Wikipedia:Neutraler Standpunkt
Der Neutrale Standpunkt (Neutraler Gesichtspunkt/Neutrale Sichtweise, engl. Neutral Point Of View kurz NPOV) ist einer der vier unveränderlichen Grundsätze für das Schreiben von Artikeln in der Wikipedia.
In der Wikipedia ist ein neutraler Standpunkt Voraussetzung eines guten Artikels.
Durch Einnehmen eines neutralen Standpunkts wird versucht, Ideen und Fakten in einer Weise zu präsentieren, die es unmöglich macht, den Standpunkt des Autors zum Thema zurückzuverfolgen.
Grundsätze des neutralen Standpunkts
1b | Ein ausgewogener Artikel ist in einem durchgehend sachlich-neutralen, d. h. nicht emotional gefärbten Ton gefasst. Er beschreibt vorderhand das Lemma und nachfolgend die damit verbundenen unterschiedlichen Standpunkte. | 5a |
2b | Bei vorwiegend kontroversen Themen empfiehlt es sich, neben den eher befürwortenden Positionen auch die entgegengesetzte Standpunkte zu beschreiben, vorzugsweise in einem gesonderten 'Kritik'-Abschnitt, der wiederum einen Unterpunkt 'Stellungnahme zur Kritik' beinhalten kann. Eine gleichermaßen stichhaltige Beschreibung des Lemmas und von dessen Kritik einschließlich vorhandener Gegenkritik, ermöglicht die Erstellung eines insgesamt neutralen Artikels. | 1a |
3b | Ein enzyklopädischer Artikel enthält sich, für oder gegen Standpunkte Stellung zu beziehen. Vielmehr wird darin erwähnt, welche relevanten Personen, (weltanschauliche) Gruppen, Religions- und Wissenschaftsvertreter etc. welche Standpunkte vertreten. | 2a |
4b | Die adäquate Darstellung des Lemmas und von Argumenten hat Vorrang vor dem Bestreben, konkurrierende Sichtweisen möglichst im gleichen Umfang wiederzugeben. | 8a |
5b | Klar zugeordnete Argumente für die eine oder andere Position dürfen angegeben werden. Unbelegte Standpunkte, die weder einer Person noch einer Gruppe zugeordnet werden können, sind möglicherweise unerwünschte Theoriefindung. | 4a |
6b | Mehrere verschiedene beziehungsweise sich widersprechende Standpunkte können in einem Artikel beschrieben werden. Faktische und interpretatorische Darstellungen sind dabei bestenfalls klar als solche zu kennzeichnen und voneinander abzugrenzen. | 3a |
7b | Standpunkte dürfen weder ungebührlich akzentuiert noch apodiktisch noch mit ausweichenden Formulierungen, wie etwa „Es wird allgemein angenommen, X gelte...“ dargestellt werden. Um eine schwerlich zu beweisende Absolutsetzung zu vermeiden, empfiehlt es sich, beispielsweise statt „X gilt“ einleitend „Für X spricht, ...“ zu schreiben. | 6a |
8b | Bestenfalls sind alle bekannten ernsthaften Standpunkte, die von beträchtlichen Teilen der Bevölkerung oder von den maßgeblichen Wissenschaftlern eines Fachgebiets aktuell vertreten werden, zu erwähnen. Artfremde rhetorisch untertrieben, übertrieben oder satirisch dargestellte Standpunkte sind nicht als relevant zu betrachten. | 7a |
9b | Um die neutrale Darstellung eines Lemmas nicht zu beeinträchtigen, werden Wikipedia-Autoren, die eine deutlich emotionnalisiertee Haltung zu bestimmten Themen zeigen, gebeten, diesbezüglich auf eine Mitarbeit zu verzichten. | 9a |
Zum Vorgehen
Was ist Tatsache, was ist Wertung?
Als Tatsachen kann man Aussagen formulieren, die unter den meisten Menschen heute unumstritten sind: beispielsweise allgemein etablierte naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder mathematische Aussagen (Satz des Pythagoras, Elemente, Gravitation) sowie statistische Daten, etwa über die Einwohnerzahl eines Landes oder den Geschäftsverlauf eines börsennotierten Unternehmens.
Meinungen und Wertungen – dies dürfen nicht nur die eigenen sein – sollten bestenfalls mit Fakten untermauert oder begründet werden: Sänger XY war einer der beliebtesten Musiker der 70er Jahre: Seine Lieder waren fünf Jahre lang ununterbrochen in den Charts und er erhielt acht goldene Schallplatten …
Zuweisung von Standpunkten
Besonders bei umstrittenen Themen ist es wichtig, Standpunkte zuzuordnen, dabei darf der eine oder andere wichtige Vertreter wörtlich erwähnt oder zitiert werden. Bei einem Thema der deutschen Politik will der Leser vielleicht wissen, welche Position die CDU und welche die SPD vertritt.
