Dritte Welt
Der Begriff Dritte Welt (von frz. tiers-monde) wurde geprägt vom französischen Demographen Alfred Sauvy, der in seinem Artikel Trois mondes, une planète im L'Observateur vom 14. August 1952 den Ausdruck analog zum Dritten Stand (frz. tiers-état) entwickelte. Als Frantz Fanon in seiner 1961 veröffentlichen Schrift „Die Verdammten dieser Erde“ die Dritte Welt mit der kolonialisierten, unterentwickelten Welt gleichsetzte und den Begriff in den internationalen Sprachgebrauch einführte, war er zumindest im französischen Sprachraum bereits gebräuchlich. Ursprünglich bezeichnete Dritte Welt die blockfreien Staaten, die sich abgrenzend vom Ost-West-Konflikt dritter Block nannten; heute jedoch wird der Begriff häufig als Synonym für Entwicklungsland benutzt.
Aneignung

Mit dem sich ausbreitenden Ost-West-Gegensatz nach Ende des Zweiten Weltkrieges benannten sich 1955 die afroasiatischen Länder der Bandung-Konferenz Dritte Welt bzw. dritter Block, um deutlich zu machen, dass sie gewillt waren – neben dem Westblock als der Ersten Welt und dem Ostblock als der Zweiten Welt –, einen „dritten Weg“ der Blockfreiheit zu beschreiten. Die Länder Lateinamerikas, die seit 1947 im Rahmen des Rio-Paktes an den Westen gebunden waren, schlossen sich dieser Gruppe der blockfreien Staaten nicht an.
Gruppe der 77
Das enge blockpolitische Verständnis von Dritter Welt weichte schon Anfang der 1960er Jahre auf, weil der Begriff Blockfreiheit von verschiedenen Ländern nahezu beliebig interpretiert wurde. Außerdem kam die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu den Militärblöcken hinzu. Seit der ersten UNCTAD-Konferenz im Jahre 1964 schließt der Begriff Dritte Welt die Länder der Gruppe der 77 ein, zu denen sich dann auch die Länder der Dekolonialisierung gesellten. Die Gruppe der 77 tritt als eine Art Gewerkschaft der Dritten Welt auf, stellte aber von Anfang an eine höchst divergente Gruppe dar, angefangen von der Größe und den wirtschaftlichen Ressourcen der Länder über die verschiedenen politischen Regime bis hin zu den Entwicklungsstilen. Trotz aller Unterschiede versuchte man, gemeinsam gegenüber den Industrieländern aufzutreten und mit der Forderung nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung politischen Einfluss auszuüben.
1973/74 gelang es dem Kartell der OPEC-Länder, mit seiner Preispolitik eine Führungsrolle der Entwicklungsländer im Streben nach einer Umverteilung der Ressourcen im Weltmaßstab zu gewinnen. Doch dies führte letztendlich zu Differenzierungen und Gruppenbildungen der erdölproduzierenden und der energieabhängigen Länder.
Ende der Dritten Welt
Seit 1978 spricht man von einem „Ende der Dritten Welt“. Gründe dafür sind in den Unterschieden bei den Entwicklungsvoraussetzungen und -erfolgen der Dritte-Welt-Länder (auch historischer und kultureller Provenienz) zu suchen, des weiteren in den heterogenen politischen und wirtschaftlichen Systemen und Interessensdivergenzen.
Umdeutung des Begriffes
Da die Begriffe "Erste Welt" und "Zweite Welt" an Popularität verloren und der Ost-West-Konflikt nachließ, wandelte sich die Bedeutung von "Dritte Welt" von der ursprünglichen Blockfreiheit der bezeichneten Staaten hin zum Synonym für Entwicklungsland. Heute wird daher der Begriff "Dritte Welt" meistens dann benutzt, wenn Entwicklungsländer bezeichnet werden sollen.
Siehe auch
- Erste Welt / Zweite Welt / Vierte Welt
- Entwicklungspolitik, Bandung-Konferenz, Entwicklung, UNCTAD, Unabhängigkeit, Kolonie, Entwicklungsland, Gruppe der 77, Ostblock, Industrieland, OPEC, Fairer Handel, Neue Weltordnung, Vierte Welt, Schwacher Staat, Schwellenland.
- Jawaharlal Nehru, dem auch die Prägung des Begriffes zugeschrieben wird
Literatur
- Rheinisches JournalistInnenbüro,"Unsere Opfer zählen nicht".Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Assoziation A, 2005, ISBN 3-935936-26-5
- Mike Davis: Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter. Assoziation A, Berlin 2004. ISBN 3-935936-11-7
Weblinks
- Buchbesprechung zu o.g. Buch von Mike Davis
- Arbeit in der Dritten Welt Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
- Gewerkschaften in der Dritten Welt Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn