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Wolf Schäfer (Historiker)

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Bild von Wolf Schäfer (2014)
Wolf Schäfer bei einem SBU Besuch des deutschen UN Botschafters, 2014

Wolf Schäfer (* 22. April 1942 in Halle an der Saale) ist ein Historiker und Universitätsprofessor mit Lehr- und Forschungstätigkeit in Deutschland und den Vereinigten Staaten.

Leben

Aufgewachsen ist Wolf Schäfer in der Wolfszeit in Frankfurt am Main. Er war freischaffender Maler in der ersten Hälfte der 1960er Jahre; in der zweiten Hälfte studierte er Geschichte, Internationale Politik und Philosophie an den Universitäten Marburg, Bonn, King's College London und München, unterstützt von der Studienstiftung des deutschen Volkes (M.A. 1970). Seine akademische Laufbahn begann als Assistenzprofessor am Historischen Seminar der Münchner Universität (1970-72) und anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Alternativen der Wissenschaft am Starnberger Max-Planck-Institut (1973-81) unter der Leitung von Carl Friedrich von Weizsäcker. 1983 promovierte Schäfer an der Bremer Universität mit Arbeiten zur neuzeitlichen Sozial- und Wissenschaftsgeschichte, die 1985 unter dem Titel Die unvertraute Moderne veröffentlicht wurden.

Wolf Schäfers erste amerikanische Phase begann nach der Schließung des Starnberger Instituts mit einer Reihe von Fellowships: 1981 am Center for Philosophy and History of Science der Universität Boston; 1982 am History of Science Department der Harvard Universität; 1983/84 am Program in Science, Technology, and Society des MIT; und schließlich 1984/85 am Harvard Center for European Studies. 1985 erhielt Schäfer eine Professor an der Darmstädter Hochschule im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften. Seine zweite amerikanische Phase begann Ende der 1980er Jahre mit der Annahme einer Professur an der Staatsuniversität von New York in Stony Brook. Er lehrte dort von 1989 bis 2016 Wissenschaftsgeschichte im Department of History des College of Arts and Sciences. Um näher an die zeitgenössischen Entwicklungen von Wissenschaft und Technik heranzukommen, wurde er 2017 Fakultätsmitglied im SBU College of Engineering and Applied Sciences. Er übernahm dort die Leitung und Neuausrichtung des Fachbereichs Technology and Society unter der Prämisse "Engineering has become much too important to be left to the engineers" (2017-2022). Als Chairman oblag ihm auch die Aufsicht über die und Koordination mit der Schwester-Abteilung des Stony Brook Campus in Südkorea. Professor Schäfer ist gegenwärtig ein John S. Toll Professor der Universität und Gründungsdirektor des Automotive Ethics Laboratory in seinem Fachbereich.

Administrative Aufgaben, die Professor Schäfer neben seiner regulären Lehr- und Forschungstätigkeit übernommen hat, beinhalten sowohl Department Chair (2017-22) als auch Associate und Interim Dean für International Academic Programs (2011-15). In diesen Funktionen hat er Forschungsförderung von insgesamt über 5 Millionen Dollar eingeworben. Institutionell leistete er Pionierarbeiten mit den Gründungen des Zentrums für Global & Local History (Heimat des Long Island History Journals), des Stony Brook Institute for Global Studies sowie der Publikation und Herausgabe des Globality Studies Journal.

Wolf Schäfer lebt an der Nordküste von Long Island in einem Anwesen aus dem 18. Jahrhundert. Er ist in dritter Ehe mit Anahi Walton verheiratet, hat zwei in Deutschland lebende Söhne aus erster Ehe (mit Ariane von Foelkersam), sowie eine Tochter aus zweiter Ehe (mit Seyla Benhabib), die in den USA lebt; er hat sechs Enkelkinder.

Werk/Wirken

Forschungsbeiträge von Wolf Schäfer sind sowohl in deutscher als auch englischer Sprache in vier Themenbereichen erschienen. Der erste Bereich umfasst grundlegende Beiträge zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, insbesondere zum deutschen Frühsozialismus vertreten durch Wilhelm Weitling. Der zweite Bereich versammelt konstruktive Beiträge zum Konzept der Globalgeschichte im Gegensatz zur traditionellen Weltgeschichte. Der dritte Bereich enthält historische und theoretische Beiträge zur Wissenschaftsforschung im Anschluss an Thomas S. Kuhn, insbesondere zur Finalisierungstheorie der Naturwissenschaften. Das Projekt des vierten Forschungsbereichs untersucht den moralischen Entscheidungsspielraum automatisierter Fahrzeuge.

