Inseln im Strom
Inseln im Strom ist ein Roman von Ernest Hemingway, der im Jahre 1970 – neun Jahre nach seinem Suizid – unter dem englischen Titel Islands in the Stream von Mary Hemingway veröffentlicht wurde.
Inhalt
- 1.Teil - Bimini
Laut Kartenskizze (S.391/392) liegt die Insel Bimini im Atlantik in der Florida-Strasse vor Miami. Der Maler Thomas Hudson bewohnt das trutzigste Haus auf der Insel. Als einziges hat es einen Kamin gegen die stürmischen Winter. Das Anwesen wird von Personal in Ordnung gehalten. In der Hurrikan-Saison wird gemeinsam gegen die Elemente gekämpft. Mit pekuniären Nebendingen muss sich Thomas Hudson nicht verzetteln. Ein New Yorker Makler vermarktet seine Bilder. Die Ranch in Montana hat Thomas Hudson verpachtet. Er kann malen, was er möchte, denn eine geerbte Ölquelle gestattet ihm und auch seinen geschiedenen Frauen sorgenfreies Leben. Und das genießt er in vollen Zügen, das Leben auf der Insel im Strom, im Golfstrom, der bei Flaute dunkelblau aussieht. Die Haie kommen nur nachts. Trotz materieller Unabhängigkeit arbeitet Thomas Hudson diszipliniert. Er freut sich auf seine drei Söhne, die zwei Mütter für fünf Wochen "freigegeben" haben für Ferien allein mit dem Vater auf der Insel. Es sind wirklich schöne Ferien, die Tom (Tommy), der älteste und die beiden jüngeren David (Dave) und Andrew (Andy) mit dem Vater verleben dürfen. Thomas Hudson lässt den Jungen Freiraum. Er möchte Männer aus ihnen machen. Dieses Anliegen kommt gut zur Geltung in der Begegnung mit dem Hammerhai auf See (S.75ff.) und im Höhepunkt des Romans, der stundenlangen Jagd Davids auf den riesengroßen Schwertfisch (S.96ff.) bei Flaute und Sonnenhitze. Thomas Hudson steuert den Kutter langsam auf See hinaus. David hält den Fisch an der Leine. Er lässt sich nicht reinreden, schon gar nicht von seinem jüngeren Bruder Andrew. Aber er hört auf die Ratschläge der erfahrenen Männer an Bord, von denen keiner die Angelrute übernimmt. Das Aufrollen der Leine ist schwere Arbeit für den zähen Jungen. Aber er lässt nicht locker. "In diesem Moment zerbrach, Steuerbord, achteraus, der Spiegel der See, und der große Fisch kam zum Vorschein, stieg, schimmerte silbern und dunkelblau, schien endlos aus dem Wasser zu steigen,..."(S.106). Es ist die hohe Erzählkunst Hemingways, die uns das Angelabenteuer zum Lesegenuss werden lässt. ""Sein Schwert ist so lang wie ich", sagte Andrew voller Ehrfurcht"(S.106). David, mit blutenden Händen, zerschundenen Füßen (vom Einstemmen gegen den Fisch) und mit Striemen auf dem Rücken vom Angelgeschirr, verliert. Der Fisch reißt sich von der Leine los. Und doch hat der Junge über sich selber gesiegt. In dieser großen Szene wird am Rande auch das meiste über die Charaktere der anderen beiden Brüder ausgesagt.
Die Ferien gehen zu Ende. Die drei Jungen reisen ab. Telegrafisch erfährt Thomas Hudson später vom Autounfalltod seiner Söhne David und Andrew zusammen mit ihrer Mutter auf der anderen Seite des Atlantik bei Biarritz. Eine Welt geht für den Maler unter.
- 2.Teil - Kuba
Thomas Hudson macht so furchtbar geheime Sachen, daß er mit einem Kater schlafen muss, damit er sie nicht ausquatscht (S.275). Im Zweiten Weltkrieg kämpft Thomas Hudson in der Karibik gegen die Krauts. Der Kraut ist in Hemingways Romanen der Feind, ist immer Angehöriger der Deutschen Wehrmacht. Krieg besteht meistensteils aus Warten. Und so lungert Thomas Hudson in kubanischen Bars herum, trinkt und redet viel Zeug, in dem der Leser keinen Sinn erkennen kann. Die kruden Textpassagen sind teilweise schwer verdauliche Lesekost. Die Personen, die hinter dem seitenlangen Kurzdialog-Staccato stehen, kann der mit normaler Geschwindigkeit Lesende auf die Dauer partout nicht auseinander halten. Da hilft es auch nicht, wenn immer mal "sagte Thomas Hudson" eingestreut ist. Erst am Ende des zweiten Teils wird mit einem Schlag klar, worum es eigentlich geht. Es ist Thomas Hudsons Schmerz über einen weiteren Verlust, mit dem der Leser während der Lektüre des 2.Teils konfrontiert wurde. Thomas Hudsons einziger noch lebender Sohn, der Flight Lieutenant Tom Hudson, wurde vor Abbeville in seiner Spitfire von einem Flakschiff aus abgeschossen. Thomas Hudson kann den Tod seiner drei Jungens nicht verwinden.
