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Karl Renner

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Karl Renner

Karl Renner (* 14. Dezember 1870 in Untertannowitz (heute Dolní Dunajovice), Mähren; † 31. Dezember 1950 in Wien) war ein österreichischer sozialdemokratischer Politiker und Jurist.

Als Abgeordneter im Reichsrat der österreichischen Reichshälfte (Cisleithanien) der Donaumonarchie Österreich-Ungarn von 1907 bis 1918 trat er für eine föderalistische Neuordnung der Monarchie ein. Nach dem Ersten Weltkrieg war er maßgeblich an der Schaffung der Ersten Republik Österreich beteiligt, leitete die österreichische Delegation bei den Verhandlungen in Saint-Germain, war von 1918 bis 1920 Staatskanzler der Republik und von 1919 bis 1920 Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung. Von 1930 bis 1934 war Renner Abgeordneter zum Nationalrat und von 1931 bis 1933 dessen 1. Präsident.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Renner erneut einer der Hauptakteure, als die Republik Österreich als unabhängiger Staat wiederrichtet wurde und von 1945 bis 1950 Bundespräsident.

Renner war ein Anhänger der parlamentarischen Demokratie im Sinne Lassalles und zählte in seiner Partei zum pragmatischen Flügel. Als führender Vertreter der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ), nach 1945 SPÖ, war er im Genossenschaftswesen engagiert und gilt als fruchtbarer Publizist, dessen Spezialgebiet die Rechtssoziologie war.

Leben

Renners Studium und sein Weg als Parlamentarier (1891-1918)

Karl Renner wuchs in ärmlichen, bedrückenden Verhältnissen in Südmähren auf, maturierte in Nikolsburg (Mikulov) dennoch mit Auszeichnung und absolviert von 1891 bis 1896 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Nach dem Studienabschluss gelingt es ihm als Proletarier schwer, aber doch eine definitive Beamtenstelle in der Bibliothek des Reichsrates zu erhalten. Er nimmt diese Aufgabe ernst und verinnerlicht dabei auch Staats- und Verfassungstreue. Seine Gegner haben ihn deshalb immer wieder als typischen k.k Beamten gezeichnet, der mit seiner Villa in Gloggnitz und seiner Genussfreude so gar nicht dem Idealtyp eines marxistischen Revolutionärs entsprechen würde. Da ihm -wie auch Walter Rauscher (Karl Renner. Seite 76) anmerkt, tatsächlich „jeder Hang zum gewaltsamen Umsturz fremd“ ist und sein Einfluss in der Partei laufend wächst, wird er sehr früh zur Zielscheibe des linken Flügels einer Partei, die offiziell auf dem Boden des auf Umsturz ausgerichteten Kommunistischen Manifestes steht. So wird ihm Friedrich Adler, der im Jahr 1917 seinen Mordprozess in eine Abrechnung mit der SDAP umfunktioniert, stellvertretend für den rechten Parteiflügel „biedere Verlogenheit“, „Prinzipienlosigkeit“ und „Gaukelei“ vorwerfen.

Renner ist kein Theoretiker, sondern ein Funktionär mit hohem Engagement an der Basis. Auch nach seiner Berufung in den Reichsrat im Jahre 1907 gilt sein besonderes Interesse der Genossenschaftsarbeit, da er sie -als ein vom Katholizismus enttäuschter Sozialdemokrat- als besonders wichtigen Teil der „sozialistischen Dreifaltigkeit“ (Genossenschaftswesen, Gewerkschaftswesen, Bildungsarbeit) betrachtet. 1910 schreibt er eine umfangreiche Abhandlung über „Landwirtschaftliche Genossenschaften“ und „Konsumvereine“, 1911 wird er zum Vereinsobmann der österreichischen Konsumgenossenschaften bestellt. Um diese Genossenschaften von der Abhängigkeit der bürgerlichen Großbanken zu befreien gründet er im Jahr 1912 den Kreditverband der österreichischen Arbeitervereinigungen. Diese Arbeit trägt messbare Früchte und schafft einen Kreis von dankbaren Genossenschafter, auf den er sich immer wieder stützen kann. Da er in Südmähren seit seiner frühen Jugend in den Nationalitätenstreit mit den aufstrebenden Tschechen verwickelt war, der auch die SDAP gespalten hat, wird er zum ambitionierten Vertreter der Rechte von Volksgruppen. Die deutsche Volksgruppe will er nach Auseinanderbrechen oder Zerschlagung der Monarchie an Deutschland angeschlossen wissen.

