Medien in Russland
Mitte der achtziger Jahre, in der Zeit der Glasnost, wurden die Medien in Russland von einem Mittel der Parteipropaganda zu einem Forum verschiedener Meinungen. In der Jelzin-Ära wurden die wichtigsten Medien von einigen wenigen Oligarchen kontrolliert und von diesen als Mittel in ihrem Machtkampf und zur Durchsetzung eigener Interessen missbraucht. Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin wurde die Kontrolle der Oligarchen zunehmend durch die des Staates ersetzt.
Die drei wichtigsten Fernsehsender – ORT, Rossija und NTW – sowie ein bedeutender Teil der Printmedien sind verstaatlicht oder werden durch staatliche Konzerne kontrolliert. Neben den drei genannten Sendern wurde 2005 ein englischsprachiger Nachrichtensender, Russia Today, gegründet.
Pressefreiheit
Es gibt zwar heute in Russland eine große Anzahl an Internet und Print-Medien, ein großer Teil davon befindet sich allerdings in staatlicher Hand, das heißt, er wird mehrheitlich aus dem Staatshaushalt finanziert und muss sich deshalb - so die Kritiker - auch in der Berichterstattung nach den Wünschen der Regierung richten. Andererseits gibt es vor allem im Internet vielbesuchte und sehr kremlkritische elektronische Medien - so zum Beispiel Grani [1]und Ediny Zhurnal.
Daneben gibt es einige oppositionelle Medien sowie einige wenige, die sich in der Hand der so genannten Oligarchen befinden und deren Duldung sehr stark von der jeweiligen Stellung dieser Finanzmagnaten zur Regierung abhängt.
Die finanzielle Situation der oppositionellen Medien ist äußerst schlecht. Aufgrund der geringen Kaufkraft der Bevölkerung und der schlechten Anzeigenlage - womöglich aufgrund der Angst der Inserenten vor Unterdrückung – bewegen sie sich zumeist am Rande der wirtschaftlichen Existenz und sind auf ausländische Unterstützung angewiesen. Die üblichen Schikanen durch die Steuerbehörden können deshalb leicht das Ende einer Zeitung oder eines Fernsehsenders bedeuten. Auch die häufige Weigerung der großteils staatlichen Druckereien kann in den Ruin führen.
Ermordete Journalisten
Während der Präsidentschaft Putins wurden in Russland bislang mindestens 13 Journalisten ermordet. [1] In keinem der Fälle kam es zu einer Verurteilung der Täter. Die Opfer waren:
- Igor Domnikow von der Nowaja Gaseta wurde am 12. Mai 2000 in Moskau vor dem Eingang des Hauses, in dem er wohnte, bewusstlos geschlagen und starb zwei Monate später im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
- Sergei Nowikow von Radio Wesna wurde am 26. Juli 2000 in Smolensk durch vier Schüsse im Aufgang des Hauses getötet, in dem er wohnte. Nowikow war Eigentümer des unabhängigen Senders, der die Provinzregierung kritisierte. Drei Tage zuvor hatte er an einer Fernsehdiskussion über Korruption im Amt des Stellvertretenden Gouverneurs teilgenommen.
- Iskandar Chatloni von Radio Free Europe/Radio Liberty wurde am 21. September 2000 in Moskau ermordet. Chatloni war Mitarbeiter des tadschikischen Service von RFE/Rl; er beschäftigte sich mit Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien.
- Sergei Iwanow von Lada-TV wurde am 3. Oktober 2000 in Togliatti ermordet. Iwanow starb durch fünf Schüsse in Kopf und Brust vor seinem Wohnhaus. Er war Direktor eines einflussreichen lokalen Fernsehsenders.
- Adam Tepsurgajew von Reuters wurde vor dem Haus eines Nachbarn am 21. November 2000 in Alchan-Kala in Tschetschenien erschossen. Er war ein Kameramann, der Aufnahmen aus dem Kampfgebiet des Tschetscheienkrieges drehte. Während des ersten Tschetschenienkrieges arbeitet er als Assistent für ausländische Journalisten.
- Eduard Markewitsch von der Zeitung Novi Reft starb am 18. September 2001 im Dorf Reftinski im Oblast Swerdlowsk durch einen Schuss in den Rücken. Er war Herausgeber einer Lokalzeitung, die regelmäßig örtliche Amtsträger kritisierte.
