Zum Inhalt springen

Gemeinschaft Sant’Egidio

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. Dezember 2006 um 00:44 Uhr durch Arup (Diskussion | Beiträge) (Kritik zusammengefasst; Überschrift angepasst). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Die Kirche des heiligen Ägidius in Rom.

Die Gemeinschaft Sant'Egidio ist eine römisch-katholische Geistliche Gemeinschaft, die 1968 von Andrea Riccardi in Rom als so genannte Laienbewegung von Schülern und Studenten gegründet wurde und heute weltweit verbreitet ist. Sie ist nach ihrem Hauptsitz, dem ehemaligen Kloster Sant'Egidio im römischen Stadtteil Trastevere benannt. Im Zentrum der Spiritualität der Gemeinschaft stehen Gebet, Schriftlesung, Geschwisterlichkeit und Solidarität mit den Armen. Die für ihre weltweiten Friedensbemühungen vielfach ausgezeichnete Bewegung wird vor allem im italienischen L'espresso wegen der Art ihrer Selbstdarstellung und der inneren Struktur kritisiert.

Selbstverständnis

Andrea Riccardi gründete die Gemeinschaft als 18-jähriger und sah das Gebet als erstes und wichtigstes Werk eines Christen. Im Zentrum des Gebetes der Gemeinschaft Sant'Egidio steht die Bibel, von der die Mitglieder sich aufgerufen fühlen, Jesus nachzufolgen und ein Leben zu führen, das von der Liebe geprägt ist, besonders der Liebe zu den Armen.

Aus dem Gebet und der Schriftlesung folgt nach Auffassung von Sant'Egidio die Weitergabe des christlichen Glaubens, die Solidarität mit den Armen, Einsatz für Frieden, Ökumene und Dialog mit Angehörigen anderer Religionen und Nichtgläubigen.

Grundlagen

Das Gebet

Die Gemeinschaft Sant'Egidio sieht das Gebet als ihr erstes Werk an, aus dem all ihre "sozialen" Tätigkeiten hervorgehen. Sie versucht mit ihrem Gebet dem Vorbild der Urgemeinde zu folgen, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben wird: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Soweit es möglich ist, versammeln sich die Gemeinschaften überall auf der Welt zum täglichen gemeinsamen Abendgebet. Dabei werden Psalmen und Hymnen gesungen, eine Schriftstelle wird gelesen und erläutert. Gebete und das Vaterunser bilden den Abschluss. Am Sonntag versammelt sich die Gemeinschaft zur Liturgie.

Jedes Mitglied der Gemeinschaft ist aufgerufen, auch persönlich das Gebet in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen und eine Spiritualität zu pflegen, die durch das Lesen in der Bibel gekennzeichnet ist.

Soziales Engagement

Die Solidarität mit den Armen wird in lokalen Aktivitäten als ehrenamtlicher und kostenloser Dienst gelebt, bei dem die Freundschaft untereinander entscheidender Bestandteil ist. Sant'Egidio kümmert sich um Kinder in so genannten "Schulen des Friedens", um ältere und einsame Menschen. Die Gemeinschaft unterhält "Mensen", Orte für Obdachlose und Bedürftige, wo es warme Mahlzeiten gibt und Freundschaft angeboten wird, sie begleitet Menschen mit Behinderungen durch gemeinsame künstlerische Aktivitäten, gemeinsamer Freizeitgestaltung und religiösen Angeboten, bietet Sprachunterricht für Asylbewerber und ausländische Mitbürger und Hilfen zu ihrer Integration oder führt internationalen Hilfsprojekte bei Katastrophen durch und ist in der Entwicklungshilfe mit Schwerpunkt in Afrika tätig.[1] So initiierte Sant'Egidio das DREAM-Programm zur Behandlung von AIDS in Mosambik[2] mit dem Schwerpunkt einer antiretroviralen Therapie für Aids-Patienten und medikamentöser Prophylaxe der Mutter-Kind-Übertragung. Dabei wird Sant´Egidio auch von der Deutschen AIDS-Stiftung unterstützt.[3]

