Sigmund Rascher
Der NS-Mediziner Dr. med. Sigmund Rascher (*12. Februar 1909 † 26. April 1945 KZ Dachau, Genickschuss) stellte für die Öffentlichkeit der Nachkriegszeit besonders in amerikanischen Medien den Prototyp des NS-Medizinverbrechers dar. Die von ihm im Konzentrationslager Dachau durchgeführten und geplant tödlichen Menschenversuche wurden vom Gericht des Nürnberger Ärzteprozesses als unmenschlich und verbrecherisch klassifiziert.
Biographie
Sigmund Rascher wurde am 12. Februar 1909 als drittes Kind des Arztes Hanns-August Rascher in München geboren. Rascher hat 1930 oder 1931 (die Angaben unterscheiden sich in zwei handschriftlichen Lebensläufen) in Konstanz sein Abitur gemacht. Er begann 1933 in Freiburg Medizin zu studieren, wo er auch der NSDAP eintrat. Auch über den Zeitpunkt des Eintrittes gibt es zwei Versionen, Rascher bestand auf dem 1. März, während in den Akten der 1. Mai zu finden ist. Nach dem Physikum arbeite er bei seinem nunmehr geschiedenen Vater in Basel und studierte in der Schweiz. 1934 leiste drei Monate freiwilligen Arbeitsdienst in de3r Schweiz, im Oktober 1934 kehrte er zum Studium nach München zurück. 1936 legte er dort das medizinische Staatsexamen ab und promovierte. Im Mai 1936 trat er der SA bei, bei seinem Wechsel zur SS im Jahr 1939 hatte er es bis zum Rottenführer (=Gefreiten) gebracht. In München arbeitete er von 1936-1938 unterstützt durch ein Stipendium der "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" (der Vorgängerorganisation der DFG) bei Prof. Trumpp über Krebsdiagnostik. 1936-1939 war er unbezahlter Assistent am Chirurgischen Universitätskrankenhaus in München.
NS-Verbindungen seiner Frau
Seine spätere Frau, die ehemalige Schlagersängerin Karoline Diehl, verwitwete Wiedemann bot Rascher aufgrund ihrer guten Kontakte zu Heinrich Himmler Aufstiegsmöglichkeiten im NS-Staat. Karoline Rascher soll Himmler in der Frühphase der NSDAP Unterschlupf gewährt haben, der persönliche Kontakt blieb erhalten. Himmler überwies z.B. nach dem zweiten nichteheliche Kind des Paares monatlich 165 RM, er schickte auch Pakete mit Obst, Schokolade und anderen Raritäten an die wachsende Familie. Sie schickte dafür Familienfotos und Bitten um eine Besserstellung Raschers. Eines dieser Familienfotos gefiel Himmler so gut, dass es als Titelblatt für NS-Schulungsmaterial verwendet wurde. Dass Frau Rascher ihre NS-Beziehungen nicht nur spielen ließ, um Familie und Mann zu versorgen, zeigt, dass sie selbst als Spitzel arbeitete.
Der Weg zum SS-Wissenschaftler
Am 24. April 1939 begegnete Rascher zum ersten mal persönlich Himmler. Am 1. Mai legt er ihm eine Denkschrift vor, in der er vorschlägt, fünf Fragestellungen aus dem Gebiet der Krebsforschung nachzugehen. Neben an seinen Münchner Arbeiten anknüpfenden Fragen sollten der Zusammenhang zwischen Kunstdüngereinsatz (Himmler, der ein landwirtschaftliches Diplom besaß, war einmal Vertreter für Kunstdünger gewesen) und Krebs bei Kühen, die Suche nach einem ansteckendem Krebs zur Rattenbekämpfung und eine Art Krebsregister, in das auch Ahnenforschung und regionale Untersuchungen einfließen sollten, bearbeitet werden.