- Natalja Skryl von der Zeitung Nasche Wremja wurde am 9. März 2002 in Taganrog erschlagen. Skryl hatte als Wirtschaftsreporterin in Rostow am Don über den Kampf um die Kontrolle eines metallurgischen Kombinates berichtet.
- Valeri Iwanow von der Zeitung Toljattinskoje Obosrenije wurde am 29. April 2002 in Togliatti aus kurzer Distanz durch acht Schüsse in den Kopf getötet. Er war Chefredakteur eines Blattes, das über Kriminalität und Korruption berichtete.
- Aleksei Sidorow von der Zeitung Tolyattinskoye Obozreniye wurde in der Nähe seiner Wohnung in Togliatti mit einem Eispickel erstochen. Er war Redakteur dieser Zeitung.
- Dmitri Schwez von TV-21 wurde am 18. April 2003 in Murmansk vor dem Gebäude seines Senders durch mehrere Schüsse getötet. Er war stellvertretender Generaldirektor des lokalen Fernsehsenders. Dieser hatte nach kritischen Berichten über Politiker mehrere Drohungen erhalten.
- Paul Klebnikov von der russischen Ausgabe der Zeitschrift Forbes starb am 9. Juli 2004 in Moskau durch mehrere Schüsse aus einem vorbeifahrenden Auto vor dem Redaktionsbüro. Die Zeitschrift hatte über das Treiben der russischen Milliardäre berichtet.
- Magomedsagid Warisow von der Wochenzeitung Nowoje Delo starb, nachdem sein Wagen bei der Heimkehr unter Maschinengewehrfeuer genommen wurde am 28. Juli 2005 in Machatschkala in Dagestan. Er hatte regelmäßig führende dagestanische Politiker kritisiert.
- Anna Politkowskaja von der Nowaja Gaseta war am 7. Oktober 2006 in Moskau das bisher letzte Opfer innerhalb der Grenzen Russlands.
Eine Aufstellung der World Association of Newspapers für das Jahr 2000, die auch die ermordete Pressefotografen umfasst, nennt mit Wladimir Jazina (ITAR-TASS) und Aleksander Jefremow (Nasche Wremja) zwei weitere Todesfälle.[2] Dazu kommt der Tod des stellvertretenden Chefredakteurs der Nowaja Gaseta, Juri Schtschekotschichin, der am 3. Juli 2003 in Moskau unter nicht geklärten Umständen starb.
Ende November 2006 wurde in London auf den ehemaligen KGB-Mitarbeiter und früheren Oberstleutnant des FSB Alexander Litwinenko, der auch publizistisch tätig war, ein Giftanschlag verübt. Die Tat fand besondere Beachtung, da sie außerhalb Russlands geschah. Litwinenko galt als scharfer Kritiker Putins. Er beschäftigte sich zuletzt mit den Umständen der Zerschlagung des Ölkonzerns Jukos im Rahmen von Verteilungskämpfen inherhalb der russischen Elite. Darüber hinaus recherchierte er im Mordfall Politkowskaja.
Die Oligarchen und die Medien
Dass auch die Medien der Oligarchen nur solange geduldet werden, solange sie im Sinne des Staates, also der wirtschaftlichen und nationalen Interessen Russlands, berichten, zeigt unter anderen der Fall um den Medienmogul Wladimir Gussinski, der auch im Westen große Aufmerksamkeit fand. Andererseits wird argumentiert, Gussinski hätte versucht die Staatsmacht mittels seines Medienimperiums zu erpressen.
Im April 2001 übernahm der staatliche Energiegigant Gazprom die Kontrolle über den Fernsehsender NTW, den einzigen landesweit zu empfangenden Sender, der kritisch über das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien berichtete. Offizielle Begründung war, dass Gussinskis Mediengruppe Media-Most, zu der auch NTW gehörte und deren Haupteigentümer die Gazprom war, überschuldet wäre. Dass dies in erster Linie ein Vorwand war, wurde klar, als nach der Übernahme die kritische Berichterstattung schlagartig aufhörte. Gleichzeitig gab es Sanktionen gegenüber zwei Printmedien der Media-Most, die ebenfalls kritisch über Tschetschenien sowie über den ungeschickten Umgang der Regierung Putin mit dem Untergang des Atom-U-Boots Kursk berichtet hatten: Die Tageszeitung Sewodnja (Heute), wurde eingestellt, der Chefredakteur des erfolgreichen Wochenmagazins Itogi (Bilanz) wurde gefeuert.