Renner als Staatskanzler und Gegenspieler Otto Bauers (1918-1934)

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wird Renner 1918 Staatskanzler der Republik Deutschösterreich (deren inoffizielle Hymne „Deutschösterreich, du herrliches Land“ er selbst dichtet). In dieser Funktion unterzeichnet er am 10. September 1919 den Vertrag von Saint-Germain, der am 21. Oktober von der Nationalversammlung der nunmehrigen Republik Österreich ratifiziert wird und als bitterste Pille für die SDAP das Anschlussverbot enthält. In den beiden ersten, turbulenten Jahren, während der die SDAP als stimmenstärkste Fraktion die Regierungsverantwortung gemeinsam mit den Christlichsozialen trägt, kommt es zu keinen wesentlichen Spannungen zwischen ihm und dem Parteivorsitzenden Otto Bauer, dem Chefideologen, Vorsitzenden der Gesamtpartei und Führer des linken Flügels. Als jedoch Otto Bauer gegen den Willen Renners und zahlreicher anderer Funktionäre nach der Wahlniederlage des Jahres 1920 die Partei in die Opposition drängt und damit die Verfügung über das Bundesheer abgibt, wachsen die Spannungen. Sie werden im Rahmen der Parteidisziplin allerdings nicht offen ausgetragen, klingen jedoch in den Publikationen der Kontrahenten durch. Unterschiedlich ist zunächst einmal die Einstellung zum Staat. Für Marx wie für Otto Bauer ist auch der demokratische Staat lediglich ein Repressionsinstrument der herrschenden Klasse. Als solches habe er zwar auch noch in der Phase der Diktatur des Proletariats eine gewisse Berechtigung, in der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft würde jedoch diese Krücke nicht mehr benötigt, der Staat würde sich auflösen. Bauer (Nationalitätenfrage. Seite 508 f.):

„Das [wahre] sozialistische Gemeinwesen setzt sich nicht nur zum modernen Staat, sondern zu allen historischen Staatsformen in Gegensatz.“

Renner wie Kelsen sehen hingegen der Staat als ein zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftsformen unverzichtbares Gerüst aus Führungs-, Legislativ-, Exekutiv- und Verwaltungsorganen, das ein Zusammenleben von Menschen in einer größeren Gemeinschaft überhaupt erst möglich mache. Die permanente Adaptierung dieses Gerüstes an die sich wandelnde Gesellschaft wäre einer der wichtigsten Aufgaben der Volksvertreter. Verschiedene Ansichten herrschen auch über den Umgang mit dem Begriff Demokratie. Bauer weigert sich die „bürgerliche Demokratie“ mit ihrem Mehrheitsprinzip „im Gegensatz zum Sozialismus und über den Sozialismus zu setzen.“ Er plädiert für eine „sozialistische Demokratie“, bei welcher der Wille der Mehrheit nicht grundsätzlich essentiell ist. Der Priorität des Sozialismus setzt Renner, der sich in diesem Punkt neben Hilferding auch auf Kelsen beruft, ein uneingeschränktes Bekenntnis zur (bürgerlichen) Demokratie entgegen. Renner (Wege der Verwirklichung. Seite 109):

„Unterbinden wir die freie gesellschaftliche Demokratie, so zerstören wir den fruchtbaren Boden, aus dem alles Neue hervorwächst, das soziale Experimentierfeld, von dem aus alle materielle und geistige Verjüngung der Gesellschaft hervorsprießt! Diktatur heißt in allen Formen und unter allen Umständen Verselbständigung des Mittels der Gesellschaft, um es zu deren Herren zu machen. Herrschaft um der Herrschaft willen.“

Auch in der Einstellung zur Partei gibt es gravierende Unterschiede. Während Bauer für unbedingten Parteipatriotismus eintritt, meint Renner (Demokratie und Bureaukratie. Seite 40):

