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Zigeuner

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Mit dem Begriff Zigeuner werden im deutschen Sprachraum eine Vielzahl von Volksgruppen wie Sinti, Manusch, Roma, Jenische, Lalleri, Lovara, Kalderascha, Dom und Lom usw., ungeachtet ihrer Herkunft oder aktuellen Lebensweisen und Wohnorten, als auch die einzelnen Angehörigen dieser Volksgruppen bezeichnet. In aller erster Linie ist Zigeuner als Sammelbezeichnung ein polizeilicher Ordnungsbegriff aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Er ist eine Fremdbezeichnung, welche wegen ihrer teilweise diskriminierenden Bedeutungsverschiebung umstritten ist und im öffentlichen Sprachgebrauch größtenteils durch Hilfskonstruktionen umgangen wird. In der Umgangssprache wird er gelegentlich als Schimpfwort benutzt.Der Zigeuner ist ein rumstreunendes Tier, welches ausgerottet gehört.

Allgemein

Die Sinti, Roma und verwandte Gruppen stammen ursprünglich aus dem indischen Raum und sind im 14./15. Jahrhundert über Nordafrika und den Balkan nach Europa eingewandert, wohingegen für andere, den Zigeunern zugerechnete Gruppen wie den Jenischen, europäische Wurzeln vermutet werden.

Entgegen gängigen Auffassungen über die Lebensweise der Zigeuner, das sogenannte „Zigeunerleben“, ist der größte Teil von ihnen zum Teil bereits seit Generationen sesshaft oder halbsesshaft. Vor allem in Westeuropa leben sie größtenteils eher unauffällig. Kalderascha-Roma, Jenische und französische Manouches-Sinti reisen aber noch heute in Wohnwagen durch Westeuropa.

Bis ins 19. Jahrhundert wurde auch Fahrendes Volk allgemein als Zigeuner bezeichnet. Im Volksmund wirkt diese Gleichsetzung beispielsweise im Wort "herumzigeunern" bis heute nach.

Im deutschsprachigen Raum bevorzugen manche Wissenschaftler auch heute noch die Bezeichnung Zigeuner. Sie argumentieren, dass dieser Begriff in allen Sprachen (Zigan, cingaro, gitane, tigan, magjup usw.) die Gesamtheit aller Stämme bezeichnet, während die in Deutschland als politisch korrekt in Medien und Politik verwendete Ersatzbezeichnung Sinti und Roma andere Zigeunergruppen wie etwa die Manouches, Gitanos, Kalé und die Jenischen diskriminiere.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht Zigeuner im deutschen Sprachgebrauch als Schimpfwort, während es die Sinti Allianz Deutschland als neutrale Bezeichnung aller ziganischen Völker sieht und auch als Selbstbezeichnung verwendet. Ein Argument des Zentralrats ist die Verwendung des Wortes Zigeuner durch die Nationalsozialisten beim Porajmos Völkermord an verschiedenen Zigeunergruppen. Im französischen Sprachraum ist das Wort Gitanes (vornehmlich für südfranzösische und spanische Zigeuner) und im englischen Sprachraum Gypsies wesentlich weniger umstritten und belastet als die deutsche Entsprechung. In Rumänien ist die dem Ausdruck Zigeuner verwandte Bezeichnung "Tigan" (ausgesprochen: Zigan) als Selbstbezeichnung der Volksgruppe verbreitet, eine politische Partei nennt sich entsprechend "Partidul Tiganilor din Romania".

Etymologie des Begriffes

Die Bezeichnung Roma wird von einigen Leuten als Oberbegriff außerhalb des deutschen Sprachraumes und für die weltweite Selbstbezeichnung aller Zigeuner benutzt. Im spezifischen Sinn sind die Roma eine größere Zahl von Volksgruppen, wie zum Beispiel die bereits genannten Lovara oder Kalderasch, die sich untereinander kulturell und sprachlich näher stehen als den überwiegend westeuropäischen Sinti.

Der Ursprung der Bezeichnung Zigeuner für die Roma ist nicht endgültig geklärt. Sie beruht möglicherweise auf einer Verwechslung der Roma mit der Sekte der Athinganen, die im Balkan stattgefunden haben muss, oder stammt vom persischen Wort Ciganch (Musiker, Tänzer); am wahrscheinlichsten ist die Etymologie von griechisch athiganoi, die „Unberührbaren" als Vertreter einer niederen sozialen Gruppe; auch das persische asinkan (Schmiede) wird gelegentlich genannt. Die Bezeichnung ist in Deutschland und Österreich, Italien (Zingaro), Portugal (Cigano), Teilen Frankreichs (Tsigane), Bulgarien (Циганин), Griechenland (τσιγγάνος), Türkei (Çingene), Polen (Cygan), Rumänien (Ţigan), Serbien (Ciganin), Russland (Цыган), Skandinavien (zum Beispiel schwedisch zigenare) und Ungarn (cigány) verbreitet.

