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Weihnachtsfrieden (Erster Weltkrieg)

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Der Weihnachtsfrieden (engl. Christmas Truce „Weihnachtswaffenstillstand bzw. Weihnachtswaffenruhe“) war ein von der Befehlsebene nicht autorisierter Waffenstillstand während des Ersten Weltkrieges am 24. Dezember 1914 und an den folgenden Tagen. Er fand an weiten Teilen der West- (vor allem zwischen Deutschen und Briten), aber auch der Ostfront statt. Der Weihnachtsfrieden des Jahres 1914 bezeichnet heute vor allem die Ereignisse an der Front zwischen Messines und Neuve Chapelle, an der sich Deutsche und Briten gegenüberstanden.

Hintergrund

Die Ereignisse des Jahres 1914 sind vor allem in der britischen kollektiven Erinnerung gespeichert und werden oft in einer romantischen Verklärung, verkürzt und ungenau überliefert. Die Realität kann leider nicht mehr so einfach wiedergegeben werden. Berichte der Geschehnisse sind oft unzusammenhängend oder widersprechen sich, manche Überlieferungen wurden im Laufe der Zeit ausgeschmückt und die offiziellen Stellen ergeben kaum verwertbare Informationen. Einen grundlegenden Gedanken der am Waffenstillstand teilnehmenden Soldaten kann man heute jedoch immer noch nachvollziehen: die Suche nach Gemeinschaftlichkeit und Humanität im Spannungsfeld zwischen einem der wichtigsten christlichen Feste und einem menschenverachtenden Krieg.

Auslösende Elemente des Waffenstillstandes

Viele Soldaten aller Kriegsparteien waren 1914 enthusiastisch und voller Siegesgewissheit als Freiwillige in den Krieg gezogen und hatten gehofft, bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein. Der Krieg, der als kurzer Feldzug versprochen und propagiert worden war, hatte alle bisher geführten und bekannten Muster „ritterlicher“ Schlachten des 19. Jahrhunderts durchbrochen und war schon während der ersten Monate zu einem industrialisierten Töten geworden, bei dem man durch massiven Einsatz von Schnellfeuergewehren, Minen, Artillerie und Maschinengewehren auf die komplette physische Vernichtung allen gegnerischen Lebens zielte.

Die Gräben der Westfront Ende 1914

Der Krieg, der von reichsdeutscher Seite als schnelles Umfassungsmanöver der französischen Armeen und der englischen Interventionskräfte geplant gewesen war (Schlieffenplan), hatte nach der Schlacht an der Marne ein anderes Gesicht bekommen: die Streitkräfte gingen mehr und mehr zu einer defensiveren Grundhaltung über. Nachdem die Versuche beider Seiten, den Gegner in einer offenen Flanke anzugreifen, im Norden bzw. am Ufer der Nordsee (Wettlauf zum Meer) gescheitert waren, war der Bewegungskrieg Ende 1914 in einem zunächst unzusammenhängenden, aber sich immer mehr vervollständigenden Grabensystem zum Erliegen gekommen.

Schnelle Siege durch überraschende Truppenbewegungen bzw. Überflügelungen waren nicht mehr zu erringen. Die Soldaten lagen sich nun zwischen der Schweiz und der Nordsee in Schützengräben gegenüber. Diese waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu dem fast perfekten Bollwerk der späteren Jahre geworden, das aus mehreren hintereinander liegenden Linien, MG-Nestern, Drahtverhauen, Unterständen, Stacheldrahthindernissen und Minenfallen bestand. Die Gräben glichen Ende 1914 eher improvisierten Schutzstellungen, in denen die Soldaten leicht zum Ziel eines gegnerischen Scharfschützen oder einer feindlichen Handgranate werden konnten. Diese Art der Kriegsführung war den Soldaten der Kriegsparteien nicht aus ihrer Ausbildung bekannt, obwohl sie bereits während des Burenkrieges von den Buren gegen die Engländer mit Erfolg angewendet worden war. Die Soldaten mussten sich in einer neuen, ihnen nicht vertrauten Situation der kämpfenden Bewegungslosigkeit zurechtfinden, die zudem durch das extrem schlechte Wetter im Herbst 1914 verschärft wurde: viele Schutzgräben der nördlichen Westfront waren zu eisigen Schlammlöchern geworden, in denen die Soldaten ihren Gegner - da der Krieg bis Weihnachten beendet gewesen sein sollte - ohne entsprechende Ausrüstung bekämpfen mussten. Nach nur fünf Monaten war die Westfront mehr oder weniger stabilisiert eingefroren. 47 Monate sollten noch vergehen, bis der Krieg zu Ende war.