„Nie ist die Partei das Ganze, nie kann sie das Ganze darstellen oder ersetzen. Das Ganze lebt in der Wechselbeziehung der Parteien zueinander und in dem Widerstreit ihrer Programme, in demselben Für und Wider, das ja den Prozess widerstreitender Erwägungen vor dem Entschluss des Individuums auszeichnet.“

Unterschiedlich ist auch die Einstellung zur Zukunft. Während Bauer sich mit den real existierenden Objektiven Verhältnisse als Voraussetzung für die unausweichliche Revolution abfindet, ist Renner, ebenso wie Victor Adler, überzeugt, dass man nicht in einer politischen Warteschleife bzw. „revolutionären Pause“ verharren dürfe, sondern mit welchen Partnern auch immer daran arbeiten müsse, die Voraussetzungen für das Endziel, die sozialistische Gesellschaft, selbst zu schaffen. Renners Kritik an den Marxisten beruht auch auf der Überzeugung, dass die Arbeitswelt an der Wende zum 20.Jahrhundert nicht mehr jener Arbeitswelt entspricht, die Marx als Basis für sein Manifest genommen hat. Er ist überzeugt, dass der auf den Industriearbeiter fixierte Proletarierbegriff nun -im Sinne von Lassalles Perzeption von Werktätigkeit- unbedingt auf andere Arbeitsbereiche, vor allem auf die geistige Arbeit ausgedehnt werden müsse. Dies würde den ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten des modernen Industriestaates mit seiner Verwischung der Klassengrenzen und der sich abzeichnenden eher friedlichen Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft mehr Rechnung tragen. Renner plädiert daher ebenfalls im Sinne Lassalles, die Gewichte von Revolution in Richtung Evolution und von Konfrontation in Richtung Kooperation zu verschieben und sich auch unter bürgerlichen Mehrheiten konstruktiv ins Politgeschehen einzubringen. Renner (Wege der Verwirklichung. Seite 128f.):

„Die Theorie des Sozialismus hat lange Zeit wie geblendet ausschließlich auf die Entwicklung des Kapitals… gestarrt und erwartet, dass der Sozialismus auf einem bestimmten Punkt dieses Prozesses durch dessen jähen Umschlag in die Welt treten werde… In zweifacher Richtung ist die Einseitigkeit wahrzunehmen: Sowohl rein ökonomisch, indem sie auf den Entwicklungsprozess des Kapitals starrt und von dessen Umschlag die sozialistische Gesellschaft erwartet, als auch rein politisch, indem sie der politischen Revolution des Proletariats die Aufgabe zuschreibt, den Umschlag aus dem Kapitalismus in den Sozialismus künstlich zu beschleunigen und mit einem Schlag zu vollenden. Die eine Richtung fällt leicht in einen politischen Quietismus, die andere in einen politischen Hyperaktivismus. Die letztere hat sich insbesondere ausgewirkt in dem russischen Bolschewismus.“

Wer dem politischen Quietismus verfallen ist lässt Renner offen, ist aber unschwer zu erraten. Gemeint ist Otto Bauer.

Wie verläuft Renners Weg bis zum Parteiverbot 1934 ?

Renner wird in diesen Jahren immer wieder für eine Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen eintreten, erstaunlich ist lediglich, dass es im Jahr 1931 nicht Renner sondern allein Wilhelm Ellenbogen ist, der sich im Parteivorstand für eine von Bundeskanzler Ignaz Seipl angebotenen Koalition mit den Christlichsozialen ausspricht. Im Zusammenhang mit der „Selbstausschaltung des Parlaments“ im Jahr 1933 spielt er als 1. Präsident des Nationalrates keine glückhafte Rolle. Er lässt sich (Schärf. Erinnerungen. Seite 117) von Bauer und Seitz bewegen, aus abstimmungstechnischen Gründen sein Amt niederzulegen, was nach dem Rücktritt der beiden anderen Präsidenten zu einer Situation führt, für die in der Geschäftsordnung nicht vorgesorgt wurde. Dollfuß wird diese Lähmung zur Auflösung des Parlaments und Errichten des Ständestaates nutzen. 1934 versucht Renner bis zu seiner Verhaftung vergeblich den Ausbruch der Kämpfe in Wien zu verhindern.

