Bibliotheksrotunde



Die Bibliotheksrotunde war ein Bauwerk in Wolfenbüttel zur Unterbringung von Büchern der Herzog August Bibliothek. Das Gebäude wurde von 1705 bis 1713 auf Veranlassung von Herzog Anton Ulrich durch den Baumeister Hermann Korb errichtet.
Entstehung
Die Bibliotheksrotunde nahm Bestände der um 1570 von Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg eingerichteten Bibliotheca Julia sowie Bücher der um 1610 entstandenen Bibliotheca Augusta von Herzog August der Jüngere auf. Die Bibliotheca Julia hatte anfangs ihren Sitz in der alten Kanzlei Wolfenbüttel, wurde aber 1618 der Universität Helmstedt überlassen, aus der sie erst später nach Wolfenbüttel zurückkehrte.[1] Die Bibliotheca Augusta legte August der Jüngere auf seinem Hof in Hitzacker an. Nachdem er 1635 Herzog von Braunschweig-Lüneburg geworden war, verlegte er 1644 die Bibliothek mit 13.000 Bänden nach Wolfenbüttel. Er brachte die Bücher im Marstall von Schloss Wolfenbüttel unter. Dort ließ er im ersten Stock über der Stallung einen großen, zweigeteilten Raum herrichten. Die Bibliothek wurde bereits zu seinen Lebzeiten als das 8. Weltwunder bezeichnet. Nach dem Tod von Herzog August 1666 pflegte zunächst sein Sohn Rudolf August und später sein Sohn Anton Ulrich die Sammlung. 1690 wurde Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothekar, der 1696 wegen zunehmender Platznot einen Anbau vorschlug. Der baulustige und auf verschwenderische Prachtentfaltung bedachte Herzog Anton Ulrich wollte stattdessen ein repräsentativen Neubau schaffen.[2]
Beschreibung
Die als Bibliotheksrotunde bezeichnete Gebäude entstand von 1705 bis 1713 als Umbau und Erweiterung des bestehenden Marstalls, aus dem die Bücher zuvor in das benachbarten Zeughaus verbracht wurden. Das Erdgeschoss des rechteckigen Marstalls blieb erhalten und wurde durch eine Fachwerkkonstruktion erweitert. Das dadurch entstandene dreigeschossige Gebäude hatte eine Grundfläche von rund 30 × 40 Meter. Das Holzgebäude erhielt einen farbigen Putz, durch den der Eindruck eines Steinbaus erweckt wurde. Dem Bauwerk vorgelagert wurde ein massiver Treppenhausanbau aus Bruchsteinen. Im Gebäudeinneren lag die namensgebende Rotunde in Form eines viergeschossigen ovalen Ellipsenzylinders mit einer Raumhöhe von rund 18 Metern. In ihr befand sich der nach oben offene Lesesaal mit zwei Bücheretagen. Den Lichteintritt ermöglichten 24 Rundbogenfenster in der Kuppel. Die Decke zierte ein Fresko vom Hofmaler Tobias Querfurt mit Planetenzeichen und Planetengöttern.[3] Das Innere der Rotunde gliederte 12 vortretende Doppelpilaster. Nach Anweisung des damaligen Bibliothekars Gottfried Wilhelm Leibniz bekamen die Säulen im Inneren eine antike Säulenordnung. Im ersten Geschoss herrschte die dorische, im zweiten Geschoss die ionische, im dritten Geschoss die korinthische und im vierten Geschoss die komposite Ordnung nach Vitruv.