Frieden

Die Gemeinschaft war als Moderatorin oder Beobachterin an zahlreichen Friedensverhandlungen (etwa für Guatemala, den Kosovo, die Elfenbeinküste, den Südsudan) beteiligt[4] zu erfolgreichen Friedensschlüssen geführt haben, jedoch nicht in Algerien.[5] Ihr bedeutendster diplomatischer Erfolg ist die Vermittlung eines Friedensvertrags für Mosambik am 4. Oktober 1992, der einen sechzehnjährigen Bürgerkrieg beendete; hier arbeitete sie mit der UN und zahlreichen Staaten zusammen.[6] [7]

Dialog

Der Arbeit von Sant'Egidio für Ökumene und interreligiösen Dialog bündelt sich in den jährlich stattfindenden Friedenstreffen, die auf das 1986 von Papst Johannes Paul II. erstmals veranstaltete Friedensgebet in Assisi zurückgehen. Sant'Egidio ist auch am Leitungskomitee des überkonfessionellen Bündnisses christlicher Bewegungen und Gemeinschaften „Miteinander für Europa“ beteiligt, dessen Schirmherrschaft u.a. der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso übernommen hat.[8]. Papst Benedikt XVI. würdigte in seiner Botschaft zum 20jährigen Jubiläum des historischen Treffens von Assisi 1986 den Einsatz von Sant'Egidio für den interreligiösen Dialog.

Mitgliederzahl und Verbreitung

Die Zahl der Mitglieder kann nur ungefähr geschätzt werden, da es keine förmliche Mitgliedschaft gibt und die Gemeinschaft auch die von ihr begleiteten Personen wie alte Menschen, Kinder, Ausländer und Menschen mit Behinderung, als Teil der Gemeinschaft ansieht, wenn diese sich ihr zugehörig fühlen. Die Angaben schwanken zwischen 50.000 Menschen in ca. 70 Ländern nach eigenen Schätzungen[9] bis zu lediglich 1.200 nach einem Artikel im Sonntagsblatt[10].

Im deutschsprachigen Raum gibt es Gemeinschaften unter anderem in Würzburg, Nürnberg, München, Berlin, Mönchengladbach, Aachen und Wien.

Auszeichnungen

Auswahl von Auszeichnungen[11]:

Im Januar 2002 hat die italienische Abgeordnetenkammer einen Antrag an die italienische Regierung gestellt, die Gemeinschaft Sant'Egidio für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.[18][19] Auch die Quäker-Vereinigung American Friends Service Committee (AFSC)[20] hat die Gemeinschaft Sant'Egidio für den Friedensnobelpreis nominiert.

Kritik

Der Theologe, Journalist und Autor Sandro Magister erhebt im kirchenkritischen italienischen Magazin "L'Espresso" unter Berufung auf ehemalige Mitglieder [21] der Gruppierung den Vorwurf, diese sei sektenähnlich, praktiziere unter anderem Kastenwesen und habe eine totalitäre innere Struktur und Führung. Die Mitglieder von Sant'Egidio müssten sich in ihren Versammlungen für ihr Handeln und den Weg, den sie innerhalb der Gemeinschaft gehen, verantworten. Neumitglieder und Mitglieder ohne Leitungsfunktionen werden über die innere Struktur nicht aufgeklärt, solange diese noch Kontakte außerhalb dieser Gruppierung hätten. Riccardi bestimme unter anderem auch die Wahl des Partners unter Mitgliedern oder wer zum Priester berufen sei.[22] Weiter behauptet Magister, Riccardi selbst habe des Öfteren zu seinen Anhängern gesagt: "Wir müssen so auftreten als ob wir mehr wären, als wir wirklich sind. Das ist unser Wunder: Der große Bluff."[23]

