Circuit Paul Ricard

Der Circuit Paul Ricard ist eine Motorsport-Rennstrecke in der Nähe des Weinbau-Ortes Bandol im Département Var im Süden Frankreichs; nur wenige Kilometer entfernt von der Côte d’Azur. Die Anlage ist auch bekannt als Le Castellet, der offizielle Name ist aber seit Februar 2001 Paul Ricard High Tech Test Track bzw. Paul Ricard HTTT.
Geschichte
Die Grundlagen zum Bau dieser im Uhrzeigersinn zu fahrenden Rennstrecke waren 1962 der Kauf von rund 1.000 Hektar Land auf einer Hochebene zwischen Toulon und Marseille und der Bau des größten Privatflugplatzes der Provence durch den französischen Pastis-Produzenten Paul Ricard. Dieser ließ vom Juni 1969 bis April 1970 neben dem Flugplatz eine 5,81 km lange Rennstrecke bauen, die am 19. April 1970 mit einem Sportwagenrennen der 2-Liter-Klasse eröffnet und zuerst vor allem für Motorrad-Rennen genutzt wurde. Zwischen 1971 und 1990 gastierte hier die Formel 1 zum Großen Preis von Frankreich, zum Teil im Wechsel mit dem Circuit Dijon-Prenois und Charade. Ab 1991 fanden diese Formel-1-Rennen aber nur noch in Magny-Cours statt. Der Circuit Paul Ricard blieb allerdings weiterhin Gastgeber für bedeutende Motorsport-Ereignisse wie dem Motorrad-Langstrecken-Klassiker Bol d'Or (ab 1978), den französischen Läufen zur Motorrad-WM (ab 1972 im Wechsel mit Le Mans, Charade und Nogaro) oder die FIA-Truck-Racing-Europameisterschaft.
Nach dem Ende der Formel-1-Ära auf dieser Strecke unterblieben jedoch größere Investitionen (wie schon nach 1972 beim Flugplatz Aéroport du Castellet), im November 1997 starb der Besitzer und Namensgeber Paul Ricard und im Mai 1999 verkauften die Erben das gesamte Areal für rund 11 Millionen US-Dollar an die französische Firma Excelis S.A., die zum Familien-Trust APM 1 des Formel-1-Promotors Bernie Ecclestone gehört. Geschäftsführer dieser Firma ist Philippe Gurdjian, der schon einige der Formel-1-Rennen auf der Strecke organisiert hatte. Gurdjian fungiert seither im Sinne von Ecclestone als Direktor der Rennstrecke, des Flughafens und der nahegelegenen Hotelanlage Hôtel du Castellet. Nach dem Kauf wurden erhebliche Investitionen in all diesen Bereichen getätigt; inclusive eines tiefgreifenden Umbaus der Rennstrecke in eine Teststrecke. In diesem Zusammenhang wurde ein Vertrag mit dem neu gegründeten Toyota Formel-1-Team geschlossen, der den Bau eines eigenen Testzentrums auf dem Gelände einschloss. Ab Oktober 2001 nutzte Toyota die neue Anlage, ab Februar 2002 konnte sie auch von weiteren Teams befahren werden und ist seitdem vor allem in der Winterpause beliebtes Testgelände vor allem für die Formel-1-Teams und die Teilnehmer der 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Bis August 2006 war die umgebaute Strecke nicht für Zuschauer zugelassen; am 19. und 20. August gab es dort nach rund sieben Jahren wieder eine öffentliche Rennveranstaltung zur FIA GT-Meisterschaft; allerdings mit nur 1.000 Eintrittskarten oder Paddock-Pässen.
Besonderheiten
Der Circuit Paul Ricard wurde unter Mithilfe der Rennfahrer Henri Pescarolo und Jean-Pierre Beltoise in nur zehn Monaten entworfen und gebaut und beeindruckte in seiner ursprünglichen Form vor allem durch seine ungewöhnlich lange Mistral-Gerade (rund 1,6 km). Ähnliches hatten bis dahin nur die Rennstrecken von Le Mans (mit der Hunaudières-Geraden) und von Reims zu bieten, die allerdings außerhalb der Rennveranstaltungen öffentliche Land- oder Nationalstraßen waren. Deshalb war und ist Paul Ricard eine beliebte Teststrecke für die Teilnehmer des 24-Stunden-Rennens von le Mans. Die leichte Rechtskurve am Ende der Geraden kann als "Mutkurve" voll gefahren werden und heißt Signes nach dem nahegelegenen zeitweiligen Wohnort des Streckenerbauers Paul Ricard. Bei der Eröffnung 1970 galt die Anlage als neuer Maßstab für Rennstreckenführung und -Sicherheit, mit damals noch seltenen Curbs (teilweise vierfarbig lackiert in blau, weiss, rot und gelb) und großen Kies-Auslaufzonen.
Im Lauf der Jahre und mit steigender Geschwindigkeit der Rennfahrzeuge zeigten sich aber die Grenzen dieser Sicherheitsmaßnahmen: Am 14. Mai 1986 verunglückte der Brabham-BMW-Pilot Elio de Angelis bei Testfahrten auf dem Circuit Paul Ricard. Der Unfall ereignete sich in einem schnellen Streckenteil im Bereich der Kurvenkombination Esses de la Verrerie, nachdem ein Heckflügel des Brabham BT55 abgebrochen war. De Angelis erlag tags darauf in einem Krankenhaus in Marseille seinen schweren Verletzungen. Danach wurde dieser Teil der Strecke nicht mehr benutzt; ein neues Verbindungsstück verkürzte die Mistral-Gerade auf rund einen Kilometer und die Gesamtstreckenlänge des dann sogenannten Grand-Prix-Kurses auf 3,813 km. Bereits am 6. Juli 1986 wurde das neue Strecken-Layout beim Großen Preis von Frankreich der Formel 1 gefahren.
Auch in den folgenden Jahren profilierte sich die Strecke dennoch weiterhin unter anderem als Übungsfeld für den Rennfahrer-Nachwuchs. Die Winfield Racing Schools bildeten hier spätere Champions aus wie Patrick Tambay, Didier Pironi, Alain Prost, Jean Alesi und Olivier Panis. Zeitweilig waren hier auch die Teams von Larrousse (Formel 1) und Oreca (Formel 3000) zu Hause. Der Rundenrekord lag vor dem aktuellen Umbau bei 1:08,012 Minuten (Durchschnitts-Geschwindigkeit 201,829 km/h), 1990 gefahren von Nigel Mansell im Formel-1-Ferrari 642.
Der neue Kurs
Der Umbau nach dem Besitzerwechsel und der Jahrtausendwende soll nach Angaben der Betreiber zeitweise über 1.200 Menschen beschäftigt haben; vom Ingenieur bis zum Bauarbeiter. Die neue Anlage bezieht den vor 1986 benutzten Streckenteil wieder mit ein; durch fakultativ zu befahrende neue Schikanen und Verbindungsstücke sollen jetzt rund 180 Streckenvarianten möglich sein, um völlig unterschiedliche Bedingungen zu testen und trainieren zu können. Die Streckenlänge kann zwischen 6,105 km und 826 Meter variiert werden, die Breite beträgt zwischen 10 und 12 Meter und es stehen insgesamt 15 Rechts- und zehn Linkskurven zur Verfügung. Die neuen Streckenbetreiber ließen auf insgesamt 25 Hektar Auslaufzonen ein ausgeklügeltes System von aufeinanderfolgenden Asphaltstreifen mit unterschiedlichen Reibwerten bauen, das auch Formel-1-Rennwagen aus hohen Geschwindigkeiten zuverlässig abbremsen kann, ohne dass es zu Beschädigungen am Fahrzeug oder zu Verletzungen des Fahrers kommt. Dies spart den dort testenden Teams Kosten und Zeit, die sie sonst für Bergung und Reparatur von verunfallten Autos brauchen würden. Die Asphaltstreifen sind auch farblich voneinander abgegrenzt, so dass zusammen mit den rot-weiss lackierten Curbs ein unverwechselbares Streckenbild entsteht (Luftbild).
Die Preise für die Streckenmiete (auch für Club-Veranstaltungen) sind derzeit (August 2006) die höchsten Europas und liegen um bis zu 100 Prozent über den Tarifen für andere internationale Rennstrecken. Je nach der zur Verfügung gestellten Infrastruktur kostet ein Test-Tag hier über 30.000 Euro; eine Investition, die sich jedoch durch die hohe Streckensicherheit schnell amortisieren kann, weil "Ausrutscher" hier nicht automatisch zu teuren Beschädigungen führen.
Formel-1-Rennen
Literatur
Peter Higham, Bruce Jones (Übers.: Walther Wuttke): Rennstrecken der Welt, Heel-Verlag (Königswinter, 2000), ISBN 3-89365-890-4