Zum Inhalt springen

Gewehr 88

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 29. Dezember 2006 um 15:20 Uhr durch Heletz (Diskussion | Beiträge) (Anlaß). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Gewehr 88
[[Image:Commisiongewehr 1871.jpg 300px]]
Allgemeine Information
Zivile Bezeichnung Kommissionsgewehr
Militärische Bezeichnung Gewehr 88
Einsatzland Deutschland
Waffenkategorie Gewehr
Ausstattung
Gesamtlänge 1245 (Karabiner 950) mm
Gewicht (ungeladen) 3,8 (Karabiner 3,1) kg
Lauflänge 740 (Karabiner 488) mm
Technische Daten
Kaliber 7,92 x 57 mm
Mögliche Magazinfüllungen 5 Patronen
Munitionszufuhr Kastenmagazin
Anzahl Züge 4
Drall rechts
Verschluss Zylinderverschluss mit Kammerstängel
Listen zum Thema

Das Gewehr 88 wurde, wie der Name schon andeutet - im Jahre 1888 als Ordonnanzwaffe des Deutschen Reiches angenommen. Da die preußische Militärprüfungskommission (M.P.K.) in Spandau glaubte, durch Kombinieren mehrerer Einzelkomponenten das beste Gewehr zu schaffen, trägt es auch den Namen "Kommissionsgewehr".

Anlaß

Datei:Rifle Lebel M1886 PD.jpg
Lebel-Gewehr M86

Eigentlich hatte Deutschland erst im Jahre 1884 das Schwarzpulvergewehr M71/84, das erste deutsche Repetiergewehr, zur Ordonnanz angenommen. In Rottweil gab es zwar Versuche, rauchloses Nitrozellulosepulver zu produzieren, jedoch gelang erst dem französischen Chemiker Vieille der entscheidende Durchbruch. Ergebnis war das französische Lebel-Gewehr M86, das mit einem Röhrenmagazin nach Kropatschek ausgerüstet war und mit einer Patrone versorgt wurde, in die ein 8mm-Rundkopfgeschoß verladen wurde. Diese Patrone besaß eine bis dahin nie gekannte Rasanz (flache Flugbahn) und damit Reichweite. 1887 nahm Frankreich das Gewehr zur Ordonnanzwaffe an. Die Produktion und Auslieferung des Gewehrs 71/84 lief im Jahre 1886 an. Nur ein Jahr später sah sich Deutschland dem Zwang ausgesetzt, eine neue Waffe konstruieren zu müssen.

Das deutsche Pendant

Ein lothringischer Spion namens Schnäbele schmuggelte ein solches Lebel-Gewehr nach Deutschland, jedoch erkannte nur der Reichskanzler Bismarck die Brisanz des Schmuggelgutes. Der Spandauer Oberbüchsenmachjer Schlegelmilch entwarf im Auftrag der MPK den Zylinderverschluß, einen Öffnungsspanner, der an den Verschluß des Gewehres 71/84 angelehnt war. Die neue Waffe erhielt einen Laufmantel des Bayern Armand Mieg und ein Mannlicher-Magazin für einen Laderahmen mit 5 Patronen. Am 20.November 1888 wurde die Einführung befohlen.

Produktionsstätten

Die staatlichen Gewehrfabriken in Spandau, Danzig, Erfurt und Amberg sowie die Fabriken der Firma Loewe/Berlin und OeWG/Steyr hatten bis 1890 bereits 1,9 Millionen Stück produziert.