Literatur

  • Albert Franz (Hrsg.): Weltreligionen für den Frieden. Die Internationalen Friedenstreffen von Sant'Egidio. Paulinus Verlag, Trier 1996, ISBN 3790200956
  • Andrea Riccardi: Sant'Egidio - Rom und die Welt. Gespräche mit Jean-Dominique Durand und Régis Ladous. EOS Verlag, St. Ottilien 1998, ISBN 388096453X
  • Rudolf Schnackenburg: Predigt in der Gemeinschaft Sant'Egidio.. Echter, Würzburg 2003, ISBN 342902546X
  • Gemeinschaft Sant'Egidio: Jesus als Freund. Mit geistig behinderten Menschen auf dem Weg des Evangeliums. Echter, Würzburg 2004, ISBN 3-429-02642-3
  • Gemeinschaft Sant'Egidio: Gesang der Psalmen. Echter, Würzburg 2006, ISBN 3-429-02736-5

Quellen

  1. Die Wochenzeitung: Diplomaten im Auftrag Gottes, 3. Juni 2004
  2. Dieter Wenderlein: Aids in Mosambik: Antiretrovirale Therapie erfolgreich, Deutsches Ärzteblatt 101, 51-52 vom 20.12.2004
  3. Deutsche AIDS-Stiftung: Eva Luise Köhler besucht von der Stiftung gefördertes Projekt in Mosambik, Pressemitteilung vom 3.4.2006
  4. Christoph Albrecht: Die Gemeinschaft Sant' Egidio und ihr Friedensschaffen, friZ – Zeitschrift für Friedenspolitik, 5/2000
  5. Sandro Magister: Sant'Egidio "Ad Extra": Disaster in Algeria, L'espresso, 9. April 1998 (engl.)
  6. Roberto Morozzo della Rocca. Mosambik. Frieden schaffen in Afrika. Echter, Würzburg 2003. ISBN 3429025826
  7. International Balzan Foundation. Würdigung des Werks der Gemeinschaft Sant'Egidio – DREAM Programm. Balzan-Preisträger 2004 für Humanität, Frieden und Brüderlichkeit unter den Völkern.
  8. Miteinander für Europa: Zeichen der Hoffnung setzen (doc), Pressemitteilung vom 26. Februar 2006
  9. Gemeinschaft Sant’Egidio: Entstehung
  10. Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000
  11. Comunità di Sant’Egidio: Premi e riconoscimenti
  12. UNESCO: Prizewinners of the Félix Houphouët-Boigny Peace Prize
  13. Landkreis Dillingen: "Gemeinschaft St.'Egidio" erhält Europäischen St.-Ulrichs-Preis, Pressemitteilung 28. April 2003
  14. Stadt Goch, Bürgermeister: Die Gemeinschaft Sant’ Egidio und ihr Gründer Andrea Riccardi erhalten den ersten, mit 15.000 Euro dotierten Arnold-Janssen-Preis der Stadt Goch (pdf), 26. September 2003
  15. Internationale Balzan Stiftung: Balzan-Preisträger für 2004 ernannt (pdf), 7. September 2004
  16. Search for Common Ground: Search for Common Ground Announces the 2004 Common Ground Awards Honoring Individuals and Organizations’ Achievements in Peacebuilding, Februar 2004
  17. Die Tagespost: SantEgidio erhält Wissenschafts-Preis, 17. April 2006
  18. Repubblica Italiana – Camera dei Deputati: Mozione Ciani ed altri N. 1-00027 concernente la Comunità di Sant'Egidio, Seduta n. 88 del 29/1/2002
  19. Repubblica Italiana – Camera dei Deputati: Resoconto stenografico dell'Assemblea, Seduta n. 88 del 29/01/2002
  20. American Friends Service Committee: AFSC Nominates Community for Nobel Peace Prize, 11. Januar 2002
  21. Twenty-Five Years in the Community of Sant'Egidio : A Memoir di Giuliano Fiorese, ex appartenente alla Comunità di Sant'Egidio
  22. Strenge Engel Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 8. September 2000 Nr. 36/2000
  23. Sandro Magister: The Story of Sant’Egidio. The Great Bluff.

eigene Seiten

Presseberichte

Kritische Darstellungen