- 3.Teil - Auf See
Thomas Hudson kommandiert die Besatzung eines Kutters, der, als Forschungsschiff getarnt, deutschen U-Booten auf der Spur ist. Dieses US-"Forschungsschiff" erhält über Funk Operationsanweisungen: "FORTSETZT SORGFÄLTIGE SUCHE WESTWÄRTS" (S.309). Aber der Funker auf Thomas Hudsons Boot ist deutschstämmig, und die Besatzung hat keine hohe Meinung von ihm. Die bewaffnete Mannschaft ist ein bunt zusammengewürfeltes Nationalitätengemisch. Thomas Hudson operiert im Seegebiet vor der kubanischen Küste, das nördlich an Florida und an die Bahamas grenzt. Ein kubanischer Flottenstützpunkt dient als Versorgungsbasis. Das Verhältnis zur kubanischen Marine ist freundschaftlich.
Im Operationsgebiet wurde ein deutsches U-Boot, das zu einem Wolfsrudel gehörte, von der US Air Force versenkt. Vermutlich 8 bis 11 Deutsche konnten sich - wahrscheinlich mit dem Schlauchboot - auf eine der kleinen Inseln vor Kuba retten. Dort erschossen sie einheimische Schildkrötenfänger und einen ihrer eigenen Kameraden. Darauf machten sich die Mörder mit einer Jolle (offenes Segelboot) davon. Thomas Hudson und seine Crew nehmen die Verfolgung auf. Ziel ist die Gefangennahme der Deutschen. Unterwegs wird ein verwundeter Deutscher gefunden. Der Sterbende hat die Schmerzen in seinen brandigen Wunden hinter sich, will keine medizinische Hilfe und sagt nicht mehr viel. Mit ihrem Segelboot können die flüchtenden Deutschen nicht weit kommen. Trotzdem gestaltet sich die Verfolgung als langwierig. Der Kutter läuft auch noch im Wattenmeer bei Ebbe auf Grund, und die Jagd muss mit dem Dingi fortgesetzt werden. Es stellt sich heraus, die Deutschen sind mit nur zwei MGs Thomas Hudsons Leuten an Feuerkraft deutlich unterlegen, haben aber das Überraschungsmoment in ihrer Stellung im Mangrovendickicht auf ihrer Seite. Thomas Hudson erhält zu Beginn des Feuergefechts drei Schüsse in den Oberschenkel. Die Deutschen werden von Thomas Hudsons kampfstarker Truppe besiegt. Thomas Hudson glaubt nicht, dass er je wieder malen kann.
Gegenüber dem schwer verständlichen 2.Teil ist der 3.Teil für den Leser die reinste Erholung. Es gibt eine einfache Handlung - die Beschreibung der Verfolgung deutscher Schiffbrüchiger. Und Thomas Hudson ist der einzige, der denkt: "Warum sind so viele von ihnen [von den deutschen Marinesoldaten] so verrannt? ... ich hoffe, dass wir uns nie verrennen" (S.388). Die Gefahr besteht innerhalb der Grenzen des Romans keinesfalls. Ganz im Gegenteil - Thomas Hudsons Besatzung ist schnoddrig, kameradschaftlich und wenn es darauf ankommt, todesmutig. Überhaupt haben die Amerikaner allen guten und die Deutschen alle schlechten Charaktereigenschaften. Die Deutschen lassen ihre ermordeten Opfer liegen, sodass sie von Krabben angefressen werden, die Amerikaner hingegen beerdigen den gestorbenen Feind und versehen das Seemannsgrab mit einem beschrifteten Holzkreuz. Die Amerikaner achten und bewundern die soldatischen Qualitäten ihres in die Enge getriebenen Gegners. Ansatzweise wollen sie mehrfach Verständnis für den Mord aufbringen. Der sterbende Deutsche hingegen hat für seine Gegner höchstens ein mattes Lächeln übrig.
Einblick in die Psyche des Autors
Hemingway verarbeitete oftmals biographische Fakten in seinen Werken, wie etwa seine persönlichen Erlebnisse während seiner Großwildjagden in Die grünen Hügel Afrikas und in Die Wahrheit im Morgenlicht. Aus seinen Erfahrungen mit dem spanischen Bürgerkrieg entstand Wem die Stunde schlägt und den Eindrücken der großen Fiestas und Stierkämpfe Fiesta, Tod am Nachmittag und Gefährlicher Sommer. Und auch das Erlebte während etlichen Ausflügen zum Hochseeangeln im Golfstrom und sein dort angeblich praktizierter U-Boot-Krieg gegen die Deutschen bildete die kreative Grundlage für seinen Roman Inseln im Strom. Obwohl der Autor sein Publikum stets an seinen eigenen Erfahrungen teilhaben ließ, wird nach der Lektüre des Romans deutlich, weshalb Hemingway das Manuskript von Inseln im Strom niemals selbst zur Publikation aus der Hand gab: Es gibt einen tiefen Einblick seine eigenen familiären Zusammenhänge und insbesondere die verletzbare Psyche des Autors, der sein Leben lang das Image des Haudegens und Rauhbeins zu etablieren suchte.