Ein anderes Beispiel: Softwarepatente werden von vielen Menschen abgelehnt. – Wer sind denn die vielen?, mag sich nun der Leser fragen. Besser: Softwarepatente werden von vielen Programmierern – vor allem aus den Reihen der Open-Source-Bewegung – abgelehnt, während große Konzerne wie Microsoft ihre Verankerung in einer EU-Richtlinie fordern.
Unparteiische Darstellung
Zur unparteiischen Darstellung gehört in erster Linie, die Argumente aller Seiten angemessen zu schildern, das heißt, sowohl vom Umfang her eine Ausgewogenheit zu wahren, als auch in der Wortwahl keine (implizite) Wertung vorzunehmen. Es bringt auch nichts, Pro- und Kontralisten in den Artikel einzubauen, die eine scheinbare Unparteilichkeit erzeugen sollen, da gerade in politischen Fragen viele Argumente unter Berücksichtigung verschiedener Nebenaspekte von beiden Seiten verwendet werden. Die Kunst besteht hier in der Konzentration auf das Wesentliche.
Insbesondere ist die lediglich auf Außenwirkung bedachte Selbstdarstellung von Behörden, Institutionen, Parteien, Unternehmen, Vereinen, Personen etc. in der Wikipedia ausdrücklich unerwünscht. Gleiches gilt für Darstellungen, die die Rufschädigung Dritter durch falsche Tatsachenbehauptungen, Verbreiten von Gerüchten und Spekulationen, selektive Zitatwahl u.ä. zum Ziel haben. Dieses Verhalten wird in schweren Fällen als Vandalismus gewertet und dementsprechend verfolgt.
Inwieweit empfiehlt es sich, Minderheitenmeinungen zu erwähnen?
Eine Faustregel besagt: Wenn z. B. eine wissenschaftliche Theorie in der Fachwelt nur von einem Professor und dessen drei Assistenten anerkannt wird, darf die Darstellung dieser abweichenden Haltung keinesfalls umfangreicher sein als der restliche Artikel.
Wenn Minderheitenmeinungen bereits historisches Gewicht haben, dadurch dass sie öffentlich entsprechend häufig diskutiert werden, ist es angebracht, die betreffenden Standpunkte und ihre Diskussion sowie die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen usw. Auswirkungen in angemessenem Umfang zu erwähnen.
Beispiel: Die theoretische und praktische Forschung über die Möglichkeiten extraterrestrischen Lebens gegenüber den Berichten von UFO-Sichtungen und Kontakten mit Außerirdischen; beide nehmen einen gewissen Minderheitenstatus ein.
Wortwahl
Die Wahl der Worte ist wichtig. Bereits ein einzelnes Wort in einem Satz kann die Sachlichkeit zerstören und den Satz zu einer tendenziösen Aussage machen. Ein Beispiel: Im Satz Er hat es versäumt, die Öffentlichkeit zu informieren ist es das Wort versäumt. Es impliziert und unterstellt eine nachlässige Haltung, die zu diesem angeblichen Versäumnis führte. Der Satz kann auch ohne das Wort versäumt geschrieben werden. Die Formulierung Er hat die Öffentlichkeit nicht informiert ist neutraler, da aus ihr nicht hervorgeht, weshalb er sie nicht informiert hat. Ein weiteres Beispiel: Sie informieren immer noch nicht impliziert, dass sie es längst hätten tun müssen, womöglich aufgrund eines Gesetzes o. Ä. Sie informieren nicht ist neutraler. Es geht um Nuancen.
Mit der Wortwahl kann der Autor den Leser manipulieren. Es gibt Autoren, die sich dessen nicht bewusst sind, und Autoren, die diese Möglichkeit bewusst und gezielt einsetzen. Es gibt Leser, die zu wenig Sprachgefühl haben, um diese Nuancen zu spüren, Leser, die sich deutlich manipuliert fühlen, aber auch Leser, die manipuliert werden, ohne sich dessen bewusst zu werden.
Wörter wie oft, selten, viele, wenige sind ungenau, und was wenig ist, hängt oft vom Standpunkt ab. Beispiel: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Neutraler sind numerische Quantifizierungen, also Zahlenangaben: Das Glas hat ein Fassungsvermögen von 2 dl und ist mit 1 dl Flüssigkeit gefüllt. Ebenso Statistiken: Das Glas hat ein Fassungsvermögen von 2 dl und die Messungen im 10-Minuten-Abstand ergaben: 1,4 dl, 1,3 dl, 1,1 dl, 1,0 dl, 0,9 dl, 0,7 dl, 1,7 dl. Der Leser kann sich somit dann selber sein Bild von der Realität machen.
