Amyotrophe Lateralsklerose
Die Amyotrophe Lateralsklerose (oder Amyotrophische Lateralsklerose, Myatrophe Lateralsklerose, englisch auch Motor Neuron Disease; Lou-Gehrig-Syndrom, früher auch Charcot-Krankheit), kurz ALS, ist eine degenerative Krankheit des motorischen Nervensystems. Es handelt sich um eine zunehmende Degeneration vor allem des oberen (ersten) aber auch des unteren (zweiten) Motoneurons im Gehirn und im Rückenmark bzw. in peripheren Nerven. Infolgedessen kommt es zu einer nicht aufzuhaltenden Muskellähmung am ganzen Körper einschließlich der Atemmuskulatur. Außerdem sind Lungenentzündungen häufig, da die Erkrankten nicht mehr richtig schlucken können und so Speisen in die Atemwege kommen. Die Überlebenszeiten sind je nach Unterform verschieden, meist versterben die Patienten jedoch innerhalb weniger Monate bis Jahre.
Diagnose
Grundsätzlich gestaltet sich die Diagnosestellung als schwierig, da u. a. kein spezifisches Kardinalsymptom die ALS beweist. Es ist die Konstellation der Symptome (das Syndrom), die einerseits den Verdacht auf ALS aufkommen lässt, andererseits aber – insbesondere durch die z. T. stark voneinander abweichenden Verlaufsformen – auch sehr unterschiedlichen neurologischen Störungen zugeordnet werden kann (z. B. der Multiplen Sklerose, viralen Erkrankungen oder auch mechanischen Beeinträchtigungen des Rückenmarks).
Die Patienten führt meist eine zunehmende Muskelschwäche, ein Muskelschwund (Muskelatrophie) oder nicht bewegungswirksame Muskelzuckungen (Faszikulationen) zum Arzt. Ausgenommen von dem Ausfall sind die Augenmuskeln, sonst kann sie sich überall am Körper zuerst zeigen. Bei der Untersuchung verstärkt das gleichzeitige Auftreten von Zeichen einer schlaffen und spastischen Lähmung den Verdacht auf die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose. Es ist nach einem Muskelschwund, besonders an den Handmuskeln, zu fahnden. Typisch sind auch Muskelzuckungen (Faszikulationen, z. B. beim Herausstrecken an der Zunge, in späteren Stadien am ganzen Körper. Am entkleideten Patienten muss für die Diagnose ausgiebig danach gesucht werden. Die Reflexe bleiben auch an gelähmten Körperteilen noch lange Zeit auslösbar, sie sind sogar vor allem am Anfang als Zeichen einer Läsion des ersten Motoneurons deutlich gesteigert, was auch, z. B. in Form eines gesteigerten Masseterreflexes, der Diagnosefindung dient. Die Kranken zeigen oft auch einen Kontrollverlust beim Lachen, Weinen oder Gähnen (Affektlabilität). Psychische Veränderungen treten sonst aber nicht ein, abgesehen von den verständlichen Reaktionen auf die Nachricht, an einer unheilbaren, häufig in kurzer Zeit zum Tode führenden Krankheit zu leiden (siehe Coping).
Durch eine Muskel- oder Nervenbiopsie oder eine Elektromyographie kann die Diagnose erhärtet werden.
Der Substanzverlust ist bei der Autopsie sichtbar, sie betrifft sowohl den praecentralen Cortex im Großhirn und die Vorderhörner des Rückenmarks, wo die Zellkörper des ersten bzw. zweiten motorischen Neurons liegen, als auch die Nervenbahnen dazwischen (sog. Pyramidenbahn vom Gyrus praecentralis zum Rückenmark).
Epidemiologie
Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, die meisten Patienten sind jedoch älter als 50 Jahre. Von 100.000 Menschen erkranken etwa ein bis zwei pro Jahr an ALS, Männer etwas häufiger als Frauen. Die Prognose ist schlecht. Die Angaben in der Literatur zu Überlebenszeiten schwanken, da im Angloamerikanischen die motor neuron disease etwas weiter gefasst wird und dadurch günstigere Verläufe enthält. Nach fünf Jahren lebt jedoch bestenfalls noch die Hälfte der Patienten. Patienten mit Schluck- und Sprachproblemen (bulbäre Zeichen) sterben schneller. Es gibt gewisse regionale Schwankungen bezüglich der Häufigkeit.
Ätiologie
Die Ursache ist unbekannt. Die meisten Fälle treten sporadisch auf, eine Minderheit (bis 10 %) hat jedoch einen genetischen Hintergrund. Dabei sind verschiedene Mutationen im Gen der Superoxiddismutase (SOD-1) gefunden worden. Es wird daher teilweise vermutet, dass oxidativer Stress eine Rolle bei der Pathogenese spielt.
Forschung
- Nach neuen Forschungsergebnissen aus Utrecht (Niederlande) kann eine Ernährung, die reich an Vitamin E und ungesättigten Fettsäuren ist, das Erkrankungsrisiko senken (Wikinews 5. Mai 2006).
- Laut einem Bericht der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität im US-Fachjournal Science (Bd. 314, S. 130) hat ein deutsch-amerikanisches Forscherteam ein Protein gefunden, das für die Erkrankung an ALS eine Rolle spielen soll: das Eiweißmolekül TDP-43. Dieses ist auch an bestimmten anderen, so genannten Demenzerkrankungen, beteiligt. Die Entdeckung ermöglicht eventuell gezieltere Forschungen, so wurden beispielsweise Mäusen TDP-43 injeziert, um festzustellen ob diese Antikörper bilden.
Bei Sportlern häufig
Der Begriff Lou-Gehrig-Syndrom wird verwendet, wenn junge Sportler von dieser meist tödlich verlaufenden Erkrankung betroffen sind. Es ist benannt nach dem deutschstämmigen US-Baseballstar Heinrich Ludwig "Lou" Gehrig, der 1941 mit 37 Jahren starb.
In den letzten Jahren erkrankten zahlreiche Sportler, zumeist Fußballer. In Italien starben bereits 30 Fußballer (Stand 17. Februar 2004), vier weitere sind erkrankt.
In Deutschland starb der ehemalige Wolfsburger Bundesliga-Profi Krzysztof Nowak am 25. Mai 2005 im Alter von 29 Jahren an dieser Krankheit.
Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt, aber ein Zusammenhang mit Doping scheint möglich. Dafür spricht die Häufung von erkrankten Sportlern in derselben Sportart. Fünf Opfer der Erkrankung spielten im selben Verein Sampdoria Genua. Eine andere Theorie ist, dass die Erkrankung dadurch ausgelöst wird, dass Leistungsportler bei Erkrankungen häufig zu Medikamenten greifen und sich nicht schonen. Es wäre aber auch denkbar, dass Menschen, die für ALS anfällig sind, aufgrund ihrer neuromuskulären Ausstattung besonders gute Sportler sind.
Prominente ALS-Kranke
Weltweit prominentestes Opfer der ALS ist der Physiker Stephen Hawking. Seine lange Überlebenszeit mit der Krankheit – mehr als 40 Jahre – dürfte eine extreme Ausnahme sein. Der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig starb mit nur 42 Jahren an ALS. Der chinesische Diktator Mao Zedong soll auch daran erkrankt gewesen sein. Der amerikanische Sänger Leadbelly, der ebenso aus Amerika stammende Kontrabassist Charles Mingus, der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar und der durch seine Forschungen an Ötzi bekannte Archäologe Konrad Spindler starben daran. Die Schauspieler David Niven und Lane Smith litten an dieser Krankheit, ebenso der italienische Politiker Luca Coscioni. Der Ausnahmegitarrist Jason Becker leidet seit 1989 an ALS. Der Sänger der ostdeutschen Rockgruppe Stern Meißen, Reinhard Fissler, leidet seit 2002 an ALS. Viele Ostrock-Prominente beteiligten sich an Benefizkonzerten zu seinen Gunsten. Am 13. März 2006 verstarb Celtic-Legende Jimmy Johnstone an ALS.
In Deutschland gibt es etwa 6000 Erkrankte. Ein bekannter Fall betrifft den Maler Jörg Immendorff. Er hat eine Stiftung mit einem „Stipendium zur Erforschung von Ursache und Therapie der ALS“ an der Berliner Charité gegründet. Der ehemalige Wolfsburger Fußballspieler Krzysztof Nowak, der am 25. Mai 2005 an der Krankheit starb, gründete zur Erforschung dieser Krankheit die Krzysztof-Nowak-Stiftung. Am 10. März 2004 starb der ehemalige Ski-Rennläufer Hansjörg Schlager nach nur zwei Jahren an ALS. Ebenso erkrankte der Sänger Werner Hollweg an ALS. Der britische Schauspieler Neil McCarthy verstarb 1985 an dieser Krankheit.
Therapieversuche
Mit dem Medikament Rilutek®, das den Wirkstoff Riluzol, einen Glutamat-Antagonisten, enthält, kann die Überlebenszeit mancher Patienten möglicherweise etwas verlängert werden (nach Studien des Herstellers etwa um 3 Monate). Symptomatisch kann man versuchen, die Spastik medikamentös zu lösen. Daneben hilft man sich mit Krankengymnastik.
Literatur
- Mitch Albom: Dienstags bei Morrie, Goldmann-Verlag 1998, ISBN 3-442-30820-8
- Jonathan Weiner: Seines Bruders Hüter, Siedler-Verlag 2005, ISBN 3-88680-749-5
- Edith-Maria Soremba: Geschenkte Lebensjahre, Geest-Verlag 2005, ISBN 3-937844-49-X
- Sonja Balmer: Atemlos, Limmat Verlag 2006, ISBN 3-8579-1502-1
- Ulla-Carin Lindquist: Rudern ohne Ruder, Goldmann Verlag 2005, ISBN 3-442-33731-3
Weblinks
- Artikel von GesundheitPro.de über die Entdeckung eines Proteins, dass eine Schlüsselrolle bei der Erkrankung spielen könnte
- "Gehäuft ALS bei Fußballprofis" - Ärzte Zeitung, 25. Februar 2005
- stopALS - Gemeinnützige Organisation zur Förderung und Unterstützung der ALS-Forschung
- ALS auf der Seite eines Facharztes
- Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnostik und Behandlung der ALS
- Vitamin-E-Therapie
- Homepage der ALS-Ambulanz an der Uni Ulm mit Patienteninformationen
- Homepage der ALS-Ambulanz an der Charité Berlin
- ALS-Project - Kostenlose Software für ALS-Patienten
- leben-erleben.de - ALS-Netzwerk mit Forum
- http://www.lateralsklerose.info
- Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke
- So much so fast Trailer einer Dokumentation über eine Familie, in der ein ALS-Fall aufgetreten ist (englisch)