Sozialgeschichte

Die sozialgeschichtlichen Arbeiten von Wolf Schäfer sind auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts konzentriert und haben zwei Komponenten: einerseits die Analyse frühsozialistischer Theoriebildungsprozesse und andererseits die Herausgabe einschlägiger Quellentexte. Der übergreifende Fokus dieser Arbeiten ist die Verdrängung des "ungelehrten" Denkens des Magdeburger Schneidergesellen Wilhelm Weitling (1808-71) durch das "wissenschaftliche" Denken von Karl Marx (1818-83).[1] Der Unterschied der beiden Denkweisen führte 1846 in einem Treffen Weitlings mit Marx und Engels zum Bruch zwischen Weitling und Marx.[2] Schäfer hat das ungelehrte Denken als kollektive Theoriebildung von unten beschrieben, "die sowohl interessenbezogen als auch wild und konstruktiv ist".[3] Einen Quellenbeitrag zur Weitling-Forschung liefern Schäfers Materialien zum Urwähler (Berliner Wochenschrift Weitlings), insbesondere die Reproduktion der verschollenen Nummer 5 des Urwählers vom November 1848.[4]

Globalgeschichte

Wolf Schäfer hat sich dafür eingesetzt, Globalgeschichte als die Geschichte des gegenwärtigen Zeitalters sowie eine neue Form der Historiographie zu verstehen, die von der traditionellen Weltgeschichte Abstand nimmt. Er hat die "totalisierende Form" der Weltgeschichtsschreibung kritisiert, die "die gesamte Welt, alle menschliche Vergangenheit und die ganze Menschheit" zu erfassen sucht" [5], und ist für eine Globalgeschichte eingetreten, die "einerseits 'groß' genug sein muss, um die planetaren Prozesse unserer Zeit zu erfassen, und andererseits klein genug, um den Erfordernissen der gewöhnlichen akademischen Forschung (beginnend mit Doktorarbeiten) zu genügen".[6] Das Argument, dass "die Globalisierung der Welt die Realität ist, die im 20. Jahrhundert begonnen hat, Epoche zu machen," hat er in einem Zeit Artikel vertreten.[7] Seine These – das eigentliche 20. Jahrhundert habe um 1950 begonnen – deckt sich mit der Periodisierung des Anthropozän. Schäfer hat das Projekt der neuen Epoche auf den Begriff Pangaea Two gebracht.[8] Sein Ansatz wurde in der Zeitschrift Erwägen Wissen Ethik vorgestellt[9] und von 21 Diskutanten kontrovers besprochen.[10] Schäfers Konzept der Globalgeschichte liegt quer zu den herkömmlichen Formen der Weltgeschichte, einschließlich der Big History,[11] und seine Beiträge zur aktuellen Entstehung einer "global technoscientific civilisation" im Singular sind unvereinbar mit den überkommenen Vorstellungen von Weltzivilisationen im Plural.[12][13]

Wissenschaftsforschung

Automotive Ethics

Das Team von Ingenieursstudenten und Doktoranden in Wolf Schäfers Labor erforscht den moralischen Entscheidungsspielraum der Artifiziellen Intelligenz (AI) selbstfahrender Kraftfahrzeuge. Es hat die Aufgabe, Unfälle hoch-automatisierter Fahrzeuge für ethische Grenzfälle (edge cases) zu simulieren und zwar solche, in denen ein Unfall zwar unvermeidbar ist, aber die AI zwischen alternativen Schadensereignissen wählen kann. Diese Wahl wird von der Moraltheorie bestimmt, die der AI eingegeben wird. Das Projekt geht davon aus, dass die Entwicklungsingenieure keinen Zugriff auf eine universell gültige Ethik haben, sondern sich für die Einprogrammierung von einem von (wenigstens) drei philosophischen Systemen entscheiden müssen, d.h. die utilitaristische, libertäre oder deontologische Moraltheorie. Die Simulationen im Ethik Labor zeigen, dass derart uneinheitlich programmierte Fahrzeuge in identischen Situationen zu dramatisch unterschiedlichen Unfallentscheidungen kommen können.