Mängel des Gewehrs 88

Der Lauf des Gewehrs 88. Auf dem Laufmantel sitzt der Kornsockel. Rechts am Oberring die Bajonettwarze

Durch die Kombination mehrerer Konstruktionen und die überhastete Einführung ergaben sich einige gravierende Mängel:

  • Explosionen bei geöffnetem Verschluß durch versehentliches Aufeinandertreiben zweier Patronen.
  • Schießunfälle durch unsachgemäßen Zusammenbau des Schlosses
  • Explosionen, da man das G88 ohne aufgesetzten Verschlußkopf feuern konnten
  • Laufaufbauchungen durch Probleme mit der Munition
  • Gefährliche Gasströmungen nach hinten
  • "Schlechtschießer" im Zusammenhang mit dem Laufmantel und dessen Befestigung
  • Waffenstörungen durch den nach unten offenen Magazinschacht

Der schlechte Ruf

Durch Explosionen und Schießunfälle starben zahlreiche Soldaten. Noch dazu stellte sich durch die Nachforschungen des antisemitisch gesinnten Berliner Volksschul-Lehrers Hermann Ahlwardt heraus, daß preußische Abnahmeoffiziere bestochen worden waren, um Gewehre schlechterer Qualität passieren zu lassen. Die Propaganda sah darin eine Verschwörung des Weltjudentums (die Firma Loewe gehörte einem Juden) und so kam es zum Berliner "Judenflinten-Skandal".

Abstellen der Mängel

Durch bessere Schulung der Soldaten konnten die drei erstgenannten Mängel fast vollständig beseitigt werden. Die Mängel der Laufkonstruktion mit ihren zu flachen Zügen wurden dadurch behoben, daß zunächst alle Gewehre 88 mit tieferen Zügen (0,15mm statt 0,10 mm) ausgestattet wurden. Diese Gewehre bekamen ein "Z" auf die Systemhülse gestempelt. Als 1905 auf die S-Patrone umgestellt wurde, tauschte man die Läufe aus. Diese Gewehre bekamen ein "S" auf die Systemhülse. Die Systeme bekamen eine neue Schlagbolzenmutter mit Gasschild. Die "Schlechtschießer" resultierten oft aus der Tatsache, daß der Laufmantel nicht fest mit dem System verbunden war. Daher wurde er nun festgelötet. diese Gewehre bekamen einen Körnerpunkt auf die Systemhülse. Auch die Patrone 88, die ja ebenfalls eine Neuentwicklung war, wurde überarbeitet. Schon 1895 bekamen viele Gewehre Systeme aus widerstandsfähigerem Krupp-Stahl, diese bekamen "n.m." (Neues Material) auf die linke Systemseite gestempelt.

Die Patrone 88

Bei der Konstruktion der Patrone war das Vorbild die Patrone 8mm Lebel. Aus diesem Grund wurde auch das fast identische Kailber gewählt. Sie hat die militärische Bezeichnung 8x57I (für Infanterie, das manchmal zu lesende "J" ist eine Mißdeutung des Frakturbuchstabens). Von der Annahme der Patrone im Jahre 1888 dauerte es bis 1895, bis sie kriegsverwendungsfähig war. Der Lauf für diese Patrone hat einen Feld-Zugdurchmesser von 7,80 zu 8,07 mm. Anfangs trug die Patrone ein Vollmantel-Rundkopfgeschoß von 14,8 Gramm Gewicht und einem Durchmesser von .318, schließlich ging man auf ein Gewicht von 10,2 Gramm zurück. Die Probleme mit dieser Patrone resultierten auch daraus, daß man zunächst sich nicht vorstellen konnte, daß auch Vollmantelgeschosse gestaucht werden. Die tieferen Züge brachten dann sofort die Lösung für dieses Problem. Die Patrone wurde dann 1903/05 weiterentwickelt zur Patrone 8x57IS mit einem Geschoßdurchmesser von .323.

Verbreitung

Das Gewehr 88 gelangte in folgende Staaten:

  • Peru
  • Brasilien
  • China
  • Irland
  • Türkei (Waffenhilfe des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg)
  • Südafrika
  • Österreich-Ungarn (Waffenhilfe des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg)
  • Äthiopien
  • Tschechoslowakei
  • Jugoslawien

Mauser als Hersteller?