Der Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm beschrieb die Rotunde in seinen Architektonische Reise-Anmerckungen im Jahr 1719 folgendermaßen:
„Die in Form eines runden Tempels auf dem Schloß-Platz gebauete neue Bibliothec ist nicht weniger herrlich anzusehen / als darinnen verfassete Schatz von Büchern. Sie ist als ein Ovalrunder Tempel gebauet / da man um einen Saal herum in unterschiedlichen Chören übereinander die Bücher siehet / zu welchen man durch eine ansehnliche Treppe kommen kan.[4]“
Das als Rundkuppel ausgeprägte Dach war bis 1728 mit einem hölzernen Himmelsglobus von sechs Meter Durchmesser und Bleimantel bekrönt,[5] der aus Gründen der Statik und des Blitzschutzes entfernt wurde. Die Rotunde gilt als erstes profanes Bauwerk der Neuzeit in Europa, das als alleinstehendes Gebäude für Bibliothekszwecke erbaut wurde. Bauliche Vorbilder sollen die Villa Rotonda und das Pantheon in Italien gewesen sein. Das Gebäude war unter der Bezeichnung Rotunde in ganz Europa als Wahrzeichen von Wolfenbüttel bekannt. Es habe als eine Art „Weltwunder“ gegolten.[6] Ab 1770 war hier Gotthold Ephraim Lessing als Bibliothekar bis zu seinem Tod 1781 tätig.[7]
1723 wurde die Bibliotheksrotunde bezogen, deren Baukosten sich auf 195.000 Taler beliefen. Das größtenteils aus Fachwerk bestehende Gebäude wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich baufällig durch Senkungssschäden und Witterungseinflüsse. Wegen der Schäden und der Brandgefahr für die wertvollen Bestände in dem hölzernen Gebäude wurde es 1887 abgerissen. Zur Aufnahme der Bibliothek mit ihren Büchern errichtete der Architekt Gustav Bohnsack in den Jahren 1881 bis 1886 in unmittelbarer Nachbarschaft den neobarocken Neubau, der noch heute als Hauptgebäude der Bibliothek dient.
2007 gründete sich ein Förderkreis, der eine Rekonstruktion der Rotunde für 30 Millionen Euro anstrebte.[8] Daran beteiligt war der Architekt Lambert Rosenbusch.[9]
Literatur
- Ferd. Sonnenburg: Die herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel in: Die Gartenlaube von 1882, Heft 32, S. 535–536 (Online)
- Ingrid Recker-Kotulla: Zur Baugeschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 6, 1983, S. 1–73
- Cortina Teichmann-Knauer und andere: Das Pantheon des Wissens, Hermann Korb und die Bibliotheksrotunde in Wolfenbüttel, Wolfenbüttel, 2006
- Georg Ruppelt: Bibliotheksrotunden im 18. Jahrhundert in: B.I.T.online 6/2022, S. 504–505 (Online)
Weblinks
- Querschnitt der Bibliotheksrotunde, Kupferstich von Anton August Beck, 1766
- Innensaal der Bibliotheksrotunde, Gemälde von Ludwig Tacke
- Lageskizze der untere Etage der Bibliotheksrotunde
- Foto vom Inneren der Rotunde beim Abbruch, 1887
Einzelnachweise
- ↑ siehe Literatur: Ingrid Recker-Kotulla: Zur Baugeschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, S. 2–3
- ↑ siehe Literatur: Ingrid Recker-Kotulla: Zur Baugeschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, S. 3–9
- ↑ siehe Literatur: Ingrid Recker-Kotulla: Zur Baugeschichte der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, S. 9–14
- ↑ Leonhard Christoph Sturm: Leonhard Christoph Sturms Durch Einen grossen Theil von Teutschland und den Niederlanden biß nach Pariß gemachete Architectonische Reise-Anmerckungen. Detleffsen, Augsburg 1719, S. 6.
- ↑ Wolfenbüttels „Herz“im Jahr 1714 online erkunden und erleben in Wolfenbütteler Zeitung vom 19. Februar 2021
- ↑ Dankwart Guratzsch: Wo Leibniz lehrte. In Wolfenbüttel will eine Bürgerinitiative die Bibliotheksrotunde aus dem 17. Jahrhundert wieder aufbauen in Die Welt vom 13. Juli 2007
- ↑ Eintrag unter www.lessing-akademie.de
- ↑ Architekt: Stellt das Ding doch da hin in Braunschweiger Zeitung vom 25. Mai 2007
- ↑ Bauaufnahme, Rekonstruktion bei lambertrosenbusch.de
Koordinaten: 52° 9′ 49″ N, 10° 31′ 50,1″ O