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Ungarische Sprache

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Die ungarische Sprache (Ungarisch, Magyar nyelv) ist die einzige nicht-indoeuropäische Sprache, die im mitteleuropäischen Raum gesprochen wird. Sie gehört zusammen mit Samisch, Estnisch, Finnisch und einer Reihe von im europäischen Russland und in Nordsibirien gesprochenen Sprachen zu den finno-ugrischen Sprachen.

Erste Inschriften des Ungarischen stammen aus dem 9. Jahrhundert, als sich die Magyaren noch der ungarischen Runenschrift bedienten.

Ungarisch wird heute von etwa 15 Millionen Menschen gesprochen und ist Amtssprache in Ungarn und seit dem 1. Mai 2004 auch eine der Amtssprachen in der EU. Der Language Code ist hu bzw. hun (nach ISO 639).

Sprachverwandtschaft

Zusammen mit den Mansen (4'000 in Russland) und Chanten (12'000 in Russland) bilden die Ungarn (rund 15'000'000 weltweit) die ugrische Untergruppe. Die finno-ugrischen Sprachen wiederum bilden zusammen mit der kleinen Gruppe der Nenzensprachen die uralische Sprachfamilie.

Geschichte

Auf der Suche nach den Ursprüngen des Ungarischen gab es unterschiedliche Herleitungsversuche. So wurde versucht, Ungarisch der türkischen Sprachgruppe zuzuordnen. Dieser Sprachgruppe gehören neben dem Türkischen auch Sprachen Zentralasiens wie Kasachisch, Turkmenisch oder Kirgisisch an.

Die Europäer hielten die Ungarn beim ersten Kontakt für einen mit den Türken verwandten Volkstamm. So entstand auch der Name "Ungar" als Ableitung von "Onogur", einem türkischen Stammesführer aus jener Zeit. Die Diskrepanz zur Selbstbezeichnung der Ungarn ("magyar") sticht ins Auge.

Die Theorie der Verwandtschaft zu den Türken erhielt vor allem dadurch Nahrung, weil die Turksprachen ebenfalls agglutinierende Sprachen und vokalharmonisch aufgebaut sind.

Von dieser Theorie hat man jedoch ebenso Abstand genommen wie von der Idee, Ungarisch könne ein entfernter Verwandter des Japanischen sein, da eine Reihe kurzer Wörter für allgemeine Landschaftsbezeichnungen auffällige Ähnlichkeiten in beiden Sprachen aufwiesen.

Unter den Ungarn selbst hielt sich etwa seit dem 12. Jahrhundert die Legende (Hunor und Magor), man stamme von den Hunnen ab, was aber nicht der Fall ist. Der Name "Attila" ist bis zum heutigen Tag ein recht beliebter männlicher Vorname in Ungarn. Auf diese irrtümliche Verbindung mit den Hunnen geht auch die in zahlreichen europäischen Sprachen übliche Schreibung des Landesnamens mit "H-" zurück, vgl. deutsch (veraltet) Hungarn, französisch Hongrie, englisch Hungary.

Grammatik

Aussprache

Die ungarische Sprache wird mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Das Verhältnis Laut-Buchstabe ist 1:1. Eine Ausnahme bildet der j-Laut, der sowohl als "j" als auch als "ly" in Erscheinung tritt. Besondere konsonantische Laute werden teilweise durch Kombination von zwei oder gar drei Zeichen dargestellt. Von der vom Deutschen her gewohnten Aussprache weichen folgende Buchstaben ab (in eckigen Klammern jeweils die Aussprache nach dem Internationalen Phonetischen Alphabet):

Betonung

Alle Wörter werden immer auf der ersten Silbe betont, so lang sie auch sein mögen, vgl. legeslegmegvesztegethetetlenebbeknek "den Allerunbestechlichsten" (13 Silben). Diese Regel gilt auch für Lehnwörter, vgl. zsakett "Jackett".


Vokale

Es wird genau unterschieden zwischen kurzen und langen Vokalen. Lange Vokale werden konsequent durch Akzente gekennzeichnet, also nicht verdoppelt. Die Darstellung des Doppelakuts für die Buchstaben Ő und Ű bereitet auf Internetseiten oft Probleme, so dass meistens auf einen Zirkumflex (^) oder Tilde (~) ausgewichen wird.

Die Vokallänge ist "phonologisch distinktiv", d.h. sie dient dazu, Wörter verschiedener Bedeutung zu unterscheiden, vgl.:

  • bor "Wein" vs. bór "Bor (Chemisches Element)"
  • örül "er/sie freut sich" vs. őrül "er/sie wird verrückt"

Lange Vokale können in allen Wortsilben vorkommen, also nicht nur, wie im Deutschen, in der betonten Silbe, vgl. főméltóságáról "über seine Exzellenz".

