Maurice de Hirsch
Baron Maurice de Hirsch (* 9. Dezember 1831 in München; † 21. April 1896 in der Nähe von Ersek-Ujvar (Ungarn); gebürtig Moritz Freiherr von Hirsch auf Gereuth) war ein jüdisch-deutscher Unternehmer und Philantrop.
Herkunft und erste unternehmerische Tätigkeit

Baron Hirsch stammte väterlicherseits aus einer adligen bayerischen Bankiersfamilie jüdischer Herkunft, den Freiherren Hirsch auf Gereuth. Seine Mutter war eine geborene Wertheimer aus Frankfurt. 1855 heiratete er Clara Bischoffsheim, die Tochter aus einer belgischen Bankiersfamilie, und begann bald, Teile seines erheblichen Vermögens in Eisenbahngeschäfte auf dem Balkan und in der Türkei zu investieren. Er erwarb von der türkischen Regierung die Konzession zum Bau der ersten durchgehenden Eisenbahnlinie von Europa nach Konstantinopel, der Strecke des späteren Orientexpress. Das Unternehmen wurde nach Fertigstellung ein gewaltiger wirtschaftlicher Erfolg für Hirsch, der grosses unternehmerisches Geschick besass. Bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts war Hirsch zusammen mit dem Berliner Bankier Gerson Bleichröder der wichtigste deutsche Investor im damaligen Osmanischen Reich (interessanterweise zeigte Hirsch aber keinerlei Interesse, in zionistische Projekte in Palästina zu investieren (s.u.)), die beiden jüdischen Bankiers wurden dann aber im Zuge der beginnenden staatlichen imperialistischen Politik des Deutschen Reiches von Siemens und der Deutschen Bank aus dem Orientgeschäft verdrängt, speziell im Zusammenhang mit dem Projekt Bagdadbahn, bei dem Hirsch keine Rolle mehr und das Bankhaus Bleichröder nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. (Hannah Arendt, 1986, S. 311)
Philantropische Aktivitäten
Unter dem Einfluss seiner Frau Clara und durch persönliche Erlebnisse während seiner Geschäftsreisen auf dem Balkan und in der Türkei im Zusammenhang mit seinen Eisenbahngeschäften wurde Hirsch bald auf das traurige Los der jüdischen Bevölkerung in Südosteuropa und Kleinasien aufmerksam. Die "Alliance Israélite Universelle" (AIU) schien ihm ein geeigneter Partner für eigene humanitäre Aktivitäten. Er stiftete der Organisation 1873 eine Summe von einer Million Francs für den Bau von Schulen, und ab 1880 übernahm er das jährliche Budget-Defizit der Organisation, die u.a. sich in Konstantinopel um tausende vor anti-jüdischen Pogromen der russischen "Befreier" während der Balkankrise geflüchtete bulgarische Juden kümmerte. Nichtdestotrotz war Hirsch während des russisch-türkischen Krieges von 1878 auf beiden Seiten humanitär tätig, weil die Juden damals quasi "zwischen den Fronten sassen" und einerseits die jungen slawischen Nationalbewegungen unterstützten und andererseits von nationalistischen Fanatikern als "fünfte Kolonne des Islam" gebrandmarkt wurden. Ab 1878 finanzierte Hirsch ein Netz von von der AIU aufgebauten Handelsschulen auf dem Balkan, ab 1885 versuchte er auch in Russland humanitär tätig zu werden, wo das Los der jüdischen Bevölkerung noch bedrückender als auf dem Balkan war.
Hirsch verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in der damaligen Donaumonarchie und wurde selbstverständlich auch dort humanitär tätig, vor allem in den Gebieten mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil Galizien und der Bukowina.
Förderung der jüdischen Auswanderung nach Übersee und Ansiedlung in Landwirtschaftskolonien
Nachdem das Vorhaben, in Russland 50 Millionen Francs für die Verbesserung jüdischer Bildungseinrichtungen zu investieren, aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft der russischen Behörden gescheitert war, sah Baron Hirsch die einzige Lösung, die Situation der russischen Juden zu verbessern, in deren Emigration. Er untersuchte systematisch Möglichkeiten, jüdische Kolonien in Übersee zu gründen, und schuf zu diesem Zweck eine internationale Vereinigung, die "Jewish Colonization Association" (JCA), mit einem Startkapital von zwei Millionen britischen Pfund Sterling. Besonders intensiv unterstützte Hirsch die Ansiedlung von jüdischen Kolonisten in Argentinien, daneben auch in Brasilien, Mexico und Kanada, wo heute eine Ortschaft, "Hirsch" in Saskatchewan, nach ihm benannt ist. Auch in den USA unterstützte Hirsch die damals sehr zahlreichen jüdischen Einwanderer, er gründete in New York den Baron de Hirsch Fund mit einem Startkapital von 2,5 Millionen US-Dollar.
Hirsch, der selber der ersten jüdischen Familie in Bayern entstammte, die grössere Ländereien erwerben durfte, glaubte daran, dass das jüdische Volk ein natürliches Talent zur Landwirtschaft besass, und förderte deshalb in Argentinien und Kanada vor allem landwirtschaftliche Projekte. Natürlich versuchten die damals schon existierenden Zionisten und Theodor Herzl die Unterstützung Hirschs für ihre Projekte zu gewinnen, aber Hirsch hielt damals die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina für unrealistisch und verweigerte ihnen zunächst die Unterstützung, allerdings wurde die JCA später doch in Palästina tätig und hat im heutigen Israel ihr Hauptbetätigungsfeld.
Weblinks
- Baron Hirsch: entry in the Jewish Virtual Library (USA)
- Baron Hirsch: entry in the Jewish Encyclopedia
- Information about Hirsch, Saskatchewan, Canada
Quellen
- Grunwald, Kurt: Türkenhirsch. A Study of Baron Maurice de Hirsch, Entrepreneur and Philantropist. Israel program for scientific translations 1966.
- Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft - Antisemitismus, Imperialismus, Totale Herrschaft: Piper Taschenbuch Verlag; ISBN 3-492-21032-5
- Khairallah, Shereen: Railways in the Middle East 1856-1948 (Political and Economic Background). Beirut, Librarie du Liban, 1991.
Personendaten | |
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NAME | Hirsch, Baron Maurice de |
ALTERNATIVNAMEN | Moritz Hirsch, Freiherr auf Gereuth |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-jüdischer Unternehmer und Philantrop |
GEBURTSDATUM | 9. Dezember 1831 |
GEBURTSORT | München |
STERBEDATUM | 21. April 1896 |
STERBEORT | Ersek-Ujvar, Ungarn |