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Häresie

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Als Häresie (gr. αιρεσις (hairesis), aus αιρεoμαι (haireomai), wählen), Wahl des Glaubens oder eine Partei von abweichenden Gläubigen) oder Ketzerei wird (primär von den jeweiligen Gegnern) eine Lehre bezeichnet, die sich im Kontext einer etablierten Lehre einer organisierten Religion oder Weltanschauung entwickelt hat, aber in einem grundlegenden Widerspruch zur dieser steht.

Im Besonderen bezeichnet Häresie auch den Vorgang der Abspaltung von der Majorität selbst. Desweiteren hat sich der Begriff Häretiker als allgemein verwendete Überbezeichnung für bestimmte christliche Bewegungen des Mittelalters durchgesetzt.


Begriffsverwendung

Die Bezeichnung wird besonders in christlichen Kirchen, dem Katholizismus, den Orthodoxen Kirchen, protestantischen Kirchen und im Judentum verwendet, das Konzept gibt es jedoch auch im Islam und in einigen anderen Religionen.

Häresie bedeutet "Heterodoxie" (Andersglaube) im Gegensatz zu "Orthodoxie" (Rechtgläubigkeit). Als solches kann eine Lehre im Prinzip nur von ihren orthodoxen Gegenern als häretisch bezeichnet werden. Eine modernere Bezeichnung dieses Begriffes ist z.B. Abweichler oder Dissident.

Häresie wird unterschieden von Apostasie (dem völligen Lossagen vom einer Religion) oder vom Schisma (der Trennung von der Organisation einer Kirche deren Rechtmäßigkeit bestritten wird - wobei die Lehre ebenfalls gemeint sein kann oder auch nicht).


Häresien im Christentum

Häresien im Ur- und Frühchristentum

Bereits im Urchristentum traten Lehrer auf mit mehr oder weniger kontroversen und/oder von der apostolischen Autorität abweichenden Meinungen bezüglich Christus, Gott, Erlösung und anderen zentralen Glaubensaussagen. Für die Kirche erwuchs die Notwendigkeit der Unterscheidung, welche dieser Lehren akzeptabel, und welche zu verwerfen waren.

Zu Lebzeiten der Apostel lag die letzte Autorität über die richtige Lehre bei den Aposteln (z.B. beim Apostelkonzil).

Die Alte Kirche kannte bis ins 4. Jahrhundert zunächst keine zentrale Autorität, die über solche Fragen der Lehre hätte entscheiden können (auch der Bischof von Rom war zur damaligen Zeit keine solche Autorität). Es entwickelten sich zuerst vier gleichberechtigte kirchliche Metropolen in Antiochia, Alexandria, Rom und Konstantinopel. Deren Bischöfe waren in ihrem Umkreis bestimmend.

Daneben entstanden durch herausragende Personen im Laufe der Zeit auch noch andere theologische Schwerpunktzentren wie z.B. in Nordafrika durch Augustinus und in Kleinasien durch die Kappadozier. Diese Theologen setzten sich mit den in ihrer Umgebung kursierenden abweichenden Lehren auseinander, wobei ihnen außer Argumenten und der Exkommunikation (dem Kirchenausschluss) nicht viele Machtmittel zur Verfügung standen. Eine solche Exkommunikation traf den Häretiker in der damaligen Zeit weit weniger als im europäischen Mittelalter, da das Christentum ja noch nicht Staatsreligion war. Außerdem war der Häretiker ja davon überzeugt, dass er dem rechten Glauben anhing, und sich die Kirche im Irrtum befände.

Vom 4. bis ins 8. Jahrhundert waren es die ökumenischen Konzilien, die Lehrentscheidungen für die ganze Kirche treffen konnten. Diese Lehrentscheidungen sind bis heute bei den orthodoxen, katholischen und den meisten protestantischen Kirchen anerkannt. Sie wurden ja auch zeitlich weit vor dem Schisma (Abtrennung von der orthodoxen Kirche) und der protestantischen Bewegung beschlossen.

Gewöhnlich ging einer Verurteilung einer Lehre durch ein ökumenisches Konzil eine Zeit der intensiven Auseinandersetzung, Diskussion und Argumentation voraus.

