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Revisionismus

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Mit dem Begriff Revisionismus (vom lateinischen: re wieder; videre durchsehen) wird, meist polemisch, das Bestreben eines Teiles einer Interessengruppe bezeichnet, von einer als gemeinsam und verbindlich anerkannten Grundlage abzugehen. Der Begriff kann je nach Zusammenhang unterschiedliche, teilweise sogar widersprüchliche Bedeutungen annehmen:

Politisch-pragmatischer Revisionismus

Revisionismus (als deutscher Begriff ab 1903 nachgewiesen) beziehungsweise das revisionistische Abweichen wird in der Politik und Politikgeschichte in der Regel als die moderate, pragmatische und realitätsnahe Herangehensweise beim Durchsetzen der jeweiligen Ziele begriffen. Die dabei an den Tag gelegte Kompromissbereitschaft wird von der jeweils orthodoxeren Gruppe als Verrat beargwöhnt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich unter Eduard Bernstein innerhalb der SPD eine Strömung der Revisionisten, die den Klassenkampf als Primärziel zu Gunsten eines realpolitischen Kurses aufgab ("Der Weg, nicht das Ziel ist entscheidend"). Der Flügelstreit in der Partei verschärfte sich bis zum Ersten Weltkrieg wegen der Befürwortung der Revisionisten von Kriegsanleihen. Während des Krieges kam es zur Spaltung der Partei und in der Folge 1918/19 zur Gründung der KPD. Die Kommunisten nutzten den Begriff als Schlagwort, um zu Beginn der Weimarer Republik die SPD-Regierung heftig zu kritisieren, nachdem der Wehrminister Gustav Noske mit Hilfe illegaler Milizen (den Freikorps) Arbeiteraufstände und Streiks niederschlagen ließ. Weitere SPD-Politiker, denen eine revisionistische Haltung vorgeworfen wurde, waren Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert.

Die Argumentation, die SPD würde sich von ihren Grundwerten entfernen, wurde 1959 wieder vom linken SPD-Flügel aufgegriffen, als die Partei das Godesberger Programm verabschiedete. Mit dieser Revision ihrer Ziele erkannte die Partei die soziale Marktwirtschaft an und vollzog in der Nachkriegszeit den Schritt von einer Klientel-Partei der linksgerichteten Arbeiterschaft zur Volkspartei.

Politisch-ideologischer Revisionismus

Aber auch der Gegensatz zur genannten Position, das zugespitzt fundamentalistisch - ideologische, das intolerante und gewaltbereite Herangehen beim Durchsetzen des Programms kann als Revisionismus beschrieben werden.

So lehnte die 1925 gegründete militante Revisionistische Zionistische Allianz in Palästina jegliche Zusammenarbeit sowohl mit der britischen Mandatsregierung als auch mit den benachbarten Arabern radikal ab.

Historisch-nationaler Revisionismus

Mit "Revisionismus" bezeichnet man weiterhin in der deutschen Geschichtschreibung das furchtlose Bestreben, insbesondere historische Fakten über Verbrechen des Nationalsozialismus nachzuprüfen, gegebenenfalls zu revidieren und somit angeblich zu "verharmlosen".

Im Zentrum revisionistischen Bemühens steht die Leugnung des Holocaust sowie die Diskussion der Kriegsschuldfrage. Zu den Revisionisten zählen unter anderem der Kanadier Ernst Zündel und der US-Amerikaner Fred Leuchter. Als Zentrale des "Revisionismus" kann man das "Institute for Historical Review" in Kalifornien/USA ansehen.

Den fleißig weltweit forschenden Revisionisten stand die Phalanx der etablierten Historiker lange Zeit mit einer totalen Verweigerungshaltung gegenüber, auf die Behauptungen der Revisionisten zu reagieren und Gegenpublikationen herauszugeben; diese Haltung hält oftmals bis heute an. Obwohl man deren Beweggründe, sich nicht auf eine vermutete Verhöhnung der Opfer einzulassen, sowie sich nicht mit den eloquenten und mächtigen Interessenvertretungen der vorwiegend jüdischen Opfer anzulegen, verstehen kann, führte das dazu, dass die Behauptungen der Leugner für den Laien anscheinend unwidersprochen stehen blieben.

