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Heynau-Prozess

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Der Heynau-Prozess war ein vielbeachteter Prozess in der Spätphase der Weimarer Republik, der vom Juni bis August vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verhandelt wurde. Gegenstand des Prozesses war eine Serie Betrügereien, die sich durch die Jahre 1926 bis 1931 zog.

Die Angeklagten

Im Heynau-Prozess standen sechs Männer vor Gericht:

  • Ernst Döffinger (* 1900 in Karlsruhe), Kaufmann
  • Erich Heynau (* 1888), Rechtsanwalt
  • Gottlieb "Ary" Marr ( 1898 in Rohrbonn, Kreis Erfurt), Musiker
  • Heinrich Pfeifer, Schriftsteller
  • Gerhard Rabe (* 1890 in Cottbus), Kaufmann
  • Eugen Weigold (* 1892), Kaufmann

Verfahrensgegenstand

Gegenstand des Heynau-Prozesses war eine Vielzahl von Betrügereien und verwandte Delikte (Untreue etc.), die die sechs Angeklagten zwischen 1926 und 1931 in Stuttgart und Berlin begangen hatten. Größtenteils handelte es sich um Wechselbetrügereien und Stoßgeschäfte.

Die Staatsanwaltschaft trug die gewaltige Masse der Verfehlungen, die sie den Angeklagten vorwarf, in einer 300seiten langen Anklageschrift zusammen, die den Ausgangspunkt des Prozesses bildete

Aufgrund der gewaltige Zahl von Tatbeständen, die die Anklage zusammengetragen hatte, gliederte das Gericht den Prozessstoff in drei Gruppen: 1.) Weiter zurückliegende Fälle; 2. den sogenannten "Du-Vinage-Komplex"; 3. den sogenannten "Komplex Wedel-Parlow und Richter".

Die Serie der Taten der Angeklagten begann im Oktober 1926:

Der erste Betrug, den drei von ihnen inszenierten, war in seinem Ablauf als exemplarisch für zahlreiche der folgenden Betrugshandlungen: Ein Stuttgarter Caféhausbesitzer besaß ein Reklamabreissfahrplan, den er für 7.000 RM erworben hatte. Marr wurde dem Mann dann durch Heynau und Weigold als vermögender Geschäftsmann geschildert und gab vor den Abreissfahrplan für 18.000 RM kaufen zu wollen (also zu einem Gewinn von 11.000 RM). Der Cafehausbesitzer zahlte Heynau als Honorar für die Anfertigung eines Kaufvertrags 75 RM und Weigold 1700 RM als Vermittlerprovision, erhielt dann aber von Marr niemals die vereinbarten 18.000 RM gezahlt. Stattdessen teilten Marr, Heynau und Weigold die Provision in gleichen Teilen untereinander auf. Marr gab an, dass die Sache von vornherein ein Betrugstheater gewesen sei, während Heynau angab sie für ein ernstes Geschäft gehalten zu haben.

Die Mehrzahl der beanstandeten Taten fiel indessen in die Jahre 1930 bis 1931: Der Anklage zufolge waren Döffinger, Pfeifer und Rabe die Hauptakteure und treibenden Kräfte der meisten kritischen Geschäfte, die die Gruppe während dieser Jahre einfädelte, während die Rolle von Heynaus sich darauf beschränkte, dass er das Gelingen der Straftaten mit dem Ansehen seines Standes als Rechtsanwalt unterstützte. Heynau, ursprünglich ein erfolgreicher und wohlhabender Rechtsanwalt, war durch Spekulationssucht aus finanziell glänzendsten Verhältnissen in eine finanziell schwierige Situation geraten.


Die am schwersten geschädigte Partei der Betrugsserie war die Konsulswitwe Amelie Du Vinage, die als eine der ersten Ärztinnen Deutschlands bekannt geworden ist: Pfeifer hatte die Witwe im November 1930 in Berlin kennen gelernt und - trotz eines fast dreißigjährigen Altersunterschieds - eine romantische Liaison mit ihr begonnen. Er war von der Frau dann zum Generalbevollmächtigten als Verwaltung des beträchtlichen Vermögens, das sie von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte, eingesetzt worden speziell damit beauftragt worden, die unübersichtlichen Verhältnisse des ererbten vermögens zu ordnen. Im März 1931 erteilte sie ihm eine notarielle generalvollamcht mit der Befugnis, Unterbevollmächtigte aufzustellen. Als solche stellte Pfeier Heynau, Döffinger und den Fotografen Arthur Lichte auf. Anstatt ihr die bestehenden Belastungen ihres Vermögens klar zu machen, verleitete Pfeifer Du Vinage, die an einen gehobenen Lebensstil gewohnt war, dazu, weitere erhebliche Ausgaben zu tätigen: In ihrem Namen stellte Pfeifer Wechsel aus, wodurch er sich und seinen Unterverrtetern Gekd beschaffte. Das Ergebnis war, dass die Witwe in kurzer Zeit finanziell völlig ruiniert wurde und dass auch eine Reihe weiterer Personen, die von ihm ausgestellte Wechsel diskontiert hatten, betrogen und geschädigt wurden


