Wahrheitstabelle
Eine Wahrheitstabelle oder Wahrheitstafel ist eine Tabelle, die in der Aussagenlogik jeder Kombination einer bestimmten endlichen Anzahl von Wahrheitswerten (häufig zwei) einen bestimmten Resultatwert zuordnet. Sie wird genutzt um Wahrheitswertefunktionen bzw. boolesche Funktionen zu definieren oder darzustellen und um einfache aussagenlogische Beweise zu führen. Wahrheitstabellen werden zum Beispiel verwendet, um die Bedeutung von Junktoren festzulegen.
Darstellung boolescher Funktionen
Für den zweiwertigen Fall wird der Wahrheitswert „wahr“ im Folgenden als „w“ und „falsch“ als „f“ bezeichnet. Für mehrwertige Fälle werden numerische Quasiwahrheitswerte im Bereich von 0 bis 1 verwendet (im dreiwertigen Fall z. B. die Werte 0, 1/2=0.5 und 1, im fünfwertigen Fall die Werte 0, 1/4=0.25, 1/2=0.5, 3/4=0.75 und 1).
Allgemein gibt es für eine m-wertige Logik, d. h. für eine Logik mit endlich vielen Wahrheitswerten, deren Anzahl m ist, n-stellige wahrheitsfunktionale Junktoren bzw. boolesche Funktionen. Für die zweiwertige Aussagenlogik gibt es also einstellige Junktoren und zweistellige Junktoren. Schon für die dreiwertige Aussagenlogik gibt es einstellige und zweistellige Junktoren.
Die einfachste Wahrheitstabelle zeigt als ein Beispiel für eine einstellige Wahrheitswertfunktion einer zweiwertigen Logik das Ergebnis der Negation einer Aussage in der klassischen Aussagenlogik:
a | Negation NOT |
---|---|
w | f |
f | w |
Die folgende Tabelle gibt für jeden Wahrheitswert der Aussagen a und b das Resultat einiger zweiwertiger Verknüpfungen an:
a | b | Konjunktion AND |
Disjunktion OR |
materiale Implikation Konditional |
Äquivalenz XNOR Bikonditional |
---|---|---|---|---|---|
f | f | f | f | w | w |
f | w | f | w | w | f |
w | f | f | w | f | f |
w | w | w | w | w | w |
Eine besondere Stellung (siehe hierzu Funktionale Vollständigkeit und Sheffer-Operatoren) haben folgende nach Henry Maurice Sheffer bzw. Charles Sanders Peirce benannte zweiwertige Funktionen:
a | b | Sheffer-Operation (NAND) |
Peirce-Operation (NOR) |
---|---|---|---|
f | f | w | w |
f | w | w | f |
w | f | w | f |
w | w | f | f |
Die folgende Tabelle gibt zwei von 19.683 zweistelligen Verknüpfungen der dreiwertigen Logik an; es handelt sich um die Konjunktion aus der dreiwertigen Logik Ł3 von Jan Łukasiewicz (1920) und um die Konjunktion aus der dreiwertigen Logik B3 von Dimitri Analtoljewitsch Bočvar (1938).
a | b | Konjunktion in Ł3 | Konjunktion in B3 |
---|---|---|---|
1 | 1 | 1 | 1 |
1 | 0.5 | 0.5 | 0.5 |
1 | 0 | 0 | 0 |
0.5 | 1 | 0.5 | 0.5 |
0.5 | 0.5 | 0.5 | 0.5 |
0.5 | 0 | 0 | 0.5 |
0 | 1 | 0 | 0 |
0 | 0.5 | 0 | 0.5 |
0 | 0 | 0 | 0 |
Die folgende Tabelle gibt einen von möglichen zweistelligen Operatoren für die vierwertige Logik wieder, die Wahrheitstafel für das Konditional (die materiale Implikation) im logischen System G4 von Kurt Gödel (1932).
a | b | Konditional in G4 |
---|---|---|
1 | 1 | 1 |
1 | 2/3 | 2/3 |
1 | 1/3 | 1/3 |
1 | 0 | 0 |
2/3 | 1 | 1 |
2/3 | 2/3 | 1 |
2/3 | 1/3 | 1/3 |
2/3 | 0 | 0 |
1/3 | 1 | 1 |
1/3 | 2/3 | 1 |
1/3 | 1/3 | 1 |
1/3 | 0 | 0 |
0 | 1 | 1 |
0 | 2/3 | 1 |
0 | 1/3 | 1 |
0 | 0 | 1 |
Beweisverfahren
Wahrheitstabellen eignen sich dazu, einfache aussagenlogische Beweise auf der semantischen Modellebene zu führen, insbesondere für die Gültigkeit von grundlegenden Gesetzen, auf denen logische Beweisverfahren aufbauen. Z. B. zeigt die logische Äquivalenz der 3. und 4. Spalte in den folgenden Wahrheitstabellen die Gültigkeit der De Morganschen Gesetze:
- nicht (a und b) = (nicht a) oder (nicht b)
a | b | nicht (a und b) | nicht (a) oder nicht (b) |
---|---|---|---|
f | f | w | w |
w | f | w | w |
f | w | w | w |
w | w | f | f |
- nicht (a oder b) = (nicht a) und (nicht b)
a | b | nicht (a oder b) | nicht (a) und nicht (b) |
---|---|---|---|
f | f | w | w |
w | f | f | f |
f | w | f | f |
w | w | f | f |
Diese Art der Beweisführung eignet sich aber nur für Aussagen mit einer kleinen Anzahl von Aussagenvariablen, da die Größe exponentiell in der Anzahl der Variablen wächst.
Zur Geschichte
Wenn man unter einer Wahrheitstabelle die homomorphe Zuordnung von Wahrheitswerten zu den in einer Aussage vorkommenden Atomaussagen versteht, dann geht die Wahrheitstabelle auf Philon von Megara zurück, der auf diese Weise im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Wahrheitsfunktion für die materiale Implikation definierte.[1] Auch in der von Chrysipp geprägten stoischen Logik wurden Wahrheitstabellen in diesem Sinn umfassend verwendet.[2]
In der modernen Logik benützte Boole 1847 Wahrheitstafeln unter dem Namen „Module einer Funktion“ zur semantischen Entscheidbarkeit von logischen Termen (Funktionen). Später benützten auch Frege und Peirce dieses Entscheidungsverfahren, wobei Peirce den Zweck der Ermittlung von Tautologien deutlicher betonte. Wahrheitstabellen in wörtlichen Sinn als Tabellen führten allerdings erst 1921 Post und Wittgenstein ein; durch ihren Einfluss wurden Wahrheitstabellen als Verfahren zur Entscheidung für Tautologien Allgemeingut.
Siehe auch
Einzelnachweise
Literatur
- Boole: The Mathematical Analysis of Logic. 1847, S. 60 ff.
- Martha Kneale, William Kneale: The Development of Logic. Clarendon Press, 1962, ISBN 0-19-824773-7 (in englischer Sprache).
- Benson Mates: Stoic Logic. University of California Press, Berkeley 1953 (University of California Publications in Philosophy, 26), ISBN 0-520-02368-4 (ISBN des Nachdrucks von 1973, in englischer Sprache).
- Emil Leon Post: Introduction to a General Theory of Elementary Propositions. In: American Journal of Mathematics. 1921, S. 163–185.
- Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus. 1921, Abschnitt 4.31.