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Friedrich Justin Bertuch

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Dieser Artikel beschäftigt sich mit Friedrich Justin Bertuch, Weimarer Unternehmer und Mäzen in der Zeit der Weimarer Klassik.


Friedrich Justin Bertuch (* 30. September 1747, † 3. April 1822 in Weimar) war Unternehmer und Mäzen (Kunst-Liebhaber und -Förderer).

Geboren wurde Bertuch in einer Familie, die mit dem damaligen geistigen Umfeld Weimars eng verbunden war. Seine Mutter verlor er als Kind, sein Vater (Garnisonsarzt Justinus Bertuch, im Dienst des Herzogs Ernst August Konstantin) starb, als er 15 Jahre alt war. Zunächst mittellos wuchs er im Hause eines Onkels auf. Er besuchte das Weimarar Gymnasium, studierte zwischen 1765 und 1769 erst Theologie, dann Jura an der Landesuniversität in Jena. Sein Hauptinteresse galt jedoch der Literatur und der Naturgeschichte.

Die Bekanntschaft mit dem Freiherrn Ludwig Heinrich Bachoff von Echt ließ den 22-jährigen sein Studium ohne Examen abbrechen. Bertuch begann als Hoflehrer von dessen Söhnen auf dem Gut Dobitschen bei Altenburg, lernte seinerseits von ihm die spanische Sprache (von Echt war Gesandter in Spanien), übersetzte "Don Quichotte" ins Deutsche und verlegte ihn 1774 selbst. Erfolg versprachen auch seine Übersetzungen englischer und französischer Literatur.

Aus gesundheitlichen Gründen 1773 nach Weimar zurückgekehrt, pflegte Bertuch als freier Schriftsteller Kontakte zum Hofkapellmeister Ernst Wilhelm Wolf und seiner Frau, der Tochter des berühmten Konzertmeisters Franz Benda, sowie zum Schauspielerehepaar Abel und Friederike Seiler, dem Schauspieler Konrad Ekhof und dem Gymnasialprofessor Johann Karl August Musäus.

Christoph Martin Wieland, Prinzenerzieher am Weimarer Hof und Herausgeber des "Teutschen Merkur", an dem Bertuch bald mitarbeiten konnte, verschaffte Bertuch Zugang zum Weimarer Hof. Seine Übersetzung des von der Herzogin Anna Amalia in Auftrag gegebenen Trauerspiels "Ines de Castro" aus dem Französischen des Houdard de la Motte fand große Beachtung.

1774 legte er den Entwurf für eine Zeichenschule in Weimar vor, die nach seinen Ideen auch eingerichtet wurde und die später Heinrich Meyer (ab 1788 Goethe) leitete. Bertuchs Ziel war es, allen Interessenten, gleich welchen sozialen Standes, die Möglichkeit zu bieten, ihre handwerkliche Kunstfertigkeit zu verbessern und ihre Talente auszubilden. Auch Caspar David Friedrich gehörte zu den Schülern.

1775 wurde er Geheimer Sekretär des Herzogs und blieb in verschiedenen Funktionen bis 1787 im Staatsdienst. Vielfältig waren auch seine geschäftlichen Aktivitäten. 1777 nahm er den großen Baumgarten in Erbpacht, ein Grundstück, das heute als "Schwansee-Park" bekannt ist. Er gründete 1782 eine Fabrik für künstliche Blumen, einem kunstgewerblichen Modeartikel, mit dem er in ganz Deutschland Erfolg hatte. Das "Journal des Luxus und der Moden", das Bertuch seit 1786 herausgab, pries nicht nur Kunstblumen sondern auch technische Neuerungen an und enthielt Lesestoff zur Unterhaltung und Belehrung und gilt als die erste Illustrierte Europas. Für den Plan eines Landes-Industrie-Comptoirs, das die Landesindustrie fördern, geschickte Arbeiter ausbilden und den Wohlstand steigern sollte, erhielt Bertuch 1791 das fürstliche Privileg.

1793 definierte Bertuch selbst diese Art Unternehmen in einer Zeitschrift öffentlich als "ein unfehlbares Mittel, die deutsche Industrie zu beleben und Nahrung und Wohlstand unter uns zu verbreiten" - hier zeigte sich übrigens wiederum aufklärerisches Gedankengut, auf eine Art "soziale Marktwirtschaft" praktisch angewendet:

"Ich verstehe unter Landes-Industrie-Institut eine gemeinnützige öffentliche oder private Anstalt, die sichs zum einzigen Zwecke macht, teils die Natur-Reichtümer ihrer Provinz aufzusuchen und ihre Kultur zu befördern, teils den Kunstfleiß ihrer Einwohner zu beleben, zu leiten und zu vervollkommnen. Am besten und für das Land am wohltätigsten werden alle dergleichen Unternehmungen durch kaufmännische Societäten oder sogenannte Aktien-Gesellschaften oder, wenn ihr Objekt nicht so groß ist, bloß durch einen tätigen und geschickten Privat-Mann gemacht."

Ein solcher Privatmann, der über die geforderte "Lokal-Nützlichkeit und Lokal-Wirksamkeit" hinaus nationale und europäische Wirksamkeit erlangte, war Bertuch selbst. Zu dem Comptoir zählten im Lauf der Zeit die schon früher errichtete Papier- und Farbenmühle, die Buchdruckerei, eine kartografische Abteilung, seit 1804 als "Geographisches Institut" selbstständig, und vieles mehr. Die Entlohnung war überdurchschnittlich.

Bertuch bezeichnete sich, solche Produktions-Instrumente für eine "literarische und artistische Industrie" im Rücken, als "literarischen Geburtshelfer". Er unterstützte die erste Goethe-Ausgabe bei Göschen finanziell. Er verlegte die "Allgemeine Literatur-Zeitung" seit 1785 mit beträchtlichem Erfolg, was die wachsende Anzahl von Abonnenten und seiner jährlichen Einnahmen betrifft. Bilderbücher für Kinder, Übersetzungen, medizinische Veröffentlichungen - Kultur in einem sehr weiten und vielleicht sehr modernen Sinne wurde da einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und vermittelt. Goethes klassische Verarbeitung des antiken Iphigenie-Stoffes und die grafische und verbale Skizze einer "neu erfundenen Englischen Patent-Waschmaschine" - erst mit diesem Nebeneinander von und dieser Spannung zwischen Idealem und Realem, vielleicht auch Trivialem, wurde die ganze Breite und Vielfalt Weimarer Kultur um 1800 deutlich.

Die Kriegsereignisse des Jahres 1806 jedoch rissen Bertuchs Unternehmen, das den politischen Zuständen fortan ausgeliefert blieb, in eine Krise. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Bertuch zurückgezogen. Er starb am 3. April 1822 in seiner Geburtsstadt Weimar.