen ihn ausgelöst haben (Mk. 3, 6). Doch gerade Pharisäer erlaubten Lebensrettung am Sabbat schon vor Jesus. Herodes hingegen, der von Rom eingesetzte Marionettenkönig, war nicht am Befolgen jüdischer Gesetze im Alltag interessiert und wurde deshalb gerade in Galiläa von vielen Pharisäern abgelehnt.

Dass die Evangelien Pharisäer überwiegend als Feinde Jesu darstellen, wird von Historikern mit ihrer Entstehungssituation nach 70 n. Chr. im gegenseitigen Abgrenzungsprozess von Christen und Juden begründet.

Herodes gehörte sicher zu Jesu Feinden. Er ließ Prachtpaläste bauen, während das Volk hungerte. Nachdem er den Täufer hinrichten ließ (Mk. 6, 14–29), heißt es über die Lage des Volkes: "Sie waren wie Schafe ohne Hirten." (Mk. 6, 34)

Jesu Reich-Gottes-Verkündigung trennte ihn aber vor allem von den Sadduzäern: der vornehmen, vom Hellenismus geprägten Jerusalemer Führungsschicht, die sich auf Zadok, den Priesterkönig aus der Makkabäerzeit zurückführten. Sie waren im Hinterland weniger präsent, wachten aber auch dort über die Einhaltung der Reinheits- und Opfergesetze. Jesus setzte diese für seine Jünger komplett außer Kraft (Mk. 7, 1–23). Damit wurde ein Konflikt mit ihnen unvermeidlich.

Zug nach Jerusalem

Die Hinrichtung des Bußpredigers Johannes könnte Jesu Sendungsbewusstsein und seinen Entschluss, nach Jerusalem zu ziehen, veranlasst haben. Auch die Vorahnung seines eigenen gewaltsamen Todes kann er so gewonnen haben (Mk. 8, 31 par.).

Aber er wollte offenbar ganz Israel von Not, Krankheit und Sünde befreien und zog darum in die "Höhle des Löwen". Unterwegs folgten ihm Juden, die ihn für den wiedergeborenen Täufer, den Endzeitpropheten Elia oder sogar für den Messias hielten (Mk. 8, 27–30).

Manche Historiker meinen, Jesus sei nicht wiederholt, sondern wie die meisten armen Juden aus der Provinz nur einmal in seinem Leben nach Jerusalem gepilgert. Dann hätte er nur etwa ein Jahr öffentlich gewirkt.

Jesus traf in der Tempelstadt auf zwei mächtige, miteinander kooperierende Gruppen: die sadduzäischen Tempelpriester, die den vorfindlichen Tempelbetrieb verteidigten und von den Opfergaben des Volkes lebten, und die römischen Besatzer, die Israel kolonisierten, als Getreide und Holzlieferanten ausbeuteten und deren Militär jeden Winkel beherrschte.

Jesus und die Zeloten

Seit den Tagen des Judas Makkabäus (ca. 170 v. Chr.) gab es in Israel eine Tradition des Widerstands gegen Fremdmächte, die Israel ihre Religion aufzwangen. Auslöser für Aufstände waren oft Königs- oder Götterstatuen, die ein Fremdherrscher im Jerusalemer Tempel aufstellen ließ. Das widersprach dem biblischen Bilderverbot als Kehrseite des 1. Gebots (Ex. 20, 2ff).

Die Religionspolitik der Römer war zunächst toleranter als die ihrer Vorgänger. Doch um 4 n. Chr. verordneten sie allen Juden eine Volkszählung, um ihre Tributpflicht zu prüfen und zu erzwingen. Der Galiläer Judas versuchte einen Boykott dagegen zu organisieren. In diesen Kontext hat der Evangelist Lukas Jesu Geburt gestellt (Lk. 2, 1).

Judas scheiterte, aber danach verübten seine Anhänger vermehrt Anschläge gegen römische Beamte und Soldaten. Andere waren weniger radikal und beschränkten sich darauf, Steuerforderungen der Römer passiv zu verweigern. Das Zahlen von Steuern an den römischen Kaiser galt als Götzendienst, da dessen Bild auf die Münzen geprägt war und er sich seit Augustus als Gott verehren ließ.

Jesus kam wie viele jüdische Befreiungskämpfer aus dem bergigen Hinterland Galiläa, dem Gebiet des früheren Nordreichs, wo die Exodus- und Widerstandstradition lebendig blieb. Doch nach den Evangelien war sein Anliegen nicht, die Römer mit Gewalt aus Israel zu vertreiben. Er hatte eine andere Grundhaltung als die Zeloten: Er lehrte, dass Israels Aufgabe sei, die Völker zu segnen, nicht zu hassen, also der ohnehin übermächtigen Gewalt nicht mit Gegengewalt zu begegnen, sondern die Feinde durch unerwartetes Entgegenkommen zu überraschen (Mt. 5, 38-48) und so zu "entfeinden" (P. Lapide).

Am Verhalten zur Kaisersteuer erkannte man einen Zeloten. Mk. 12, 13–17 berichtet, wie Jesu Gegner ihm eine Falle stellten, um ihn als Zeloten zu überführen und an die Römer ausliefern zu können. Darauf soll Jesus gesagt haben:

"Gebt dem Kaiser, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört!"

Das hieß offenbar: Der Kaiser ist nicht Gott. Gebt ihm nicht, was Gott gehört: euch und euer Volk. Jesus lehnte die Steuerverweigerung also nicht ab, ordnete sie aber dem großen Ziel unter: ganz Israel und die Völker zu befreien. Denn auch er war ein "Eiferer" (zelotes) für Gottes Reich.

Darum folgten ihm auch einige Zeloten nach und erhofften sich große Dinge von ihm, als er nach Jerusalem zog: so auch sein Jünger Judas, der ihn dann – enttäuscht? – an den "Feind" verriet.

Einzug in Jerusalem

Zu jedem Passahfest strömten Massen von Festpilgern in die Hauptstadt, unter ihnen auch Jesu Anhänger. Als er den Stadtrand erreichte, begrüßten sie ihn laut Markus wie einen neuen König (Mk. 11, 9f):

"Gelobt sei, der da kommt im Namen unseres Gottes! Gelobt sei das Reich Davids!"

Offenbar hoffte das Volk auf einen Sieg über die Römer und ein neues Großisrael. Jesus reagierte darauf mit einer Zeichenhandlung: Er ritt auf einem jungen, zuvor unberittenen Esel in die Stadt ein. Das erinnerte das Volk an die Verheißung des nachexilischen Propheten Sacharja :

"Tochter Zion freue Dich, jauchze, Jerusalem! Siehe, Dein König kommt zu Dir! Ein Gerechter und Helfer, arm [ist er] und reitet auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin. Denn Ich [Gott] werde die Kriegswagen aus Ephraim [Nordreich] wegtun und die Streitrosse aus Jerusalem [Südreich], und der Kriegsbogen [damalige Hauptangriffswaffe] soll zerbrochen werden. Denn er [der Messias der Armen] wird Frieden gebieten allen Völkern, und seine [gewaltlose] Herrschaft wird von einem Meer bis zum andern und vom Strom [Euphrat] bis an die Enden der Erde [Horizonte] reichen." (Sa. 9, 9–11)

Jesus gab der bibelkundigen Menge demnach klar zu verstehen: Ich bin der Messias – aber nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Sondern wer die Fremdherrscher entmachten will, muss selbst ohne Waffengewalt handeln. Der Esel als Reittier des Königs ist hier zugleich Zeichen dieses konkreten Gewaltverzichts, der der Verheißung entspricht.

Diese griff auf ältere Friedens- und Abrüstungsvisionen der Exilsprophetie zurück (Jes. 2, 2–4/Mi. 4, 1–3). Jesus nahm sie auf und bezog sie auf sich: Er wollte offenbar der sein, der mit dem Zerbrechen der Waffen in ganz Israel beginnt. So, nicht durch Großmachtpolitik im Gefolge Davids, wollte er Gottes Verheißungen erfüllen. Damit wurde Jesu Predigt vom Reich Gottes politisch konkret und bot zugleich auch anderen Völkern eine Perspektive: Weltweite Abrüstung war sein Ziel, Gewaltlosigkeit sein Weg.

Nach seiner Ankunft in Jerusalem ging Jesus offenbar sofort in den Tempelbezirk und "besah alles ringsumher" (Mk. 11, 11). Vielleicht sagte er schon bei dieser Gelegenheit zu einem Jünger, der die großen Bauten bewunderte (Mk. 13, 2):

"Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, alles wird zerbrochen werden."

In den folgenden Tagen - es waren wohl nur wenige - ging er im Tempel ein und aus und diskutierte dort mit Anhängern und Gegnern verschiedene sie betreffende Themen, z.B. Kaisersteuer, Auferstehung, seine Vollmacht, die wichtigsten Gebote, das Beten, das Kommen des Gottesreichs (Mk. 11–13).

Jesu Verhalten zum Tempelkult ist nicht eindeutig. In Galiläa schickte er geheilte Patienten zu den Priestern, damit diese die Gesundung amtlich feststellten und die Geheilten wieder in die Gesellschaft aufnahmen (Mk. 1, 44). In seiner Toraauslegung lehnte er das Opfern nicht direkt ab, ordnet es aber der Nächstenliebe unter (Mt. 5, 23f). Indem er im Tempel lehrte, erkannte er diesen als Gotteshaus an. Auch die Tempelsteuer scheint er, anders als die Kaisersteuer, gebilligt zu haben (Mk. 12, 41ff).

Andererseits erwartete er die Zerstörung der Tempelstadt und kündete diese wie der Prophet Jeremia (Jer. 22, 5/ 26, 12) öffentlich an (Mt. 23, 37ff/ Lk. 13, 34f). Das war lebensgefährlich: Jeremia wäre damals dafür fast gelyncht worden. Wer den Tempel angriff, bedrohte nach Auffassung der Priester die Existenz ganz Israels. Sich auf Jeremia zu berufen, war die schärfstmögliche Kritik am Tempelkult überhaupt.

