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Evangelikalismus

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Evangelikal (vom englischen evangelical) bezeichnet Christen, die sich, unabhängig von ihrer Konfession, auf die Bibel als einzige Glaubensgrundlage berufen. Evangelikale sind der Überzeugung, dass zum Christentum eine klare persönliche Willensentscheidung (Bekehrung) und eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus gehört.

Der Begriff "evangelikal"

Das relativ junge Wort Evangelikal ist heute ein feststehender Ausdruck für ein in seinem Selbstverständnis auf ausgezeichnete Weise bibeltreues Christentum geworden, das sich von Traditionalismus, Liberalismus, Säkularismus, aber meist auch vom Sakralen Ritual der Nichtprotestanten, abgrenzt. Die Bezeichnung Evangelical wurde in den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert immer mehr verwendet um Christen zu bezeichnen, die in der Tradition der bibeltreuen Erweckungsbewegungen stehen, aber nur zum Teil dem christlichen Fundamentalisten zuzurechnen sind, von dessen separatistischen Tendenzen sie sich in der Regel abgrenzen.

Im deutschen Sprachraum konnte die wörtliche Rück-Übersetzung evangelisch für den gleichen Begriff nicht verwendet werden, da der Begriff bereits seit der Reformation im 16. Jahrhundert besetzt ist (und beispielsweise in Österreich die Evangelische Kirche beinahe ein Rechtsmonopol auf die Bezeichnung beansprucht). Daher kam es zur Wortschöpfung evangelikal. Dieser Begriff hat sich gegenüber ähnlichen Begriffen wie bibeltreu oder pietistisch durchgesetzt, da er vom Wort her die Verbindung sowohl zum Evangelium als auch zur internationalen Bewegung herstellt.

Achtung: Im Englischen/Amerikanischen hat evangelical zwei Bedeutungen: Es wird zum einen mit "evangelikal" übersetzt. Zum anderen wird es (seltener) einfach "evangelisch" übersetzt, wie beispielsweise in der "Evangelical Lutheran Church in America" (ELCA), der evangelisch-lutherischen Kirche der USA, die keineswegs "evangelikal" ist. Zur Beschreibung des deutschen "evangelisch" wird im Englischen eher "protestant" verwendet. Gemäß einer Faustregel tendieren Evangelikale in den USA eher dazu, evangelical mit einem kurzem e auszusprechen, wogegen Nicht-Evangelikale eher ein langgezogenes "eeeevangelical" intonieren.

Verbreitung der Evangelikalen

Evangelikale gibt es in fast allen Konfessionen, wobei in Deutschland der Anteil der Evangelikalen in Freikirchen größer ist als in Landeskirchen. In den deutschen evangelischen Landeskirchen sind etwa 7 bis 10 % der aktiven Mitglieder Evangelikale, in der deutschen katholischen Kirche weniger als 1 %. Im wesentlichen evangelikal ausgerichtete Kirchen sind zum Beispiel Baptisten, Pfingstbewegung, Methodisten, Mennoniten, und Adventisten.

Weltweit gehören heute etwa ein Drittel aller Christen zu den Evangelikalen. Insbesondere in Asien, Afrika, Südamerika und den Vereinigten Staaten ist die Bewegung in starkem Wachstum begriffen, teilweise auf Kosten liberaler und traditioneller Kirchen. International haben sich die Evangelikalen in der Evangelischen Allianz zusammengeschlossen. Bei der Evangelischen Allianz können Kirchen, diakonische und missionarische Werke und einzelne Christen Mitglieder sein.

In der evangelikalen Theologie sind England und Amerika führend. Bekannte evangelikale Theologen sind John Stott, J.N.D. Kelly, Donald Carson, Bruce Metzger, Norman Geisler, Craig Blomberg, W.L. Craig, J.P. Moreland, Gary Habermas. Einige von ihnen wurden ins Deutsche übersetzt (siehe Literatur), von den meisten findet man online Artikel in englischer Sprache.

