Dispensationalismus
Dispensationalismus ist eine Richtung der Bibelauslegung, die die Heilsgeschichte in verschiedene Zeitalter aufteilt. Der Ausdruck kommt vom englischen dispensation, das in der King James Bibel verwendet wird im Sinn einer Zeitperiode, die einen bestimmten Bund zwischen Gott und der Menschheit beschreibt.
Durch diese Art der Bibelauslegung versucht der Dispensationalismus, die unterschiedliche Lehre und Praxis zwischen der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament aufzulösen, die sich bei wörtlicher Auslegung zu widersprechen scheinen.
Im Dispensationalismus wird versucht, die Geschichte der Bibel nach dem Beispiel der gegenwärtigen "Verwaltung der Gnade" (Eph. 1:1-11) zu strukturieren. Eine Verwaltung griechisch oikonomia (wörtlich "Hausgesetz", lat. dispensatio, engl. dispensation) wird dabei definiert als eine Zeitspanne in Gottes Heilsplan, in der eine bestimmte charakteristische geistliche Zielsetzung erkannt werden kann, die sie von anderen unterscheidbar macht. Sie läßt den Menschen dieser Zeit gewisse Gaben, Segnungen und Güter zukommen, die es zu anderen Zeiten so nicht gegeben hat, gleichwohl die Grenzen nicht scharf gezogen werden können. Gott gibt auch entsprechend unterschiedliche Anweisungen, weswegen manche Anhänger des Dispensationalismus jeden Christen, der sich nicht an die Opferregeln und Speisegesetze des AT hält, in diesem Sinn als Dispensationalisten betrachten.
Ansätze in der Alten Kirche
Änsätze einer dispensationalistischen Einteilung gibt es bereits in der Alten Kirche. Die Kirchenväter stellten - ob zu recht oder zu unrecht, ist heute umstritten - ein Zurückgehen der besonderen Gaben des Heiligen Geistes in der Kirche fest. Sie schlossen daraus, dass nun ein neues Zeitalter der Heilsgeschichte angebrochen sei: das Christentum habe sich nun in der ganzen (damals bekannten) Welt verbreitet, in dieser missionarischen ersten Zeit seien besondere Charismen nötig gewesen, um die Menschen zu überzeugen, in der jetzt anbrechenden Zeit sei dies nicht mehr nötig.
Verbreitung heute
Ein eigenständiges System des Dispensationalismus ist aber erst um 1820 in der kleinen Gemeinde der Plymouth Brethren in England und Irland entstanden und von John Nelson Darby (Mitbegründer der Brüdergemeinde und Mitautor der Elberfelder Bibelübersetzung) insbesondere in den USA verbreitet worden. In Deutschland bekannt ist auch die Version, die in der Scofield-Bibel beschrieben ist. A.E. Knoch (1874-1965) hat diesen Plan in Prinzip beibehalten, aber um 5 Haushaltungen erweitert, bzw. verfeinert.
Der Dispensationalismus ist aufgrund seiner Entstehungsgeschichte insbesondere im christlichen Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten verbreitet, hat aber auch anderswo Anhänger, die gewöhnlich durch die amerikanische Theologie beeinflusst sind.
Auch andere religiöse Gemeinschaften wie z.B. die Siebenten-Tags-Adventisten haben Stufenmodelle der menschlichen Erlösungsgeschichte entwickelt.
Dispensationalistische Lehren
Dispensationalismus ist stark verknüpft mit dem Prämillenarismus und gekennzeichnet durch eine wörtliche Interpretation der biblischen Vorhersagen, bei der strikt zwischen der herausgerufenen Gemeinde (den Nationen), gebildet und belehrt von dem Apostel Paulus, und der auserwählten Nation Israel getrennt wird (nach 2. Tim 2:15).
Dispensationalisten gehen davon aus, dass Gott hat in der Zukunft unterschiedliche Pläne für das irdische Volk Israel und die herausgerufene Gemeinde hat. Nachdem das auserwählte Volk Israel Gott zunächst in der Person Jesus Christus verraten hatte, gründete dieser eine andere Heilskörperschaft: Die Gemeinde heute mit dem Apostel Paulus als Lehrer. Die Dispensationen bildeten dabei nur verschiedene Stufen in der Geschichte des irdischen Volkes Israel. Wie alle futuristischen Prämillenaristen sehen die Dispensationalisten die Herrschaft des Antichristen und die Entrückung der Gläubigen aus den Nationen in den Himmel (2. Tim. 4:18, 1. Thess 4:17, Phil 3:20).
Wie alle futuristischen Prämillenaristen erwarten die Dispensationalisten die Herrschaft des Antichristen und die Entrückung der Gläubigen aus den Nationen in den Himmel (2. Tim. 4:18, 1. Thess 4:17, Phil 3:20). Über die Abwicklung des Endzeitgeschehens im Einzelnen gibt es auch unter Dispensationalisten unterschiedliche Theorien: Eine Richtung vertritt, dass die Herrschaft des Antichristen die Gläubigen aus den Nationen (griechisch ethnos; Dispensationalisten lehnen die häufig gebrauchte Übersetzung "Heiden" ab) nicht treffen kann, sondern nur das irdische Volk Israel. Die nichtjüdischen Christen werden bereits vor der Ankunft des Antichristen in den Himmel abberufen werden (Röm. 5:9; 1.Thess. 1:10, 5:9). Diese Anhänger des Dispensationalismus rechnen jederzeit und ohne Vorwarnungen mit ihrer Entrückung. Andere Richtungen sehen die Entrückung der Christen erst in der Mitte oder am Ende der Herrschaft des Antichristen.