Ursprünglich selbst Anhänger des Revisionisten Robert Faurisson, führte Jean-Claude Pressac Untersuchungen in Auschwitz durch, um die revisionistischen Behauptungen zu untermauern. Dabei bediente sich der Pharmazeut erheblicher Geldmittel, deren Ursprung ungeklärt ist, und wendete korrekte wissenschaftliche Methoden an; was dabei rauskam, war ein Quantensprung in der historischen Forschung zur Technik des Holocaust und eine komplette, wissenschaftliche Widerlegung der Holocaust-Leugnung, wobei Pressac vergaß, Gegen-Thesen entsprechend zu würdigen, was in der Wissenschaft zwingend vorgeschrieben ist, und auch in späteren Auflagen er dies bisher noch nicht nachholte. Pressac will seinen Revisionismus dabei abgelegt haben, wird aber neuerdings nicht mehr zitiert, weil Pressacs Opfer-Zahlen sich denen der Revisionisten stark angeglichen haben und somit einer Bestätigung deren Thesen gleichkommen. Durch Würdigung sowohl Pressacs als auch der revisionistischen Thesen im Vergleich, Punkt für Punkt, gelangt der Interessierte zur eigenen, wissenschaftlich abgesicherten und sorgfältigen Synthese der Thematik, wie es die exakten wissenschaftlichen Regeln zwingend vorschreiben.

Eindimensionale Würdigung, egal welcher Richtung, wäre nicht wissenschaftlich, somit unseriös und bewiese, daß eine Seite etwas zu verbergen hätte.

Siehe auch: Holocaustleugnung

Historisch-wissenschaftlicher Revisionismus

Andererseits werden auch wissenschaftliche Enthüllungen von konservativer Seite als Revisionismus angegriffen. So untersuchten US-Historiker die Rolle der USA im Ersten Weltkrieg. Mit ihren Forschungsergebnissen revidierten und korrigierten sie ein bis dahin die USA schön färbendes interessengeleitetes Geschichtsbild.

In Anlehnung an diese Bedeutung wurden Mitte der 1990er israelische Historiker wie Benny Morris oder Ilan Pappe als Revisionisten bezeichnet, die unabhängig von einander die Vertreibung der arabischen Bevölkerung kurz vor der Gründung Israels 1948 untersuchten. Die Arbeiten erregten international Aufsehen, da die Quellenlage bis dahin kaum erschlossen und das Geschichtsbild speziell auf israelischer Seite propagandistisch gefärbt war. Die Revisionisten belegten die Zerstörung von 418 arabischen Dörfern im heutigen Staatsgebiet Israels. Von einigen israelischen Hardlinern werden diese Fakten bis heute abgestritten oder verharmlost.

Siehe : Israelischer Historikerstreit

Territorialer Revisionismus

Schließlich bezeichnet Revisionismus in der Geschichte der Politik das Bestreben, bestimmte, häufig in der Folge von Kriegen zu vertraglichem Recht gewordene Fakten rückgängig zu machen. Hauptsächlich sucht der Revisionismus, bestimmte zum Territorium eines anderen Landes gehörende Gebiete als legitimen und ursprünglich eigenen Besitz darzustellen, und deren Erwerb zu erreichen.

  • Mit der Annexion von Elsass-Lothringen 1870/71 rief Deutschland einen französischen Revisionismus hervor.
  • Die mit dem Ausgang des Ersten Weltkrieges verbundenen Gebietsabtretungen an die Slowakei und Rumänien schürten den ungarischen Revisionismus.
  • Das revisionistische Vorgehen der Nationalsozialisten unter Hitler gegen den Versailler Vertrag fand in Deutschland 1933 uneingeschränkte Zustimmung.
  • Nach 1945 wurde die Oder-Neiße-Linie, die im Zuge des Potsdamer Abkommens als polnische Westgrenze festgelegt wurde, von der Bundesrepublik Deutschland lange Jahre nicht anerkannt. Insbesondere die Vertriebenenverbände wollten die Oder-Neiße-Linie auch nach 1970 nicht als deutsche Ostgrenze akzeptieren. Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 wurde die Oder-Neiße-Linie jedoch vom deutschen Bundestag als deutsch-polnische Ostgrenze akzeptiert. Mittlerweile stellt nur noch eine sehr kleine Minderheit in Deutschland revisionistische Forderungen. Die Vertriebenenverbände konzentrieren ihre Forderungen mittlerweile auf persönliche Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht, was definitionsgemäß nicht als Revisionismus bezeichnet wird.


Literatur

  • Kritisches: Shermer, Michael and Alex Grobman. Denying History : Who Says the Holocaust Never Happened and Why Do They Say It?(University of California Press, 2000).
  • Shermer, Michael. Why People Believe Weird Things: Pseudoscience, Superstition, and Other Confusions of Our Time, chs. 13 and 14¥ (W H Freeman & Co.: 1997).
  • Markus Tiedemann (2000) In Auschwitz wurde niemand vergast 60 rechtsradikale Lügen und wie man sie widerlegt