Konsonanten

c = z = [ts], vgl. ungar. vicc "Witz", cukor "Zucker"
cs = stimmloser tsch-Laut = [tʃ], vgl. ungar. palacsinta "Palatschinke, Eierkuchen", kocsi "Kutsche; Wagen; Auto"
dzs = stimmhafter dsch-Laut = [dʒ], vgl. ungar. dzsem "Marmelade"
gy = entspricht ungefähr einem [dj] (palatalisiertes d), vgl. magyar "Magyare", György [djørdj] "Georg"
h = deutsch h = [h], aber am Wortende stumm, vgl. méh [me:] "Biene"
ly = [j], vgl. ungar. hely [hɛj] "Ort"
ny = [nj] (wie span. "ñ"), vgl. ungar. konyak "Cognac"
r = Zungenspitzen-[r], vgl. rózsa "Rose"
s = stimmloser sch-Laut = [ʃ], vgl. spiritusz ['ʃpiritus] "Spiritus"; sonka "Schinken"
sz = stimmloses [s] (vgl. deutsch: "Ess-Zett"!), vgl. ungar. szexis "sexy", szoprán "Sopran"
ty = entspricht einem [tj] (palatalisiertes t wie in dt. Metier), vgl. Mátyás ['ma:tja:ʃ] "Matthias", kutya "Hund"
v = dt. "w" = [v], vgl. ungar. vicc "Witz"
z = stimmhaftes s = [z], vgl. ungar. Zanzibár "Sansibar", zene "Musik"
zs = stimmhafter sch-Laut = [ʒ] (wie in franz. journaliste), vgl. zselatin "Gelatine", zsakett "Jackett"

Verdoppelte Konsonanten werden entsprechend länger ausgesprochen, vorangehende Vokale niemals verkürzt.

Agglutination

Besonderes Kennzeichen der Familie der finno-ugrischen Sprachen ist die regelmäßig agglutinierende Wortbildung. In der agglutinierenden (anklebenden) Wortbildung werden Partikel wie Konjunktionen, aber auch die Fälle (z.B. mit, im oder zu) an die Wortstämme angehängt. Beispiel:

kocsi (Wagen), kocsiban (im Wagen), kocsiba (in den Wagen), kocsihoz (zum Wagen), kocsimhoz (zu meinem Wagen)

Dabei bleibt der Wortstamm von den Anhängen stets klar unterscheidbar, die Bildungen sind sehr regelmäßig und es gibt nur wenige Ausnahmen. Auch für die Verben gibt es ähnliche Verfahren, z.B.:

látni (sehen):
Verbstamm (lát) + hat(können) = láthat (er/sie/es darf/kann sehen)
Verbstamm (lát) + hat(können) + t(Vergangenheit) + (a)m(Personalendung) = láthattam (ich durfte/konnte sehen)

Teilweise werden für die Verben aber auch Vorsilben verwendet:

z.B. meglátni = ansehen, erblicken; kilátni = hinaussehen

Die Fälle

Die Besonderheit der agglutinierenden Wortbildung in der ungarischen Sprache führt dazu, dass man sich in den Sprachwissenschaften uneins ist über die Anzahl der Fälle. Mal wird von 15, 17 und sogar 40 Fällen gesprochen. Es gibt auch Thesen, die die Anzahl der Fälle auf nur 5 reduzieren wollen, doch das hält dem Maßstab der vergleichenden Linguistik nicht stand.

Nominativ (alany eset), Akkusativ (tárgy eset), Dativ (részes eset), Possessiv (birtokos eset), Instrumental, Final, Transformativ, Superessiv, Sublativ, Delativ, Inessiv, Elativ, Illativ, Adessiv, Allativ stb.(=usw.) werden von den Ungarn als Fälle angesehen.

Tatsächlich gibt es in der ungarischen Sprache keine Deklination und somit auch keine Fälle. Die Wortendungen (-ban=im, -ig=bis, -on=auf im Dativ, -ra=auf im Akkusativ stb.) sind an das Wort angehängte Präpositionen, also Postpositionen. Endungen, die der deutschen oder lateinischen Deklination entsprechen könnten, gibt es in der ungarischen Sprache nicht. Das ungarische Wort a heißt auf Deutsch : der, die, das, des, der, dem, den, die, deren, den oder die. Analog dasselbe gilt für das Wort egy (ein).

Das Subjekt in einem Satz kann durchaus Endungen haben: A férfi kutyája ugat=Der Hund des Mannes bellt.(kutya=Hund Die besitzanzeigende Endung ja hängt hier am Besitz, nicht am Besitzer)

Die ungarische Grammatik kennt kein Geschlecht. A férfi=der Mann. A nő=die Frau.

Konjugation der Verben

Das Ungarische erscheint zunächst als sehr schwer erlernbar. Das hat den Ungarn, die in ihrer Geschichte auch mehrere Fremdherrschaften erlebt haben, ein gewisses Maß an kultureller Autonomie gesichert. Es gibt nicht allzu viele Wortähnlichkeiten mit indoeuropäischen Sprachen; Personalpronomen werden nur benutzt, um die Person besonders hervorzuheben. Ansonsten wird nur das konjugierte Verb benutzt, da aus der entsprechenden Endung die Person eindeutig hervorgeht; z.B.:

ülni = sitzen, ülök = ich sitze, ül =er/sie/es sitzt, ülünk = wir sitzen.

oder

látni (sehen): látok = ich sehe (etwas), látsz = du siehst (etwas), látunk = wir sehen (etwas)

Man bezeichnet diese als unbestimmte Konjugation. Daneben gibt es noch die bestimmte. Diese wird benutzt, wenn das Objekt im Satz (eindeutig) bestimmten Charakter hat, kann aber nur bei zielenden (transitiven) Verben gebildet werden. "ülni" ist intransitiv; z.B.:

látni (sehen): látom = ich sehe es, látod = du siehst es, látjuk = wir sehen es

Anhäufung von Suffixen

Aus einer anderen Sprache kommend, neigt man dazu, überall dort neue Wörter zu sehen, wo das Ungarische lediglich seine überragende Kombinationstechnik einsetzt. Anstatt vor dieser Flut von Milliarden vermeintlicher Worte zu kapitulieren, muss das Wort auf seine Endungen und seinen Stamm hin analysiert werden; z.B.:

tehetetlenségével = mit seiner Unfähigkeit
von:

tehetetlen = unfähig (< tehet(er kann tun) + (e)tlen(Negativpartikel), < ten(ni)(tun) + het(dürfen, können))
tehetetlenség = die Unfähigkeit
tehetetlensége = seine Unfähigkeit

igazságtalanságunkkal = "mit unserer Ungerechtigkeit"
Herleitung:

igaz = "wahr"
igazság = "Wahrheit"
igazságtalan = "wahrheitslos = ungerecht"
igazságtalanság = "Ungerechtigkeit"
igazságtalanságunk = "unsere Ungerechtigkeit"

Aus diesen beiden Beispielen geht noch eine andere Eigenschaft des Ungarischen hervor: die Vokalharmonie. Die Suffixe und sonstige Endungen, die dem Stammwort angefügt werden, passen sich also dem hohen oder tiefen Klang des Stammwortes an.

Die Bildung der Mehrzahl

Diese ist im Ungarischen recht einfach. An das entsprechende Substantiv wird das Suffix -k angefügt. Schwieriger ist dabei schon eher, den oftmals der Aussprache halber notwendigen richtigen Bindevokal zu finden, der sich aus der Vokalharmonie ergibt:

könyv - könyvek (das Buch - die Bücher) gyerek - gyerekek (das Kind - die Kinder) asztal - asztalok (der Tisch - die Tische) madár - madarak (der Vogel - die Vögel)

Also: Auf den Vokal a oder o im Stammwort(asztal) folgt o oder a, asztalok. Auf ö,e,é,ü folgt e, vielleicht é. Auf i folgt e,é oder o oder a. A hidon (mit langem i) keresztül=über die Brücke (hid). Da gibt es keine Regeln, das muss man auswendig lernen.

Steht das Wort im "Genetiv" (meine Häuser), wird der Plural durch ein i ausgedrückt. Also: ház=Haus, házam=mein Haus, házaim=meine Häuser.

Die Artikel

Es gibt sowohl bestimmte als auch unbestimmte Artikel.

Bei den bestimmten Artikeln unterscheidet man zwischen a und az. a kommt zum Einsatz, wenn das Folgewort mit einem Konsonanten beginnt, az wird verwendet bei vokalischem Anlaut des Folgewortes.

Der unbestimmte Artikel lautet egy.
Im Gegensatz zum Deutschen wird er wesentlich seltener verwendet, in der Regel nur, um den entsprechenden Gegenstand oder Sachverhalt hervorzuheben.

Die Artikel sind unveränderlich, es gibt in der ungarischen Sprache keine grammatischen Geschlechter.


Der große Sprachwissenschaftler Jacob Grimm hat das Studium des Ungarischen allen empfohlen, die neue einfach zu erlernende Plansprachen schaffen wollen. Tatsächlich wäre es möglich, Ungarisch wie eine Programmiersprache darzustellen, in der der Stamm den Befehl und die agglutinierten Endungen die Optionen darstellen würden. Möglicherweise liegt in dieser fast mathematischen Sprachmethodik auch einer der Gründe, warum Ungarn so viele hervorragende Mathematiker, Logiker und Computerwissenschaftler hervorgebracht hat, wie z.B. John von Neumann, Paul Erdös uvm.