Dispensationen nach Darby und Scofield
1. Unschuld,
2. Gewissen,
3. Menschliche Regierung,
4. Versprechen,
5. Gesetz,
6. Gnade und
7. Millennium.
Dispensationen nach Knoch
1. Unschuld (im Garten Eden),
2. Gewissen (bis zur Flut),
3. Regierung,
4. Verheißung (an Israel),
5. Gesetz (Israel gegeben),
6. Fleischwerdung (Jesu),
7. Pfingsten (Kräfte des Millenniums werden kurz sichtbar),
8. Übergang (in das Evangelium des Paulus),
9. Geheimnis (Gnade, die heutige Haushaltung),
10. Gericht (Tag des Zorns),
11. Königreich (Millennium) und
12. Vervollständiung (Neuer Himmel, neue Erde)
Die Dispensationen 1+2, 3-10, 11 und 12 werden bei Knoch zu Äonen zusammengefasst.
Kritik
- Manche Kritiker sehen im Dispensationalismus das Bild eines Gottes, dessen Anforderungen und Pläne immer wieder ändern. Ebenso beurteilen sie die Weltsicht des Dispensationalismus als negativ, der menschliche Friedensbestrebungen als zur Erfolglosigkeit verurteilt sieht oder sogar als Förderung der Regierung des Antichristen und lehrt, dass vermehrte zukünftige Kriege und Hungersnöte unvermeidlich sind.
- Kritiker weisen auch darauf hin, dass der Dispensationalismus erst entstand, als christliche fundamentalistische Bewegungen aufgrund ihrer Ablehnung der kirchlichen Tradition zur Lehre der Irrtumslosigkeit der Bibel kamen und von daher die bei wörtlicher Auslegung widersprüchlichen Theologien des Alten und Neuen Testaments erklären mussten.
- Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Grenzen zwischen den Dispensationen recht willkürlich gezogen wurden. Unbestritten gibt es wörtlich eine "Dispensation (oikonomia) der Gnade" (Eph. 1:1-11), jedoch werden die anderen Bezeichnungen in der Bibel direkt nicht genannt. "Menschliche Regierung" beispielsweise, wie der Titel der dritten Dispensation lautet, gab es vorher und nachher ebenfalls. Sicher sei nur noch das Millennium.
- Eine weitere These von Kritikern interpretiert den Dispensationalismus als Verlegenheitslösung der Kirchenväter, die zudem den Unterschied zwischen "gewöhnlichen" und "besonderen" Gaben des Heiligen Geistes überbetone. Die These sei "Ausfluss eines Schubladendenkens, das letztlich auf das unverkraftete Erbe des Schismas zwischen Juden und Griechen zurückgeht." (Martien Parmentier, a.a.O., S. 149)
Politischer Einfluss
Einige Politwissenschaftler vertreten die Ansicht, dass der Dispensationalismus einen wesentlichen Einfluss auf die Aussenpolitik der Vereinigten Staten habe, da es in der Republikanischen Partei einflussreiche Anhänger des Dispensationalismus gibt. Dieser Einfluss bewirke die starke Unterstützung des Staates Israel und die Ablehnung eines eigenständigen palästinensischen Staates ebenso wie das allgemeine Misstrauen gegen multinationale Organisationen wie die Uno. Einige Autoren, die den Dispensationalismus vertreten, gingen so weit, den Antichristen ausdrücklich mit der Sowjetunion oder der EU zu identifizieren.
Dispensationalismus in der Belletristik
In den vereinigten Staaten gibt es zahlreiche Romane, die die Endzeit aus aus dispensationalistischer Sicht beschreiben. Beispielsweise wurde die Romanserie Finale (Englisch Left Behind) von Tim LaHaye und Jerry Jenkins in den Vereinigten Staaten zum Bestseller und wird dort von zahlreichen Lesern für Realität gehalten, was ihre Sicht der Welt und gegenwärtigen politischen Lage beeinflusst.
Weiterführende Information
Literatur
- Martien Parmentier: Die Unhaltbarkeit des Dispensationalismus, in: Internationale Kirchliche Zeitschrift 86 (3) 1996, S. 147-160
- Karl Fr. Hering: Die biblische Schau - Gottes Plan für dieses Zeitalter und die Stellung und Aufgabe der Gemeinde darin im Unterschied von Israel und den Völkern, Verlag R. Brockhaus, Wuppertal-Elberfeld, 1947
- Wilhelm Prolingheuer: Israel - Ein Heiliger Überrest - und wir, Konkordanter Verlag Pforzheim, 1992
- Heinz Schumacher: Der Plan der Zeitalter (Äonen) Gottes, Paulus Verlag Karl Geyer, Heilbronn, 1984
- A.E. Knoch: Der Kalender Gottes, Konkordanter Verlag Pforzheim
- C.I. Scofield: Scofield Bibel -Rev. Elberfelder Bibel, Brockhaus, Haan, 2001, ISBN 3417258227
- Arnold Fruchtenbaum: Handbuch biblischer Prophetie, Gerth Medien, Asslar, 1995, ISBN 3894372664
- Eade, Giesler, Müller: Bibelpanorama : Die sieben Zeitalter des Heilswegs in zwölf farbigen Darstellungen, Christliche Verlagsgesellschaft, ISBN 3894363363