Dann vertrieb Jesus auch noch gezielt die Opferhändler aus dem Tempelvorhof – wahrscheinlich dem für die Ausländer. Diese prophetische Zeichenhandlung zielte auf die Abschaffung des Opferkults und sollte das Haus Gottes "reinigen" (Mk. 11, 17):

"Steht nicht in der Schrift (= hat Gott nicht gesagt): Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker heißen?" (zitiert Jes. 56, 7)

Das Opfern war offenbar zu einem riesigen Geschäft mit der Angst, zu einem bedrückenden Zwang für die Armen und einem abstoßenden Hindernis für Ausländer geworden, den Tempel des Gottes Israels zu betreten. Das wollte Jesus nun ändern, dazu wollte er die Tempelbesucher demonstrativ anstiften.

Spätestens jetzt sahen sich die Sadduzäer gezwungen, einzugreifen. Jesu Reden und Handeln war zur Gefahr für sie geworden (Mk. 11, 18):

"Sie fürchteten sich vor ihm, denn alles Volk war beeindruckt von seiner Lehre."

So brachte sein Angriff auf den Opferkult Jesus schließlich einen Konflikt mit dem Hohenpriester, dem Religionsführer Israels ein. Wie dieser ausgehen würde, war voraussehbar.

Wie passen Tempelreform und Tempelzerstörung bei Jesus zusammen? Er war offenbar überzeugt: Geben Israels Führer den Römern keine Chance, Gottes Gebote ohne Opferzwang kennen zu lernen, dann wird die Feindschaft zwischen Israel und den Völkern zum Untergang des Tempelkults führen.

62 n. Chr. wurde ein anderer Prophet, Jesus ben Ananias, für dasselbe Vergehen – Ankündigung der Tempelzerstörung – verhaftet und vom Synhedrium zum Tod verurteilt (Josephus). Acht Jahre später wurde seine Vorhersage wahr.

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Der gekreuzigte Jesus

Der Passionsbericht

Jesu Festnahme, der Prozess gegen ihn, sein Tod und seine Auferstehung nehmen die zentrale Stellung in den Evangelien ein. Diese wurden auf diese Ereignisse hin verfasst und wären sonst wahrscheinlich nicht entstanden. "Die Evangelien sind Passions- und Ostergeschichten mit ausführlicher Einleitung" (M. Kähler).

Dabei folgen Matthäus und Lukas jetzt dem Ereignisablauf ihrer Vorlage. Markus lag seinerseits ein älterer Passionsbericht vor, den er in sein Evangelium einbaute. Dieser Bericht begann wohl mit dem Verrat des Judas (Mk. 14, 10) und wurde allmählich nach vorn erweitert. Er führt die von Paulus überlieferten ältesten Credoformeln erzählend aus und geht daher wohl bis auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück (U. Wilckens).

Markus hat diesen Passionsbericht mit deutlich antijüdischer Tendenz überarbeitet, den römischen Statthalter entlastet und den jüdischen Führern die Alleinschuld an Jesu Tod gegeben. Darin spiegelt sich die bedrohte Lage der christlichen Gemeinden im römischen Reich und die verschärfte Konkurrenz mit jüdischen Synagogen nach dem verlorenen jüdischen Befreiungskrieg (70 n. Chr.). Die endgültige Trennung vom Judentum stand bevor oder war bereits vollzogen.

Die Gefangennahme

Wer Jesus festnahm und von wem der Befehl dazu kam, ist unklar. Im Garten Gethsemane hatten Jesu Anhänger ihr Lager. Einer von ihnen, Judas, soll eine bewaffnete Truppe dorthin geführt haben. Nur römische Soldaten durften Schwerter und Lanzen tragen. Sie bewachten auch den Wald von Gethsemane, wo sich Zeloten verstecken konnten. Die Tempelwache des Hohenpriesters war nur für den Tempelbezirk zuständig. Aber hätte ein enttäuschter Zelot die Römer gerufen? Oder war es Kaiphas, der schon jetzt mit Pilatus gegen Jesus kooperierte?

Jesus soll klar gewesen sein, was ihm bevorstand:

"Ihr seid vorgegangen wie gegen einen Mörder...dabei war ich jeden Tag im Tempel, wo ihr mich festnehmen konntet. Aber so soll die Schrift erfüllt werden!" (Mk. 14, 48f).

Die Priester hatten offenbar vor, ihn als Verbrecher an die Römer auszuliefern. Diese nannten Zeloten "Mörder", um Widerstand zu kriminalisieren und ihre Gewalt dagegen zu legalisieren.

Es gab wohl einen kurzen Kampf: Alle Evangelien berichten davon. Aber sie wissen auch, dass Jesus diesen sofort gestoppt habe (Mt. 26, 51f/ Lk. 22, 50f). Daraufhin flohen seine Anhänger (Mk. 14, 50).

Der Prozess vor dem Hohen Rat

Das oberste Religionsgericht für ganz Israel mit Sitz in Jerusalem bestand aus den führenden Repräsentanten des Judentums: den Jerusalemer Pharisäern, Schriftlehrern und Tempelpriestern. Markus zählt sie häufig stereotyp auf. Daran kann man die redaktionelle Bearbeitung seines Evangeliums gut erkennen.

Die Priester stellten nach jüdischem Gesetz die Mehrheit und waren nicht abwählbar. Der Hohepriester hatte die Leitung inne: Er war Chefankläger und Richter in einer Person. Sein Amt war erblich. Zur Zeit Jesu wurde es von Kaiphas bekleidet.

Der Hohe Rat war für kultische, nicht politische Kapitalvergehen zuständig. Darum bestreiten vor allem jüdische Historiker (z.B. Paul Winter), dass es überhaupt einen religiösen Prozess gegen Jesus gegeben hat.

Doch die Evangelien lassen historisch plausible Gründe für Jesu Festnahme und Auslieferung erkennen. Kaiphas war für Israels Überleben verantwortlich und sah von seiner Warte aus keine andere Möglichkeit, als Aufruhr im Keim zu ersticken und Rädelsführer rechtzeitig zu verhaften (Mk. 14, 1):

"Bloß nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht!"

Er hatte mit Recht Angst vor einem Volksaufstand beim bevorstehenden Passahfest, dem unvermeidlich ein militärischer Eingriff der Römer und der Verlust der relativen religiösen Autonomie Israels gefolgt wäre. Daher ist seine Erwägung im Synhedrium nachvollziehbar (Jh. 18, 14):

"Es ist besser, dass nur ein Mensch anstelle des Volkes stirbt."

Daher wurde Jesus "mit List" (Mk. 14, 1), nämlich nachts (Mk. 14, 17. 49) festgenommen. Eine direkte Auslieferung an Roms Statthalter ohne gültiges Rechtsverfahren kam für die Tempelhüter jedoch nicht in Frage. Sie waren gerade wegen fehlender eigener Strafjustiz auf strenge Legalität bedacht, um ihre Autorität zu wahren (vgl. Apg. 7, 57).

Die Anklage

Zeugen wurden vernommen, die behaupteten, Jesus habe Unmögliches, nämlich den Abriss und Neubau des Tempels innerhalb von 3 Tagen geweissagt (Mk. 14, 58). Die Anklage gegen ihn lautete also auf Falschprophetie: eins der schwersten Kapitalvergehen nach der Tora, besonders nach dem Deuteronomium (5. Buch Mose).

Für Markus waren die Zeugen Lügner, die sich widersprachen und damit kein legales Todesurteil hergaben (Mk. 14, 56/Dtn. 19, 15ff). Doch ihre Aussage traf im Kern zu. Denn Jesus hatte bei seiner Vertreibung der Opferhändler aus dem Tempelvorhof den Abriss des alten Tempels gefordert und seinen Neubau angekündigt (Jh. 2, 19). Eine solche Kultreform aber stand nach jüdischer Tradition (2. Sam. 7, 13) nur dem Nachkommen Davids, also dem Messias zu (O. Betz). Das erklärt die Frage des Kaiphas im Verhör Jesu (Mk. 14, 61):

"Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?"

Das Menschensohn-Bekenntnis

Jesu Antwort lautete: "Ich bin es..." Ein klares Ja also. Doch Jesu Messiasanspruch als solcher war auch für die Sadduzäer keine gotteslästerliche Todsünde: Man konnte ihn zunächst festsetzen und abwarten, was folgen würde (5. Mose 18, 22). Da der Gott Israels Herr der Geschichte ist, wurde ein Messias durch seinen geschichtlichen Erfolg ausgewiesen. Es gab vor und nach Jesus im Judentum Messiasanwärter, die trotz späterer Niederlagen hoch verehrt wurden (z.B. Simon Bar-Kochba).

Doch Jesus ergänzte sein Ja so (Mk. 14, 62):

"...und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und mit den Himmelswolken kommen".

Das war ein deutliches Zitat aus der dem Seher Daniel zugeschriebenen Vision vom Endgericht Gottes. Dort hieß es: "Siehe, es kam einer mit den Himmelswolken, der sah aus wie eines Menschen Sohn..." (Dan. 7, 13f). Ihm werde Gott seine ganze Macht übergeben, so dass ihm alle Menschen dienen würden.

Offenbar identifizierte sich Jesus hier mit diesem "Menschensohn". Er bezog dessen künftiges Handeln auf sein eigenes Vorhaben. Denn er war ja als derjenige angeklagt, der den Abriss und Neubau des Tempels vorhergesagt hatte: Er wollte den Opferkult abschaffen und Ausländern Zugang zum Gott Israels gewähren. Er wollte auch ihnen die Hoffnung auf ein Ende aller Gewaltherrschaft nahe bringen.

Einen solchen Anspruch hat es im gesamten Judentum weder vor noch nach Jesus gegeben.

Gotteslästerung?

Kaiphas hörte aus Jesu Aussage eine "Gotteslästerung" heraus (Mk. 14, 64). Eine direkte Verfluchung des Gottesnamens kann nicht gemeint sein, weil gerade der historische Jesus das 1. Gebot achtete und den Gottesnamen auszusprechen vermied - ebenso wie Kaiphas.