Renner in Warteposition (1934-1945)

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 gibt Renner dem „Neuen Wiener Tagblatt“ ein Interview, das am 3. April 1938 erscheint. [1]. In dem Beitrag mit dem Titel „Ich stimme mit Ja“ [2] distanziert er sich zwar von den Methoden, mit denen der Anschluss erfolgt ist, erklärte jedoch „als Sozialdemokrat“ seine Zustimmung zum Anschluss.

Karl-Renner-Denkmal in Siegendorf/Burgenland

Renner verbringt die Zeit der NS-Herrschaft in Gloggnitz und verfasst dort „Das Weltbild der Moderne“, ein umfangreiches Versepos in Anlehnung an Lukrez

Renner und die Gründung der 2.Republik (1945-1950)

Die Anti-Kooperationspolitik der Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVOES) hatte zur Folge, dass es während des Krieges zu keiner Konstituierung einer repräsentativen österreichischen Auslandsvertretung bzw. Exilregierung kam und mit Kriegsende ein politischer Freiraum in Österreich existiert. Diesen Freiraum will Stalin möglichst rasch zur Bildung einer ihm genehmen Regierung nutzen. Mit dem Auftrag zur Suche nach Karl Renner (Schtemenko.Generalstab.Band 2.Seite 403) unmittelbar nach dem Einmarsch der ersten Rotarmisten in Österreich, setzt Stalin erste Schritte in diese Richtung. Den Westalliierten werden diese Intentionen zunächst verschwiegen, da bereits bekannt ist, dass diese den Österreichern erst einige Zeit nach Kriegsende und auch dann nur in kleinen Schritten politische Verantwortung übertragen wollen. Stalin fasst diesen Entschluss auch gegen den Willen der KPÖ. Da deren von Gestapo-Spitzeln unterwanderte Parteiorganisation während des Krieges zerschlagen worden war, hatte sie um Zeit für den Aufbau einer neuen Organisation gebeten, war jedoch abgewiesen worden. Dazu Scharf (Mit Sinnen. 111 ff):

„Dass ausgerechnet Renner, der sich von den Nazis agitatorisch für die Sanktionierung der Okkupation Österreichs hatte missbrauchen lassen, mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, blieb unbegreiflich… erst als in späteren Jahren im Politischen Büro der KPÖ das Thema angeschnitten wurde, erhielt ich einige aufklärenden Informationen: Tatsächlich waren Franz Honner und andere führenden Funktionäre der KPÖ nicht der Ansicht, dass man nach der militärischen Befreiung sofort eine provisorische Regierung bilden sollte. Denn vorher musste man die demokratischen Organisationen aufbauen, eine feste Einheit aller Demokraten und Patrioten [sprich Volksfront] schaffen, den opportunistischen Spreu vom antifaschistischen Weizen scheiden, und dann erst könnte man, gestützt auf die neuen politischen Gruppierungen, eine Regierung bilden. Aber dieser Plan konnte nicht verwirklicht werden. Das Oberkommando der Roten Armee hatte… Dr. Karl Renner eingeladen, eine provisorische Regierung zu bilden.“

Die Suche nach Karl Renner dauert nicht lange. Am 4.April meldet das Kommando der 103.Gardeschützendivision, dass sich Renner im Raum Gloggnitz aus eigenem Antrieb gemeldet und sich bezüglich einer Regierungsbildung zur Verfügung gestellt habe. Dazu Renner (Schriften. Seite 203):

„Ließ ich mich in Verhandlungen ein, so konnte das mit der Einbuße meines guten Namens und mit meiner politischen Ehre endigen und überdies der Sozialdemokratischen Partei... zum Nachteil ausschlagen... nach längerem Ringen entschloss ich mich, alle Risiken auf mich zu nehmen, um möglicherweise doch Österreich die Chance zu geben, die verhängnisvolle Bindung an Hitler-Deutschland selbst zu zerreißen... Anderseits war mir klar bewußt, dass ich niemals als Beauftragter Russlands die Mission übernehmen und durchführen konnte. Der Auftrag mußte von Österreich selbst kommen.“

