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Eşiret

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Wie andere Völker im Nahen Osten (Araber und Turkmenen) sind auch die Kurden in Stämmen, dem so genannten Eşiret (vom türkischen aşiret), organisiert. Die kleinste Einheit eines Stammes ist das Mal, was auf Deutsch Familie oder Haushalt bedeutet. Diese Familien, die auf patrilinearer Abstammung beruhen, können bis zu hundert Mitglieder umfassen.

Die nächsthöhere Ebene in der Gesellschaftsstruktur ist der Oxaq oder der Kabile (Clan). Die Einheiten bestehen aus verschiedenen Mals, die durch Brüder oder Vettern miteinander verwandt sind. Schließlich kommt dann der Eşiret (Stamm). Die Abgrenzung zwischen einem Oxaq und einem Eşiret ist manchmal schwer zu bestimmen. Die Zugehörigkeit zu einem Eşiret kann auf tatsächlicher gemeinsamer Abstammung beruhen. Allerdings sind Eşirets instabile Strukturen. Ein Eşiret kann sich komplett auflösen, wobei die ehemaligen Mitglieder zu anderen Eşirets wechseln, oder kann wie aus dem Nichts total neu entstehen. Viele Eşirets beziehen ihre Abstammung von einer mythischen Person oder von einem hohen und anerkannten islamischen Geistlichen. In den meisten Fällen sind das erdachte Abstammungen, die dazu dienen, die Position gegenüber anderen Eşirets zu stärken. Das Eşiret regelt bei den Kurden, die früher nomadisch lebten, die Benutzung der Weiden für die Viehherden. Diese Regelung war bindend. Eşirets ihrerseits können sich zu Stammeskonföderationen zusammenschließen wie z.B. bei den Stämmen aus Hakkari, die dann Hakkariya genannt wurden. Die Konföderationen wurden oft von einem Mir – einem Herrscher oder Prinzen – geleitet. Es kam auch vor, dass einige Eşirets von Frauen geführt wurden. Das kam vor, wenn der Führer ohne Nachfolger verstarb. Die Frauen wurden dann als Führerin genauso respektiert wie ein Mann. Ein Beispiel ist die Kara Fatma (Schwarze Fatma), die als Anführerin ihrers Eşirets aus Sivas bis nach Istanbul kam, um von der damaligen osmanischen Regierung die Freilassung ihrers Mannes zu fordern. Die Jaf im Iran wurden auch zeitweise von der Adile Hanim geführt. Nach den Niedergang der kurdischen Lokaldynastien im Osmanischen Reich am Ende des 19. Jahrhunderts, nahmen geistlichen Führer – Scheichs genannt – den Platz der weltlichen Herrscher. Ein Beispiel dafür ist Scheich Said.

Die Verbundenheit der Kurden zu ihrem Stamm zeigt sich heutzutage immer noch in den feudalen Strukturen im Nahen Osten. Es ist nicht selten, dass die Abgeordneten aus den kurdischen Provinzen dank ihrer Stellung in ihrem Eşiret immer wieder gewählt werden. Obwohl in Großstädten die Zugehörigkeit zum Eşiret unterbrochen wird, ist sie in ländlichen Gebieten noch stark. Die Konflikte zwischen den Stämmen führen auch immer wieder zu langen Fehden mit Blutrache. Diese feudalen Strukturen werden von vielen Kurden, die westliche oder sozialistische Ideologien vertreten, als Haupthindernis für die Nichtherausbildung eines Gemeinsamkeitsgefühls angesehen.

Scheich

Nach dem Sturz der kurdischen Herrscher durch die Zentralisierung des Osmanischen Reiches wuchs der Einfluss der Scheichs (Şex). Es gibt einige Charakteristika für die Scheichs. Erstens wanderte ein Scheich von anderswo in ein neues Gebiet ein. Zweitens tat er sich durch soziales und religiöses Engagement hervor; und drittens verschaffte er sich Einfluss in den lokalen Familien durch Einheiraten. Als Geistliche umgab sich jeder Scheich mit einem Mantel von Mythen über sich oder seine Vorfahren, die dazu dienten, ihn als Übermenschen darzustellen. Der Gehorsam der Untergebenen war oft sehr hoch; sie folgten blind den Befehlen der Scheichs, da diese von Gott mit Unfehlbarkeit und Unverwundbarkeit ausgestattet waren. Berühmte Scheichs waren Scheich Said, Scheich Ubaydallah, Scheich Mahmud Berzanci und Scheich Ahmed Barzani. Selbst Mustafa Barzani trug als Anführer seines Eşirets den Titel Molla.