Was haben Evangelikale gemeinsam

  • Die Bibel: Evangelikale sehen die Bibel als Gottes Wort, von Menschen aufgeschrieben, aber von Gottes Geist inspiriert. Über das genaue Verständnis der Inspiration besteht keine Einigkeit. Nicht alle Evangelikalen glauben beispielsweise an die Irrtumslosigkeit der Bibel und die Verbalinspiration. Die Bibel sei der verbindliche Maßstab des Glaubens und der Lebensführung, an dem sich alles andere messen müsse. Evangelikale sind sich bewusst, dass die Bibel ausgelegt werden muss, sind aber der Überzeugung, dass auch Nichttheologen die Bibel richtig verstehen können. Wörterbücher, Konkordanzen und Kommentare werden oft verwendet, und bestimmte Kommentare sind für manche evangelikale Richtungen recht maßgeblich, zum Beispiel der der Scofield-Bibel für den Dispensationalismus. Den Methoden der Nicht-Evangelikalen Theologie, beispielsweise der historisch-kritischen Exegese stehen sie skeptisch gegenüber.
  • Sündhaftigkeit und Schuld setzen den Menschen Gottes Zorn und Verdammnis aus. Die Erlösung hieraus könne nur durch einen Gnadenakt Gottes erfolgen und setze den Glauben an Jesus Christus, seinen stellvertretenden Opfertod und seine Auferstehung und die Bekehrung und Wiedergeburt durch den Heiligen Geist voraus.
  • Die persönliche Glaubensentscheidung: Christentum basiert für Evangelikale auf einer persönlichen, bewussten Entscheidung für den christlichen Glauben und einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus, die auch im Alltag Auswirkungen auf das persönliche Handeln haben müsse. Kirchenmitgliedschaft allein genüge nicht. Evangelikale Protestanten sprechen hier meist von Bekehrung, evangelikale Katholiken von Lebensübergabe. Aufgrund der Vorstellung einer persönlichen Beziehung zu Gott rechnen Evangelikale mit dem direkten Eingreifen Gottes in ihr Leben. Wunder halten sie für möglich oder zumindest nicht ausgeschlossen, entdecken aber Gottes Wirken auch in alltäglichen Begebenheiten.
  • Das allgemeine Priestertum der Laien spielt bei den Evangelikalen eine wesentliche Rolle. Jeder einzelne soll persönlich mit der Bibel umgehen, sie privat und in Kleingruppen studieren, auslegen und auf sich wirken lassen. Daher finden sich unter Evangelikalen viele Laien mit beträchtlicher Bibelkenntnis. Für Leitungs- und Schulungsaufgaben ist eine formelle theologische Ausbildung nicht unbedingt erforderlich.
  • Kirchen und Konfessionen sind von eher untergeordneter Bedeutung. Evangelikale sehen sich als Teil der weltweiten Christenheit und fühlen sich ungeachtet ihrer Kirchenzugehörigkeit mit anderen Evangelikalen verbunden.
  • Absolutsheitsanspruch: Andere Religionen werden als Irrwege abgelehnt, da das Bekenntnis und die Hinwendung zu Christus unbedingte Vorbedingung für eine Erlösung sei. Nicht-Evangelikale Christen werden als Namenschristen bezeichnet, die 'neu evangelisiert' werden müßten. Eine zwangsweise Evangelisation kommt für die Evangelikalen nicht in Frage. Die Entscheidung für Jesus Christus sei heilsrelevant aber freiwillig.
  • Mission: Evangelikale sehen es als wichtig an, ihren Glauben gegenüber Nicht-Christen und Nicht-Evangelikalen zu bezeugen und die evangelikale Erlösungsbotschaft zu verbreiten - das Wie kann Großevangelisationen, Freizeiten, oder persönliche Gespräche einschließen.
  • Mit der Bibel als Maßstab für die Lebensführung stehen Evangelikale als Zeitgeist charakterisierten Lebensauffassungen kritisch gegenüber. Sie schätzen technischen oder medizinischen Fortschritt orientieren sich aber an ihrem Bibelverständnis sofern es mit moderner Lebensauffassung im Konflikt sehen. Evangelikale sehen naturwissenschaftliche Weltanschauung oder Relativismus als Widerspruch zur Bibel. Aktive Sterbehilfe, Abtreibung, Homosexualität und sexuelle Freizügigkeit halten sie für mit christlichem Leben nicht vereinbar. Im Unterschied zu Fundamentalisten halten die meisten Evangelikalen nichts davon, Andersdenkenden ihre Lebensweise per Gesetz aufzuzwingen, würden sie jedoch gerne mit Argumenten überzeugen.

Richtungen innerhalb der Evangelikalen in Deutschland

In Deutschland lassen sich die Evangelikalen grob in drei Gruppierungen einteilen:

  • separatistische Evangelikale (Fundamentalisten): biblisch-konservative Kreise, die sich betont gegen alle Gruppierungen abgrenzen, die ihre spezifische Sicht des Christentums nicht teilen. Sie halten streng an der Irrtumslosigkeit der Bibel fest, haben oft gruppenspezifische Auslegungen oder einen gruppenspezifischen Lebensstil. Im deutschen Sprachraum sind das eher kleine Gruppen, beispielsweise der Evangelische Brüderverein, die Mission Kwasizabantu, die Freunde konkordanter Wortverkündigung, die Holic-Gruppen, Adullam, oder die Christlichen Versammlungen. Für Deutschland wird die Gesamtzahl der separatistischen Evangelikalen auf etwa 10.000 geschätzt.
  • konservative Evangelikale: Sie halten an der (unterschiedlich definierten) Irrtumslosigkeit der Bibel fest, sind aber offen im Kontakt mit Andersdenkenden. Diese Richtung wird von den meisten Bibelschulen und der Freien Theologischen Akademie in Giessen vertreten. Unter den Freikirchen sind die Brüdergemeinden und viele unabhängige freikirchliche Gemeinden hier einzuordnen, Angehörigen dieser Gruppe finden sich aber auch in vielen Freikirchen sowohl pietistischer als auch baptistischer und charismatischer Richtung, weniger in den Landeskirchen. Ihre Zahl wird für Deutschland auf 500.000 geschätzt.
  • offene Evangelikale oder Neo-Evangelikale: diese Gruppe steht der Bibelkritik auch grundsätzlich distanziert gegenüber, ist aber bereit, bestimmte Ergebnisse zu übernehmen. Diese Richtung ist insbesondere unter den Evangelikalen in den Landeskirchen zu finden, in den Freikirchen insbesondere bei den Methodisten und den Mennoniten und im liberaleren Flügel anderer Freikirchen. Ihre Zahl wird für Deutschland ebenfalls auf 500.000 geschätzt.