Der Protagonist des Romans, der Maler Thomas Hudson, begegnete in seinen Erzählungen zusammen mit seinem ältesten Sohn Tom in Paris den Schriftsteller James Joyce und erwähnt dessen wohl berühmtestes Werk Ulysses. Und auch hier zeigen sich die Parallelen, zu Hemingways Leben in Paris, als er als mittelloser Schriftsteller im Kreise der expatriiereten Künstler und Schriftsteller zusammen mit seiner ersten Frau Hadley seinen kleinen Sohn aufzog. So erkennt man in Thomas Hudson den Autor selbst und in seinem Sohn Tom Hemingways ältester Sohn John, der 1923 geboren wurde und in Paris - Ein Fest fürs Leben 'Bumby' genannt wird. Auch Hemingways Söhne Patrick und Gregory (s.a. Foto in Rodenberg auf S.123) zeigen deutliche Gemeinsamkeiten zu Thomas Hudsons Söhnen David und Andrew, auch wenn erstere anders als die Söhne des Protagonisten, ihren Vater überlebten.
Aber im Gegensatz etwa zu Grünen Hügel Afrikas, das Baker als Tatsachenbericht bezeichnet, ist Inseln im Strom ein fiktionaler Roman, obgleich voll von Allegorien und der Verarbeitung eigener Erfahrungen und Ängsten des Autors.
Die Kernfrage dieses als eines der letzten Werke von Hemingway veröffentlichten Romans ist sicher, welche Funktion der als für den Hauptcharakter einschneidende Unfalltod der beiden Söhne David und Andrew zusammen mit ihrer Mutter am Ende des 1. Teils Bimini im Roman zukommt und warum Hemingway im 2. Teil auch noch den letzten Sohn im Krieg ums Leben kommen läßt. Hemingway selbst gibt hierzu im Roman einige Hinweise. So läßt er Thomas Hudson im 3.Teil des Romans, auf der Jagd nach den Überlebenden einer deutschen U-Boot-Besatzung, zu sich selbst sagen: "Werde bloß jetzt nicht rachsüchtig... sei froh, dass du etwas zu tun hast..." (S.292). Und einer von der Kutter-Besatzung sagt zu Thomas Hudson: "Du quälst dich da oben [auf der Brücke des Kutters] zu Tode, weil dein Junge tot ist" (S.306).
Der Tod geliebter Menschen und die tiefe Tragik und folgende innere Zerstörung des Protagonisten stellen das Leitmotiv im Werk Hemingways da, aus dem sich die Kraft seiner Fiktion ableitet und die unmittelbare Nähe zum menschlichen Dasein, von der Liebe bis zum Tod, portraitiert. Schon in In einem andern Land läßt Hemingway Frau und Kind des ohnehin durch den Krieg gezeichneten Protagonisten sterben und diesen gleichsam als zerstörten Charakter zurück. Aber trotz dieses Defätismus versteht es Hemingway wie kein zweiter, den Handelnden aus der Niederlage einen fatalistischen und archaischen Lebenswillen schöpfen zu lassen und sei es nur, um dem Leben an sich gerecht zu werden. Die Tragik wird zur Essenz aber auch zur Selbstverständlichkeit des Lebens. Dieser Vorgabe konnte der Autor, wohl auch aufgrund seiner psychischen Krankheit, selbst nicht gerecht werden und nahm sich am 2. Juli 1961 das Leben.
Inseln im Strom gibt wie kein sonstiges Werk Hemingways einen Einblick in die Gefühlswelt des Autors und seine Liebe zu seinen Frauen und Söhnen. Seine persönliche Tragik besteht darin, dass er Zeitlebens nicht in der Lage war, diese Liebe nach außen zu tragen und seine Nächsten oder sein Publikum daran teilhaben zu lassen.
Literaten
Tom lernte als Kind in Paris James Joyce kennen: "Er war lang und dünn und hatte einen Schnurrbart und einen Bart wie einen Strich das Kinn herunter, und er trug dicke Gläser,und wenn er ging, hielt er den Kopf ganz gerade" (S.57). Aus dessen Büchern könne man das richtige Fluchen erlernen. Man müsse den Ulysses lesen. Tom ist stolz darauf, dass er ein Freund von Joyce war. Außer den Ulysses versucht Tom noch, die Werke Gautiers zu verstehen.
An Ezra Pound in Paris erinnert sich Tom auch noch: "Mr. Pound sah einen immer so freundlich an, und immer hatte er Schaum vorm Mund" (S.57).
Literatur
- Carlos Baker: Ernest Hemingway. Der Schriftsteller und sein Werk. Reinbek 1967
- Hans-Peter Rodenberg: Ernest Hemingway. S.67-74. Reinbek 1999, ISBN 3-499-50626-2
Quelle
- Ernest Hemingway: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Bd.5: Inseln im Strom. Reinbek 1977, ISBN 3-499-31012-0