Matrilinearität
Matrilinearität (adj.: matrilinear, seltener: matrilineal), oder uterine Deszendenz, Mutterfolge, bezeichnet in der Ethnologie, Anthropologie und Biologie ein System, das die verwandschaftliche Verhältnisse (Abstammung) und vor allem die Rechtsverhältnisse (Erbrecht) von der Mutter her organisiert. (Gegensatz: Patrilinearität). Statt einer vom Vater ausgehend gezeichneten Linie, die die Abstammung verdeutlicht, wird diese von der Mutter ausgehend betrachtet.
In matrilinearen Verwandtschaftssystemen sind die Kinder in jedem Fall mit ihrer Mutter verwandt, jedoch nicht zwangsläufig mit ihrem biologischen Vater. Die soziale Vaterrolle wird in den meisten Fällen vom Onkel mütterlicherseits ("Mutterbruder") ausgeübt, der Ehemann und/oder der biologische Vater spielt bei der Erziehung und Entwicklung der Kinder keine oder nur eine untergeordnete Rolle und hat keine Autorität über die Kinder. Rein matrilineale Verwandtschaftssysteme kommen heute nur noch selten vor und beschränken sich auf Ackerbaukulturen. Die bevölkerungsreichsten, heute noch bekannten matrilinealen Kulturen sind die Hopi-Indianer sowie die Irokesenvölker.
Es existieren Kulturen, die nur einen bestimmten Aspekt über die Mutterlinie vererben, andere Aspekte jedoch über die Vaterlinie. So beispielsweise die jüdische Kultur, wo die Religionszugehörigkeit über die Mutter vererbt wird, die ansonsten jedoch streng patriarchal organisiert ist. Diese matrilineare Vererbung der jüdischen Religionszugehörigkeit ist neueren Ursprungs und geht auf die Zeit der Besetzung Israel/Palästinas durch die Griechen zurück. Um ihre Kultur trotz Vermischung (durch Vergewaltigung aber ebenfalls durch freiwilligen Ehebruch der Männer) mit den Besatzern zu beschützen, waren die Juden - Zwecks Eindeutigkeit der Herkunftsbestimmung - zur Einführung dieses Systems gezwungen. Das reformierte und progressive Judentum baut diese einseitige Regelung heute wieder ab, während die orthodoxen Juden daran festhalten.
Matrilineare Kulturen in der Geschichte
Von der Entstehung der Menschheit und erster sozialer Strukturen bis zur Entstehung patrilinearer Verwandtschaftssysteme, wurde die Erbregelung und Verwandtschaftlichkeit matrilinear gehandhabt. Erst nachdem die Beteiligung des Mannes bei der Zeugung bekannt war, gab es parallel dazu auch patrilineare Verwandtschaftssysteme.
Der Übergang von matrilinearen zu patrilinearen Verwandtschaftssystemen erforderte eine ganze Reihe von neuen, komplexen sozialen Organisationsformen, um die männliche Verwandtschafts- und Erblinie zu garantieren. So musste beispielsweise abgesichert werden, dass die Frau mit nur einem Mann sexuellen Kontakt haben konnte (Monogamie, Einschränkung des Bewegungsspielraums bis hin zur vollständigen Isolierung der Frau).
Vielerorts existierten so genannte Übergangskulturen, in denen die soziale Organisation matrilinear war, die politische Organisation jedoch patriarchal. Im alten Ägypten etwa musste ein Mann, der Pharao werden wollte, die Hohe Priesterin/Königin heiraten, weil die Erblinie bis weit in die jüngsten Dynastien weiblich war. Daher die häufigen Bruder/Schwester-Heiraten.
Literatur
- Hans Fischer: Ethnologie. Einführung und Überblick. Reimer Verlag, Berlin, 1992. ISBN 3496004231
- B. Malinowsk: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien.
Siehe auch: Matriarchat, Patriarchat, Matrifokalität, Matrilokalität