Die Vorwürfe gegen die Angeklagten

Den sechs Angeklagten wurden durch die Staatsanwaltschaft die folgenden Vorwürfe zur Last gelegt:

  • Erich Heynau wurden insgesamt zehn strafbare Handlungen vorgeworfen: Nämlich fünf Fälle des Betrugs (teils einfachen, teils fortgesetzten Betrugs), drei Fälle der erschwerten Untreue und zwei Fälle der Unterschlagung.
  • Gottlieb Marr wurde angeklagt einfachen Betrug und fortgesetzten Betrug im Rückfall, erschwerter Untreue (in Tateinheit mit Unterschlagung) und Hehlerei begangen zu haben.
  • Rabe wurde angeklagt, zwei fortgesetzte Verbrechen des Betrugs im Rückfall begangen zu haben.
  • Pfeifer wurde angeklagt, erschwerte Untreue und Betrug begangen zu haben.
  • Döffinger wurde angeklagt, mehrfachen Betrug und Hehlerei begangen zu haben.
  • Weigold wurde wegen Betrugs angeklagt.

Während die übrigen vier Angeklagten nicht oder unwesentlich vorbestraft waren, hatten Marr und Rabe erhebliche Vorstrafen wegen Betrügerei vorzuweisen.

Namensproblematik

Die Bezeichnung des Prozesses als "Heynau-Prozess" geht auf die bei Strafverfahren, die sich gegen mehrere Personen richten, übliche Praxis zurück, das jeweilige Verfahren im amtlichen Schriftgut als "Verfahren gegen XY und Genossen" zu bezeichnen und dabei den Namen des wichtigsten Angeklagten oder zumindest den Namen desjenigen Angeklagten, dessen Verfolgung den Ausgangspunkt der später auf die weiteren Angeklagten ausgreifenden Verfolgung gebildet hat, für XY einzusetzen. Im Falle des Heynau-Prozess wurde das Verfahren im Verkehr der Justizstellen als "Verfahren gegen Heynau und Genossen" bezeichnet, da der Rechtsanwalt Erich Heynau derjenige Angeklagte war, der als erstes in den Fokus der Behörden geriet. In Anlehnung hieran wurde der Prozess in der gesamten Tagespresse routinemäßig als "Heynau-Prozess" bezeichnet.

Die Anwendung dieser Praxis im Falle des Verfahrens gegen Heynau und die anderen Angeklagten wurde bereits zeitgenössisch wiederholt aus sachlichen Erwägungen kritisiert. So schrieb das Stuttgarter Neue Tagblatt

[Es] darf bei Beginn der Hauptverhandlung der Eindruck wohl vorweg genommen werden, dass der Angeklagte Heynau zu Unrecht zu dem zweifelhafen Vorzug gekommmen ist, für den ausgedehnten Straftatenkomplex dieses Prozesses mit seinem Namen herhalten zu müssen. Ohne das Maß seiner Verfehlungen verkleinern oder dem Gang der Verhandlung vorgreifen zu wollen, darf doch wohl gesagt werden, dass Heynau meist nicht die treibende Kraft, sondern der Geschobene und Vorgeschobene gewesen ist, und dass seine Willensschwäche, zum Teil vielleicht auch seine Gutgläubigkeit, von seinen Mitangeklagten missbraucht wurden.[1]


Der Prozess

Dem Heynau-Prozess ging eine eingehende Voruntersuchung voraus, während der die Staatsanwaltschaft sich einen Überblick über die Gesamtheit der undurchsichtigen Geschäfte der angeklagten Männer zu verschaffen versuchte. Diese zog sich über eine Zeitspanne von fünfzehn Monaten von Mräz 1931 bis Juni 1932.

Während der Voruntersuchung wurden die in die Angehörigen der Geschäftemachergruppe nach und nach in Untersuchungshaft genommen: Heynau am 23. Juli 1931.