Schon in diese Krebsforschungen sollen auf Wunsch Himmlers (Blut-)Untersuchungen an KZ-Häftlingen integriert werden. Rascher wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1939 in die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. aufgenommen. Obwohl Himmler die Finanzierung der Projekte über das Ahnenerbe zusagte, fanden sich zunächst keine Laborräume, so dass Rascher seine Privatwohnung nutzte. Hier wurde auch das Blut von Häftlingen des KZs Dachau untersucht. Seine Assistentin Julie ("Lulu") Muschler wohnte ebenfalls in der Wohnung. Muschler verschwand 1943 bei einem gemeinsamen Bergausflug mit dem Ehepaar Rascher. Als ihre Leiche 1944 auftauchte, gerieten die Raschers unter Mordverdacht.
Trotz seiner SS-Zugehörigkeit war Rascher im Mai 1939 zur Luftwaffe, stationiert in XY, einberufen worden, was seine Forschungsambitionen behinderte. Raschers spätere Frau und seine Assistentin sorgten für den Fortgang der Forschungen. Die Luftwaffe gab ihn erst im August 1943 frei, er führte nun den Rang eines SS-Hauptsturmführers.
1941 stimmte Himmler auf Raschers Vorschlag Experimenten mit KZ-Häftlingen zu.
Medizinverbrechen
Vorgeblich geht es bei diesen Versuchen um eine luftfahrtmedizinische Fragestellungen, d.h. die Rettung von Militärpiloten aus großer Höhe bzw. kaltem Wasser nach Notlandungen. Die Versuche wurden im KZ Dachau an KZ Häftlingen durchgeführt. Von 150-200 Häftlingen durchgeführt, von denen 70-80 getötet wurden. Der Tod der Versuchspersonen war ein geplanter Teil der Experimente. Eine Beschreibung der Versuche findet sich hier.
Wissenschaftlich waren (und sind) die Versuche allein schon deshalb sinnlos, weil die zur Beteiligung gezwungenen Häftlingsärzte nach ihren Möglichkeiten die Qualen der Opfer minderten und z.B. Temperaturangaben systematisch fälschten.
Nach den im Nürnberger Ärzteprozess behandelten Experimenten führte Rascher mit Häftlingen Versuche mit Unterkühlung durch Luft durch. Dazu ließ er die Versuchspersonen nackt 9-14 Stunden bei Eiseskälte im Freien stehen, die Körpertemperatur erreichte dabei 27°C. Da in Dachau Typhus ausbrach und wärmeres Wetter zu erwarten war, konnten die Experimente in Dachau nicht zu Ende gebracht werden. Rascher regte an, die Versuche gemeinsam mit Neff von der Waffen-SS in Auschwitz weiter zu führen, da es dort kälter sei. Auch sei das Gelände dort weitläufiger, so dass das stundenlange Geschrei der Versuchpersonen besser zu verstecken sei.
Dazu sollte es dann nicht mehr kommen.
Kindesentzug, KZ-Haft und Hinrichtung
Rascher und seine Frau wurden verhaftet. Frau Rascher hatte eine Schwangerschaft vorgetäuscht und in München ein Kind gestohlen, auch bei den anderen Kindern bestand nun der Verdacht, dass sie nicht von Schwangerschaften von Frau Rascher herrührten. Sigmund Rascher wurde als Arzt nicht geglaubt, dass er die Vortäuschung nicht bemerkt habe. Sie wurde ins KZ Ravensbrück eingeliefert und später gehängt, er kam zunächst ins KZ Buchenwald. Nach einer Verlegung ins KZ Dachau wurde er dort kurz vor der Befreiung durch Genickschuss hingerichtet. Die Kinder wurden in einem Lebensborn Heim untergebracht.
Literatur über ihn
Rascher taucht in vielen Werken zu Medizinverbrechen des Dritten Reiches auf, da die von im durchgeführten Experimente Teil des Nürnberger Ärzteprozesses (Literatur und Quellen siehe dort) waren. Eine Biographie liefert Wolfgang Benz: Dr. med Sigmund Rascher - eine Karriere, in: Dachauer Hefte (Heft 4 Medizin im NS-Staat; Täter, Opfer, Handlanger). S. 190-214 (Erstauflage 1988, 1993 bei dtv erneut erschienen)