Die Lehrentscheidungen der ersten Jahrhunderte wurden i.d.R. auf der Basis eines Mehrheitskonsenses getroffen. In einigen Fällen, z.B. bei der Auseinandersetzung mit dem Arianismus lag die politische Macht allerdings auf der nicht-orthodoxen Seite (siehe auch Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz, Ambrosius von Mailand).

Synkretistische Häresien

Eines der frühesten Probleme des Christentums war, sich in der synkretistischen Kultur des Hellenismus gegenüber synkretistischen Religionen wie Gnostizismus und Manichäismus abzugrenzen, die die christlichen Dogmen ganz oder teilweise mit anderen Religionen oder Eigenkonstruktionen vermischten. Solche Bewegungen waren

Das apostolische Glaubensbekenntnis entstand als Reaktion auf synkretistische Häresien.

Christologische Häresien

Die orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen lehren, dass Christus völlig göttlich ("wahrer Gott")und gleichzeitig völlig menschlich sei ("wahrer Mensch") und dass die Personen der Trinität gleich und ewig seien. Die Formulierung der trinitarischen Lehre wurde im Verlauf von Jahrhunderten entwickelt, wobei die Definitionen immer wieder verfeinert wurden, um neu aufgekommene Meinungen bezüglich der Natur Jesu Christi, dem Verhältnis zwischen Christus und Gott der Vater und der Trinität abzuwehren.

Zu diesen Häresien gehörten

Das nicäische Glaubensbekenntnis ist als Reaktion auf christologische Häresien entstanden.

Ekklesiologische Häresien

  • Donatismus 4. Jahrhundert: Gültigkeit christlicher Sakramente (insbesondere Taufe, Priesterweihe) hingen vom Charakter und Glauben des Priesters ab (d.h. Taufen und Priesterweihen durch während der Verfolgung abgefallene Priester sind ungültig)
  • Pelagianismus: 5. Jahrhundert. Lehnt die Erbsünde ab und lehrt, der Mensch könne von sich aus alle Gebote Gottes einhalten.

Häresien in der katholischen Kirche

Definition von Häresie in der Katholischen Kirche

Definition von Häresie nach dem Katechismus der katholischen Kirche, Art. 2089:

Unglaube besteht in der Mißachtung der geoffenbarten Wahrheit oder in der willentlichen Weigerung, ihr zuzustimmen. ?Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung einer mit göttlichem und katholischem Glauben zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit; Apostasie nennt man die Ablehnung des christlichen Glaubens im ganzen; Schisma nennt man die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche".

Häresie wird von Thomas von Aquin als "ein Unglaube der Menschen" definiert, "die, nachdem sie den Glauben an Christus bekannt hatten, nun seine Dogmen zerstören".

Häresie ist beides: der deklarierte nicht-orthodoxe Glaube einerseits und der Vollzug dieses Glaubens und das Halten seiner Gebote andererseits.

Während die Bezeichnung häufig von Laien verwendet wurde, um jeden möglichen falschen Glauben als Heidentum denunzieren, kennzeichnet diese Definition nur jenen als Häretiker, der als ursprünglicher Gläubiger der Katholischen Kirche später von dieser rechtgläubigen Kirche zugunsten eines gegensätzlichen Glaubens abwich.

Die katholische Kirche differenziert zwischen einer einzelnen abweichenden Erscheinungsform des Glaubens und seiner Nähe zur ausdrücklichen Häresie. Nur ein Glaube, der direkt einem Artikel des Glaubens zuwiderhandelt oder der ausdrücklich festhält, was durch die Kirche zurückgewiesen wird, wird tatsächlich "Häresie" genannt.

Einen Glauben, der die Kirche nicht direkt abgewiesen hat, oder der im Gegensatz zu einer weniger wichtigen Kirchenlehre steht, nennt man sententia haeresi proxima, "eine Meinung! nahe der Häresie".

Ein theologisches Argument oder ein Glaubenssystem, das keine Häresie behauptet, aber zu als häretisch Schlussfolgerungen führen könnte, nennt man propositio theologice erronea, eine "irrigie theologische Angelegenheit".