Doch indem Jesus die Messiasfrage bejahte und dann mit der Menschensohn-Ankündigung ergänzte, schien er zu sagen: "Ich bin der Menschensohn." Damit hätte er sich Gott gleich gestellt: Das ist für Juden die Ursünde schlechthin. "Ihr werdet sein wie Gott..." sprach die Schlange im Paradies (Gen. 3, 5).

Doch die umständliche Satzkonstruktion lässt deutlich erkennen, dass der Satzteil "sitzend zur Rechten der Kraft und..." später eingefügt wurde. Hier spricht die Evangelienredaktion, die schon von Jesu Auferstehung herkommt und den bereits inthronisierten Christus verkündet (Apg. 2, 34).

Jesus sprach sonst immer vom kommenden Menschensohn in der 3. Person. Er wollte die Führer Israels an Daniels Vision erinnern und ihnen so sagen: Ihr habt eine Zukunft jenseits des Tempelkults, auch wenn dieser zu Ende geht. Seine Aussage klingt drohend – "ihr werdet sehen!" – und ist doch eine Zusage.

Die falsche Behauptung, dass Jesu Messiasanspruch für die damaligen Juden eine Gotteslästerung gewesen sei, ist bis heute unter Christen verbreitet. Sie ist ein entscheidendes Hindernis im notwendigen Dialog zwischen Juden und Christen. Hier kann das genaue Hinhören auf den Text weiterhelfen.

Dass die Urchristen glaubten, Jesus sei wegen Gotteslästerung und nicht wegen Falschprophetie verurteilt worden, hängt mit seiner Todesart zusammen. Die Kreuzigung galt im jüdischen Gesetz (Dtn. 21, 23) als gerechte Strafe für einen Lästerer des Gottesnamens. So wurde vom Tod auf das Todesurteil gefolgert.

Das Todesurteil

Jesu indirekter Anspruch auf die Menschensohnwürde konnte Kaiphas nur darin bestärken, Jesus zu verurteilen. Denn dieser kündete damit seine Entmachtung an. Obwohl der Angeklagte völlig machtlos vor ihm stand, stellte er sich über ihn, seinen Ankläger und Richter: eine unerhörte Provokation für den Führer Israels, der sein Amt durch die gesamte biblische Tradition legitimiert sah.

Der Evangelist Markus behauptet denn auch ein einstimmiges Todesurteil des Hohen Rates. Er will damit die Beteiligung und Schuld ganz Israels am Tod Jesu ausdrücken (Mk. 14, 63f).

Historisch ist das sicher nicht, da es nach Prozessregeln des Talmud ungültig gewesen wäre. Auch der vornehme Pharisäer Joseph von Arimathia war ein Ratsmitglied: Er war es, der Pilatus bat, Jesus ehrenhaft bestatten zu dürfen (Mk. 15, 43-46). Das hätte er auf keinen Fall getan, wenn er dem Todesurteil zugestimmt hätte. "Lästerer" und Falschpropheten sollten ohne Grab verscharrt werden, nichts sollte an sie erinnern.

Es gab also im Synhedrium durchaus Uneinigkeit, ob Jesus als Falschprophet anzusehen sei oder nicht. Denn die Phariäser glaubten ebenso wie er an das Kommen des Gottesreichs.

Doch der Hohepriester präjudizierte das Urteil durch das Zerreißen seines Gewandes: ein Trauerritus, wenn ein Jude Zeuge eines Kapitalvergehens wurde. Die Ratsmehrheit folgte ihm: Jesus selbst hatte mit seinem Menschensohn-Bekenntnis vor ihren Ohren die Anklage auf Falschprophetie voll und ganz bestätigt.

Rechtsbasis des Urteils war das Deuteronomium mit den strengen Bestimmungen zur Tötung von Falschpropheten, Volksverführern und Götzendienern (Dtn. 13, 6/18, 20) , so auch später bei der Hinrichtung des Stefanus (Apg. 7, 56f).

Die Evangelien folgen Markus und stellen das Vorgehen der Führer Israels als böswillig geplanten und herbeigeführten Justizmord dar (Mk. 14, 11/ 14, 55/ 15, 10f). Doch wenn Jesus sich in seinem Prozess als "Menschensohn" vorstellte, dann blieb dem Synhedrium nichts anderes übrig, als ihn zum Tod zu verurteilen. Dann war das Urteil nach damaligem jüdischen Recht juristisch zwangsläufig und gültig (A. Strobel).

Diese historische Hypothese folgt der inneren Logik des Prozessberichts: natürlich unter dem Vorbehalt, dass dieser bereits den erhöhten Christus verkündigen will. Wie kann man dann historische Details herausfiltern? Wie erfuhren die Urchristen von dem Prozessverlauf? Die Verhandlung geschah ja nachts hinter verschlossener Tür im schwer bewachten Haus des Kaiphas. Die Jünger waren alle geflohen: Auch ihnen drohte Festnahme und Hinrichtung.