Einige Beispiele für kurdische Eşirets:

Name Bedeutung Gebiet Volk Glaube
Abbasan/Abbasi Tunceli Aleviten
Alikan Beşiri Batman Kurden Yeziden, Sunniten
Alan/Alani Volk: Alanen Tunceli, Van, Lorestan Kirmanc Aleviten
Ariyan/Areyiz/Areli Volk: Arier/Iranier Tunceli Kirmanc Aleviten
Avdelan/Avdeliz Person: Yesil Abdalan ("Der grüne Abdalan") Tunceli Kirmanc Aleviten
Baba Mansur/Ba'Mansur Person: Baba Mansur ("Vater Mansur") Tunceli Turkmenen/Kurden Aleviten
Baban Silemani Kurden Sunniten
Baxtiyari Volk: Bachtiyārī Tunceli Kirmanc Aleviten
Barzani Nach dem Dorf Barzan Arbil Kurden Sunniten
Hama Berivani Berivani: Die Melkerinnen Mardin,Urfa Kurden Sunniten
Herki Urmia Kurden
Ismail Mardin Kurden Suniten
Jaf Kurden Silemani
Karabal Pertek, Mazgirt, Hozat in Tunceli Kurden Aleviten
Kirgan Tunceli,Erzincan,Aydin Zazakis/Kurden Aleviten
Koçgiri Koçkar (türkisch) - Leithammel Tunceli, Sivas Zazakis/Kurden Aleviten
Kureyşan/Kureş Person: Kur Hüseyin ("Berg Hüseyin") -> Kur Üsen Tunceli Zazakis/Kurden Aleviten
Lolan Tunceli und Erzincan Zazakis Aleviten
Mukri Urmia Kurden
Talabani Sileman Kurden



An den Namen sieht man dass einige Eşirets ihren Namen von Gegenden, wie z.B. den Barzani haben oder auf andere Völker hindeuten wie z.B. auf die Bachtiyārī. Ob mit Ariyan die Arier und mit Alan die Alanen gemeint sind, ist nicht sicher. Das Eşiret Baba Mansur leitet den Namen von einer Person ab. Die Kureyşan leiten sich von den Koreischiten, den Stamm Mohammeds, ab. Es gibt auch Eşirets mit turkmenischem oder anderem Ursprung. Dies zeigt dann eine Assimilation seitens der Kurden an, wie z.B. bei den Baba Mansur oder auch den Kureysans. Dabei gab es die Regel, dass kurdische Stämme in den Städten von den anderen Nationalitäten assimiliert wurden und dass Stämme anderer Nationälität auf dem Land von der kurdischen Bevölkerung assimiliert wurden. Des Weiteren sind einige Stämme über großen Gebiete verstreut. So lebt der Stamm der Lolan sowohl in Erzincan als auch in Tunceli. Es gibt hauptsächlich drei große Stämme: Lolan, Kureysan und Areyiz.

Literatur

  • Strohmeier, M./Yalçin-Heckmann, Lale: Die Kurden. C.H.Beck Verlag. München. 2. Auflage 2003
  • Yalçin-Heckmann, Lale: Tribe and Kinship among the Kurds. Peter Lang Publishers, Frankfurt a.M. 1991
  • Martin van Bruinessen: Agha, Scheich und Staat. Politik und Gesellschaft Kurdistans. Berlin 1989
  • Jwaideh, Wadie: Kürt Milliyetciliginin Tarihi - Kökenleri ve Gelisimi (Geschichte des kurdischen Nationalismus - Wurzeln und Entwicklung). Iletisim Verlag, Istanbul 1999