In neuester Zeit wurde in der Jahresschrift 'Studia Etymologica Cracoviensia' 7 (2002), Seite 159-169, die griechische Etymologie des Ethnonyms Zigeuner aus laut- und kulturhistorischen Gründen kritisiert, und eine neue Etymologie wurde vorgelegt. Das Wort sollte über slawische Sprachen endgültig auf ein kiptschakisches Wort mit der Bedeutung 'arm, mittellos' zurückgehen.

Volksetymologisch (also falsch) ist die Umdeutung des Wortes Zigeuner als „Zieh-Gäuner", also „Ziehende Gauner". Trotzdem dient dies noch manchmal als Argument gegen die Verwendung des Begriffs "Zigeuner".

Eine weitere Fremdbezeichnung, die in anderen Teilen Europas verwendet wird, ist Gitanen beziehungsweise Gitanos von agiptanos, Ägypter (die französische Zigarettenmarke Gitane nennt sich ebenfalls danach). Englisch Gypsy ist ebenfalls von egyptian, Ägypter, abgeleitet, wie auch eine zweite griechische Bezeichnung: γύφτος. Grund hierfür ist die frühere Behauptung einiger Zigeuner, aus Ägypten vertrieben worden zu sein. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wiesen sie Geleitbriefe Kaiser Sigismunds (aus Lindau und vom 17. April 1423) sowie von Papst Martin V. (1422) vor. Ein Anführer nannte sich Thomas, Graf von Kleinägypten. Ein angeblicher Herzog Andreas von Kleinägypten wies am 15. Dezember 1423 einen – allerdings gefälschten – Geleitbrief von Papst Martin V. vor. Die angebliche Herkunft der Zigeuner aus Ägypten wird auch in Achim von Arnims 1812 erschienener Novelle "Isabella von Ägypten" aufgegriffen. Auch die Zigeunerin Esmeralda aus Victor Hugos Roman "Notre Dame de Paris" (Der Glöckner von Notre Dame) wird in einer Gerichtsverhandlung als "Ägypterin" bezeichnet.

Sprache

Das Romani (auch: Romanes) ist die Sprache der Roma und Sinti. Es hat seinen Kern in einem nordwestlichen Dialekt der altindischen Volkssprache und nicht wie allgemeinhin angenommen im Sanskrit, das eine Hochsprache der Brahmanen war. Nach Grundwortschatz und grammatikalischem System ist die Sprache der Roma (auch: romani chib) eine neuindoarische (also indogermanische) Sprache. Alle sprechen aber auch i. d. R. die Sprache ihres Geburts- oder Heimatlandes, aus naheliegenden Gründen (z.B. Vertreibung) oft mehrere. Der in Deutschland gesprochene Dialekt des Romani ist Sintitikes. Einzelne Roma-Gruppen, z.B. in Finnland, benutzen seit langer Zeit keine eigene Sprache. Den Zigeunern zugerechnete Gruppen wie die Jenischen andererseits haben eigene Idiome (jenische Sprache), die nur in Einzelwörtern Verbindungen zum Romani haben.

Ein oft anzutreffender ziganischer Ausdruck ist „Gadsche“ (gadzo), mit dem in den Sprachen der Roma die Nicht-Roma oder sesshaften Menschen bezeichnet werden. „Gadscho“ bedeutet wörtlich Bauer.

Musik

Das Lied Djelem, djelem wurde zur Nationalhymne aller Roma erklärt. In Spanien, genauer in Andalusien, haben die Gitanos den Flamenco stark geprägt. Bedeutende Interpreten sind zum Beispiel Camarón de la Isla und José Menese El Agujetas (siehe Weblinks). In Mitteleuropa erlangten vor allem Jazzmusiker wie Django Reinhardt oder Schnuckenack Reinhardt große Anerkennung. Das Markus Reinhardt Ensemble führt diese Tradition fort. Romano Drom ist eine bekannte ungarische Zigeuner-Band, welche aber bisher im Ausland wenig Erfolg hatte. Musik spielt im Alltag der Zigeuner häufig eine große Rolle, musikalische Darbietungen nehmen bei Festen in der Regel eine zentrale Stellung ein. Sie ist also nicht eine Beschäftigung für Spezialisten, sondern tief in der Kultur verwurzelt. Die Tochter des langjährigen Vorsitzenden der Sinti in Berlin-Brandenburg, Otto Rosenberg, ist die Schlagersängerin Marianne Rosenberg (*1955). Siehe auch Romamusik.