Alle? Im Innenhof des Kaiphashauses harrten noch einige aus: vor allem die Frauen und Petrus (14, 66–72). Joseph von Arimathia könnte ihnen Details aus dem Prozess zugetragen haben: Dafür spricht, dass die Urchristen sich noch Jahrzehnte später an seinen Namen erinnerten.

Dennoch kann der Text nicht einfach als historisches Dokument beansprucht werden. Laut Markus offenbart Jesus seine Identität nur an dieser einen Stelle, als es für ihn um Leben und Tod ging. Darin zeigt sich indirekt: Das Bekenntnis zum "Sohn Gottes" war für die Christen, an die sich dieses Evangelium wendet, bereits zur Lebensgefahr geworden. Es will sagen: Während Petrus unten im Hof Jesus verriet, hat dieser sich als der Menschensohn bekannt und so sein Leben für uns gegeben.

Die Auslieferung

Am folgenden Morgen traf der Rat erneut zusammen, um das Todesurteil in den Vorwurf eines politischen Messiasanspruchs umzuformen. So konnte man Jesus dem römischen Statthalter rechtmäßig und rechtzeitig zur Hinrichtung übergeben.

Die Sadduzäer durften Todesurteile damals ja nicht selbst ausführen. Erst im Fall des Stefanus, eines tempelkritischen Urchristen, durften sie kultische Vergehen wieder selbst bestrafen und einen Falschpropheten steinigen, wie es die Thora vorsah (Apg. 7, 56).

Die nach dem Talmud vorgeschriebene Ein-Tages-Frist zwischen Urteil und Vollstreckung wurde in diesem Ausnahmefall missachtet. Die Eile wird verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Passahfest im Gange war. Im Falle einer akuten Gefahr für Tempel und Stadt – und Jesus war eine solche Gefahr – durfte eine Hinrichtung auch sofort geschehen. Hinzu kam, dass der Falschprophet vor Beginn des Sabbats tot sein musste, um Israel nicht zu verunreinigen (A. Strobel).

Falsche Propheten oder Gotteslästerer sollten nach jüdischem Gesetz "am Fest" hingerichtet werden. Darum nehmen vor allem christliche Historiker an, dass Jesu Kreuzigung am 14. Nisan (= 7. April) des Jahres 30 stattfand, dem Hauptfesttag des damaligen Passahfestes.

Vor Pilatus

Den römischen Statthalter haben innerjüdische Konflikte um den wahren Glauben nicht interessiert. Er ist aus zuverlässigen römischen Quellen als äußerst skrupelloser Machtpolitiker bekannt, der keine Rücksicht auf jüdische Tradition nahm und Juden häufig ohne jedes Rechtsverfahren hinrichten ließ, bis man ihn deswegen absetzte. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass er Jesus gegen Kaiphas in Schutz nahm.

Unglaubhaft ist auch, dass eine Volksmenge Pilatus zur Hinrichtung Jesu gedrängt haben soll ("Kreuzige ihn!", Mk. 15, 13). Der Innenhof des Pilatuspalastes bot nur wenigen Menschen Raum. Jesus war nur Tage zuvor von der Masse der Festpilger begeistert als Messiasanwärter begrüßt worden (Mk. 11, 9). Die Sadduzäer dagegen waren im Volk unbeliebt.

Der Passionsbericht lässt aber erkennen, dass es so etwas wie einen "Deal" zwischen Kaiphas und Pilatus gegeben haben muss. Er bot ihnen den "Mörder" (Zeloten) Barabbas zum Tausch für Jesus an: offenbar als "Trostpflaster" für das Volk (Mk. 15, 6–15). Das zeigt zum einen, dass nicht alle Zeloten auch Feinde der Sadduzäer waren, zum anderen, dass Jesus in ihren Augen die größere Gefahr darstellte.

Auch Pilatus und Herodes sollen darüber Freunde geworden sein, dass sie den Todeskandidaten verhöhnten (Lk. 23, 11f). Beide konnten nichts an Jesus finden und gaben ihn gerade deshalb dem Tod preis. So wird das Zusammenspiel zwischen römischen Besatzern und jüdischen Kollaborateuren sichtbar. Der gewaltlose Messias der Armen, der keine Macht besaß, war ihnen dennoch im Weg: Gemeinsam beseitigten sie ihn.

Pilatus senkte den Daumen und gab Jesus seinen Folterknechten preis. Römer ließen Verurteilte öffentlich geißeln, nicht aber Juden: Markus übertrug die Folter aus dem römischen in den jüdischen Prozess Jesu (Mk. 14, 65).

Danach wurde Jesus gezwungen, sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer zu tragen. Ein Landarbeiter aus der nordafrikanischen Exilsgemeinde Kyrenaika wurde gezwungen, ihm die Last abzunehmen, als er nicht mehr konnte. Die brutale Willkür der Soldateska zeigte den Juden hautnah, dass Jesu Leiden sie alle betraf und schmerzen sollte. So wurde dem Volk am Fest der Befreiung seine Sklaverei vor Augen geführt. Jeder Augenzeuge erfuhr, was Anstiftung zum und Beteiligung am Aufruhr für ihn bedeuten konnte.