Überreste der menschlichen Zivilisation

Ende 1914 hatte der Soldat in seinem Schützengraben immer noch die Möglichkeit, die Überreste menschlicher Zivilisation und Kultur an der Front zu erkennen. Anders als in den späteren Kriegsjahren waren Kirchen und Dörfer noch nicht völlig zerschossen, Felder konnten noch als solche erkannt werden, das später so häufig eingesetzte Trommelfeuer der Artillerie hatte die Erde noch nicht in die für den Ersten Weltkrieg typische Mondlandschaft verwandelt. In einer humanistischen Interpretation der Anfangszeit des Ersten Weltkriegs ist es gängige Lesart, dass die Soldaten sich als gegnerische Kameraden betrachteten und nicht als auszulöschendes Objekt. Der menschliche Wille zur Zivilisation scheint also immer noch greifbar gewesen zu sein und mit ihm ein erkennbarer Wille zu Moral und Ethik.

Die entscheidende Rolle bei der Verstärkung bzw. Verwirklichung dieses Verlangens spielte Weihnachten, das als paneuropäisches Fest der Nächstenliebe gesehen werden kann und bei dem nicht nur des gleichen Ideales gedacht wurde, sondern das vielmehr mit großen liturgischen Übereinstimmungen gefeiert wurde. Dort, wo die Waffen an Weihnachten 1914 ruhten, waren die bei den christlichen Gottesdiensten in allen europäischen Ländern gesungenen Weihnachtslieder Auslöser und verbindendes Element, da sie sich der gleichen Melodien in den unterschiedlichen Sprachen bedienten („(I Can't Get No) Satisfaction“: „Silent Night“ / „Douce nuit, sainte nuit“). Ebenfalls christlich motiviert und bei den Soldaten wohlbekannt war auch die Botschaft des neuen Papstes Benedikt XV., der in seiner Antrittsrede im August 1914 um einen Waffenstillstand an Weihnachten gebeten hatte. Dieser Wunsch wurde von den Krieg führenden Parteien abgelehnt, ebenso wie ein ähnliches Ersuchen des Bischofs von Paris.

Vor diesem offenkundigen gemeinsamen Hintergrund scheinen viele der sich gegenüberliegenden Soldaten die Frage nach dem Sinn ihres blutigen und brutalen Einsatzes gestellt zu haben, vor allem da viele Freunde und Bekannte in den Gefechten zum Teil auf grauenvolle Weise verloren worden waren. Diese Sinnkrise ging an vielen Frontabschnitten mit der klaren und realistischen Einsicht Hand in Hand, dass es dem zu bekämpfenden Feind auf der anderen Seite des Niemandslandes nicht besser erging, dass er ebenso unter den Kugeln, Granaten und der Kälte zu leiden hatte und dass er ebenso Freunde und Kameraden zu beklagen hatte.

Wer ist unser Feind?

Nachdem diese erste Einsicht in die unsinnige Zerstörung des menschlichen Lebens und das Bewusstsein des gemeinsamen menschlichen Leids auf fruchtbaren Boden gefallen waren, stellten sich viele Soldaten die Frage, ob der von der eigenen Propaganda als so bestialisch dargestellte Gegner denn wirklich dieser vernichtenswürdige Dämon sei, den erbarmungslos zu töten man per Befehl verpflichtet war. Keine der Seiten war in der herabwürdigenden Darstellung des Feindes zimperlich, sei es das Bild vom Kinder fressenden Hunnen oder die Darstellung der blutrünstigen Marianne. Aber diese brutalisierenden Fremdbilder verloren im Angesicht des Schlamms, des eigenen Blutes, des sterbenden Feindes, der ständigen unsichtbaren Gefahr aus der Luft mehr und mehr an Wirkung. Der Erkenntnis des gemeinsamen Leides folgte die zivilisatorische Erkenntnis, dass der Gegner ein Mensch ist und kein Dämon, dass er aus dem gleichen Kulturkreis stammt und auch keine Kriegs-, sondern in gleicher Weise Weihnachtslieder singt. Das war dann so halt