Wenn eine theologische Position nur Konflikte wohl denkbar macht, aber nicht notwendigerweise dazu führt, sprach man abgemildert von suspecta sententia de haeresi, vermuteter Abweichung.

Vorgehen gegen Häresie

Im Mittelalter war Häresie nicht nur ein Problem der Kirche sondern ebenso der weltlichen Macht, die eine Abweichung vom rechten Glauben einer staatsfeindlichen Haltung gleichsetzte. Es kam vor, dass weltliche Fürsten von der Kirche forderten, Häretiker zur Ordnung zu rufen.

Im 11. und 12. Jahrhundert befahlen Päpste, Häresie mit Gefangenschaft und Einzug des Eigentums zu bestrafen und drohten den Fürsten, die Häretiker nicht bestraften, mit Exkommunikation.

Exkommunikation galt im Mittelalter als schwerste Bestrafung, und wurde auch so empfunden, da sie die einzelne Person vom Leib Christi, seiner Kirche, trennte und somit die Erlösung verhinderte. Die Exkommunikation oder die Androhung der Exkommunikation genügten oft, Häretiker zum Abgehen von ihren Überzeugungen zu bewegen.

Nach Auseinandersetzungen mit Sekten wie den Katharern, Waldensern und Albigensern wurde im 13. Jahrhundert die Inquisition gegründet, nachdem Kaiser Friedrich I. ein Gesetz erlassen hatte, das Ketzer zum Feuertod verurteilte. Die Inquisition war von Anfang an eine Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat gegen Häretiker.

So klagt König Philip von Frankreich den Templer Orden wegen Ketzerei und Homosexualität an. Da er hoch verschuldet war, u.a. auch bei den Templern, wollte er an die Ordensreichtümer kommen. Am 13. Oktober 1307 wurden alle Templer in Frankreich verhaftet. Am 22. März 1312 hebt Papst Clemens V. auf dem Konzil von Vienne unter dem Druck von König Philip IV. (Philip der Schöne) von Frankreich den Orden auf. Am 18. März 1314 werden der letzte Großmeister des Templerordens Jacques de Molay zusammen mit Geoffroy de Charnay in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Näheres siehe Inquisition.

Die katholische Kirche und die Reformation

Die Reformation wurde von der katholischen Kirche zuerst auch als Häresie angesehen und in katholischen Gegenden entsprechend verfolgt.

Der moderne Protestantismus an sich wird heute von der katholischen Kirche nicht mehr als Häresie angesehen, wohl aber wurden die einzelnen Personen, die an seiner Entstehung beteiligt waren und die der katholischen Lehre in wesentlichen Punkten widersprachen, durch die Kirche zu Häretikern erklärt. Einige der Lehren des Protestantismus, die die katholische Kirche als häretisch einstuft, sind der Glaube, dass die Bibel einzige Quelle und Richtschnur des Glaubens sei ("sola scriptura"), dass Glaube alleine zum Heil führen könne ("sola fide") und dass es ein allgemeines Priestertum der Glaubenden gebe.

Sobald die Protestanten grundsätzlich die Römische Kirche in Frage stellten, galten sie als Schismatiker, nicht als Häretiker.

Eine Reaktion auf die Reformation war die Einrichtung der Kongregation für Glaubenslehre (Sanctum Officium), die bis heute in der katholischen Kirche die letzte Instanz für Glaubensfragen ist.

Häretische Gruppen in der Neuzeit

In der Neuzeit wurden die Lehre von häretische Gruppen offiziell vom Papst als Häresie verurteilt, es kam jedoch nicht mehr zu weltlichen Bestrafungen von Häresie.

Neuzeitliche Bewegungen innerhalb der katholischen Kirche, die als Häresie verurteilt wurden:

Häresien in den Protestantischen Kirchen

Auch der Protestantismus glaubte sich bereits in der Reformationszeit die Notwendigkeit zu sehen, sich gegen radikale Bewegungen abzugrenzen, wobei die Bezeichnung Häresie im protestantischen Kontext weniger gebräuchlich ist.