Dass der Passionsbericht den Namen Simons, der Jesu Kreuz trug, nennt, ist aufschlussreich: Juden litten mit und für Jesus und teilten sein Geschick, als seine Anhänger schon geflohen waren. Es gab anfangs keine Feindschaft zwischen Christen und Juden, sondern ein gemeinsames Leiden, Erinnern, Hoffen.

Jesu Hinrichtung am Folterkreuz der römischen Besatzungsmacht gilt als gesichertes Faktum: eins der wenigen, das auch durch außerbiblische Quellen gedeckt ist. Die Tacitusnotiz bestätigt das Gerücht, dass Pilatus einen "Christus" hinrichten ließ, sagt aber nicht, weshalb.

Nur der römische Statthalter hatte die Justizvollmacht, jemand hinrichten zu lassen. Römischem Brauch gemäß wurde der Grund für das Todesurteil auf einer Tafel über dem Kreuz angegeben. Mk. 15, 26 notiert, auf dieser Tafel habe "der König der Juden", auf Latein "Rex Judaios" gestanden. "König" hieß für Römer: möglicher Anführer eines Aufstands aller Juden. Der Ausdruck bestätigt indirekt, dass Jesus einen Messiasanspruch erhoben hat, wenn auch anders, als die Römer es begreifen konnten. Er wurde also nach römischem Recht als politischer "Aufrührer" gekreuzigt, zusammen mit anderen Zeloten. Die Machthaber unterschieden nicht zwischen gewaltlosem und gewaltbereitem Widerstand.

Der Kreuzestitel ist hier nicht einfach eine neutrale Feststellung des Verbrechens, das Jesus begangen haben soll. Sondern er sollte alle Gekreuzigten und den Messiasglauben ihres Volkes verhöhnen. Das bestätigt der Protest der Sadduzäer (Jh. 19, 21): Sie fühlten sich getroffen und wollten nicht mehr wahrhaben, dass sie Jesus ja mit dem Vorwurf, er wolle der Messias sein, an Pilatus überstellt hatten.

Auf der Ebene der Verkündigung sagt der Passionsbericht damit auch sehr subtil: Der römische Staat hat Jesu Messiaswürde anerkannt und sich damit seiner wahren Herrschaft untergeordnet.

Kreuzigen als Hinrichtungsmethode war die übliche Art und Weise, wie das römische Kaiserreich mit Ausländern, entlaufenen Sklaven und Aufständischen umging: eine besonders grausame Klassenstrafe zur Demütigung und Abschreckung aller Augenzeugen. Sie konnte tagelang dauern, bis der Aufgehängte an seinem eigenen Körpergewicht erstickte, wenn er nicht zuvor schon verdurstet war.

Auffälligerweise beschreibt der Passionsbericht keine grausamen Details des Vorgangs, sondern beschränkt sich auf die geradezu monotone Darstellung "in der 3. ... der 6. ... der 9. Stunde..."

Juden galt das Gehängt- oder Gekreuzigtwerden als Gottesfluch für Gotteslästerer (5. Mose 21, 23/ Gal. 3, 13) und damit als endgültiger Ausschluss aus dem erwählten Volk.

Pilatus soll überrascht gewesen sein, dass Jesus relativ schnell, vor Ablauf eines Tages, verstarb. Er ließ den Tod nochmals amtlich feststellen, bevor er den Leichnam zur Bestattung freigab (Mk. 15, 44f). So bekräftigt der Passionsbericht die Glaubensaussage des urchristlichen Credo: "gestorben und begraben".

Die Erforschung der Quellen über Jesus

Außerbiblische Notizen

  • Kirchengeschichtliche Notizen

Hegesippus berichtet laut Eusebius im 2. Jahrhundert, dass Männer vor Domitian (81–96) gebracht worden seien. Diese wurden verdächtigt, von Jesu Bruder Judas abzustammen und somit als Blutsverwandte von Jesus aus einem potentiell gefährlichen königlichen Haus zu stammen. Domitian verhörte sie bezüglich des Messias und seines Königreichs, aber als die Männer erklärten, dieses Königreich sei nicht weltlich, sondern himmlisch, habe Domitian sie als harmlos entlassen und seine Verfolgung der Kirche beendet.

  • Nichtchristliche Notizen

In zeitgenössischen Schriften außerhalb des NT wird Jesus sehr wenig erwähnt. Der jüdische Schriftsteller Justus von Tiberias z.B., ein Zeitgenosse des Josephus Flavius, erwähnt Jesus mit keinem Wort, trotz seiner zeitlichen und räumlichen Nähe und obwohl er eine umfangreiche Chronik von Moses bis in seine Tage verfasste. Einige Historiker folgern daraus, dass es einen historischen Jesus nie gegeben habe. Andererseits ist diese Chronik nur bruchstückhaft überliefert, so dass eine Erwähnung Jesu vielleicht verloren ging.