Die Verschlüsse der Gewehre 71/84 (unten, Mauser) und 88 (oben, Schlegelmilch) im direkten Vergleich

Gewehr 88 Lauf.jpg

Das Gewehr 71 und auch der Repetierer 71/84 waren von Paul Mauser konstruiert worden. Das Gewehr 88 ist unter der alleinigen Regie der M.P.K. entstanden, Paul Mauser oder die Firma Mauser hatten daran keinen Anteil. Eine Variante des G 88, das G 88/05 kann statt mit Laderahmen mit Mauser-Ladestreifen wie sie für das Gewehr 98, den Nachfolger des G 88 benutzt wurden, aufmunitioniert werden. Dies ist die einzige Verbindung zur Firma Mauser in Oberndorf. Dennoch wird dieses Gewehr - vor allem in amerikanischen Internet-Foren - häufig fälschlich als Mauser-Gewehr angesprochen.

Varianten

  • Gewehr 88
  • Karabiner 88
  • G 88/05
  • G 88/14

Bewertung

Von einer Verschwörung des Weltjudentums mit Frankreich zu Deutschlands Schaden und um das Reich "wehruntüchtig" zu machen, wie in der antisemitischen Propaganda behauptet, kann gar keine Rede sein. Frankreich war zu diesem Zeitpunkt fraglos die Nation, die das modernste militärische Know-How besaß. Das deutsche Gewehr 88 war in aller Eile konstruiert, noch dazu nicht von einem einzigen Konstrukteur, der alles übersehen konnte, sondern von einer Kommission, die nicht wußte, ob die ausgewählten Komponenten überhaupt miteinander harmonierten. Die Firma Ludwig Loewe hatte bis dahin lediglich die Produktionsmaschinen von Pratt & Whitney an die staatlichen Gewehrfabriken geliefert. Beim Gewehr 88 versuchte sich diese Firma erstmals auch als Produzent des Endproduktes, was weitere Unzulänglichkeiten bedingte. Bis heute hat dieses Gewehr in Deutschland einen schlechten Ruf, und das, obwohl Staaten wie die Türkei oder China mit dieser Waffe äußerst zufrieden waren. Allerdings bekamen sie das Gewehr erst zu einem Zeitpunkt, da man die Konstruktion als ausgereift bezeichnen kann. Nummerngleiche Exemplare sind heute kaum noch zu finden. Die Türkei war wohl der Hauptabnehmer der in Deutschland nicht mehr benötigten Waffen, seit im Jahre 1917 die Produktion des Gewehrs 98 soweit in die Höhe gefahren werden konnte, daß man auf den Vorgänger verzichten konnte. Dort wurden sie offenbar vollkommen auseinandergenommen und in wildem "Nummernmix" wieder zusammengesetzt. Die türkischen Gewehre tragen oft einen Halbmond auf dem Kammerstengel, der aber oft nicht mehr erkennbar ist. Wenn auch Nummerngleichheit nicht zu erwarten ist, so sind doch die Visiere gut (besser als beim G 98) und die Abzüge akzeptabel bis gut (mit Druckpunkt). Seit einiger Zeit kommen diese Gewehre zum Teil nach Deutschland zurück und werden zu sehr mäßigen Preisen verkauft.

Literatur

  • Leitfaden betreffend das Gewehr 88 und seine Munition. Nach dem gleichnamigen K. Preussischen Leitfaden, München 1894
  • Leitfaden betreffend das Gewehr 88/05 und seine Munition, München / Berlin 1907
  • Eschweiler, R., Die Schussverletzungen durch das kleinkalibrige Gewehr, München 1897
  • Uwe Mai, "Wie es der Jude treibt". Das Feindbild der antisemitischen Bewegung am Beispiel der Agitation Hermann Ahlwardts, in: Christoph Jahr, Uwe Mai, Kathrin Roller, Feindbilder in der deutschen Geschichte. Studien zur Vorurteilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1994, S. 55-80
  • Gerhart Ortmeier, Das Gewehr 88 und seine Varianten, in: Deutsches Waffenjournal 12 (2000) S.138-144
  • Hans Dieter Götz, Die deutschen Militärgewehre und Maschinenpistolen 1871-1945, Stuttgart, 4.Aufl. 1985