Der Chefredakteur und Generaldirektor von NTW Jewgeni Kisseljow wechselte nach der Übernahme mit einem großen Teil der Journalisten zu Boris Beresowskis Sender TW-6. Ein halbes Jahr später, im Januar 2002, wurde auch dieser Sender geschlossen. Die Journalisten von TW-6 unter Kisseljow gründeten daraufhin mit den Geräten von TW-6 den Fernsehsender TWS. Dieser Geräte wegen kam es zu einem Rechtsstreit mit der Muttergesellschaft von TW-6. Man einigte sich schließlich darauf, dass TWS die Geräte zurückgeben wird. Das bedeutete aber gleichzeitig den finanziellen Ruin des Senders.
Im September 2003 übernahm der Ölmagnat Michail Chodorkowski die liberale Wochenzeitung Moskowskije Nowosti, um den von ihm unterstützten Oppositionsparteien Union rechter Kräfte und Jabloko im bevorstehenden Wahlkampf ein Forum bieten zu können. Dieses politische Engagement gilt als ein wichtiger Grund für die Verhaftung Chodorkowskis im Oktober 2003.
Die Leser
Neben den Schikanen der Regierung steht aber auch mangelndes Bewusstsein sowohl in der Bevölkerung als auch bei manchen Journalisten und Vertretern der Rechtsprechung der Bildung einer freien Medienlandschaft im Wege. Nicht wenige in der Sowjetunion sozialisierte Journalisten und Richter sind es gewohnt, im Sinne der Regierung zu berichten beziehungsweise Menschen, die gegen die Interessen des Staates handeln, zu verurteilen.
Bei einer Umfrage im Juli 2001 in Russlands Regionen meinten 29 Prozent, dass die Existenz nicht-staatlicher Medien schädlich sei. Bei einer anderen Umfrage im September des gleichen Jahres fanden 38 Prozent, dass eine wachsende Kontrolle der Medien für den Staat positiv sei. Eine mögliche Erklärung für diese Haltung ist die deutliche Verbesserung allgemeiner Lebensbedingungen - so zum Beispiel die in der Jelzin-Ära nicht selbstverständliche rechtzeitige Lohnauszahlung - bald nach Putins Amtsantritt und die daraus resultierende breite Unterstützung für Putins Politik.
Kritik an der Berichterstattung über russische Medien
In westlichen Medien wird größtenteils ein negatives Bild über die Situation der Pressefreiheit in Russland vermittelt. So wird etwa kritisiert, dass die russische Regierung versuche öffentliche Kritik über ihre Militäreinsätze in Tschetschenien zu unterbinden. Oder, dass die Regierung versuche ihre nationalen Wirtschaftsinteressen zu schützen und etwa hart gegen, von westlichen Geldgebern finanzierte, politische Gruppen vorgehe.
Dieses Verhalten der russischen Regierung, wobei meist nur von Putin gesprochen wird, wird in westlichen Medien in der Regeln als annähernd diktatorisch dargestellt. Kritiker werfen dem Westen häufig Heuchelei vor, da ihrer Meinung nach jedes Land versuche seine eigenen Interessen zu schützen und sich mit allen Mitteln bemüht in der Öffentlichkeit ein gutes Bild von sich zu vermitteln - besonders im militärischen sowie in wirtschaftlichen Fragen.
Gerade der Westen habe in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wie viel ihm an Pressefreiheit wirklich liegt, wenn Gründe für Kriege schlicht erlogen werden. So habe etwa die Bush-Regierung 2003 „Beweise“ erfunden, um einen Krieg ohne UNO-Mandat gegen den Irak in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Ebenso hat die deutsche Bundesregierung bereits 1999 mit frei erfunden Beweisen den ersten Angriffskrieg nach 1945 auch ohne UNO-Mandat gegen Jugoslawien in der Medien-Öffentlichkeit schön-gelogen.
Kritiker argumentieren deswegen, dass das Verhalten Russlands ganz normal sei und der Westen nur aus eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen die Pressefreiheit in Russland kritisiere. Staaten, die ihre Märkte dem Westen gegenüber öffnen, würden unabhängig davon wie es um die Pressefreiheit in diesen Ländern tatsächlich bestellt sei, akzeptiert und Länder, die versuchen würden die eigene Industrie aufzubauen und wettbewerbsfähig zu machen, würden als Diktaturen o.ä. dargestellt. Ein Beispiel dafür sei etwa Italien, wo ein großer Teil der Medien vom ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi kontrolliert wurde und immer noch werde.