Es handelt sich um das früheste außerbiblische Zeugnis zu Jesus und steht in den Jüdischen Altertümern des Josephus Flavius. Es besteht aus zwei Abschnitten. Die Authentizität des ersten, berühmteren Abschnitts ist unter Philologen umstritten: Denn Jesus taucht in den frühen Textvarianten nicht auf, sondern erst in der meistzitierten Übersetzung aus dem Jahre 1000 nach Christus.

Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Hinrichtung von Jesu Bruder Jakobus. Er wird häufiger als echt angesehen. Die meisten Kirchen und Theologen betrachten diese Stelle jedoch auch als Fälschung und begründen das so:

1. Während es bei Flavius heißt, dass Jakobus bei einem Aufstand gegen die Römer ums Leben kam, heißt es bei allen frühen Kirchenvätern und in der Bibel, dass Jakobus als Märtyrer für den christlichen Glauben von den Juden zu Tode gesteinigt wurde.

2. Auch hier existiert eine – ältere? – Textvariante, in der der Name Jesus nicht erwähnt wird. Dort wird Jakobus als der Bruder von Barabbas bezeichnet. Dann wäre der auch unter Urchristen häufige Name "Jakobus" später irrtümlich auf den Bruder Jesu bezogen worden.

Andere Historiker dagegen glauben genau umgekehrt, dass die ersten Christen Revolutionäre waren und erst später alle Hinweise darauf aus der Bibel und den Kirchengeschichtsbüchern eliminiert wurden. "Bruder von Barabbas" könnte so auf den Zeloten bezogen sein, der im Tausch für Jesus freikam (Mk. 15, 15), und Zugehörigkeit zu seiner Zelotengruppe ausdrücken.

In den Berichten von Sueton und Gaius Cornelius Tacitus aus dem 2. Jahrhundert werden Christen und ihr Namensgeber erstmals von römischen Autoren erwähnt.

  • Sueton erwähnt in seinem Bericht über das Judenedikt des Claudius nur das Gerücht, dass die von Claudius mit den Juden verfolgten Christen sich auf einen "Chrestus" beriefen. Näheres über ihn erfährt man nicht.
  • Tacitus schreibt in seinen 117/118 n. Chr. entstandenen Annalen:

"Der Urheber dieses Namens ist Christus, welcher unter der Regierung Tiberius vom Landpfleger Ponitus Pilatus hingerichtet worden war. Der eine Zeitlang gedämpfte, verderbliche Aberglaube (dieser Leute) hatte von neuem, nicht nur in Judäa, wo sich das Übel entspann, sondern auch in Rom überhand genommen, wo alles Unnatürliche und Schändliche zusammenfließt, und Beifall findet." (Annales 15,44 in der Übersetzung von C.F.Bahrdt)

Offen bleibt, ob diese Notiz bereits auf christlichen Quellen oder eigener Nachforschung fußt. Immerhin bestätigt sie mit Jesu Kreuzigung durch Pilatus den Fixpunkt seines Lebensendes um 30-33 und die Existenz von Christengemeinden in Rom Anfang des 2. Jahrhunderts (vgl. Paulusbrief an die Römer um 60 n. Chr.).

Die Notiz reflektiert auch eine Ahnung, dass der christliche "Aberglaube" aus dem Judentum stammte und künftig noch eine "unheilvolle" Rolle für das multikulturelle Rom spielen könnte.

(siehe dort)

(siehe dort und unter Turiner Grabtuch)

Christus aus S.Apollinare Nuovo, Ravenna – 6. Jahrhundert





Literatur

Ältere Standardwerke

Moderne Standardwerke

  • Jürgen Roloff: "Jesus". Beck Verlag, 2000.
  • Gerd Theißen und Annette Merz: "Der historische Jesus". Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Auflage 2001, ISBN 352552143X.
  • Gerd Theißen: "Soziologie der Jesusbewegung". 7. Auflage 1977.
  • Gerd Theißen: "Der Schatten des Galiläers". 13. Auflage 1993.
  • Jörg Sieger: Einleitung in das Neue Testament. Die römischen Statthalter in Judäa. in: www.joerg-sieger.de/einleit/nt/01gesch/nt06.htm
  • N. T. Wright: "Jesus and the Victory of God". 1996, ISBN 080062681-8

Jüdische Historiker und Theologen zu Jesus

  • Schalom Ben-Chorin: "Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht". München 1984.
  • David Flusser: "Jesus". rororo Bildmonographien, Reinbek bei Hamburg 1968.
  • Pinchas Lapide: Der Jude Jesus, ISBN 3491694051
  • W. G. Plaut (Hrsg.); "Die Tora in jüdischer Auslegung." Band 1, Genesis; Gütersloh, 1999, ISBN 3579026461
  • W. G. Plaut: "Das Alte Testament mit Kommentar in jüdischer Auslegung". Deutsch - Hebräisch.
  • Susannah Heschel: "Der jüdische Jesus und das Christentum".
  • Abraham Geiger: "Jesus - Herausforderung an die christliche Theologie"; Jvb, Jüdische Verlagsanstalt, Berlin, März 2001, ISBN 3934658040

Systematisch-theologische Werke

Populäre Jesus-Literatur

Siehe auch