Renner wird zum Stab der 9.Gardearmee weitergeleitet. Die Sowjets nehmen dort nach Rücksprache im Kreml sein Angebot zu Mithilfe an und weisen ihm als Sitz das Schloss Eichbüchl bei Wr. Neustadt zu, wo er gemäß Scheltow (Portisch.Österreich II.152) seine Vorschläge bezüglich einer Regierungsbildung zu Papier bringen soll. Als er wenig später der Aufforderung der Sowjets, einen Appell an die Rote Armee zu richten ablehnt, wächst die Befürchtung, dass man ihm den Auftrag für die Regierungsbildung entziehen könnte. Er richtet nun einen Brief an Stalin, der zu manchen Missverständnissen geführt hat. Es ist jener Brief, der zwar einerseits peinlich wirkende Schmeicheleien enthält, anderseits aber keine von den Sowjets erwartete Zusagen für eine konkrete Zusammenarbeit mit den Kommunisten im Rahmen einer Volksfront enthält. Wie wir von Schtemenko wissen (Schtemenko. Generalstab. Band 2. 413, siehe auch Portisch. Österreich II. 154) wurde dieser Brief im Kreml zwar mit schmunzelnder Skepsis aufgenommen, Stalin nimmt ihn aber dennoch zum Anlass, Renner definitiv mit einer Regierungsbildung zu beauftragen. Es folgen harte, aber letztlich erfolgreiche Verhandlungen bei denen Renner vor allem bestrebt ist, der KPÖ bei der Ressortverteilung so wenig Einfluss wie möglich zuzubilligen um die Akzeptanz seiner Administration im Westen zu erhöhen. Die USA und Großbritannien erfahren vom sowjetischen Projekt ,Provisorische Regierung Österreich’ erst am 26.April 1945 am Rande der Außenministerkonferenz. Dort teilt der stellvertretende sowjetische Außenminister Višinsky seinen britischen und amerikanischen Amtskollegen quasi beiläufig mit, dass man am Folgetag in Wien das Kabinett Renner angeloben werde. Es ist dies der Zeitpunkt, an dem die deutschen Truppen noch immer am Semmering, bei St.Pölten und bei Korneuburg, also noch am Stadtrand von Wien im Kampf mit der Roten Armee stehen. Die Briten legen unverzüglich Protest ein. Die USA schließen sich diesem Protest nicht an, verweigern jedoch Renners Ministerriege ebenso die Anerkennung wie die Briten. Am 27.April wird Renner und sein Team von Marschall Tolbuchin offiziell empfangen. Man nimmt anschließend -29 Mann und eine Frau stark- unverzüglich die Arbeit im Parlament auf.Als einer der wichtigsten Aufgaben haben die Sowjets dem provisorischen Kabinett die Vorbereitung bundesweiter Wahlen ans Herz gelegt. Dieses Vorhaben wird grundsätzlich auch von den Landeshauptleuten der westlichen Bundesländer unterstützt. Dort hat der provisorische Landeshauptmann von Tirol Karl Gruber eine Initiative für ein ungeteiltes Österreich gestartet und seine Kollegen im Westen Österreichs für eine Zusammenarbeit mit Karl Renner und seiner provisorischen Regierung gewonnen. Nach zähen Verhandlungen erklären sich am 20. September die Briten bereit, die Blockade der Wahlen aufzugeben. Der provisorischen Regierung wird zumindest bezüglich von Wahlen eine Kompetenz über ganz Österreich zugebilligt und zu deren Vorbereitung eine Länderkonferen zugelassen. Am 26.September 1945 steht auf dieser Länderkonferenz noch einmal alles auf des Messers Schneide. Die kommunistischen Mitglieder der provisorischen Regierung weigern sich den Vertretern der westlichen Bundesländer Kabinettsposten einzuräumen, die Konferenz steht knapp vor dem Abbruch. Es ist dann der allseits geachtete sozialdemokratische Bürgermeister von Linz Dr. Koref, der jenen Kompromissvorschlag einbringt, der schließlich auch von der KPÖ angenommen wird. Der Weg für landesweite, freie Wahlen ist nun endgültig geebnet. Diese Wahlen bringen im November 1945 nicht wie vom Kreml erwartet die absolute Mehrheit für SPÖ (42%) und KPÖ (5%) und die Chancen auf eine österreichweite Volksfront, sondern die absolute Mandatsmehrheit für die ÖVP (48% der Stimmen, absolute Mehrheit bei den Mandaten. Die USA und Großbritannien zeigen sich bezüglich des Wahlergebnisses erfreut und zögern auch nicht lange mit der Anerkennung des Konzentrationskabinetts Figl. Die schwer enttäuschten Sowjets hingegen geben der neuen Regierung erst nach dem Austausch dreier ÖVP Minister ihren Segen, aber sie geben ihn. Auf die Spitzengliederung der KPÖ hat der Wahlausgang vom 25. November 1945 keinen Einfluss. Der Kreml ist fair genug anzuerkennen, dass Koplenig und Genossen eindringlich genug vor Renner und frühen Wahlen gewarnt haben. Mit dieser Wahl war der Grundstein für den „Sonderfall“ Österreich gelegt, ein Status, der dem Land bereits 1955 die volle Souveränität bringen wird. Karl Renner wird am 20. Dezember 1945 durch die Bundesversammlung zum ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählt, und bleibt dies bis zu seinem Tod am 31. Dezember 1950.