In den westlichen Medien ist tatsächlich ein deutlicher Unterschied zwischen der Berichterstattung über die Pressefreiheit in Russland und der Pressefreiheit in Italien wahrzunehmen. Diese deutliche Betonung der negativen Situation in Russland und die spielerische, fast belächelnde Haltung gegenüber der italienischen Presse sprechen für die Heuchelei-Argumentation der Kritiker.
Literatur
- Barbara Oertel: „Viel Presse – wenig Freiheit. Medien und Macht in Russland, der Ukraine und Belarus“. In: Osteuropa, 1/2003. S.19-32.
- H. Trepper: Massenmedien in Russland (Januar 1992 – April 1993) Forschungsstelle Osteuropa – Bremen, Arbeitspapiere und Materialien Nr. 6, Bremen 1993
- E. Geißlinger: Zwischen Putsch und Preissteigerung, Russische Medien auf dem Weg vom „alten“ zum „neuen“ Journalismus. In: Publizistik, Heft 3 (Sept. 97), S. 346–360
- Jens Deppe: Über Pressefreiheit und Zensurverbot in der Russländischen Föderation. Eine Untersuchung über die gesetzliche und tatsächliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantie. Rechtswissenschaftliche Dissertation, Hamburg 2000
- Uwe Krüger: Gekaufte Presse in Russland. Politische und wirtschaftliche Schleichwerbung am Beispiel der Medien in Rostov-na-Donu. Münster 2006 [=Lit-Verlag], ISBN 3-8258-9679-X
Quellen
- ↑ Thirteen Murders No Justice. Liste des Committee to Protect Journalists; Abfragedatum: 2.12.2006
- ↑ 52 Journalisten im Jahr 2000 getötet. Mitteilung der World Association of Newspapers (WAN); Abfragedatum: 2.12.2006 (doc-Datei)
Weblinks
- http://www.kommersant.com Kommersant (englische Version der großen oppositionellen Zeitung; aufgebaut von Beresowskij)
- http://www.newtimes.ru/eng/ New Times (äußerst kremlkritisch; englische Version)
- http://de.rian.ru/onlinenews/ (RIA Novosti; deutsch, russisch, englisch)
- http://www.lenta.ru Lenta.ru - die meistgelesene Internetzeitung Russlands
- http://www.pravda.ru (Prawda; russisch, engl.)
- http://www.kp.ru/ (Komsomolskaja Prawda; russisch)
- http://www.sz.euv-frankfurt-o.de/Homepages/Lektorate/Russisch/LRLinksOnlineZeitungen.html (Übersicht russischer Zeitungen und Zeitschriften)
- http://www.vor.ru (ru., de., engl.)
- http://www.krusenstern.de/index.php?op=viewslink&sid=138 (Einige russische Radiosender)
- http://www.sz.euv-frankfurt-o.de/Homepages/Lektorate/Russisch/LRLinksOnlineRadio.html (weitere russische Online-Radiosender)
- http://www.sz.euv-frankfurt-o.de/Homepages/Lektorate/Russisch/LRLinksSuchmasch.html (russische Internet-Suchmaschinen)
- http://www.russlandonline.ru/ Internetmagazin (deutsch)
- http://echo.msk.ru/ Echo Moskau; renommierter unabhängiger Radiosender
- http://www.aktuell.ru/russland (deutsch, russ.)
- http://www.russianmedia.net/appendix.htm (Umfangreiche Übersicht russischer TV-Sender, Radiostationen, Zeitungen und Internetsites, engl.)
- http://www.novayagazeta.ru/ Novaya Gazeta (ausgesprochen kremlkritische oppositionelle Zeitung)
- http://www.rttv.ru Russia Today (russischer englischsprachiger Auslandssender)
- http://www.frdip.rsu.ru (Freies Russisch-Deutsches Institut für Publizistik Rostow-am-Don)
- http://www.frdip.ru (Freies Russisch-Deutsches Institut für Publizistik an der Lomonossow-Universität Moskau)
- http://www.aktuell.ru (Deutschsprachige Nachrichten aus und über Russland)
- http://www.n-ost (Deutschsprachiges Korrespondentennetzwerk)
- http://www.jil.fu-berlin.de (Journalisten International. Ein Programm für Nachwuchsjournalisten aus GUS-Staaten