Die Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart begann schließlich am 27. Juni 1932. Das Verfahren zog sich über sechs Wochen bis zur Urteilsverkündung am 6. August 1932. Die Verhandlungen fanden im Schwurgerichtssaal des Stuttgarter Landgerichts statt.

Sonstige Prozessbeteiligte

Den Vorsitz in dem Verfahren führte der Landgerichtsdirektor Hahn. Die Anklage wurde von dem Staatsanwalt Fuchs vertreten. Hinzu kam eine beträchtliche Zahl von Zeugen, die zu dem Verfahren hinzugezogen wurden. Presseberichten zufolge wurden 79 Personen als Zeugen geladen.[2]

Strafanträge

Die Anklage beantragte im Schlussplädoyer folgende Strafen:

  • Für Heynau: Ein Jahr und vier Monate Gefängnis wegen einfachen und fortgesetzten Betrugs, Untreue und Unterschlagung unter Freisprechung in drei besonderen und verschiedenen weiteren Einzelfällen
  • Für Marr: Ein Jahr Gefängnis wegen fortgesetzten Betrugs und Hehlerei.
  • Für Rabe: Ein Jahr und sechs Monate Gefängnis wegen fortgesetzten Betrugs
  • Für Döffinger: Ein Jahr Gefängnis wegen fortgesetzten Betrugs und Hehlerei

Urteile und Urteilsbegründung

Am Ende des Prozesses fällte das Gericht am 6. August 1932 die folgenden Urteile:

  • Heynau wurde schuldig befunden zwei fortgesetzte Vergehen des Betrugs, ein Vergehen der Beihilfe zum Betrug, ein Vergehen des erschwerten Untreue und ein Vergehen der Unterschlagung begangen zu haben. Er erhielt hierfür eine Strafe von 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis auferlegt (von dieser Strafe wurde ein Jahr erlittene Untersuchungshaft abgezogen).
  • Rabe wurde schuldig befunden, ein fortgesetztes Verbrechen des Betrugs und ein Vergehen der Unterschlagung begangen zu haben. Er erhielt eine Strafe von 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis auferlegt (hiervon wurden 8 Monate Untersuchungshaft abgezogen)
  • Pfeifer wurde schuldig befunden, ein fortgesetztes Vergehen des Betrugs begangen zu haben. Er erhielt hierfür eine Strafe von 8 Monaten gefängnis auferlegt (diese galten durch die Untersuchungshaft als verbüßt).
  • Döffinger wurde für schuldig befunden, ein fortgesetztes Vergehen des Betrugs und zwei Vergehen der Hehlerei begangen zu haben. Er erhielt hierfür eine Strafe von zehn Monaten Gefängnis auferlegt (diese galten durch die Untersuchungshaft als vrbüßt).

Sämtliche Angeklagten, bis auf Rabe, wurden am Ende des Prozesses aus der Haft entlassen.

In der Urteilsbegründung charakterisierte der Gerichtsvorsitzende die Angeklagten wie folgt:

Marr identifizierte er als einen "gottbegnadeten Künslter" und "hochintelligenten Menschen", aber moralisch eine "minderwertige Persönlichkeit ohne Hemmungen in Hass und Liebe". Rabe bezeichnete er als einen "minderwertigen Psychopathen" und als "nicht ungefährlichen Rückfallbetrüger", er sei ein Mann, der lieber auf fremde Kosten gut leben würde, als selbst zu arbeiten. Pfeifer nannte er recht wohlwollend einen "Optimisten" und "hilfsbereiten Mann", tadelte er ihn aber auch als "eigensinnig und großspurig" sowie als "nicht vollwahrheitsliebend". In Döffinger erblickte er einen "raffinierten" und "darum nicht ungefährlichen Menschen", der nicht in Notlage gehandelt habe, sondern in dem Drang, zu Geld zu kommen. Heynau anerkannte er als einen "glänzend qualifizierten" Beamten und Offizier, der sich vom "Drang nach Gelderwerb" verleiten habe lassen und es nicht verstanden habe "Distanz von seinen Mandanten zu halten", weswegen er schließlich keinen ANstoss mehr an der Art ihrer Geschäfte genommen habe und zum Gehilfen und Mittäter geworden sei.

Literatur

  • Heinrich Orb: Nationalsozialismus. 13 Jahre Machtrausch, 1945.


Einzelnachweise

  1. "Prozessbeginn Heynau und Genossen vor der Großen Strafkammer: in Stuttgarter Neues Tagblatt vom 27. Juni 1932.
  2. "Vor den Gerichten", in: Schwäbischer Merkur vom 28. Juni 1932.