Statistiken drücken Sachverhalte in Zahlen aus, sie sind deswegen aber nicht grundsätzlich sachlich. Wir dürfen davon ausgehen, dass die meisten Leute, die eine Statistik erstellen, sauber arbeiten und grundsätzlich richtig messen. Die Probleme beginnen einerseits dort, wo man festlegt, was überhaupt gemessen werden soll und hören dort auf, wo die Messwerte ausgewertet, zusammengefasst und mit Sätzen kommentiert werden. Ein (möglichst neutrales) Beispiel: Wenn ich z. B. eine Statistik über die Anzahl der jährlich im Straßenverkehr getöteten Hunde erstelle, jedoch lediglich Autobusse berücksichtige und dann schreibe: X-tausend Hunde in den letzten zehn Jahren durch Autobusse getötet, rücke ich so alle Leute in ein schlechtes Licht, die mit Autobussen zu tun haben (Autobusfahrer, Autobusunternehmen etc.), obwohl es für das eigentlich betrachtete Schicksal des Hundes irrelevant ist, ob er von einem Autobus oder einem Sportwagen getötet wurde. Ich sollte hier also auch andere Verkehrsteilnehmer berücksichtigen.
Generell gilt: Wer eine Statistik bringt, sollte immer eine Quellenangabe beifügen: Name, Organisation, Land der Autoren und Jahr der Erstellung. So kann der Leser – falls er die Quelle und deren Qualität kennt – abschätzen, wie zuverlässig die Angaben sind.
Zahlenangaben
Bei großen Zahlen sollte neben der absoluten Zahl immer auch eine relative Größe, also eine Prozentzahl, angegeben werden und umgekehrt. Beispiel: "2005 gab es 120.000 Einwanderer aus dem Norden." Diese Aussage mag vielen Lesern als sehr große Zahl erscheinen. Schreibt man "2005 kamen 120.000 Einwanderer aus dem Norden, was rund 3% aller Einwanderer entspricht", wird diese Zahl plötzlich eher als relativ klein empfunden. Schreibt man umgekehrt "80% aller Unfälle haben sich innerorts ereignet", entsteht der Eindruck, dass die Gefahr von Unfällen innerorts massiv höher ist als außerorts. Bei der Formulierung "8 der 10 Unfälle letztes Jahr, also 80 %, ereigneten sich innerorts." ist die Sache schon nicht mehr so klar, da eine Stichprobe von 10 zu klein ist, um eine zuverlässige statistische Aussage zu machen. Durch die gleichzeitige Angabe einer absoluten und einer relativen Zahl wird die Aussage sachlicher.
Was tun, wenn ein Artikel ganz oder teilweise nicht dem Grundsatz der Neutralität entsprechen?
Hier gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Wer das Thema ausreichend kennt, kann den Artikel entsprechend umschreiben/erweitern.
- Eine andere, höflichere, Möglichkeit ist, die nicht neutral erscheinenden Teile auf die Diskussionsseite auszulagern mit einer – am besten mit Argumenten versehenen – Bitte an den Autor, sie umzuformulieren.
- Zusätzlich kann man den Artikel auch auf Artikel, die etwas mehr Neutralität benötigen eintragen und hoffen, dass sich weitere Mitschreiber der Sache annehmen.
- Die Ultima ratio bei Artikeln, die als nicht „neutralisierbar“ erscheinen, ist einen Löschantrag zu stellen.
Auf keinen Fall dürfen Passagen kommentarlos gelöscht bzw. revertiert werden.
Artikel, in denen ein Standpunkt nur ungenügend erklärt wird, werden nicht dadurch neutraler gestaltet, indem man den Gegenstandpunkt kürzt. Stattdessen ist darauf zu achten, den nur ungenau erklärten Standpunkt besser zu begründen und zu formulieren.
Es empfiehlt sich, besonders gefährdete und umstrittene Artikel, in die wiederholt nicht-neutrale Passagen eingefügt werden, auf Beobachtungskandidaten zu verlinken, von wo aus sie von mehr Benutzern längerfristig beobachtet werden.
Artikel, die einige als nicht neutral ansehen und sich nicht ohne Weiteres umschreiben lassen, kann man mit dem Baustein "{{Neutralität}}" kennzeichnen, der auf diese Seite linkt. Das Ganze sieht dann so aus:
Vorlage:Link-Bild | Die Neutralität dieses Artikels oder Absatzes ist umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite oder auf der Seite für Neutralitätsprobleme. Versuche, den Artikel neutraler zu formulieren und entferne diesen Baustein erst, wenn er nicht mehr nötig ist. |
Siehe auch
- Neutraler Standpunkt, Bias und Tendenz, sowie Tendenziöse Berichterstattung