Kritik

Bei der Kritik an Evangelikalen werden diese oft undifferenziert mit Fundamentalisten in einen Topf geworfen. Da die evangelikale Bewegung ein sehr weites Spektrum umfasst, sind die meisten Kritikpunkte nur für Teile der Bewegung zutreffend.

  • Mission: Kritiker werfen manchen evangelischen Gemeinschaften vor, dass sie bei der Mission keine Rücksicht auf die kulturellen Eigenheiten von Völkern und Ländern nähmen. In Israel haben einige Gruppen durch ihren aggressiven Missionierungsdrang dem Ruf der ganzen Bewegung geschadet. Von verschiedenen Seiten wird ihnen Kritik an anderen Religionen vorgeworfen.
  • Politik: Problematisch ist die Gleichsetzung von evangelikaler Glaubenshaltung und rechtsgerichteter Politik, die in den USA weit verbreitet ist. Im Gegensatz zu den amerikanischen Evangelikalen haben europäische Evangelikale politisch keine einheitliche Haltung.
  • Überbewerteter Okkultismus: die meisten Evangelikalen bewerten aufgrund des biblischen Weltbilds okkulte Phänomene bis zu einem gewissen Grad als Realität. In einigen Gruppen spielt jedoch der Kampf gegen okkulte Phänomene oder das, was dafür gehalten wird, eine so grosse Rolle, dass andere Ursachen für Probleme ausgeblendet werden. Ebenso gibt es Gruppen mit einer Neigung zu Verschwörungstheorien (Rom, Ökumene, Illuminaten, Kommunismus).

Evangelikale und Fundamentalisten

Evangelikale werden oft mit Fundamentalisten gleichgesetzt. Das wird dadurch unterstützt, dass Fundamentalisten sich oft als die eigentlichen Evangelikalen sehen. (Umgekehrt sagen nicht-fundamentalistische Evangelikale von sich nie, dass sie Fundamentalisten sind.) Hier eine Tabelle mit den grundsätzlichen Unterschieden zwischen (evangelikalen) Fundamentalisten und nicht-fundamentalistischen Evangelikalen:

Fundamentalisten nicht-fundamentalistische Evangelikale
Misstrauen der wissenschaftlichen Arbeit, lehnen manchmal Forschung grundlegend ab. Sind prinzipiell offen für wissenschaftliche Arbeit
Glauben streng an die Verbalinspiration der Bibel als göttliches Diktat, leugnen die menschlichen und kulturellen Aspekte der Bibel Bejahen die menschliche und kulturelle Dimension der Bibel und berücksichtigen diese Zusammenhänge bei der Bibelauslegung.
Legen die Bibel buchstäblich aus Auslegung muss erarbeitet werden und kulturelle Zusammenhänge, Sprachformen der Texte, etc. werden berücksichtigt
Sehen wahres Christentum nur dort, wo ihre Lehrmeinungen gültig sind, distanzieren sich von der Ökumene Sind aufgeschlossener gegenüber anderen Christen und können sich in der ökumenischen Bewegung engagieren

Literatur

Bücher von evangelikalen Theologen als Information aus erster Hand:

  • John Stott, Christsein in den Brennpunkten unserer Zeit (Ein führender Theologe in der europäischen evangelikalen Bewegung nimmt Stellung zu Zeitfragen)
  • Craig L. Blomberg, Die Gleichnisse Jesu, ihre Interpretation in Theorie und Praxis (Evangelikaler amerikanischer Neutestamentler über Gleichnisforschung)
  • Derek J. Tidball, Reizwort Evangelikal (evangelikaler Theologe aus England beschreibt die Bewegung detailliert und nicht unkritisch)
  • W.S. LaSor Das Alte Testament, Entstehung - Geschichte - Botschaft (Evangelikales Standardwerk über das Alte Testament)

Evangelikale Dokumente

Wissenschaftliche Artikel

Kritik

Gruppierungen

Evangelikale Bibelschulen und Ausbildungsstätten in Deutschland