Tradition zwischen den Gräben

All diese Elemente müssen als Auslöser in Betracht gezogen werden, um den Waffenstillstand am 24. Dezember 1914 zu erklären. Es kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, wie und durch wen er begonnen wurde, aber festzustehen scheint, dass er im Raum Ypern begann. Hier lagen die Truppen der British Expeditionary Force an ihrem 27 Kilometer langen Frontabschnitt, den sie nach der ersten Flandernschlacht halten mussten, oft nur 50 bis 100 Meter von den deutschen Linien entfernt. Durch diese Nähe war es hier leicht möglich, den Feind anzurufen, zu beleidigen oder aber auch ins sinnvolle Gespräch zu kommen. Belegt ist, dass es in diesen ersten Kriegsmonaten - auch vor dem Weihnachtsfrieden - eine gewisse Tradition gab, dass an ruhigeren Abschnitten deutsche und britische Truppenteile temporär den Krieg einstellten, sei es um Gefallene zu beerdigen, Verwundete zu verpflegen oder einfach aus Kriegs- und Zerstörungsmüdigkeit. Dieses Verhalten ist selbst für solche Soldaten dokumentiert, die gerade aus verlustreichen Gefechten zurückgekommen waren.

Dies war Ausdruck einer langen Tradition zwischen den Soldaten gegnerischer Parteien: im Französisch-Britischen Krieg saßen die Gegner am gemeinsamen Lagerfeuer und spielten Karten, im Krimkrieg teilten sie Essen, Verpflegung und Tabak, im Amerikanischen Bürgerkrieg angelten sie am gleichen Fluss und sammelten zusammen Beeren. Aus der Zeit des Burenkrieges ist sogar ein Fußballspiel zwischen Buren und Engländern überliefert. Selbst aus dem Zweiten Weltkrieg ist bekannt, dass Einheiten des Afrika-Korps und der Briten zusammen Lili Marleen hörten.

Unter diesen Aspekten steht der Waffenstillstand 1914 nicht allein und ist insofern Ausdruck eines Gefühls des Leben und Leben Lassen, selbst wenn es ein herausragendes Beispiel der Menschlichkeit im Krieg ist.

Der Waffenstillstand

Geschenke und Pakete auf beiden Seiten

Am 23. Dezember 1914 wurde dies verstärkt durch den Wunsch, die aus der Heimat angekommenen Weihnachtsgeschenke in Ruhe und ohne Todesangst öffnen zu können. Jeder britische Soldat erhielt ein Päckchen des Königs, in dem er unter anderem eine Princess Mary Box fand, eine Metalldose mit dem gravierten Profilbildnis von Princess Mary, der einzigen Tochter George V.. Die Schachtel enthielt Schokolade, Scones, Zigaretten, Tabak und eine Grußkarte der Prinzessin. Ein Faksimile des Königs stellte Georg V. als Truppenvater dar, der seinen Truppen wünscht: „May God protect you and bring you home safe“ (Möge Gott Euch schützen und sicher nach Hause bringen). 355.000 dieser Princess Mary Boxes wurden 1914 verschickt.

Die deutsche Armee erhielt ebenfalls ein staatliches Geschenkpaket, das eine kaiserliche Meerschaumpfeife enthielt, Offiziere erhielten ein Päckchen mit Zigarren. Daneben bekamen alle Soldaten der Westfront die Zuwendungen der Städte oder Landkreise aus denen sie stammten und natürlich die Pakete ihrer Familien mit warmer Bekleidung, Essen, manchmal Alkohol, Zigaretten, Briefen usw. Zudem hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) zehntausende Miniaturweihnachtsbäume an die deutschen Fronten versendet, die alle an Weihnachten angezündet werden sollten.

Die Zuteilung dieser staatlichen Unterstützungspakete war in Frankreich und Belgien nicht so gut organisiert wie für die deutschen und britischen Truppen. Zusammen mit dem Umstand, dass ihre Länder besetzt waren, ist dies eventuell eine Erklärung, warum diese Soldaten sich in sehr viel geringerem Maße an diesem Waffenstillstand beteiligt hatten.

Nachdem sich die Soldaten zum ersten Mal seit langem wieder satt essen konnten und mit dem Gefühl, dass die Welt für einen Moment wieder so war, wie sie es im Frieden gekannt hatten, wollten sie nun auch wieder an der weihnachtlichen Tradition des Schenkens und Teilens teilhaben. Ein Korrespondent einer englischen Zeitung schrieb, es sei einigen Deutschen gelungen, einen Schokoladenkuchen über das Niemandsland zu befördern, der nur zu gerne von den Briten angenommen worden sei. Es scheint ebenfalls ein deutscher Soldat gewesen zu sein, der seinen britischen Kameraden auf Englisch zurief, dass die Deutschen um eine bestimmte Uhrzeit (einige Quellen geben 07h30 an) einige Weihnachtslieder singen wollten und dass der „Tommy“ doch deshalb nicht schießen möge. Als Zeichen wolle er Kerzen auf den Grabenrand stellen. Die Briten akzeptierten den Wunsch. Als das Konzert der Deutschen beendet war, applaudierten die Gegner und wurden von den Deutschen aufgefordert mitzusingen. Einer der Briten rief, er würde eher sterben als Deutsch zu singen, worauf die Deutschen lachend zurückriefen, dass es sie umbringen würde, falls er das tun würde. Die Briten begannen auf Englisch zu singen und viele Deutschen stellten nach und nach ihre Tannenbäume auf die Grabenränder.

24. Dezember – Feinde im Niemandsland

Der Morgen des 24. Dezember brachte einen klaren Tag. Der ständige Regen hatte aufgehört, an einigen Stellen des Sektors wurde zwar noch geschossen, an den meisten jedoch war eine unwirkliche Stille eingekehrt, die nur durch das Zurufen der sich gegenüberliegenden Soldaten unterbrochen wurde. Erste mutige Männer riefen den Gegner an, ihre Gefallenen zu bergen. Es wurde nicht geschossen, als sie unbewaffnet ins Niemandsland vorgingen. Nachdem die Toten beerdigt waren, begannen die Soldaten miteinander zu sprechen, vor allem auf Englisch, da viele Deutsche durch die vom Kaiser propagierte Nähe zu England die Sprache gelernt oder sogar in Großbritannien gearbeitet hatten.

Entgegen der verbreiteten Auffassung, nur „einfache“ Soldaten hätten aus Protest, weil sie sich als „Kanonenfutter“ fühlten, ihre Waffen niedergelegt, nahmen auch viele Offiziere an den Ereignissen teil und führten stellenweise sogar aktiv Verhandlungen. Einer dieser Offiziere war Leutnant Kurt Zehmisch vom 134. Infanterieregiment, ein Französisch und Englisch sprechender Lehrer aus Weischlitz in Sachsen, der in seinem Tagebuch notierte, er habe seinen Leuten befohlen, während der Weihnachtsfeiertage nicht auf den Gegner zu schießen und sie hätten Kerzen und Tannenbäume auf die Gräben zu stellen. Weiter schrieb er, dass die Briten durch Pfeifen und Klatschen ihre Zustimmung mitteilten und dass er – wie die meisten seiner Kameraden – die ganze Nacht wach geblieben sei. Am folgenden Tag hielt Zehmisch fest, dass einige Briten mit einem Fußball aus ihrem Graben gekommen seien. Sie hätten hin und her gekickt und der kommandierende englische Offizier und er selbst seien der übereinstimmenden Meinung gewesen, dass all dies unvorstellbar und unglaublich wunderbar sei.

Viele kommandierende Generale auf beiden Seiten hingegen, allen voran der Chef des BEF, Sir John French, erließen scharfe Disziplinierungsbefehle gegen die eigenen Truppen. Andere hingegen betrachteten die Ereignisse eher gelassen und in der standhaften Überzeugung, dass nach Weihnachten der Krieg weiter ginge. Erstaunlich ist, dass die Hierarchien beider Kriegsparteien auf die Ereignisse ähnlich ambivalent reagierten.

Einzelne Ereignisse und Erinnerungen

In der Nähe des Dorfes Fromelles trafen sich Soldaten der von den Deutschen sehr gefürchteten Gordon Highlanders im etwa 80 Meter breiten Niemandsland und begannen ihre Toten zu beerdigen.

Ein gemeinsamer Gottesdienst wurde gefeiert, Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte …“) wurde gesprochen, zuerst in Englisch vom Regimentspfarrer und dann auf Deutsch von einem englischen Studenten der deutschen Sprache. Die Deutschen standen auf einer Seite, die Engländer auf der anderen, alle hatten ihre Kopfbedeckungen abgelegt, erinnert sich der second lieutenant Arthur Pelham Burn in seinem Tagebuch: „The Germans formed up on one side, the English on the other, the officers standing in front, every head bared. Yes, I think it was a sight one will never see again." (Die Deutschen standen auf der einen Seite zusammen, die Engländer auf der anderen. Die Offiziere standen in der vordersten Reihe, jeder hatte seine Kopfbedeckung abgenommen. Ja, ich glaube dies war ein Anblick, den man nie wieder sehen wird.) (Quelle: Tagebucheintrag 1914, zitiert aus Malcolm Brown, Shirley Seaton: Christmas Truce: The Western Front December 1914)

An derselben Stelle notierte der englische Hauptmann, Captain R.J. Armes, in einem Brief, dass er vereinzelte Schüsse und ein Geschütz in der Ferne gehört habe, dass aber sonst Stille gewesen sei. Er erlaubte einigen Soldaten die Deutschen zu treffen, welche dann im Niemandsland Tabak austauschten und sich unterhielten.

An einer anderen Stelle übergaben sächsische Soldaten ihren britischen Kameraden von den Royal Welsh Fusiliers zwei Fässer Bier. Captain C. I. Stockwell notierte in das Bataillonstagebuch, dass plötzlich ein halbes Dutzend Sachsen auf den Schützengräben ohne Waffen gestanden hätten. Er lief zu seinen Soldaten, die mit Gewehren im Anschlag die Befehle ihres Hauptmanns erwarteten, während die Sachsen riefen: „Don't shoot. We don't want to fight today. We will send you some beer.“ (Nicht schießen. Wir wollen heute nicht kämpfen. Wir schicken Euch Bier rüber.). Dann sei ein Fass auf den Schützengraben gewuchtet worden, das anschließend von drei Deutschen in die Mitte des Niemandslandes gerollt wurde. Ein deutscher Offizier war erschienen und ging auf das Fass zu. Stockwell tat es ihm gleich, wobei sie sich förmlich grüßten. Der deutsche Offizier sprach kein Wort Englisch und sagte auf Deutsch, sie (die Briten) sollten das Bier ruhig nehmen, es wäre noch viel davon da. Im Austausch ließ Captain Stockwell mehrere Plumpuddings zu den Deutschen schicken. Ein deutscher Soldat hatte den Offizieren Gläser und zwei Flaschen Bier gebracht. Sie stießen an und gingen danach zu ihren Linien zurück. Auf beiden Seiten wurde den ganzen Abend gesungen.

In einem in der Times veröffentlichten Brief erklärte der deutsche Leutnant Niemann, dass in seinem Sektor bei Frelinghein-Houplines ein Fußballspiel ausgetragen wurde, das 3:2 für die Deutschen ausgegangen sei. Dies war eindeutig eines der Symbole des Weihnachtsfriedens und trug zur Legendenbildung bei. Der Wahrheitsgehalt kann jedoch heute nicht mehr geprüft werden. Sicher ist jedoch, dass es zu einem unorganisierten Gekicke zwischen den Gegnern kam, das dabei allerdings nicht auf ein Tor geschweige denn mit einem Schiedsrichter gespielt wurde.