Werke/Schriften

  • Wolf Schäfer (Hrsg.): Wilhelm Weitling: Das Evangelium des armen Sünders [Bern 1845]. Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte [Paris 1838/39]. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1971.
  • Wolf Schäfer (Hrsg.): Ferdinand Lassalle: Arbeiterlesebuch und andere Studientexte. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1972.
  • Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Rainer Hohlfeld, Wolfgang Krohn, Wolf Schäfer, Tilman Spengler: Starnberger Studien 1: Die gesellschaftliche Orientierung des wissenschaftlichen Fortschritts. Frankfurt, Suhrkamp, 1978.
  • Wolf Schäfer (Hrsg.): Neue soziale Bewegungen. Konservativer Aufbruch im bunten Gewand? Fischer Perspektiven, Frankfurt, 1983.
  • Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele, Rainer Hohlfeld, Wolfgang Krohn, Wolf Schäfer: Finalization in Science. The Social Orientation of Scientific Progress (=Boston Studies in the Philosophy of Science. Bd. 77). Hrsg.: Wolf Schäfer. Springer Dordrecht, 1983, ISBN 978-90-277-1549-4.
  • Wolf Schäfer: Die unvertraute Moderne. Historische Umrisse einer anderen Natur- und Sozialgeschichte. Fischer Wissenschaft, Frankfurt, 1985.
  • Wolf Schäfer: Ungleichzeitigkeit als Ideologie. Beiträge zur historischen Aufklärung. Fischer Sozialwissenschaft, Frankfurt, 1994.
  • Roland Robertson, Jan Aart Scholte, et al. (Hrsg.): Encyclopedia of Globalization. (4 Bände). Routledge, New York/London, 2007 (Wolf Schäfer war ein Associate Editor. Er ist außerdem der Verfasser der Einträge "Global History" und "Maps" in Bd. 2, S. 516-21 und 750-54).
  • Hyun-Chin Lim, Wolf Schäfer, Suk-Man Hwang (Hrsg.): New Asias. Global Futures of World Regions (=SNU Series in Asian Studies. Bd. 1). Seoul National University Press, Seoul, 2010 (Wolf Schäfer hat in dem Band u.a. das Kapitel "Concepts of Globalization, Globalism and Globality and the Method of Lean Globality Studies: A Critical Adjustment" verfasst, S. 23-48).
  • Hyun-Chin Lim, Wolf Schäfer, Suk-Man Hwang (Hrsg.): Global Challenges in Asia: New Development Models and Regional Community Building (=SNUAC Series in Asian Studies. Bd. 3). Seoul National University Press, Seoul, 2014 (Wolf Schäfer hat in dem Band das Kapitel "Pangaea II: The Project of the Global Age" sowie das Postscript "Observing Asia’s Miracles" verfasst, S. 97-122 und 369-375).

Auszeichnungen

2020 Dean's Award

Einzelnachweise

  1. Wolf Schäfer, "Diskurs und Zensur: Über die Verdrängung eines ungelehrten Denkers." In: Wolf Schäfer, Die Unvertraute Moderne (1985), S. 42-67.
  2. Schäfer, Die Unvertraute Moderne (1985), S. 46.
  3. Ebd., S. 102. Siehe auch: Wolf Schäfer, "Collective Thinking From Below: Early Working-Class Thought Reconsidered." In: Dialectical Anthropology, Bd. 6, S. 193-214.
  4. Wolf Schäfer, "Die Verdrängung des Anderen: Wie sie uns im Diskurs der Weitling-Forschung begegnet und was sie im Fall der Urwähler-Edition von Ernst Theodor Mohl bewirkt. Mit einem Anhang: Neue Materialien zum Urwähler." In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 17. Jahrgang, Heft 3, S. 313-60.
  5. Wolf Schäfer, "Globalgeschichte: Historiographische Möglichkeit und umweltgeschichtliche Wirklichkeit." In: Wolf Schäfer, Ungleichzeitigkeit als Ideologie (1994), S. 157.
  6. Ebd., S. 179.
  7. Wolf Schäfer, "Das 20. Jahrhundert hat gerade erst begonnen. Nach welchen Kriterien kann die Gegenwartsgeschichte periodisiert, kann eine Epoche konstruiert werden?" In: Die Zeit, 25. Oktober 1996, https://www.zeit.de/1996/44/Das_20_Jahrhundert_hat_gerade_erst_begonnen/komplettansicht.
  8. Wolf Schäfer, "Pangaea II: The Project of the Global Age." In: Lim, Schäfer, Hwang (Hrsg.), Global Challenges in Asia (2014), S. 97-122.
  9. Siehe Hauptartikel.
  10. Wolf Schäfer, "The New Global History: Toward a Narrative for Pangaea Two." In: Erwägen Wissen Ethik (EWE), Jahrgang 14, Heft 1, S. 75-88. Ebd., Wolf Schäfer, "Replik: Making Progress with Global History," S. 128-35. Ein Inhaltsverzeichnis der Kritik findet sich hier.
  11. Siehe Wolf Schäfer, "Big History, the Whole Story, and Nothing Less? Review article of David Christian, Maps of Time (2004), and Steven Mithen, After the Ice (2004)." In: Canadian Journal of History / Annales Canadienne d’Histoire, Band 41, Nr. 2, Herbst 2006, S. 317-28.
  12. Siehe Wolf Schäfer, "Global Civilization and Local Cultures: A Crude Look at the Whole." In: Rethinking Civilizational Analysis, hrsg. von Said Arjomand und Edward Tiryakian. London: SAGE, 2004, S. 71-86.
  13. Siehe Wolf Schäfer, "How To Approach Global Present, Local Pasts, and Canon of the Globe." In Globalization, Philanthropy, and Civil Society: Toward a New Political Culture in the Twenty-First Century, hrsg. von Soma Hewa und Darwin Stapleton. New York, Boston, Dordrecht, London, and Moskau: Springer, 2005, S. 33-48.
  14. THD-intern. Abgerufen am 1. August 2024.
  15. American Academy in Berlin: Anna-Maria Kellen Fellow - Class of Fall 2013. Abgerufen am 15. März 2024 (englisch).