Dabei wurde in protestantischen Gegenden das Bündnis von Staat und Kirche gegen Häresien weitergeführt, wobei die abweichende Lehre manchmal auch eher das war, was der Staat als gefährlich ansah.

Lehren der katholischen Kirche, die bereits in der Reformation als katholische Häresie gegen das Urchristentum gesehen wurden, sind die Heiligenverehrung und die Lehre von der Transsubstantiation. Später kam auch die Marienverehrung dazu, die von den Reformatoren selbst nicht verurteilt wurde.

Verfolgt und verurteilt wurden bereits während der Reformationszeit Vertreter von Häresien mit gesellschaftspolitischen Konsequenzen z.B. Thomas Müntzer, die Führer des Bauernkriegs, die Wiedertäufer, oder theologische Häretiker wie der Antitrinitarier Michael Servetus.

Im 18. Jahrhundert kam es zu gegenseitigen Verurteilungen von Calvinisten und Methodisten, insbesondere wegen der unterschiedlichen Auffassung von Prädestination.

Im 20. Jahrhundert hat der Gnadauer Verband und die deutsche Evangelische Allianz in der Berliner Erklärung von 1909 die Pfingstbewegung als Bewegung von unten verurteilt, was von manchen pietistischen Kreisen immer noch so gesehen wird.

Besonders fundamentalistische protestantische Gruppierungen sehen als Häresie an, was ihrer eigenen Ausprägung (die als die absolut wahre gilt) widerspricht, insbesondere die katholische Kirche, aber auch die großen evangelischen Kirchen, die Ökumene und die Evangelische Allianz.

Liste aller christlichen Häresien

Einzelpersonen u.a.:

Häresien im Judentum

Das orthodoxe Judentum stuft als häretisch ein, was von den traditionellen jüdischen Grundregeln des Glaubens abweicht.

Das ultraorthodoxe Judentum legt fest, dass alle Juden, die ihr spezifisches Verständnis von Maimonides' 13 Grundregeln des jüdischen Glaubens zurückweisen, Häretiker sind.

Ultraorthodoxe Juden und die meisten modernen orthodoxen Juden betrachten jüdische Reformbestrebungen (Reformjudentum als häretische Bewegungen.

Häresien im Islam

Die zwei islamischen Hauptströmungen, die Sunniten und die Schiiten sehen einander gegenseitig jeweils als häretisch an.

Folgende Gruppierungen im Islam können als Häretiker gelten:

Je nach Land werden einige dieser Gruppen zugelassen und sogar von islamischen Gerichten und religiösen Institutionen respektiert während andere ausgeschlossen werden, z.B. die Ahmadis, die 1974 in Pakistan geächtet wurden.

Häresien im Buddhismus

Im tibetanischen Buddhismus hat der Dalai Lama die Dorje-Shugden-Verehrung verboten, da sie eine einseitige Tradition sei. Auch die Neue Kadampa Tradition wurde aus der Buddhistischen Union ausgeschlossen.

Andere Religionen und Weltanschauungsgruppen

Auch andere Religionen und Weltanschauungen kennen den Begriff der Häresie.

Die Scientology Kirche verwendet die Bezeichnung "squirreling" für nicht autorisierte Änderungen ihrer Lehre oder Methoden, bezeichnet Häretiker als Verbrecher und verfolgt sie, insbesondere unter der Anklage wegen angeblicher Copyright-Verletzungen. Die Freie Zone wird von der Scientology Kirche als Häretiker angesehen.

Im Kommunismus gibt es den Begriff der Häresie nicht. Indes kam es oft zur Verfolgung und Verurteilung von Abweichlern von der offiziellen Lehre, Dissidenten, die man als Opportunistenen, Revisionsisten oder Renegaten brandmarkte. Dabei lassen sich wohl Züge häresie- und inquisitionsähnlicher Strukturen feststellen, diese aber ließen sich dann auf beliebige Gebiete ausweiten, so dass eine Begrenzung des Themas Häresie als Aspekt der Religion zweckmäßig erscheint.

siehe auch: Ketzer