Nachwirken

Renner ist im Ausland vor allem als einer der Gründungsväter der Rechtssoziologie bekannt. Eine Plakette mit seinem Namen findet sich unter denen der 15 historisch bedeutendsten Rechtssoziologen, welche die Wände des International Institute for the Sociology of Law in Onati (Gipuzkoa, Spanien) schmücken. Dies geht zurück auf seine frühe Schrift zur sozialen Funktion der Rechtsinstitute des Privatrechts (1904), aber auch um seine Bemühungen (gemeinsam mit Otto Bauer) um die Fundierung der Rechte kultureller und sprachlicher Minderheiten. Seit dem 80. Geburtstag Renners verleiht die Stadt Wien den „Karl-Renner-Preis“. Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) verleiht seit 1984 alle zwei Jahre zu Ehren Renners den „Karl-Renner-Publizistikpreis“, der als höchste Auszeichnung im österreichischen Journalismus gilt.

Fußach-Affäre

1964 kam es in Vorarlberg zu einem Skandal (der sogenannten Fußach-Affäre), als ein Bodenseeschiff auf den Namen Karl Renner getauft werden sollte, wobei von den Vorarlbergern nicht primär die Wahl des Namens an sich bekämpft wurde, sondern das Ignorieren der diesbezüglichen Wünsche bzw. Bedenken der Vorarlberger durch die „Wiener Zentralisten“.

Werke

  • (Pseud. Synopticus) Staat und Nation, Wien 1899
  • (Pseud. Josef Karner) Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion. Ein Beitrag zur Kritik des bürgerlichen Rechts
  • Österreichs Erneuerung, Wien 1916
  • Wege der Verwirklichung, Berlin 1929
  • Mensch und Gesellschaft, Wien 1952
  • Wandlungen der modernen Gesellschaft, Wien 1953
  • Das Weltbild der Moderne Wien 1954
  • Schriften, Salzburg 1994
  • An der Wende zweier Zeiten. Lebenserinnerungen von Karl Renner,Wien 1946

Literatur

  • Hugo Portisch: Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates (Wien 1985)
  • Erwin Scharf: Ich hab's gewagt mit Sinnen... Entscheidungen im antifaschistischen Widerstand, Erlebnisse in der politischen Konfrontation (Wien 1988)
  • Sergej Schtemenko: Im Generalstab (Berlin 1975) Band 2
  • Walter Rauscher: Karl Renner, ein österreichischer Mythos. Verlag Ueberreuter, Wien 1995. ISBN 3-8000-3558-8
  • Dietrich-Schulz, Elisabeth ; Megner, Karl: Karl Renner. Notizen zu seinem Tätigkeitsbereich in der Parlamentsbibliothek (Bibliothek des Reichsrates) 1895–1907. (Typoskript Parlamentsbibliothek. Wien 1993)
  • Peter Riesbeck: Sozialdemokratie und Minderheitenrecht. Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht, Verlag für Entwicklungspolitik, Saarbrücken 1996
  • Hans Egger: Die Politik der Auslandsorganisationen der österreichischen Sozialdemokratie in den Jahren 1938 bis 1946. Denkstrukturen, Strategien, Auswirkungen. Phil.Diss.Universität Wien (Wien 2004)

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