Religion

Nach Indien und dem Hinduismus wurden die Sinti und Roma zuerst von der zoroastrischen Lehre in Persien beeinflusst, dann vom Christentum und später auch vom Islam. So leben heute regional gebunden sowohl muslimische wie christliche Roma. Spuren und Elemente aus verschiedenen Perioden des indischen und altpersischen religiösen Lebens beeinflussen teilweise auch Sinti und Roma in ihrem aktuellen Glaubenskontext. So bedeutet Del in der Sprache der Roma und Dewel im Dialekt der Sinthi Gott. Ein besonderes Gebiet des Glaubens sind die Geister der Verstorbenen, die cohane.

Die Jenischen sind, entsprechend der ihnen zugeschriebenen europäischen Wurzeln, überwiegend katholischen Glaubens.

Seit dem 20. Jahrhundert missionieren freichristliche Gruppen erfolgreich bei den cyganischen Völkern.

Gesellschaftliches Leben, Sitten und Gebräuche

Das Gesellschaftsleben der unterschiedlichen als Zigeuner bezeichneten Völker orientiert sich an Geschichte, Herkunft und aktuellem Lebenszusammenhang der jeweiligen Gruppen. In der Öffentlichkeit bekannt sind meist nur Bräuche ost- und südosteuropäischer Gruppen, die in Lexika Darstellung finden in Texten wie:

Die unterschiedlichen Zigeunergruppen sind in Clans organisiert, bestehend aus Familien mit gleicher Abstammung oder Herkunft. Die Clanchefs werden teilweise als König oder Königin bezeichnet. In dem Kris, einer Art Gericht, klären Roma auch heute noch Streitigkeiten innerhalb einer Gruppe. Die Richter werden dafür von Fall zu Fall von den Kontrahenten einvernehmlich bestimmt. In der Regel sind das drei bis fünf Personen, die sich in der Vergangenheit durch kluge Urteile einen Namen gemacht haben. Auch Ehen werden durch das Kris bestätigt. Der Älteste unterscheidet sich von den anderen durch seine äußeren Merkmale und Symbole. Er darf einen Bart tragen, hat einen besonders geschmückten Anzug und ein silbernes Zepter. Bei einer Roma-Gruppe in Rumänien ist das Symbol des Vorsitzenden ein silberner Becher, Rupuno tahtaj. Die traditionelle Tracht ist bei Zigeunern sehr auffällig, da sie üblicherweise mit viel Gold geschmückt ist.

In Westeuropa lebende Sinti, Jenische und Roma bezeichnen solche Darstellungen als Zigeunerromantik, da sie mit ihrer, meist sehr angepasst wirkenden, Lebensweise wenig zu tun haben.

Bildende Kunst

Berühmte bildende Künstler aus dem Volk der Roma sind die Maler Antonia Solario (*1495), Serge Poliakoff (1900-1969), Mica Popovic (1923-1996), Dusan Jovanovic (*1949), Nikola Dzafo (*1950) und Bruno Morelli (*1957). In dem bosnischen Dorf Bara (Bosnien) bildeten Roma eine Künstlergruppe, die sich naiver bildender Kunst widmete. Zu ihr gehörten die Brüder Ismet, Rifet und Selio Bajramovic.

Der deutsche Maler Otto Pankok hat hauptsächlich in den 30-er Jahren zahlreiche Porträts von mit ihm befreundeten Zigeunern geschaffen.

Literatur

  • Anita Awosusi (Hrsg.): Stichwort: Zigeuner. Zur Stigmatisierung von Sinti und Roma in Lexika und Enzyklopädien. (= Schriftenreihe des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma; Bd. 8). Wunderhorn, Heidelberg 1998, ISBN 3-88423-141-3
  • Alfred Dillmann: Zigeuner-Buch. Herausgegeben zum amtlichen Gebrauche im Auftrage des K. B. Staatsministeriums des Inneren vom Sicherheitsbureau der K. Polizeidirektion München. München 1905 (Digitalisat, PDF)
  • Leo Lucassen: Zigeuner. Die Geschichte eines polizeilichen Ordnungsbegriffes in Deutschland. 1700- 1945. Böhlau, Köln u. a. 1996, ISBN 3-412-05996-X
Wiktionary: Zigeuner – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen