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Intervall (Musik)

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Vorlage:MusikalischeIntervalle Unter einem Intervall (griechisch: διάστημα = lateinisch: intervallum = Zwischenraum) versteht man heute in der Musik den Höhenunterschied zwischen zwei gleichzeitig oder nacheinander erklingenden Tönen. Der Begriff bezeichnet demnach eine Größe mit der Oktave als Einheit; diese Größe tritt als Tonabstand oder Tondifferenz in Tonstrukturen auf. Der Begriff bezeichnet zudem ein abgeschlossenes Intervall von Tönen in Tonsystemen.

Geschichte

Die älteste Definition des Intervalls stammt von Aristoxenos. Er definierte es als abgeschlossenes Intervall einer mit „höher“ linear geordneten Tonmenge und ordnete jedem solchen Intervall eine Größe zu. Diese Intervallgrößen wurden später ebenfalls kurz als Intervalle bezeichnet, so dass der Begriff doppeldeutig wurde. Diese spätere zweite Bedeutung ist heute die Hauptbedeutung. Konkrete Intervalle gebrauchten vor Aristoxenos schon die Pythagoreer und charakterisierten sie durch Proportionen, die sich aus Verhältnissen von Saitenlängen ergeben wie bei Philolaos. Euklid fasste die Proportion auch als Frequenzverhältnis auf, allerdings noch hypothetisch, da erst in der Neuzeit die Frequenzmessung entwickelt wurde. Die Umrechnung additiver musikalischer Intervalle in multiplikative akustische Proportionen funktioniert nach einer Isomomorphie-Regel, die schon Philolaos anwandte. Sie wurde in der Neuzeit optimiert, und zwar kurz nach 1585 von Simon Stevin durch eine Exponentialfunktion und um 1640 von Bonaventura Francesco Cavalieri und Juan Caramuel y Lobkowicz durch die logarithmische Umkehrfunktion.

Stimmungen

Wichtige Intervalle mit einfachen Proportionen haben eine hörbare Charakteristik und werden trotz leichter Verstimmungen erkannt. Deshalb erscheinen sie unter demselben Namen in verschiedenen Stimmungen. In der idealen reinen Stimmung erklingen sie auf einen Grundton bezogen optimal, sind dann aber nur von diesem Grundton aus und nur begrenzt zu verwenden, z. B. schränken sie harmonische Möglichkeiten drastisch ein. Daher sind sogenannte Temperaturen mit kleinen Verstimmungen üblich, etwa zwölfstufige Temperaturen oder in der Renaissance und im Barock die mitteltönige Stimmung. Bei solchen Temperaturen werden die kleinen Intervalle der Kommata, wie beispielsweise des pythagoreischen Kommas oder des syntonischen Kommas quasi gleich Null gesetzt und auf andere Intervalle gleichmäßig (z. B. bei der Gleichstufigen Stimmung) oder ungleichmäßig (z. B. bei der mitteltönigen Stimmung) verteilt. Spezielle Stimmungen werden mit kennzeichnenden Spezialintervallen beschrieben, beispielsweise mit Diesis, Schisma, Wolfsquinte, Ditonus, Limma oder Apotome.

Diatonische Intervalle

Im Lauf der Geschichte entstanden verschiedenartigste Tonsysteme mit einer verwirrenden Vielfalt konkreter Intervalle, über die nur ein grober Überblick gegeben werden kann. Folgende Tabelle listet wichtige diatonische Intervalle auf, deren lateinische Ordinalzahl-Namen von den Stufen diatonischer Tonleitern abgeleitet sind: Prime, Sekunde, Terz, Quarte, Quinte, Sexte, Septime, Oktave. Die Namen bezeichen jeweils eine Intervallklasse, deren Intervalle durch Beinamen unterschieden werden, nämlich bei der Sekunde, Terz, Sexte und Septime durch „groß“ und „klein“. Der Beiname „übermäßig“ bedeutet bei der reinen Prime, Quarte, Quinte, Oktave und großen Intervallen eine Addition eines chromatischen Halbtons; der Beiname „vermindert“ bezeichnet bei reinen und kleinen Intervallen die Subtraktion eines chromatischen Halbtons. Die diatonischen Intervalle haben in reiner Stimmung noch unterschiedliche Proportionen, werden aber im zwölfstufig temperierten Tonsystem auf Vielfache des exakten Halbtons mit 100 Cent abgebildet, wobei die Intervallklassen aber nicht erhalten bleiben.

Intervall Proportionen Spezialnamen Näherung zwölfstufig
Prime 1:1 reine Prime 0 Cent 0 Cent
übermäßige Prime 25:24
135:1
kleiner chromatischer Halbton
großer chromatischer Halbton
71 Cent
92 Cent
100 Cent
kleine Sekunde 256:243
16:15
Leimma
diatonisch-rein
90 Cent
112 Cent
100 Cent
große Sekunde 10:9
9:8
kleiner Ganzton
großer Ganzton
182 Cent
204 Cent
200 Cent
kleine Terz 6:5 reine kleine Terz 316 Cent 300 Cent
große Terz 5:4 reine große Terz 386 Cent 400 Cent
Quarte 4:3 reine Quarte 498 Cent 500 Cent
übermäßige Quarte 45:32
7:5
729:512
diatonisch-rein
Huygens
Tritonus
590 Cent
582 Cent
612 Cent
600 Cent
verminderte Quinte 64:45
10:7
diatonisch-rein
Euler
610 Cent
617 Cent
600 Cent
Quinte 3:2 reine Quinte 702 Cent 700 Cent
kleine Sexte 8:5 reine kleine Sexte 814 Cent 800 Cent
große Sexte 5:3 reine große Sexte 884 Cent 900 Cent
kleine Septime 16:9
7:4
diatonisch-rein
Naturseptime
996 Cent
986 Cent
1000 Cent
große Septime 15:8 diatonisch-rein 1088 Cent
1100 Cent
Oktave 2:1 reine Oktave 1200 Cent 1200 Cent

Die sogenannte Umkehrung der tabellierten diatonischen Intervalle entsteht als Differenz zur Oktave; bei der Umkehrung bleiben reine Intervalle rein, kleine und große und ebenso verminderte und übermäßige werden vertauscht.

Konsonanzen und Dissonanzen

Es gibt konsonante, wohlklingende und dissonante, weniger wohlklingende Intervalle. Welche Intervalle konsonant und welche dissonant galten, schwankt kulturell und historisch: In der Antike und im Mittelalter galten im abendländischen Bereich nur die Oktave, Quinte und Quarte als konsonant. Im Spätmittelalter und der Renaissance kamen die große und kleine Terz und Sexte zu den Konsonanzen hinzu. Der Gebrauch der Dissonanzen wurde immer weiter ausgeweitet; schon im Spätbarock und der Klassik wurde die kleine Septime fast zum konsonanten Intervall. Diese Tendenz verstärkte sich in der Romantik und Spätromantik und im Jazz.

Hörbeispiele

Hörbeispiele mit einer Synthesizer-Streicherstimme
n Halbtöne Intervall steigend fallend
1 kleine Sekunde C-Des C-H
2 große Sekunde C-D C-B
3 kleine Terz C-Es C-A
4 große Terz C-E C-As
5 Quarte C-F C-G
6 Tritonus C-Fis C-Ges
7 Quinte C-G C-F
8 kleine Sexte C-As C-E
9 große Sexte C-A C-Es
10 kleine Septime C-B C-D
11 große Septime C-H C-Des
12 Oktave C1-C2 C-C

Merkhilfen

Mit Melodieanfängen lassen sich Intervalle leicht „ins Ohr rufen“. Die Wirkung derselben Intervalle ist abhängig vom Tongeschlecht (Dur und Moll) und der Position in der Tonleiter.

Intervall steigend fallend
übermäßige Prime
= chromatischer Halbton
Scott Joplin: The Entertainer ?
kleine Sekunde
= diatonischer Halbton
Kommt ein Vogel geflogen Vom Himmel hoch, da komm ich her (Mendelssohn)
Beethoven:Für Elise
große Sekunde Alle meine Entchen Schlaf, Kindlein, schlaf
kleine Terz Ein Vogel wollte Hochzeit machen
Macht hoch die Tür
Hänschen klein
Kuckuck, Kuckuck, ruft's aus dem Wald
große Terz Oh, when the saints go marching in
Alle Vögel sind schon da
Swing low, sweet chariot
Nun ruhen alle Wälder (Dur)
Beethovens Schicksalssinfonie: G-G-G-Es (Moll)
Quarte O Tannenbaum
Wir kamen einst von Piemont
Love Me Tender (Elvis Presley)
Morgen, Kinder, wird's was geben
Auf, du junger Wandersmann
Tritonus Maria (West Side Story)
Titelmelodie von Die Simpsons („The Simp-sons“)
In „Kommt ein Vogel geflogen“:
…von der Mut-ter einen Gruß
Quinte Wach auf, meins Herzens Schöne
Morgen kommt der Weihnachtsmann (C-C-G-G)
On a wagon (Donna donna)
Ick heff mol en Hamburger Veermaster sehn
kleine Sexte When Israel was in Egypt's land Schicksalsmelodie
große Sexte Dies Bildnis ist bezaubernd schön
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Arrivederci Roma
Go West (Village People)
My Bonnie is over the ocean
Nobody knows the trouble I've seen
Winde weh'n, Schiffe geh'n
kleine Septime There's a place for us (Somewhere aus West Side Story)
Zogen einst fünf wilde Schwäne (Refrain: „Sing, sing“)
In "Bunt sind schon die Wälder":
…und der He−erbst be−ginnt
große Septime ? ?
Oktave Somewhere over the rainbow Mainzer Narrhallamarsch

Dennoch ist diese Methode, sich musikalische Intervalle mit Hilfe von Liedanfängen einzuprägen, mit einer gewissen Vorsicht anzuwenden. Das liegt daran, dass dieselben Intervalle eine unterschiedliche Wirkung haben, je nachdem in welchem Tongeschlecht und an welcher Position der Tonleiter sie stehen. Beispiel: die kleine Terz E-G innerhalb C-Dur (z. B. Olé, olé, olé), klingt fröhlich und nicht nach Moll, im Gegensatz zur selben kleinen Terz E-G innerhalb der Tonart e-Moll. Die große Terz, die normalerweise als „heiter“ gilt, klingt abwärts gespielt - zum Beispiel als Beginn von Beethovens „Schicksalssinfonie“ (G-G-G-Es) - „düster-verheißungsvoll“.

Mathematische Definition

Intervalle im Sinn einer Größe werden zwischen zwei beliebigen Tönen gebildet, sie können bei harmonischen Intervallen gleichzeitig erklingen oder bei melodischen Intervallen aufeinander folgen oder zeitlich ungeordnet sein. Die historische Tonsystemtheorie bevorzugt positive Intervalle als Tonabstände. Negative Intervalle bei Tondifferenzen spielen beim Transponieren eine Rolle und wurden in der Kanontechnik des Mittelalter schon gebraucht, ebenso die Prime (unisonus) als Nullintervall zwischen gleichhohen Tönen. Den üblichen Gebrauch regeln folgende Vereinbarungen, wobei das Einheitensymbol „O“ für die Oktave nicht mit einer Null verwechselt werden darf. Für die Prime wird „P“ verwendet:

Es gilt:

bezeichnet das „Unter“-Intervall. Beispiel: Unteroktave = - Oktave.

Die Tondifferenz bezeichnet in Tonstrukturen das Intervall von zu ; für sie gilt die lineare Metrikregel:.

Der Tonabstand bezeichnet den Betrag der Tondiffernz . Er ist nie negativ.

Mit Intervallen im Sinn von Tondifferenzen hängen die Tonhöhenrelation höher, tiefer, gleichhoch zusammen, ferner auch Schritte in Tonfolgen und Tonleitern. Diese Begriffe sind in Tonstrukturen bereits genau definiert.

Für Intervalle gilt auf der additiven musikalischen Ebene das alltägliche Rechnen mit Größen. Hierher gehören die Aristoxenos-Intervallgrößen: Ton im Sinn von Ganzton, Halbton, Drittelton, Viertelton, n-telton, jeweils in der ursprünglichen exakten Bedeutung, außerdem auch der Cent als moderne Intervalleinheit zur Näherung der Intervalle.

Den Intervallgrößenbereich kann man als Tonhöhenraum auffassen, in dem Intervalle als Vektoren und Tonhöhen als Punkte betrachtet werden. Der Größenbereich wird dann auf natürliche Weise zur Tonstruktur durch die dort gegebene Differenz (sie erfüllt offenkundig die lineare Metrikregel). Als Zentraltonhöhe kann jeder beliebige Tongewählt werden. Seine konkrete Frequenz wird mit bezeichnet.

Proportionen

Im akustisch motivierten pythagoreischen Denken werden Intervalle durch Verhältnisse von Saitenlängen oder Frequenzen charakterisiert, die als Proportionen bezeichnet werden. Die umkehrbare Umrechnung über die additiv-multiplikative Isomorphie wird über die Exponentialfunktion und den Logarithmus zur Basis 2 definiert, so dass Intervalle durch die Proportion definierbar sind:

Auch lassen sich einige spezielle Intervall gesondert betrachten, woraus folgt:

Wichtige Intervalle
Intervallname Proportion Intervall Näherung in Cent
Prim (P) 0 Cent
Oktave (O) 1200 Cent
reine Quinte (Q) 702 Cent
reine große Terz (T) 386 Cent

Aus diesen Definition folgen einige Isomorphie-Regeln:

Physikalische Zusammenhänge

Die akustischen Bedeutungen der Proportion als Frequenzverhältnis oder Saiten-Längenverhältnis sind im Tonhöhenraum ebenfalls definierbar. Als Zentraltonhöhe gilt hier der Ton c1, dessen Frequenz hier mit angenommen wird:

für ein Saite S der Länge L

Aus diesen Definitionen ergeben sich Intervallproportionen als Längenverhältnisse oder reziproke Frequenzverhältnisse:

Siehe auch

Literatur

  • Sigalia Dostrovsky und John T. Cannon: Entstehung der musikalischen Akustik [1600-1750). In: Frieder Zaminer (Hrsg.): Geschichte der Musiktheorie. Bd. 6. Darmstadt 1987 S. 7-79, ISBN 3-534-01206-2
  • Mark Lindley: Stimmung und Temperatur. In: Frieder Zaminer (Hrsg.): Geschichte der Musiktheorie. Bd. 6. Darmstadt 1987 S. 109-332, ISBN 3-534-01206-2
  • Wilfried Neumaier: Was ist ein Tonsystem?. Frankfurt am Main, Bern, New York 1986, ISBN 3-8204-9492-8