Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (1875)
Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands war eine von 1875 bis 1890 bestehende sozialistische Partei im deutschen Kaiserreich aus welcher 1890 die SPD hervorging
Gotharer Vereinigungsparteitag
Im Jahre 1875 entstand die SAP durch den Zusammenschluss der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) August Bebels und Wilhelm Liebknechts mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der bereits 1863 von Ferdinand Lassalle gegründet worden war. Der Vereinigungsparteitag der marxistischen "Eisenacher" (nach dem Gründungsort der SDAP) mit den gemäßigteren "Lassalleanern" fand vom 22. bis zum 27. Mai 1875 in Gotha statt. Der ADAV hatte zu diesen Zeitpunkt 15322 Mitglieder und stellte 74 Delegierte, die SDAP hatte 9121 Mitglieder und stellte 56 Delegierte.
Auf dem Vereinigungsparteitag wurde auch das Gothaer Programm der SAP verabschiedet. Dieses war inhaltlich ein Kompromiss zwischen den beiden Ursprungsparteien. Es enthielt sowohl marxistische Elemente der SDAP wie auch eher reformerische Aspekte in der Tradition von Ferdinand Lassalle. Karl Marx hat das Programm in seinen Randglossen zum Programm der Deutschen Arbeiterpartei umgehend scharf kritisiert. Auf Wunsch des Parteivorstandes wurde dieser Beitrag allerdings erst 1890 veröffentlicht.
Oberstes Organ der neuen Partei war der Parteitag, der nicht zuletzt den Parteivorstand zu wählen hatte. In diesen mit Sitz in Hamburg wurden 1875 Wilhelm Hasenclever, der ehemalige Vorsitzende des ADAV und Georg Wilhelm Hartmann von der SDAP als gleichberechtigte Vorsitzende gewählt. Kassierer war A. Geib. Ignaz Auer und Carl Derossi waren Sekretäre. Vorsitzender der Kontrollkommission wurde August Bebel.
Neben dem Programm wurde das Verhältnis zu den Gewerkschaften in Gotha diskutiert. Ihre Einrichtung wurde als notwendig bezeichnet, da sie die Sache der Arbeiter fördere. Unmittelbar an den Vereinigungsparteitag schloss sich ein Kongress der Gewerkschaften an, der beschloss die bisherigen Lokalvereine zu Zentralverbänden zusammenzuschließen. Zwar wurde am Prinzip der politischen Neutralität festgehalten, allerdings wurden die Mitglieder aufgefordert in die neue Partei einzutreten.
Entwicklung der Partei bis zum Sozialistengesetz
Die neue Partei wurde von Anfang an von den Behörden scharf überwacht und in ihrer Arbeit behindert. Bereits im März 1876 beantragte die Staatsanwaltschaft die Partei im Geltungsbereich des preußischen Vereinsgesetzes und besonders die Organisation in Berlin zu verbieten. Auf Grund des bevorstehenden Verbots firmierte der Parteitag von 1876 auch als Allgemeiner Sozialistenkongress. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Partei etwa 38.000 Mitglieder in 291 Orten. Sie verfügte über 38 Zeitungen und Zeitschriften. Darunter waren 21 Lokalblätter, außerdem elf Gewerkschaftszeitungen, ein Unterhaltungsblatt und drei Witzblätter. Der Kongress beschloss die ehemaligen Parteiorgane von SDAP und ADAV der Volksstaat und der Neue Social-Demokrat zu verschmelzen. Ab dem 1. Oktober 1876 erschien der Vorwärts als neues Zentralorgan der Partei. Leitende Redakteure wurden Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever. Auf Grund der politischen Verfolgungen wurde an die Stelle des Vorstandes ein fünfköpfiges Zentralwahlkomitee mit fast unbeschränkten Vollmachten gewählt. Der Sitz des Gremiums war Hamburg. Zur Kontrolle gab es eine siebenköpfige Revisions- und Kontrollkommission mit Sitz in Bremen.
Bei der Reichstagswahl von 1877 kandidierte die Partei in 175 Wahlkreisen und kam auf über 490.000 Stimmen, dies entsprach einem Stimmenanteil von 9,1%. Damit hatte die Partei 36% mehr Stimmen erhalten als die beiden Vorgängerparteien bei der letzten Reichstagswahl zusammen. Zwar war die Partei damit nach der Stimmenzahl zur viertstärksten politischen Kraft geworden. Auf Grund einer ungünstigen Wahlkreiseinteilung, stellte sie allerdings nur 12 Reichstagsabgeordnete. Auch andere Daten machen deutlich, das trotz der Repressalien die Partei erhebliche Zugkraft hatte. Der liberale Politiker Ludwig Bamberger stellte fest, dass die sozialdemokratischen Parteiblätter über 135.000 Abonennten hätten. „So ist Deutschland die Pflanzschule für die Ausbreitung des Sozialismus in der übrigen Welt geworden.“[1]
Am 11. Mai 1878 wurde in Berlin von dem Klempnergesellen Max Hödel auf Wilhelm I. geschossen. Dies nahm Otto von Bismarck zum Anlaß ein Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie auf den Weg zu bringen. Allerdings wurde dieser Entwurf von einer großen Mehrheit des Reichstages am 23./24. Mai abgelehnt. Am 2. Juni verübte Karl Eduard Nobiling ein weiteres Attentat auf dem Kaiser, bei dem Wilhelm schwer verletzt wurde. Unmittelbar danach begann eine umfangreiche Hetze gegen die Sozialdemokraten. Nur wenige Tage nach dem Attentat wurde der Reichstag aufgelöst, weil Bismarck hoffte, dass unter dem Eindruck der Ereignisse die Befürworter eines Ausnahmegesetzes gestärkt würden. Bei den Wahlen wurden für die SAP nur geringfügig weniger Stimmen abgegeben als 1877. Die Partei stellte 9 Abgeordnete. Dies war angesichts der bereits einsetzenden antisozialdemokratischen Maßnahmen ein beachtlicher Erfolg. Allerdings verloren die Liberalen und damit die Kritiker einer Ausnahmegesetzgebung 39 Mandate.
Nach der Beendigung der ersten Lesung eines neuen Gesetzentwurfes berieten in Hamburg die Führungsspitzen von Fraktion und Partei über den zukünftigen Weg. Nach heftigen Debatten wurde die Selbstauflösung der Partei noch vor Inkrafttreten des Gesetzes beschlossen. Gleichwohl bleibt eine Zentralstelle mit Sitz in Leipzig vorhanden.
Die Partei unter dem Sozialistengesetz
Am 19. Oktober 1878 nahm der Reichstag mit 221 Stimmen gegen 149 Stimmen der Sozialdemokraten, des Zentrums und der Fortschrittspartei das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (kurz Sozialistengesetz genannt) an. Danach konnten Vereine und Verbindungen aller Art, Druckerzeugnisse, Versammlungen und Geldsammlungen verboten werden. Agitatoren konnten aus bestimmten Gebieten ausgewiesen werden und die Gewerbeerlaubnis für bestimmte Gruppen entzogen werden. Allerdings scheiterte Otto von Bismarck im Parlament mit dem Versuch den Sozialdemokraten auch das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen. Das Gesetz war zunächst bis 1881 befristet, wurde aber in der Folge regelmäßig verlängert.
Damit wurde die sozialdemokratische Partei für 12 Jahre endgültig in den Untergrund gedrängt. Ihr Parteiorgan, der „Vorwärts“, wurde ebenso verboten wie öffentliche Auftritte oder Versammlungen der Partei. Einzig die Reichstagsfraktion der SDAP, zu der unter anderen Wilhelm Liebknecht, August Bebel und Wilhelm Hasenclever gehörten, behielt ihre Mandate. Viele Parteimitglieder sahen sich zur Emigration gezwungen oder wurden im Zuge des sogenannten Kleinen Belagerunszustandes, der zeitweilig im Rahmen der Sozialistengesetze über einige Hochburgen der SAP (z.B. Berlin, Hamburg, Leipzig oder Frankfurt am Main) verhängt wurde, aus ihren Wohnorten ausgewiesen.
1877 erhielt die SAP bei den Reichstagswahlen knapp 500.000 Stimmen. 1890, noch vor der Aufhebung der bis dahin von Jahr zu Jahr erneuerten Sozialistengesetze, war sie mit gut 1,4 Millionen zur wählerstärksten Partei in Deutschland geworden. Als deutsche Sektion der 1889 in Paris gegründeten Sozialistischen Internationale galt sie trotz Verbot im eigenen Land als einflussreichste sozialistische Partei ihrer Zeit in Europa.
Kurze Zeit nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes im Herbst 1890 benannte sich die SAP in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) um.
Anmerkungen
- ↑ zit. nach Chronik, S.55.
Literatur
- Franz Osterroth / Dieter Schuster: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Bd.1: Bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Bonn, Berlin, 1975. S.50ff.