Entsprechend mehreren Berichten gab es im Niemandsland weiterhin mindestens ein gemeinsames Schweinegrillen, mindestens einen Frisörsalon für Deutsche und Briten, mehrere Fußballspiele und unzähliges Austauschen von kleinen Geschenken, wie Tabak, Zigaretten und Schokolade.

An einer französischen Front brachte ein Deutscher einen betrunkenen Franzosen zu seiner Stellung zurück und legte ihn vor dem Stacheldrahtverhau nieder.

Die meisten Berichte stammen von britischer Seite, der bekannteste von Captain Sir Edward Hulse (gefallen 1915) von den Scots Guards, der als er aus dem Hauptquartier zurückgekommen war, feststellen musste, dass es zu Verbrüderungen kam. Als Zigaretten von den Schotten angeboten wurden, fragte ein Deutscher, ob der Tabak aus Virginia stamme. Nachdem dies bejaht wurde, sagte er unter dem Gelächter der Schotten und Deutschen, er rauche nur türkischen Tabak: „Scots and Huns were fraternizing in the most genuine possible manner. Every sort of souvenir was exchanged, addresses given and received, photos of families shown, etc. One of our fellows offered a German a cigarette; the German said, „Virginian?“ Our fellow said, „Aye, straight-cut“, the German said „No thanks, I only smoke Turkish!“... It gave us all a good laugh." (Zwischen Schotten und Hunnen [englisches Schimpfwort für Deutsche] fand weites gehende Verbrüderung statt. Alle möglichen Andenken wurden ausgetauscht, Adressen gingen her- und hinüber, man zeigte sich Familienfotos usw. Einer von uns bat einem Deutschen eine Zigarette an. Der Deutsche fragte: ‚Virginia’? Unserer sagte: ‚Klar, einwandfrei. Darauf der Deutsche: ‚Ich rauche nur türkischen.’ … Darüber haben wir alle sehr gelacht.’) (Quelle: Batallionstagebuch der Scots Guards Dezember 1914, zitiert aus: ebenda))

Das Ende des Waffenstillstandes

Man geht heute davon aus, dass mindestens 100.000 Soldaten der an der Westfront kämpfenden Parteien, an dem Waffenstillstand teilgenommen haben, hauptsächlich Briten und Deutsche. Der Waffenstillstand und die Verbrüderungen wurden vor allem am 23. und 24. Dezember 1914 beobachtet, vereinzelt waren längere Feuerpausen zu beobachten, einige sogar bis in den Januar 1915 hinein. Wie es die soldatische Tradition des 19. Jahrhunderts vorschrieb, gab es an weniger bedeutsamen Sektoren der Front auch inoffizielle und kurze Abmachungen zur Pflege der Verwundeten und Bergung der Toten, die aber nie in den Berichten der Armeeführungen auftauchten.

Der allgemeine Waffenstillstand endete an einigen englischen Abschnitten erst am 26. Dezember („Boxing Day“), an bestimmten schottischen am Neujahrstag, da dies von den schottischen Soldaten als ein besonderes Fest gefeiert wurde. Der Bataillonsbericht von Captain J. C. Dunn und Captain C. I. Stockwell von den Royal Welsh Fusiliers, welche die Fässer mit Bier bekommen hatten, kann als authentisch und beispielhaft gelten: Um 08h30 wurden drei Schuss in die Luft gefeuert und die Briten hissten eine Flagge mit der Aufschrift „Merry Christmas“. Auf der anderen Seite der Front erschien ein deutscher Hauptmann, der ein Tuch in die Höhe hielt, auf dem „Thank you“ geschrieben stand. Beide salutierten und gingen in ihre Gräben zurück. Ein deutscher Soldat schoss zweimal in die Luft, danach war wieder Krieg.

Konsequenzen

Auf beiden Seiten der Front hatte der Waffenstillstand kein disziplinarisches Nachspiel. In der deutschen Presse wurde es niemals erwähnt, obwohl die Ereignisse durch entsprechende Aufzeichnungen der OHL belegt sind. Die britische und französische Berichterstattung war freizügiger, jedoch wurde das Ausmaß auf eine kleine Verbrüderung an einem unwesentlichen Frontabschnitt reduziert.

Weihnachten 1915 gab es wiederum Versuche der Truppen, das Geschehen des Vorjahres zu wiederholen. Es wurde allerdings diesmal von den Befehlshabern unter Androhung von Kriegsgerichtsverfahren nicht mehr geduldet. Ab 1916 gab es schließlich auch die inoffiziellen, kleinen Waffenstillstände zwischen den Gegnern nicht mehr. Das Niemandsland war zu einer ständigen Kampfzone geworden.

Interpretation des Geschehenen

Holzkreuz im Gedenken an den Weihnachtsfrieden bei Ypern, Belgien

Die Bedeutung dieses Waffenstillstands wurde nach dem Weltkrieg vor allem in Großbritannien lange und heftig diskutiert. Ein bewegendes Urteil lieferte der Teilnehmer Murdoch M. Wood 1930 vor dem britischen Parlament, als er sagte, dass die Soldaten wohl niemals wieder zu den Waffen gegriffen hätten, wäre es nach ihnen gegangen.

Der Weihnachtsfrieden kann als letztes, kurzes Aufbäumen einer untergehenden Zeit und als zum Scheitern verurteilter Versuch der Menschlichkeit im Krieg interpretiert werden, wobei die Rolle christlicher Glaubensvorstellungen schwer einzuschätzen ist. Der Weihnachtsfrieden wurde alsbald Gegenstand von Legendenbildung und Mythologisierung, so dass die Fakten hinter den jeweils propagierten Idealen fast verschwunden sind.

Rezeption

Das Fußballspiel von einst wurde zum 90. Jahrestag des Geschehens auf dem Schlachtfeld nachgespielt. In Neuville-Saint-Vaast besiegte das französische Team Varietes Club de France aus zur Ruhe gesetzten Spielern eine internationale Auswahl, die Selection of Fraternity, mit 5:2 vor etwa 2.000 Zuschauern. Das Wetter war klar, die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt – wie 90 Jahre zuvor.

Der Filmemacher Christian Carion (Joyeux Noël) beantragte eine Drehgenehmigung für die Originalstätten. Diese wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Frankreich keinen Film unterstützen würde, der eine Rebellion thematisiert. Er drehte seinen Film in Rumänien.

1991 thematisierte die Liverpooler Musikgruppe The Farm das Fußballspiel im „no-man's land“ und die kommunikative Macht des Sports in Krisenzeiten in ihrem Hit All together now.

Im Musikvideo „Pipes of Peace“ von Paul McCartney wird dieser Friede dargestellt.

Überlebende

Es sind seit 2005 keine Überlebenden mehr bekannt, die an den Ereignissen beteiligt waren. Der letzte – wenngleich passive – Augenzeuge war Alfred Anderson, der am 21. November 2005 im Alter von 109 Jahren verstorben ist. Er diente als Soldat im Scottish Black Watch Regiment und erinnerte sich in einem privaten Gespräch, dass er - in Reserve - plötzlich die unheimliche Stille vernommen habe. Der seinerseits von der BBC interviewte Gesprächspartner berichtete davon 1996: „It was very cold and very still. He said he could hear these voices shouting, carried over on the night air. What he could hear was total stillness, which he found very eerie."

Literatur

  • Christian Bunnenberg: Dezember 1914: Stille Nacht im Schützengraben - Die Erinnerung an die Weihnachtsfrieden in Flandern in: Tobias Arand (Hrsg.): Die "Urkatastrophe" als Erinnerung - Geschichtskultur des Ersten Weltkriegs Münster 2006 (= Geschichtskultur und Krieg I). S. 15-60. ISBN 3-934064-67-1 (bei: www.zfl.uni-muenster.de)
  • Michael Jürgs: Der kleine Frieden im Großen Krieg ISBN 3-442-15303-4
  • Malcolm Brown, Shirley Seaton: Christmas Truce: The Western Front December 1914 Pan Books Ltd; Revised edition (December, 1999)
  • Stephen Wunderli et al: Silent Night, Holy Night: The Story of the Christmas Truce Mormon Tabernacle Choir
  • Stanley Weintraub: Silent Night: The Story of the World War I Christmas Truce Plume Books (November, 2002)

Verfilmungen